Das Gründungsfieber der Jetztzeit

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Autor: B.
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Titel: Das Gründungsfieber der Jetztzeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 592–594
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[592]
Das Gründungsfieber der Jetztzeit.


Skizze für die guten lieben – Actionäre.


Von einem Eingeweihten.


Die fünf Milliarden Franken Kriegsentschädigung, welche kleine Summe die Herren Franzosen gerechter Weise dem deutschen Reiche zahlen müssen, haben einigen seiner braven Bürger den Kopf etwas verdreht, sie haben sich ausgedacht, wie auch sie einen financiellen Privatkrieg mit dem leichtgläubigen Publicum führen und, ohne gesetzlich zur Rechenschaft gezogen zu werden, sich große Summen als Kriegsentschädigung annectiren könnten. Fußend auf dem Patentgesetz, wonach der Patentinhaber sich für seine Erfindung zahlen lassen kann, was er will, erfinden sie irgend eine Eisenbahn, eine Bank oder ein industrielles Unternehmen, gründen darauf eine Actiengesellschaft und lassen sich tüchtigen Gründerlohn zahlen, gleichviel ob die Sache Aussicht auf Erfolg und Rente hat oder nicht.

Diesem Schwindel ist bisher nicht gesetzlich beizukommen gewesen, die Formen, in denen er sich bewegt, sind nicht verboten; es ist also Sache der Presse, das Publicum vor den Verlusten zu warnen, denen es sich aussetzt, wenn es den Gründern fauler Unternehmungen sein Geld anvertraut. Wir wollen versuchen, unseren Lesern eine Einsicht in die Geheimnisse der Gründungen zu geben, was am besten dadurch geschieht, daß wir ihnen einige derartige Gründungsgeschichten erzählen.

Der Bürgermeister von Giebstadt wünscht sich eine Eisenbahn. [593] Warum sollte er das nicht? Er bespricht die Sache mit einigen Rittergutsbesitzern der Umgegend, lauter braven Leuten, denen man es nicht verdenken kann, wenn sie zur besseren Verwerthung ihrer landwirthschaftlichen Erzeugnisse sich auch eine Eisenbahn wünschen. Die Herren vereinigen sich zu einem provisorischen Eisenbahncomité zur Erbauung einer directen Eisenbahn von Giebstadt nach Nimmdorf.

„Wie können wir die Geldmittel dazu beschaffen?“ ist die nächste Frage, welche in der ersten Sitzung des provisorischen Eisenbahncomités aufgeworfen wird. Der Herr Bürgermeister erinnert sich in einer Zeitung von der Begründung einer Eisenbahnbaugesellschaft in der Stadt mit einem Capitale von X Millionen Thaler gelesen zu haben; diese Millionen könnten vielleicht die directe Linie Giebstadt–Nimmdorf bauen helfen. Man nimmt eine Landkarte her, bezeichnet auf derselben mit einem Bleistiftstriche die Linie Giebstadt–Nimmdorf und beschließt eine Deputation nach der Stadt zu entsenden, um mit der Eisenbahnbaugesellschaft über die Sache zu verhandeln. Nach diesem entscheidenden Beschlusse wird auch das materielle Wohlsein berücksichtigt, man dinirt und das provisorische Comité trinkt einige Bullen Sect auf den glücklichen Erfolg seiner Bemühungen.

Die Deputation, der Herr Bürgermeister von Giebstadt an ihrer Spitze, geht ab. Der Herr Director der Baugesellschaft empfängt die Herren auf’s Freundlichste, besieht sich den Bleistiftstrich auf der Landkarte und macht den Herren bemerklich, daß es zunächst wohl einer Begehung der Linie und einiger wenigen technischen Vorarbeiten bedürfen würde, um sich über die Trace und das erforderliche Baucapital zu orientiren. Er erklärt sich mit Vergnügen bereit, dieses Geschäft durch die Ingenieure seiner Gesellschaft besorgen zu lassen, die sich hiernach über die Ausführbarkeit der Bahn und das hierzu erforderliche Baucapital aussprechen werde. Der Herr Bürgermeister kehrt nun mit seiner Deputation nach Giebstadt zurück und berichtet dem provisorischen Eisenbahncomité die außerordentlich glücklichen Erfolge ihrer Sendung.

Sehr bald auch erscheinen die Herren Ingenieure, denen Giebstadt und Umgegend den freundlichsten Empfang bereitet. Man steckt ab, nivellirt und projectirt, findet aber natürlich, daß die Linie auf dem wirklichen Terrain nicht so gerade gebaut werden kann, wie der Bleistiftstrich auf der Landkarte sie vorschreibt, und gelangt schließlich zu dem Resultate, daß die Bahn sechs Meilen lang wird und mit 200,000 Thaler pro Meile hergestellt werden kann.

Diese Ziffer wird von den Ingenieuren natürlich nicht dem provisorischen Comité, sondern der Eisenbahnbaugesellschaft in der Stadt mitgetheilt, und die Direction derselben entwirft hiernach für sich folgenden Bauanschlag:

6 Meilen Bahn Unter-, Ober- und Hochbau nebst Ausrüstung
  à 200,000 Thaler 1,200,000 Thaler,
Betriebsmittel 80,000 Thaler pro Meile    0,480,000 Th
also wirklicher Bedarf 1,680,000 Thaler.
Hierzu Gewinn für die Baugesellschaft  
  circa 20 Procent 0,320,000 Th
50 Procent Coursverlust auf die eine  
  Million Stammactien, die man nur  
  zu 50 rechnen kann 0,500,000 Th
25 Procent Coursverlust auf die zwei  
  Millionen Stamm-Prioritäts-Actien,  
  welche mit 75 anzunehmen sind 0,500,000 Th
Es ist daher ein Nominal-Baucapital zu  
  beschaffen von 3,000,000 Thaler.

Hierauf gründet die Baugesellschaft die Berechnung, welche sie dem provisorischen Comité vorlegt. Sie erbietet sich, die directe Linie von Giebstadt nach Nimmdorf, Unterbau, Oberbau, Hochbau und Ausrüstung der

6 Meilen mit 350,000 Thaler pro Meile  
50 zu übernehmen, dies ergiebt 2,100,000 Thaler,
auch die Betriebsmittel der Linie, Personen-  
  und Güterwagen, Lowry und  
  Locomotiven, mit 150,000 Thaler  
  pro Meile, ergiebt 0,900,000 Th
also im Ganzen für 3,000,000 Thaler

die Bahn betriebsfähig herzustellen.

Gleichzeitig erbietet sich die Gesellschaft, die Geldbeschaffung zu besorgen, und zwar:

eine Million Stammactien selbst pari zu zeichnen und die erforderlichen ersten 40 Procent einzuzahlen;
zwei Millionen Stamm-Prioritäts-Actien durch ein Consortium (eine Verbindung von Banken und Geschäftshäusern) zum Course von 75 zu placiren, auch den entstehenden Coursverlust zu tragen.

Das provisorische Eisenbahncomité in Giebstadt ist bei Empfang dieser Mittheilungen ebenso überrascht als erfreut, die Eisenbahn, die Betriebsmittel und das Baucapital fix und fertig vor sich zu sehen, beschließt, diese Offerte anzunehmen und sich wegen der Concessionsertheilung sofort an die hohe Staatsregierung zu wenden.

Der Herr Bürgermeister entwirft eine Eingabe, in der er die industriellen Bestrebungen der Stadt und Umgegend lebhaft schildert, denen nur noch eine Eisenbahnverbindung mit dem großen internationalen Eisenbahnnetze fehlt, um sich zu seltener Blüthe zu entwickeln. Das wichtige Glied in der großen Kette der Eisenbahnen von Giebstadt nach Nimmdorf ist tracirt, veranschlagt und so weit vorbereitet, daß es nur noch hoher Genehmigung bedarf, um ausgeführt zu werden und über die betreffenden Ortschaften das Füllhorn des Kohlen-, Getreide-, Salz- und sonstigen Verkehrs segenbringend zu entleeren.

Die Grundrisse und Höhenprofile liegen der Eingabe bei, die Beschaffung des Baucapitals wird dadurch nachgewiesen, daß die Baugesellschaft die eine Million Stammactien gezeichnet hat und zur Uebernahme der Stammprioritätsactien sich ein Consortium bereit erklärt, die Staatsregierung findet daher keine Veranlassung, der Bahn Concession zu verweigern, und ertheilt sie mit Vorbehalt der üblichen Formalitäten in Bezug auf Caution, Zeit der Ausführung und Uebernahme, indem sie gleichzeitig die Statuten genehmigt. Das vorläufige Eisenbahncomité constituirt sich hiernach zum Verwaltungsrathe und sucht eine Bankverbindung, welche die Güte haben soll, gegen angemessene Provision das viele Geld, welches aus den Einzahlungen demnächst mobil werden wird, in Depôt zu nehmen, denn es giebt ja in Giebstadt nicht hinreichende feuerfeste Schränke, um solche Summen zu verwahren.

Die Baugesellschaft empfiehlt hierzu eine ihr bereits befreundete Bank, der Verwaltungsrath ist damit einverstanden und auch damit, daß die Baugesellschaft die erste Einzahlung von vierzig Procent auf die von ihr gezeichnete Million Stammactien bei dieser Bank leiste. Er erhält sehr bald die Anzeige der Bank, daß diese Einzahlung geleistet sei, und gleichzeitig die Mittheilung, daß dieselbe Bank die Geschäfte des Consortiums besorge, welches die zwei Millionen Prioritätsstammactien der neuen Bahn zum Course von 75 übernehmen werde.

Der Verwaltungsrath genehmigt das Geschäft und constituirt hiernach die Gesellschaft, indem er drei verantwortliche Directoren zur statutenmäßigen Leitung des Unternehmens ernennt.

Das Consortium, an dessen Spitze die Bank steht, will natürlich die übernommenen zwei Millionen Stammprioritätsactien nicht für sich behalten, es entwirft daher ein höchst ansprechendes Programm, in welchem die Rentabilität der Giebstadt–Nimmdorfer Bahn auf das Vortheilhafteste geschildert wird, und legt die mit 75 übernommenen Stammprioritätsactien, was natürlich nicht gesagt wird, mit 85 zur Subscription auf; der Andrang des Publicums ist groß, die Summe wird überzeichnet und das Consortium hat einen Gewinn von 200,000 Thlrn. realisirt, den es unter die Betheiligten vertheilt. – Nun schreibt der Verwaltungsrath die erste statutenmäßige Generalversammlung in Giebstadt aus.

Die Baugesellschaft, welche die eine Million Stammactien noch besitzt, bildet in der Hauptsache, in Gemeinschaft mit dem Verwaltungsrathe, den Kern dieser Generalversammlung, die Stammprioritätsactien, welche in der Stadt gezeichnet sind, werden schwach vertreten, weil deren Inhaber die Reise nach Giebstadt scheuen. Die bisherigen Mitglieder des Verwaltungsrathes werden daher fast einstimmig wiedergewählt.

Noch bleibt uns zu berichten, was die Baugesellschaft mit ihrer zum Nennwerthe gezeichneten, aber mit 50 Procent angenommenen Million Stammactien macht, denn sie will auch sie natürlich nicht behalten. Da sie die Erdarbeiten und Kunstbauten [594] der Linie an kleinere Bauunternehmer vergiebt, die Schienen, Schwellen und Betriebsmittel mit größeren Instituten und Lieferanten contrahirt, so giebt es Gelegenheit, beim Fälligwerden der Beträge die Actien zu placiren. Es werden die Contracte gegen Zahlung von etwa zwei Drittel in baarem Gelde und ein Drittel in Stammactien geschlossen und diese Letzteren dabei zum Course von 60 angerechnet.

Dies ergiebt auf die Million, die man zu fünfzig angenommen hat, den kleinen Nutzen von 100,000 Thalern, den man ja unbedenklich noch machen kann. Nun, lieber Actionär, hast Du eine Einsicht in die jetzige Methode, eine Eisenbahn zu gründen: das Nominalbaucapital der Linie Giebstadt–Nimmdorf beträgt 3,000,000 Thaler, von denen in Wirklichkeit 1,680,000 Thaler auf den Bau verwendet, der Rest aber in Gründer- und Baugewinnen oder Coursverlusten verloren ist. Der durchschnittliche wirklich aufgewendete Betrag ist also 56 Thaler per Actie von 100 Thalern, Du hast allerdings für die Stammprioritätsactien auch nur 85 gegeben.

Die Gründung einer Bank ist weniger weitläufig, wesentlich rascher durchzuführen und daher auch kürzer zu erzählen.

Eine Gesellschaft Gründer sucht nach einem bereits bestehenden flotten Bankgeschäft, um dasselbe zu kaufen. Zwei junge thätige Leute führen ein solches mit Erfolg, sie haben während ihrer Geschäftsperiode ihr ursprünglich kleines Vermögen durch Thätigkeit und Umsicht auf 200,000 Thaler vermehrt und können dieses Capital durch ihren letzten Bücherabschluß nachweisen.

Die Gründer schlagen ihnen vor, das Geschäft, wie es steht und liegt, für 300,000 Thaler zu kaufen, sie selbst zu Directoren der neuen Wechsel- und Depositenbank mit einem jährlichen festen Gehalt von 10,000 Thaler für Jeden zu wählen und ihnen nach Entwerfung eines Statuts, wie es jede Actiengesellschaft haben muß, einen Aufsichtsrath zu geben, der sich ja nur wenig um die Geschäftsführung zu kümmern haben wird.

Diese höchst entsprechende Offerte nehmen die Inhaber des Geschäfts natürlich an.

Man findet erforderlich, das Geschäftscapital zu vermehren, und läßt daher eine Million Wechsel- und Depositenbankactien drucken. Das Statut wird entworfen, die Bank in’s Handelsregister eingetragen und die Actien sind nun verkäuflich. Es giebt zwei Methoden, sie los zu werden.

Entweder man legt sie zum Course von 110 zur öffentlichen Subscription auf, oder es heißt, daß sie bereits sämmtlich gezeichnet sind, und man führt sie unter gehöriger Anpreisung an einem bestimmten Tage an der Börse zum Course von 110 ein. Dabei wird den Großabnehmern auch wohl ein Viertel Procent Provision vergütet. Ein beauftragtes Bankhaus besorgt den Verkauf für das Gründerconsortium.

Von dem Erlös, der also 1,100,000 Thaler beträgt, fallen 100,000 Thaler in die Taschen der Gründer, 300,000 Thaler erhalten die früheren Geschäftsinhaber. Insofern ihr Geschäftscapital aber nur 200,000 Thaler Bilanzwerth hat, wird dem Abschlusse eine Buchung hinzugefügt. Man bucht den imaginären Werth des Geschäfts als ein Activum von 100,000 Thalern und stellt damit das Stammcapital der 1,000,000 Thaler her.

Der Actionär, welcher eine Actie mit 110 gezeichnet oder gekauft hat, giebt davon also 10 Thaler an die Gründer und 10 Thaler an die früheren Inhaber des Geschäfts ab, seine Actie hat mithin factisch noch den Werth von 90 Thalern. Vielleicht macht aber die Wechsel- und Depositenbank gute Geschäfte.

Erzählen wir nun unsern Lesern auch noch die Geschichte der Gründung eines industriellen Unternehmens.

Die Gründergesellschaft sucht ein solches zu kaufen, gleichviel ob Tuchfabrik, Maschinenbauanstalt, Eisenwerk oder sonst etwas, nur käuflich muß es und in der Geschäftswelt bekannt sein. Es findet sich eine Maschinenbauanstalt, welche für 1,500,000 Thlr. feil ist. Der Besitzer, der seinen Grund, seine Gebäude und seine Maschinen hübsch hoch taxirt hat, verpflichtet sich, die Anstalt, wie sie steht und liegt, und zwar inclusive des Gewinnes, der im laufenden Jahre bereits gemacht ist, für jene Summe an die Gründer abzutreten. Weiter erklärt er sich bereit, seine bekannte Umsicht und Thätigkeit noch so lange der Anstalt zu widmen, als erforderlich sein wird, einen tüchtigen technischen Director zu gewinnen, und endlich nimmt er es in den Kauf, die Dividende des laufenden Jahres mit fünfzehn Procent zu garantiren. Unter Vorbehalt der technischen Untersuchung der Anstalt und Taxation der Immobilien und Mobilien durch Sachverständige, wird das Geschäft abgeschlossen.

Die Commission der Sachverständigen, unterstützt von einigen der Herren Gründer, erscheint und findet zu ihrem Erstaunen die Taxe der Mobilien und Immobilien wesentlich unter dem Werthe, den man einer Actiengesellschaft dafür ansetzen kann. Die Taxen werden hier um 50-, dort um 100,000 Thlr., schließlich um 500,000 Thlr. im Ganzen erhöht, außerdem der Anstalt ein Betriebscapital von 500,000 Thlr. gegeben und sonach die Actiengesellschaft mit 2,500,000 Thlr. Stammcapital in’s Leben gerufen. Davon erhält der frühere Besitzer seinen Kaufpreis von 1,500,000 Thlr. und hat, trotz der für’s erste Jahr garantirten Dividende, ein gutes Geschäft gemacht; die Gründer sind auch zufrieden, denn sie haben 500,000 Thlr. verdient. Und der Actionär? Dieser hat die sichere Aussicht auf die vom früheren Besitzer für das laufende Jahr garantirte Dividende von fünfzehn Procent.

Berlin.

B.