Das Heiligthum
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Das Heiligthum.
Waldnacht. Urmächt’ge Eichen, unter die
Des Blitzes greller Strahl geleuchtet nie!
Dämmernde Wölbung, Ast in Ast verwebt,
Von keines Vogels Lustgeschrei belebt!
Ein heilig Dunkel, das dem Gott gehört,
Darin, umblinkt von Schädel und Gebein,
Sich ungewiß erhebt ein Opferstein …
Es rauscht. Es raschelt. Schritte durch den Wald!
Geleucht von Helmen! Eine reis’ge Schaar!
Vorauf ein Gallier und ein Legionar:
„Die Stämme können dienen. Beil in Schwung!
Cäsar braucht Widder zur Belagerung!“[1]
Den Römer auch ergreift die Majestät
Des Orts, doch hebt gehorchend er die Axt –
Der Gallier flüstert: „Weißt du was du wagst?
Die Stämme – diese Riesen – sind gefeit,
In dessen Nähe nur der Priester tritt,
Ein todtenblasses Opfer schleppt er mit.
Versehrtest nur ein Blatt du freventlich,
Stracks kehrte sich die Waffe wider dich!“ …
Die Römer lauschen bang und athmen kaum,
Schwer, schwerer wird der Hand des Beiles Wucht
Und ihr entsinkt’s. Sie stürzen auf die Flucht.
„Steht!“ Und sie stehn. Denn es ist Cäsar’s Ruf,
Er ist bei seiner Schaar. Er deutet hin
Auf eine Eiche. Sie umschlingen ihn,
Sie decken ihn wie im Gedräng der Schlacht,
Sie flehn. Er ringt. Er hat sich losgemacht,
Ein Beil, hebt’s, führt den Schlag, der saust und pfeift …
Sank er verwundet von dem frevlen Beil?
Er lächelt: „Schauet, Kinder, ich bin heil!“
Erstaunen! Jubel! Hohngelächter! Spott!
Die Rinde fliegt! Des Stammes Stärke kracht!
Vom Laub zu dunklerm Laube flieht die Nacht.
Die Beile thun ihr Werk. Die Wölbung bricht –
Auf Riesentrümmer fällt das weiße Licht.
- ↑ Von Massilia.