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Das Moharremfest in Constantinopel

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Titel: Das Moharremfest in Constantinopel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 204–207, 209
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[204]

Das Moharremfest in Constantinopel.

„Haben Sie Zeit?“ rief es in mein Zimmer im Gesandtschaftshôtel zu Constantinopel.

„Ja!“

„Auch gute Nerven?“

„Natürlich – was giebt es denn?“

„Machen Sie sich schnell fertig! Der Wagen wartet; ein Schauspiel steht Ihnen bevor, wie Sie es schwerlich hier auf europäischem Boden erwarten.“

Die lange Gestalt meines Freundes M. tauchte im Hintergrund des Zimmers auf, hinter ihm, wie sein Schatten, der getreue Lazarian, das „Factotum“ der Gesandtschaft.

„Wir haben nur noch eine Viertelstunde bis zum Sonnenuntergang,“ fuhr der Eingetretene fort, indem er mit unverhohlener Geringschätzung die angebotene Cigarette zurückwies und die geliebte Virginia wieder mit einiger Mühe in Brand setzte, „das Fest beginnt mit einbrechender Nacht, und es ist fraglich, ob wir später noch Einlaß finden. Also eilen Sie!“

„Vor Allem,“ unterbrach ich den unermüdlich Redenden, „haben Sie die Güte, mir zu sagen, was denn das für ein ‚Fest‘ ist, das während der Nacht abgehalten wird und starke Nerven erfordert!“

„Unterwegs sollen Sie Alles erfahren. Haben Sie nie von den persischen Flagellanten gehört?“

„Ach, wieder einmal ein religiöser Humbug,“ rief ich enttäuscht, „eine Wiederholung der Taschenspielerkünste aus dem Kloster der heulenden Derwische oder etwas Aehnliches.“

„Unverbesserlicher Kritiker,“ warf er ein. „Erst sehen und dann urtheilen! Das heutige Fest hat nichts gemein mit jenem lächerlichen Gaukelspiel, von dem Sie da sprechen. Es ist eine persische national-religiöse Todtenfeier, die alljährlich im Validé-Khan[1] abgehalten wird, und Sie werden schwerlich eine bessere Gelegenheit finden, den Fanatismus in seiner ursprünglichsten rohesten Gestalt zu beobachten. Doch die Zeit drängt! Also avanti –“

Er zog mich fort. Ich hatte eigentlich geringe Lust, einem zum Ueberdruß bekannten Schauspiel zu Liebe die behagliche Wärme meines Zimmers mit der kalten Winterluft zu vertauschen. Gehörte ich doch zu den Bevorzugten, die sich bei den damaligen abnormen Witterungsverhältnissen einer wasserdichten Zimmerdecke und eines heizbaren Ofens erfreuten. Nicht Jedem ward es in jenen kalten Tagen so wohl in Constantinopel. Tausendmal schrecklicher als bei uns daheim in Deutschland sind die Plagen des Winters, wenn sie einmal hereinbrechen, in den gesegneten Zonen des südlichen Europas.

„Wer Pillaf[2] nie mit Unschlitt aß,
Wer nie im Bett den Schirm aufspannte,
Am kalten Ofen fröstelnd saß,
Der kennt dich nicht, du himmlische Levante!“

Die tiefe Wahrheit dieser classischen Verse hat gar Mancher in dem herrlichen Constantinopel zu erproben Gelegenheit gehabt.

Es dämmerte bereits, als wir hinaustraten. Der Abend war klar und von nordisch-winterlicher Schönheit. Tiefblaue Schatten lagerten auf den Cypressenhainen der Kirchhöfe, die nach dem

[205]

Das Moharremfest der Perser in Constantinopel. Nach einer Skizze von L. von Hirschfeld auf Holz gezeichnet von A. Langhammer.

[206] „Goldenen Horn“ hinabsteigen, und wie geschmolzenes Blei schimmerte die glatte unbewegte Wasserfläche zu uns herauf. Drüben erhob sich wie eine dunkle Wand das Häusermeer von Stambul, und die zahllosen Kuppeln und Minarets zeichneten sich wie schwarze Silhouetten von dem kalten gelblichen Abendhimmel ab.

Wir waren im Februar. Auf der großen Perastraße, wo sonst gerade um diese Tageszeit ein buntes geräuschvolles Treiben herrscht, eilten die heimkehrenden Geschäftsleute, in Pelze und Mäntel gehüllt, fröstelnd und mit flüchtigem Gruß an einander vorüber, und die heitere Scenerie orientalischen Straßenlebens war vor dem eisigen Hauche eines ungewöhnlich strengen Winters wie mit einem Schlage verschwunden.

Während unser Wagen über das schauderhafte Pflaster von Galata und den berüchtigten Knüppeldamm der „neuen“ Brüder nicht etwa rollte, sondern geschleudert wurde, erfuhr ich von meinem Begleiter die näheren Details über das Schauspiel, das uns in Stambul erwartete, über das Moharremfest.

Zwischen Türken und Persern besteht bekanntlich ein uralter Widerstreit, der nicht nur auf der Verschiedenheit der Volksstämme, der Sitten und Gebräuche beruht, sondern vorzugsweise aus der politisch-religiösen Spaltung herzuleiten ist, welche bald nach dem Tode des Propheten die Bekenner des Islam in zwei große Parteien trennte. Den Sunniten oder Anhängern der Sunna (der Tradition), welche sich um den Thron der ersten Kalifen schaarten, standen die Parteigänger Ali’s (shy’ at Ali) oder Schiiten gegenüber, welche in diesem ihrem Führer, dem Neffen und Schwiegersohne Mohammed’s, den einzig legitimen Nachfolger des Propheten erblickten und die herrschenden Ommahjaden als Usurpatoren betrachteten.

Der Kampf, der nunmehr um die Erbfolge entbrannte, ging allmählich mit dem Hinzutreten dogmatischer Zwistigkeiten in einen Religionskrieg über, der durch mehrere Jahrhunderte von beiden Seiten mit der höchsten Erbitterung geführt wurde und schließlich mit der Unterwerfung der persisch-schiitischen Provinzen endete. Die schiitische Lehre dagegen überdauerte alle Kämpfe und Verfolgungen; sie ist noch heutigen Tages Staatsreligion des persischen Reiches. Ihr wesentlichstes Merkmal ist, daß ihre Bekenner die nahezu abgöttische Verehrung, mit welcher die orthodoxen Moslems die Person des Propheten umgeben, auf den Gründer ihrer Secte und dessen Familie übertragen. Der gewaltsame Tod Ali’s – er fiel durch Meuchelmord – namentlich aber das tragische Schicksal seiner Söhne Hussein und Hassan, welche auf der Ebene von Kerbela von einem feindlichen Streifcorps überfallen und erschlagen wurden, liefern den Stoff zu alljährlich wiederkehrenden Trauerfesten, in denen der schiitische Fanatismus stets neue Nahrung findet, und die Todtenfeier am 10. Moharrem, an deren Schauplatz wir im Begriffe standen, uns zu begeben, ist das wichtigste Fest des ganzen Jahres.

Es war bereits ziemlich dunkel geworden, als wir vor der mächtigen düsteren Steinmasse des Carawanserails anlangten, um der Darstellung des Haupt- und Schlußactes des Festes beizuwohnen. Man hatte uns schon gesagt, daß, so hoch sich auch der religiöse Fanatismus der Perser während dieser Tage steigern möge, der sich ruhig bewegende Fremde doch unbelästigt bleiben werde, und in der That, wir konnten nicht nur ruhig unseres Weges gehen, sondern wurden sogar freundlich willkommen geheißen; denn kaum waren wir in den Khan, in dessen geräumigem Hofe das Schauspiel vor sich gehen sollte, eingetreten, als sich uns ein Kovaß (Gensd’arm) der persischen Gesandtschaft näherte und, an unseren Kleidern die Fremden erkennend, uns sehr höflich bat, ihm zu folgen. Durch die Mitte des versammelten Volkes hindurch führte er uns geradeswegs zu dem Zelte des persischen Gesandten und verschaffte uns so die angenehme Gelegenheit, von dem günstigsten Standpunkte aus Alles in Augenschein nehmen zu können. Auf dem Wege dorthin mußten wir bei den Darstellern vorbei, die eben ihren Zug aufstellten.

Derselbe wurde durch eine Anzahl schwarzgekleideter Knaben eröffnet, die nach dem Commando eines älteren eine Art von Recitativ sangen. Die beiden Kleinsten unter ihnen trugen zwei große Fahnen, wie sich denn deren mehrere im Zuge befanden; aus schwarzem oder dunkelgrünem Stoffe, mit in Gold gestickten Sprüchen aus dem Koran versehen und auf dem oberen Ende der Stange eine geöffnete goldene Hand als Spitze tragend, wehten sie prächtig im Winde. Den Knaben folgten vier Handpferde, von denen die drei ersten mit schwarzen Decken behangen waren und verschiedene Schilde und Schwerter trugen; sie brachten die Schlachtrosse der Kriegsgefährten Hussein’s zur Anschauung. Das letzte der vier Pferde, ein Schimmel, stellte das Pferd Hussein’s selbst vor und war in abschreckender Weise mit Blut bedeckt – ebenso die weiße Decke desselben. Schilde, Schwerter und einige Pfeile schmückten es zu beiden Seiten, und auf seinem Rücken sah man zwei weiße, mit Blut befleckte Tauben befestigt – eine allegorische Darstellung der reinen Sache, für die Hussein kämpfte und fiel. Neben diesen Pferden aber wurden zwei hohe Stangen getragen, von denen in reicher Fülle kostbare Cachemirshawls herabflatterten. Den Pferden folgten acht Männer mit einer Art Sänfte in der Form eines Sarkophages; sie war mit kostbaren Teppichen bedeckt und vorn und an den Seiten mit ovalen Schilden geschmückt, die mit kostbaren Edelsteinen besetzt waren, oben auf der Sänfte aber lag ein Turban, der den Kopfputz Hussein’s darstellte. Ein prächtiges Bild, diese Gruppe der Pferde und der Sänfte, um so prächtiger, als eine Schaar reichgekleideter Perser, die theils Fahnen, theils Wachslichter in kostbaren Glasleuchtern trugen, sie würdevoll umgab!

An das Prachtvolle aber reihte sich nun das Unschöne: eine große Zahl von Männern, die sämmtlich die linke Schulter und die Brust entblößt hatten und in gleichmäßigem Tacte mit voller Kraft diese nackten Körpertheile heftig schlugen. Dabei begleiteten sie mit einer Art rhythmischen Gesanges eine melancholische Stimme, welche aus ihrer Mitte laut hervortönte.

Dann folgte eine Schaar Personen mit ganz entblößtem Oberkörper, die nur um den Kopf und um die Hüften ein schwarzes Tuch geschlungen hatten. In der Hand trugen sie eine Art Geißel, die aus einem kurzen Stiele mit angehängten eisernen Ketten bestand.

Endlich bildeten den Schluß des Zuges zwei lange Reihen wild aussehender Männer, sämmtlich in lange weiße Gewänder gekleidet und den nach persischer Sitte ganz kahl geschorenen Kopf entblößt. Jeder von ihnen trug in der rechten Hand ein scharfes Schwert und hatte mit der linken den Gürtel seines Nebenmannes von rückwärts erfaßt. Sie stellten die zweiundsiebenzig sogenannten Märtyrer vor, welche den jungen Hussein begleitet und bei seiner Vertheidigung den Tod gefunden hatten.

Was ich in dem Zuge vermißte, war die Darstellung der dem Hussein feindlichen Soldaten des Kalifen Jezid. Man belehrte mich jedoch, daß es selbst in Persien sehr schwer halte, die nöthigen Darsteller dazu zu gewinnen, da bei dem Anblicke des Schauspieles die bis auf das Höchste gesteigerte religiöse Wuth des versammelten Volkes sich gewöhnlich gegen diese Soldaten des Jezid kehre. Russische Kriegsgefangene, die man einmal in Teheran dazu gezwungen hatte, diese Rolle zu übernehmen, mußten so schnell wie möglich die Flucht ergreifen, um ihr Leben vor den scharfen Hieben und dem Steinhagel zu retten, mit dem die erregte Menge diese unglücklichen Schauspieler überschüttete. Auch die Darstellung der Leichname der Märtyrer, wie sie in Teheran stattfindet, fehlte hier, da gewöhnlich mehrere Menschen dabei ihr Leben einbüßen. In Teheran gräbt man, um die enthaupteten Leiber der Hussein’schen Schaar zu veranschaulichen, eine Zahl Personen bis an den Hals in die Erde und legt dann eine ebenso große Zahl anderer Personen, von denen man die Köpfe geschickt verbirgt, so neben diese aus der Erde hervorragenden Häupter, daß es aussieht, als habe man eine Reihe enthaupteter Cadaver vor sich – ein schreckliches Bild!

Doch nicht lange war uns Zeit zum Betrachten des sich aufstellenden Zuges geblieben; unser Führer drängte, und wenige Augenblicke später befanden wir uns vor dem Zelte des persischen Gesandten. Dasselbe war mit Gewändern ganz schwarz ausgeschlagen und mit zahlreichen Gaskronleuchtern und vielen Lichtern feierlich erhellt.

Wir fanden in dem Zelte bereits eine kleine Zahl Europäer versammelt, und auf die liebenswürdigste Art wurde uns dort von der Gesandtschaft Thee und Tabak angeboten und Alles gethan, um uns die Betrachtung des zu erwartenden Schauspiels so bequem wie möglich zu machen. Die Zeit, die uns bis zum Beginn desselben verblieb, verfloß rasch in der Anschauung des bunten wechselvollen Bildes, das die zu Tausenden versammelte Menge darbot. Aus allen Theilen des weiten Orients schien sie zusammengeströmt zu sein, um dem staunenden Fremden den Anblick einer wahrhaft reichhaltigen Musterkarte der verschiedenartigsten Völkertypen und der verschiedensten Trachten zu gewähren.

[207] Von dem tiefen Blauschwarz des Negers bis zu der durchsichtig zarten, weißen Haut der bevorzugten Haremsdame, von dem schwarzen Frack und hohen Cylinderhut des Europäers bis zu der weitbauschigen türkischen Pluderhose und der bärenartigen Pelzmütze der Bewohner Kleinasiens war hier ein buntes Gemisch von pittoresken Figuren vertreten, wie sie eben nur der Orient in so reichhaltiger Menge aufzuweisen vermag. Hier stand der scharfäugige Tscherkesse in seiner kriegerischen Kleidung neben dem langsamen, bequemen Türken, dort der braune Araber im weißen Burnus neben dem ernsten Perser im langen Kaftan. Aber damit noch nicht genug! Sogar die Fenster und Balkone der den Hof einschließenden Gebäude waren mit Schaulustigen angefüllt. Hier hatte namentlich das schöne Geschlecht seinen Platz: Schaaren türkischer Frauen blickten auf uns neugierig herab; nach türkischer Art hockten sie auf dem Boden und ließen sich die selbst gedrehten Cigaretten gut schmecken.

Noch waren wir ganz im Anschauen des bunten Bildes versunken – da plötzlich erschallte in der Ferne ein rhythmischer Gesang, der das Herannahen des Zuges verkündete, und augenblicklich verstummte das dumpfe Gemurmel der vielköpfigen Menge. Man hörte nur noch das laute Schluchzen der zahlreich anwesenden, auf’s Tiefste ergriffenen Perser, die ihrer religiösen Trauer in lauten Klagen und reichen Thränenergüssen Luft machten. Die Priester erinnerten das Volk daran, wie kostbar eine einzige Thräne sei, die dem Andenken Hussein’s geweiht wäre, wie es eine Thräne wäre, die alle Verbrechen tilge, und mit großem Ernst verkündigten sie, daß Jeder, der an diesem Tage nicht betrübt wäre, elend zu Grunde gehen würde. Dann nahmen sie ein Stückchen Watte und, sich den Anwesenden nähernd, wischten sie diesen die Thränen von den Wangen und sammelten sie in einem kleinen Fläschchen. Es herrscht nämlich in Persien der Glaube, eine einzige dieser Thränen, in den Mund eines Sterbenden geträuft, lasse diesen sofort gesunden. Wie sollte man so kostbares Naß nicht sorgfältig sammeln!

Nun hatte der Zug sich unserem Zelte genähert und passirte unter lautem Getöse an uns vorüber. Die Knaben sangen ihr Recitativ, und hinter ihnen begleiteten noch immer die Erwachsenen den Gesang ihres unermüdlichen Vorsängers; noch immer hieben sie sich dabei im Tacte wild auf die nackte Brust. Dann folgte die Gruppe der Geißler. Hieb auf Hieb schlugen sie sich im Wechsel von rechts und links mit den eisernen Ketten auf die nackten Schultern, daß die Haut aufsprang und das rothe Blut hervorrieselte. Ein lautes klagendes „O Hussein“ erscholl von den Lippen der weißgekleideten Männer, die ihnen folgten und mit geschwungenen Schwertern ihre Reihen gegen einander näherten.

So zog der Zug das erste Mal vorbei, und lauter und immer wilder, immer herzzerreißender ertönten die Klagen der anwesenden Perser. Nur eine kurze Weile, und schon wälzte er sich zum zweiten Male heran. Bereits von weitem hörte man den eigenthümlichen dumpfen Ton, den die gleichzeitigen Schläge, auf die nackte Brust von einer so zahlreichen Menge geführt, hervorbrachten.

Vorbei zogen abermals Pferde und die Fahnenträger mit ihrer Umgebung. Zu Hunderten angewachsen, da sich Viele aus dem Volke ihr angeschlossen, brauste wieder die Gruppe der sich die Brust zerschlagenden Fanatiker an uns vorüber. Viele von ihnen trugen jetzt den Oberkörper ganz entblößt, und bei Allen war bereits die Brust, die sie mit immer stärkeren Schlägen bearbeiteten, dick geschwollen und mit Blut unterlaufen. Und da waren auch wieder die Geißler. Noch nicht ermattet von dem einmaligen Umzuge und mit von Minute zu Minute mehr gesteigertem Fanatismus, zerfleischten sie sich mit ihren Schlägen den nackten Rücken, indem sie dabei einander in der Kraft und der Zahl der Schläge zu überbieten suchten. Aber nun – was war es, das sich von weitem unter verworrenem Geschrei herandrängte? Es kam näher und immer näher – nun war es – grausiger Anblick! – unmittelbar vor uns: Schwerter blitzten aus einer wüst schreienden Schaar. Blutige Häupter – verzerrte Züge, rollende Augen – Wahnsinn der Exaltation – – es war die bewaffnete Schaar, unter all diesen Fanatikern die Schlimmsten. Einer suchte nicht nur die Anderen durch lautes Schreien in dem Rufe „O Hussein!“ zu überbieten, sondern schlug sich dazu auch noch wie rasend mit dem scharfen Schwerte über den Kopf. Vergebens war es, daß hinter ihnen die Menge die wuchtigen Hiebe mit Stöcken zu pariren suchte; denn bei der Heftigkeit, mit der die Schläge geführt wurden, erreichten dieselben nur zu wohl ihr Ziel. In Strömen floß das Blut über Gesicht und Hinterkopf auf die weißen Kleider herab. So wälzte sich diese blutige Menge an uns vorbei. Hier stürzte Einer erschöpft zu Boden und wurde nur mit Mühe von seinen Freunden unter den Füßen der Nachdrängenden hervorgezogen; dort reihte sich ein Anderer, der dasselbe Schicksal erlitten und sich inzwischen etwas erholt hatte, wieder in den Zug ein, um nach wenigen Minuten unter den verdoppelten Schlägen wieder zusammenzubrechen. Einen immer wilderen Charakter nahm das Bild an, und in der inzwischen hereingebrochenen Dunkelheit erschienen seine Schrecken doppelt schrecklich unter der alles mit einer rothen Gluth übergießenden Helle der Kienfackeln.

Endlich aber verlangte die menschliche Natur ihr Recht. Von religiöser Trauer übermannt, von Blutverlust erschöpft und den körperlichen Schmerzen der heftig klaffenden Wunden fast erliegend, lösten die Darsteller nach mehrmaligem Herumziehen den Zug auf. Noch Stunden lang dauerte es, ehe sich die fanatisirten Zuschauer so weit erholt hatten, um, immer noch unter heftigen lauten Klagen, sich ihren Wohnungen zuwenden zu können und dort in dem Alles begrabenden Schlafe Vergessenheit und neue Kraft zu suchen. – –

Als ich zwei Tage später wieder den Validé-Khan betrat, fand sich keine Spur mehr von den Zeugen des Festes; im Hofe und in den Gängen herrschte das gewöhnliche geschäftliche Treiben; die Estraden waren abgebrochen, und nur einige dunkle blutrothe Flecken auf dem Steinpflaster erinnerten an das eigenthümliche Schauspiel, dessen Zuschauer ich gewesen. Auch fiel es mir auf, daß ein mir bekannter wohlhabender Teppichhändler, der einem der größeren Geschäfte vorsteht, seine geliebte spitze Lammfellmütze abgelegt und den Kopf mit leinenen Tüchern umwunden hatte.



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Aus dem Moharremfestzuge:0 Gruppe der Büßer.
Nach Skizzen von F. Moral.

Aus dem Moharremfestzuge:0 Gruppe der Geißler.
Nach Skizzen von F. Moral.


  1. So heißt die große Herberge der Perser in Constantinopel.
  2. Türkisches Gericht, bestehend aus Reis und Hammelfleisch.