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Das Nest der Kronprinzessin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Das Nest der Kronprinzessin
Untertitel:
aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1914, Zweiter Band, Seite 215–217
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[215] Das Nest der Kronprinzessin. – In der Nähe des dem Könige von Rumänien gehörigen Schlosses Pelesch hat sich die durch ihre Schönheit berühmte rumänische Kronprinzessin vor mehreren Jahren ein eigenartiges Lusthäuschen geschaffen, wie es wohl kein zweites Mitglied einer regierenden Herrscherfamilie besitzen dürfte. Zwischen den Wipfeln mehrerer riesiger Hochwaldtannen schwebt etwa acht Meter über dem Waldboden an starken Drahtseilen ein Häuschen, das eine im holländischen Stil eingerichtete Küche, ein Vorzimmer und einen Salon enthält – alles in Miniaturabmessungen, möbliert mit zierlichen Möbeln, und doch traulich und bequem. Dieses „Nest der Kronprinzessin“ wie man es im Volksmunde nennt, hat einen ebenso seltsamen Zugang und gleicht in dieser Beziehung einer kleinen Festung. Neben dem Häuschen erhebt sich ein hölzerner Wartturm, von dem aus eine Zugbrücke zu dem „Nest“ hinübergelassen werden kann.

Bei starkem Winde schwankt das luftige Gebäude ganz bedeutend. Als einmal an einem gerade recht stürmischen Tage der verstorbene König Georg von Griechenland „das Nest der Kronprinzessin“ besichtigte und den herrlichen Fernblick von der um das Häuschen herumführenden Galerie genießen wollte, mußte er schleunigst wieder zur sicheren Erde hinabsteigen, da [216] sich bei ihm auf der hin und her wiegenden Galerie sehr bald die ersten Anzeichen von Seekrankheit bemerkbar machten.

Mit diesem sonderbaren Haus eng verknüpft ist eine kleine Geschichte, die deutlich beweist, daß das vielfach angezweifelte plötzliche Ergrauen des Kopfhaares infolge seelischer Erregungen durchaus nicht in das Reich der Fabel gehört. Baurat Liman, der das „Nest“ geschaffen hat, erzählt folgendes: „Als vor einer Reihe von Jahren die Frau Prinzessin mir gegenüber den Wunsch nach diesem Waldidyll äußerte, ging ich frisch ans Werk. Aber es war noch weit von seiner Vollendung entfernt, als die hohe Frau zu mir kam und meinte, in vierzehn Tagend müsse alles fix und fertig sein, da der Zar von Bulgarien mit seiner Gemahlin sich angemeldet habe. Als Überraschung wolle sie dem Paare das ‚Nest‘ zeigen und ihren ersten Tee dort geben.

Das war nun eine harte Arbeit. Tag und Nacht wurde geschafft, und zur bestimmten Zeit war denn auch richtig das ‚Nest‘ fertig mit allen inneren Holztäfelungen samt Küche und Drumherum, nebst Turm und Zugbrücke. Jedoch die Haltbarkeit war nicht ausgeprobt, und bange Zweifel plagten mich unausgesetzt, ob die Tragfähigkeit auch genügen würde. Als dann der Nachmittag kam und in dem Hüttchen oben viel mehr Personen weilten, als ich je gedacht, neben den hohen Herrschaften auch noch die Hofstaaten und Minister, da, glaub’ ich, gab’s keinen sorgenvolleren Menschen auf der Erde wie mich. Und zudem erhob sich noch ein heftiger Sturm mit peitschendem dem Regen, so daß der Tee statt der festgesetzten halben Stunde über zwei Stunden währte – für mich eine unendliche Qual! Denn fortwährend peinigte mich der Gedanke, daß ein Riegel, ein Seil, ein Bolzen nachgeben könnte, und daß, wenn erst der Kreis der Anwesenden dadurch beunruhigt würde, alles verloren sei. Ich stellte mich direkt unter das ‚Nestchen‘ – und wie langsam verrannen die Minuten, während der Sturm immer heftiger wurde und die Riesentannen hin und her schüttelte!

Da ging ein bulgarischer General mit dem Leibarzt des Königs vorbei, und ersterer sagte scherzend zu mir: ‚Nun, [217] Herr Liman, Sie haben ja großes Vertrauen zu Ihrem schwankenden Bau da oben; wie nun, wenn er einstürzen würde und Sie stehen darunter?‘

‚Ja, Herr General,‘ sagte ich, ‚deswegen hab’ ich mich ja daruntergestellt; fällt er, so soll er mich als den ersten begraben!‘

Aber er fiel nicht; am nächsten Morgen jedoch war ich an den Schläfen grau.“

W. K.