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Das Nowo-Dewitschij-Kloster bei Moskau

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: W. H.
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Titel: Das Nowo-Dewitschij-Kloster bei Moskau
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 385, 387-388
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[385]

Kloster auf dem Jungfernfelde bei Moskau.
Originalzeichnung von F. Stoltenberg.

[387] Das Nowo-Dewitschij-Kloster bei Moskau. (Mit Illustration S. 385.) Der Ursprung des Namens Nowo-Dewitschij-Monastyr (Neues Jungfrauen-Kloster) ist nicht ganz aufgeklärt. Als altes Jungfrauen-Kloster wird keines der übrigen Nonnenklöster Moskaus bezeichnet. Jedes von ihnen trägt entweder den Namen eines Heiligen, wie z. B. Alexejewsky, Nikitsky (des heiligen Alexej, Nikita), oder den eines kirchlichen Festes, wie z. B. das Nonnenkloster zur Geburt Christi, zur Empfängniß, zur Himmelfahrt. Blos dem Nowo-Dewitschij-Kloster fehlt eine solche specielle Bezeichnung. Manche behaupten, es trage seinen Namen von der ersten Aebtissin, die Helene Dewotschkin geheißen habe. Ob der Platz, auf dem das Kloster sich befindet, das Jungfernfeld, von dem Kloster seinen Namen erhalten hat, oder umgekehrt, ist gleichfalls nicht festzustellen.

Fast im südwestlichsten Winkel des großen Bogens, den die Moskwa bildet, bevor sie in’s Innere der Stadt, am Kreml vorbei fließt, liegt, ganz am Ende des Jungfernfeldes, dieses historisch-merkwürdige Kloster. Von den 21 Klöstern der Hauptstadt ist es eines der größten, es birgt innerhalb seiner mit Thürmen und Schießscharten versehenen Mauern nicht weniger als 8 Kirchen.

Das Nowo-Dewitschij-Kloster wurde vom Czaren Wassilij Iwanowitsch im Jahre 1524 zum Andenken an die Wiedervereinigung von Smolensk mit dem Großfürstenthum Moskau gegründet (nach andern Quellen zum Andenken an die Rücksendung des wunderthätigen Bildes U. L. Frauen von Smolensk nach dessen Heimathstätte, und bis zu der Stelle, wo sich jetzt das Kloster befindet, soll die Procession das nach Smolensk zuruckgesandte Heiligenbild begleitet haben).

Nach dem Tode Wassilij Iwanowitsch’s nahm seine Wittwe, die Czarin Irene, im Jahre 1598 unter dem Namen Alexandra hier den Schleier. Auch Boris Godunow, ihr Bruder, hatte sich nach dem Tode des jungen Thronerben Dmitrij – dessen Ermordung ihm zugeschrieben wird – hierher zurückgezogen. Er erwartete hier auch die Ankunft des Patriarchen Hiob, der an der Spitze der Geistlichkeit ihm die Czarenkrone anzubieten kam.

Im Jahre 1610 wurde das Nowo-Dewitschij-Kloster, während der blutigen Kämpfe mit den Polen, welche mit dem falschen Dmitrij gekommen waren, um dem Czaren Boris Godunow die Krone zu entreißen, theilweise zerstört. Czar Michail aber ließ es wieder herstellen.

Unter Peter dem Großen gelangte das Kloster abermals zu historischer Bedeutung. Hier war es, wo er seine widerspenstige und herrschsüchtige Schwester Sophie unter dem Namen Susanne einkleiden ließ. Von hier aus sann diese Intriguantin während der langen Abwesenheit Peter’s außerhalb der Grenzen seines Reichs auf neuen Verrath, dessen Folge [388] der Aufstand der Streltzy war, welche der Czarewna Sophie den Thron antrugen. Nach Peter’s schleuniger Rückkehr aber wurde ein fürchterliches Strafgericht gehalten. Vor den Fenstern der Zelle seiner Schwester ließ er dreihundert Streltzy aufknüpfen. Diejenigen, welche die Czarewna schriftlich um Annahme der Krone gebeten hatten, erhielten den Ehrenplatz unmittelbar vor dem Fenster, und Papierrollen wurden ihnen in die Hand gesteckt. Ihrem Führer aber, dem Fürsten Chowanskij, wurde die rechte Hand im Fenster von Sophiens Zelle festgenagelt. Später ließ Peter an jener Stelle, wo diese Executionen stattfanden, den hohen Glockenthurm bauen, dessen Uhr sogar die Minuten schlägt.

Im denkwürdigen Jahre 1812 besuchte Napoleon dieses Kloster. Beim Abzuge der Franzosen sollte es in die Luft gesprengt werden; die muthigen Nonnen aber wußten diese Katastrophe zu verhüten.

Das Hauptthor, welches in den Klosterhof führt, hat einen etagenförmig aufgebauten Thurm; dicht dahinter ragt die Hauptkirche mit ihren fünf Kuppeln, hier und da kleine Thürme von Nebenkirchen oder Capellen, links der große Glockenthurm hervor. Gleich beim Eingange, um die Hauptkirche herum, bei den Capellen und an der Mauer entlang, befindet sich der schöne Kirchhof mit hervorragenden Grabdenkmälern. In der Hauptkirche selbst befinden sich die Gräber der Czarewna Anna Iwanowna, Tochter des Czaren Iwan Wassiljewitsch, gestorben 1550; ferner der obenerwähnten Schwester Peter’s des Großen Sophie Alexejewna, gestorben 1704 im Rufe großer Frömmigkeit, und der beiden andern Schwestern desselben, Eudoxia, gestorben 1712, und Katharina, gestorben 1718. Auch die Czarin Eudoxia Feodorowna, die erste Gemahlin des großen Peter, welche 1696 in Ssusdal den Schleier nehmen mußte und 1727 in das Nowo-Dewitschij-Kloster gebracht wurde, starb hier. In der Hauptkirche ist sonst nicht viel Bemerkenswerthes zu sehen. Das Haus, in welchem früher Sophie Alexejewna gewohnt hatte, ist jetzt die Wohnung der Aebtissin. Der hohe Glockenthurm gewährt eine schöne Aussicht auf die Stadt, vorzugsweise aber auf die Sperlingsberge.

Unser Bild zeigt eine der Processionen, an denen der Gottesdienst des griechisch-katholischen Cultus so reich ist. Zu den Hauptprocessionstagen gehören der Eliastag (20. Juli) und der Alexander-Newskij-Tag (30. August). Die Pracht der großen Kirchenfahnen, von denen einzelne so schwer sind, daß sie von drei Männern getragen werden müssen, ferner die mit Gold und Edelsteinen reichgeschmückten Heiligenbilder und die Prachtgewänder der Geistlichkeit machen diese Processionen zu imposanten Aufzügen, die immer eine große, andächtige Menge anziehen. Liegt es doch in den Traditionen der orientalisch-christlichen Kirche, hauptsächlich auf die äußeren Sinne ihrer Anhänger einzuwirken. W. H.