Das Reisen in der guten alten Zeit
[387] Das Reisen in der guten alten Zeit. Nirgends hat sich der Umschwung der Zeiten so geltend gemacht wie mit Bezug auf das Reisen und die Einrichtungen und Vorkehrungen, die dazu gehören. Die gelbe Postkalesche aus unserer Väter Zeit und der jetzige Eisenbahnwagen scheinen ganz verschiedenen Jahrhunderten anzugehören. In welcher Weise aber unsere Urväter ihre Reiselust befriedigten, darüber geben uns z. B. aus dem siebzehnten Jahrhundert die zahlreichen Reisebücher Aufschluß, die uns noch erhalten sind. Die damaligen Bädeker heißen Zeiller, Hentzner, Eghenberg, Zingerling, und ihre Werke waren meist in lateinischer Sprache abgefaßt, da die Touristen in der Regel akademische Bildung besaßen. Doch gab es auch Gesprächbücher in verschiedenen Sprachen zum praktischen Gebrauch für die Reisenden, die sich in fremden Landen mit den Einwohnern verständigen wollten. Ein gutes Reisebuch sorgte damals auch für die religiösen Bedürfnisse. Dasjenige von David Fröhlich enthielt sogar nicht weniger als 28 Gebete und 36 Reisehymnen mit Melodien, sowie eine Anzahl von Versen, um zu gewissen Tageszeiten, z. B. beim Aufstehen, beim Waschen, bei Sonnenauf- und Untergang, vor und nach der Mahlzeit das Gemüth in eine andächtige Stimmung zu versetzen.
Aus diesen Reisebüchern erfährt man auch, welches die damals übliche Reiseausrüstung war. Selten nahm man mehr mit, als was sich in einem schmalen Felleisen oder Mantelsack unterbringen ließ. Größere Gepäckstücke erschwerten das Reisen sehr, da nicht überall sogleich Wagen oder Pferde zu haben waren und der Reisende einen Träger nehmen oder streckenweise selbst sein Gepäck tragen mußte. An Wäsche hielt man drei oder vier Oberhemden, ebensoviele Kragen, etliche Taschentücher, Schlafhosen und Nachtmützen nebst einigen Paar Strümpfen, an Schuhwerk ein Paar Schuhe von Corduan oder anderem weichen Leder und ein Paar Stiefel mit so genannten Pfundsohlen bei Schmutz und Regenwetter für ausreichend. Der Reiseanzug bestand aus Wams, Filzhut mit breiter Krämpe, einem Regenmantel mit Kapuze und langen bis an die Kniee reichenden Gamaschen. Außerdem wird von den Handbüchern zur Reiseausrüstung gerechnet ein sogenanntes „Nasenfutter“, d, h, eine Gesichtsmaske aus doppeltem Tuch zum Schutze gegen die Kälte, Hand- und Feuerwaffen, Staubbrille, Handspiegel, Wachsstock, Eßbesteck, Kreide, Nadel, Zwirn, Kompaß, Taschen- oder Sanduhr, Instrumente zum Schröpfen und Aderlässen, Kalender, Tagebuch, Reisehandbuch, Gesang- und Gebetbuch, eine kleine Reiseapotheke mit den gebräuchlichen Mitteln bei Unpäßlichkeiten, schmerzenden Füßen, erfrorenen Gliedern, Seekrankheit, Biß von Schlangen, Skorpionen und tollen Hunden. In Fröhlichs Reisehandbuch findet sich eine ganze Blumenlese von oft sonderbaren Heilmitteln, die damals beim Volk im Schwange waren.
Leute aus den bessern Ständen reisten damals zu Pferd oder zu Wagen; zu Fuß zu reisen galt weder für anständig noch für rathsam. Der englische Reisende Moryson, der im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts die meisten Länder Europas und Kleinasiens bereist hat, warnt sehr nachdrücklich vor Fußreisen:
„Wer nicht die Mittel besitzt, um mit Anstand zu reisen, bleibe lieber zu Haus und bereise die Welt auf der Landkarte; denn Leute, die aus Sparsamkeitsrücksichten zu Fuß reisen, schaden damit nur ihrem Ansehen, da sie sich ihre Reisegesellschaft nicht wählen können, sondern auf die armen Wanderburschen angewiesen sind, in deren Gesellschaft sie weder ihr Wissen bereichern, noch ihren Verstand bilden können. Genöthigt, die Last ihres eigenen Körpers zu schleppen, sind sie auch viel leichter Erkrankungen ausgesetzt und laufen daneben Gefahr, von wilden Thieren, Räubern oder ihren eigenen Gefährten angegriffen zu werden. Ich kann dreist behaupten, daß alle Mordthaten, welche sich in Deutschland auf der Landstraße ereignen, gegen Fußreisende verübt werden. Wenn Leute von guter Herkunft und Erziehung zu Fuß reisen, bedürfen sie eines um so viel längeren Aufenthaltes in den Gasthäusern zur Erholung von Strapazen und brauchen auf diese Weise nicht allein beinahe ebensoviel, als wenn sie Pferde oder Wagen benutzt hätten, sondern sind auch kaum in der Lage, ihren Geldvorrath vor ihren Reisegefährten zu verheimlichen, und wenn diese bedürftig sind, kommt es selbst bei den sonst so ehrlichen Deutschen häufig genug vor, daß sie einen Anschlag gegen den Fußreisenden planen, zu dessen Ausführung die Einsamkeit der ausgedehnten Waldungen bequeme Gelegenheit bietet. Zudem ist es für einen Mann von Bildung eine bittere Medizin, sich nach den Strapazen der Fußreise in den Wirthshäusern schlecht behandelt zu sehen, zumal in Deutschland, wo die Fremden nach ihrer äußern Erscheinung und ihrem selbstbewußten oder bescheidenen Auftreten taxirt und Fußreisende insgesammt geringschätzig behandelt werden. Schließlich macht auch die Einsamkeit des Weges, der Mangel an Ortschaften das Fußreisen in Deutschland sehr langweilig. Ich für mein Theil halte für die beste Art des Fußreisens die, wenn ein Mann sein Pferd an der Hand führt und es nach Gefallen besteigen kann.“ – Heutzutage denkt man über das Fußreisen anders: man sieht darin eine die Gesundheit fördernde Uebung des Körpers, die ja im Alpensport zu den kühnsten Leistungen sich erhebt; man hat andererseits ein damals unbekanntes Naturgefühl und giebt sich gern bei einsamer Wanderung dem Genuß der landschaftlichen Reize hin. Freilich, wo man auch wandern mag, in der Nähe erblickt man immer eine Reisestation und hat die frohe Aussicht, sich bequem im Eisenbahnwagen von seinen Strapazen zu erholen und durch öde Gegenden im Fluge dahinzueilen. †