Erste Lorbeeren
[386] Erste Lorbeeren. (Zu dem Bilde S. 385.) Der Künstler führt uns in die „Ciociaria“ – so heißt im Volksmund das Grenzgebiet zwischen dem Römischen und Neapolitanischen – und läßt uns in das Innere einer Ciociarenwohnung blicken, wo Menschen und Federvieh vertraulich wie in Noahs Arche beisammen hausen. Ein Korb mit Stroh dient den piepsenden Hausgenossen zum nächtlichen Unterschlupf, und es gehört gewiß zu den Obliegenheiten unseres kleinen Hausmütterchens, die Küchlein jeden Abend sorglich in ihre Streu zu betten. Auch der geweihte Oelzweig, der, am Palmsonntag gebrochen und vom Pfarrer eingesegnet, das ganze Jahr über vor Krankheit, Wetter und Hagelschlag Schutz verleiht, darf an der Wand nicht fehlen.
Das fleißige Kind lehnt an der geschnitzten Lade und lauscht wohlgefällig dem Spiel des kleinen Freundes, während die geschickten Finger [387] doch nicht aufhören, den Faden zu drehen und die Spindel zu werfen. Der Junge dagegen hat das bessere Theil erwählt; ungestört kann er sich der Welt von Musik und Poesie hingeben, die in seinen Augen träumt. Das Vieh, das er zur Weide treiben soll, mag sich ruhig draußen verlaufen, indeß er der dankbaren Zuhörerin auf der „Ciaramella“ die selbsterfundenen Weisen bläst.
Und der kleine ländliche Improvisator denkt vielleicht an die schöne große Stadt Neapel, von der sie ihm erzählt haben, daß er dort mit seinen Talenten eines Tages sein Glück machen könnte, er denkt vielleicht an das Fest von Piedigrotta, wo alljährlich die Volkssänger aus Stadt und Land zusammenströmen, um unter Zechen und Schmausen die ganze Nacht hindurch im Wettstreit ihre neuen Lieder vorzutragen, bis das schönste mit dem Preise gekrönt wird und von da in den Mund des Volkes übergeht. Das steht fest, daß auch unser kleiner Künstler sich eines Tages dort auszeichnen wird; alsdann wird er sich in seinem Triumphe auch der kleinen Freundin erinnern, die ihn zuerst durch ihren Beifall ermuntert hat, und er verwendet gewiß seinen Preis dazu, ihr ein schönes Paar Ohrgehänge von Korallen zu schenken, wie es alle ihre Freundinnen tragen und woran es ihr offenbar noch zu fehlen scheint.
Wenn es aber wahr ist, daß ein Lächeln aus lieblichem Munde für den Sänger der schönste Preis ist, so hat unser kleiner Freund seinen Lohn schon jetzt dahin. J. K.