Das Todaustreiben in Radeberg

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Textdaten
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Autor: Friedrich Bernhard Störzner
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Titel: Das Todaustreiben in Radeberg
Untertitel:
aus: Was die Heimat erzählt. Sagen, geschichtliche Bilder und denkwürdige Begebenheiten aus Sachsen, S. 28–30
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Arwed Strauch
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: SLUB Dresden und Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch: die Sage bei Grässe, Radeberg
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8. Das Todaustreiben in Radeberg.
Den ältesten Bewohnern Radebergs ist in der Nähe der Stadt eine Wiese bekannt, die man früher allgemein als die „Totenwiese“ bezeichnete. Dieselbe erinnert an einen uralten Gebrauch der ehemaligen Bewohner Radebergs. Am

Sonntage Lätare, dem früheren Totensonntage oder Frühlingsanfange, putzte das junge Volk ein Jahr um das andere eine große Puppe aus Stroh auf das Abenteuerlichste an. Diese Puppe zierte man mit Blättern und Kränzen von Wintergrün, ferner mit bunten Tüchern und Bändern, setzte ihr eine Flachshaube auf und steckte dann das Ganze auf eine lange Stange. Dieser Strohmann oder auch dieses Strohweib stellte den Tod dar. Nach beendigtem Nachmittagsgottesdienste versammelte sich alt und jung auf dem Marktplatze. Es bildete sich hier ein langer Zug, dem der angeputzte Strohmann vorangestellt wurde. An der Spitze standen ein Knabe und ein Mädchen, beide hatten eine ganz besondere Tracht angelegt. Der Knabe stellte den Winter dar, das Mädchen den Frühling. Nachdem der Zug sich also geordnet hatte, setzte er sich unter Sang und Klang in Bewegung. Dabei wurde fast fortwährend das Verschen gesungen:

„Nun treiben wir den Tod auß,
Dem alten Juden in seinen Bauch,
Dem jungen in den Rücken,
Das ist sein Ungelücke.
Wir treiben ihn über Berg und tieffe Thal,
Daß er nicht wieder kommen soll,
Wir treiben ihn über die Hayde,
Das thun wir den Schäfern zu Leyde.“

Der Zug bewegte sich durch sämtliche Straßen der Stadt, zuletzt zum Tore hinaus auf die Totenwiese. Hier angekommen, wurde die phantastische Strohpuppe von der jubelnden Schar in Stücke zerrissen. Die Fetzen warf man darauf in den Röderfluß, worauf dann alle Zugteilnehmer unter fröhlichen Gesängen wieder nach der Stadt zurückkehrten. Spät am Abende versammelte sich das lustige Völklein abermals auf dem Marktplatze, zog von hier mit langen Strohfackeln auf den Schloßberg oder auf eine andere nahegelegene Anhöhe und zündete hier diese Strohfackeln an. Verschiedene Lieder wurden dabei unter fröhlichem Lachen abgesungen, und am Schlusse warf man die brennenden Fackelreste auf einen Haufen und umtanzte jubelnd das lodernde Opferfeuer. Viele andere schwenkten während dessen brennende Reißigbündel über den Köpfen und sprangen tobend und lachend umher. Alle verweilten auf der genannten [29] Höhe bis spät in die Nacht. Endlich des Lärmens müde, kehrte man unter Anstimmung lustiger Gesänge heim. Man sang:

„Den Tod haben wir ausgetrieben!
Den Sommer bringen wir wieder!
Den Sommer und auch den Meyen!
Der Blümelein sind mancherleyen!“



In späteren Jahren nahmen die Erwachsenen keinen Anteil mehr an diesem Spiele, da im Anfange des 18. Jahrhunderts das sogenannte Todaustreiben durch eine landesherrliche Verordnung allgemein untersagt wurde. Das Todaustreiben blieb von da an nur eine Unterhaltung der Straßenjugend und erhielt sich in dieser Form noch Jahrzehnte hindurch. Am 28. März 1745 fand dasselbe aber das letzte Mal statt. Damals hatte man den Strohmann in den Teich des Bürgermeisters Teichmann geworfen, der sich in der Nähe [30] der Röder auf der kalten Ruhe befand. Hier wuchs der giftige Wasserschierling in großer Menge (Cicuta virosa!) – Die Wurzel dieser Giftpflanze war von den Kindern für Pastinak gehalten worden, darum hatten nicht weniger als neun Schulknaben sie ahnungslos verzehrt. Fünf von ihnen starben kurze Zeit darauf unter den schrecklichsten Schmerzen. Infolge dieses Unfalles wurde das Todaustreiben als ein abergläubisches und unschickliches, ja gefährliches Possenspiel vom Magistrate und der Geistlichkeit der Stadt von nun an „für ewige Zeiten“ strengstens untersagt und zwar bei Androhung schwerer Strafe. –

Das Todaustreiben war ein uralter Überrest aus grauer Vorzeit und galt ursprünglich als das Frühlingsfest unserer heidnischen Vorfahren. Die riesige Strohpuppe sollte nicht etwa den Knochenmann Tod darstellen, sondern das Ende der ruhenden Natur, den glücklich überstandenen Winter. Bei dem Todaustreiben wollte das jubelnde Volk seiner Freude darüber Ausdruck verleihen, daß nunmehr der kalte Winter vorüber sei und der holde Frühling seinen Einzug halte. Bei Verbreitung der christlichen Religion wurde das altheidnische Frühlingsfest auf den Totensonntag, den Sonntag Lätare, verlegt.