Das Werk eines Heimgegangenen
[148] Das Werk eines Heimgegangenen. In der Verlagshandlung der Gartenlaube ist bekanntlich am Ende des Jahres 1870 eine den neueren und neuesten Resultaten der Wissenschaft und Erfahrung entsprechende Umarbeitung von Bechstein’s „Naturgeschichte der Stubenvögel“ erschienen. Das altberühmte, aber seit längerer Zeit veraltete Werk hat in dieser neuen Gestalt viel Anerkennung gefunden und einen besonders günstigen Erfolg gehabt. Je mehr aber die Bearbeitung bisher als eine gewissenhafte, verdienstvolle und tüchtige bezeichnet wurde, um so mehr erscheint es uns jetzt als eine Herzenspflicht, mit einer Erklärung hervorzutreten und in Bezug auf die Person des Bearbeiters eine Ungewißheit nicht länger bestehen zu lassen. Nur angeborene Schlichtheit des Charakters und eine bescheidene Scheu vor öffentlichem Hervortreten hatten unseren vor Kurzem auf einer Orientreise in Cairo so früh und unerwartet dahingerafften Alfred Keil bestimmt, seinen wahren Namen nicht auf den Titel seiner Leistung zu setzen, wie es auch seiner Bescheidenheit widersprach, eine Anzeige und Empfehlung seines Buchs gerade in der ihm nahestehenden Gartenlaube veröffentlicht zu sehen.
Wenige Bekannte seiner näheren Umgebung haben ihn aber nicht blos als den Herausgeber gekannt, sie haben auch die freudige Liebe gesehen, mit der er den Gedanken des Unternehmens ergriff, den rührigen Fleiß und die emsige Hingebung, mit der er eine lange Zeit hindurch das umfangreiche Material gesichtet, schriftstellerisch ergänzt und überarbeitet, selbstständig den wichtigen und nützlichen Abschnitt über die Hofvögel und das Geflügel hinzugefügt, die Zeichnung und Colorirung der zahlreichen Abbildungen bis in’s Speciellste überwacht und geleitet und in unermüdeter, von genauer Sachkenntniß unterstützter Sorgfalt Alles gethan hat, um seinem lange gehegten Lieblingsplan nach Gehalt, Form und Ausstattung zu einer gediegenen und würdigen Gestaltung zu verhelfen. Das Werk bedarf unserer nachträglichen Empfehlung nicht mehr, es hat sich Bahn gebrochen. Erwähnen wir es hier, so geschieht dies ausdrücklich nur, weil wir einer Pflicht der Pietät genügen und zugleich den zahlreichen Freunden des Entschlafenen durch die obige Mittheilung eine Ergänzung seines Bildes liefern möchten. Sinnige und verständnißinnige Liebe zur Natur und namentlich zur Beobachtung und zum Studium der Thier- und Vogelwelt, welche ihn zu jener fachwissenschaftlichen Arbeit geführt, hatten von früher Kindheit an seinem Wesen die Richtung gegeben. Um die betreffenden Studien nach jeder Richtung zu erweitern, war er im Herbst vorigen Jahres nach Afrika gereist, wo ein ebenso jähes als grausames Verhängniß dieses so frisch und strebsam heraufblühende Jugendleben vernichten sollte.