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Das Wildbad Gastein

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CCCXXIII. Das Mausoleum Mahomed Chans bei Deigh in Indien Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCCXXIV. Das Wildbad Gastein
CCCXXV. Rio Janeiro
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WILDBAD GASTEIN

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CCCXXIV. Das Wildbad Gastein.




Von Salzburg dahin sind’s 18 Stunden. Kaum mag dem Reisenden eine andere gleich kurze Wegstrecke eine mannichfaltigere Gallerie von Landschaftsgemälden vorüberführen, und wenn er Geognost oder Botaniker ist, so wird er nirgends eine interessantere Parthie finden. Der reichste Genuß aber erwartet den Geologen, den Geschichtsforscher der Erde in der Betrachtung einer der schönsten Queer-Durchschnitte der ganzen nördlichen Abdachung der deutschen Alpenwelt. Während die zahllosen Versteinerungen am Wege, in der Salzburger Ebene, seine Aufmerksamkeit ganz abgezogen haben von der Außenwelt, steht er plötzlich still vor einer von Giganten zum Himmel aufgebauten Mauer; beinahe 8000 Fuß hoch starren die kahlen, weißen, gezackten Marmorwände empor und scheinen ihm jedes weitere Vordringen zu wehren. Nur der Bergstrom, der sich ihm entgegenwälzt, sagt ihm, daß auch er einen Weg hindurch finden werde. Jenem folgend öffnet sich, wie ein Riesenthor, eine Spalte des Gebirgs und eine Scene voll Erhabenheit tritt ihm entgegen. Wüthend rollt in der dunkeln Tiefe der Strom, der so ruhig durch die Ebene glitt. Noch gar nicht lange, so scheint es, borst hier die Mauer und aus der Bresche stürzte die Fluth des Sees, des jenseits gestaueten; denn noch frisch, wie von gestern, sind die Furchen an den Wänden, die die Gewalt jener Strömungen riß. Durch diese Spalte geht der Weg. Des Wanderers Auge hängt, nicht ohne Bangen, an den luftigen, eisgrauen Zinnen, die senkrecht in schwindelnder Höhe in das tiefe Blau des Aethers starren. Er denkt mit Herzklopfen an Verderben und Vernichtung, die ihn auf jedem Schritt aus der Höhe bedrohen: – da steht er plötzlich im lichten Sonnenglanze und wie durch [129] Zauber in einer andern Welt. Sanftbemattete Höhen, mit Fluren und Häusern geschmückt, grüßen freundlich von oben herab, als wollten sie ihn für die gehabten Schrecken entschädigen und wieder aussöhnen. Es ist der Zug des Thonschiefergebirgs zwischen der Kalkumwallung und der Centralfeste der Alpen. Vorwärts, in dem fernern Hintergrunde, zeigt sich die letztere und freundlicher, als man erwartet, nämlich als ein grün bemoostes Felsgebirge, während das Uebergangs-Gebirge selbst im reichsten Sammet der Matten prangt, hie und da durch die scharfen Schiefergräten durchlöchert und durchschnitten. – Fortwährend begleitet der Bergstrom den Weg, und sein allmählich immer milder werdendes Rauschen verkündigt die Annäherung an die festern Massen des Grundgebirgs schon lange zuvor, ehe der Fuß sie betritt. Sein wirbelndes Schäumen sagt endlich deutlich, daß er den Schiefer ganz verließ und sich auf hartem Urfels bettete. – In dieser Gegend hört man zuerst den Wasserfall der Ache; er dringt zum Ohr wie fernes Donnern. Dadurch abgezogen von dem bisher bewunderten Schauspiel, beflügelt sich des Wanderers Schritt auf dem kühn aus dem Gestein gesprengten Pfade, den hohe, bewaldete Bergwände umgeben und aus derem Grün morsche, einsturzdrohende Felsen hervorragen. Immer wilder wird die Gegend, immer lauter das Getöse, das die Erde beben macht; immer gespannter die Erwartung. Da endlich, wie er um eine Felsecke biegt, bringt ihn der nächste Schritt auf eine Brücke, und, betroffen von dem, was er sieht, bleibt er stehen. Gleich einem wilden, reißenden Thiere, das seinem Kerker entstürzt und sich auf seine Beute mit wildem Grimme wirft, tobt aus dem Bergriß in der Höhe die Gasteiner Ache hervor, zuerst mit einem gewaltigen Satz wider eine gegenüberstehende Bergwand, die ihre beste Kraft in Staubwolken zerbricht, und dann hinab in den tiefen Bergkessel, in das Grab, das sie sich selbst gehöhlt hat. Langsam, wie verwandelt, fließen von da die wieder gesammelten Fluthen über ein Wehr und unter der Brücke hin, wo die Salzach sie aufnimmt und ihr Name verschwindet. – Neben der weißen Wassersäule stellte der fromme Sinn Heiligenbilder auf die hohen Felsen, und am Fuße dampfen die Schlöte eines großen Hüttenwerks, dessen rußige Gebäude auf den schönsten, immergrünen Matten stehen. Hier ist die Grenze von Pluto’s Reich; denn von da an sind die Bäuche der Berge belebt und in ihren Eingeweiden wühlt der fleißige Bergmann nach Silber und Gold schon seit Jahrtausenden. Gleich hinter dem Hüttenwerke geht die Gasteiner Chaussee abermals durch eine schauerliche Gebirgsspalte, die Thalenge Klamm, die Propyläen der Inneralpen, das gewaltige Thor, das uns auf eine würdige Weise einführen soll in die Urgebirgswelt. Kühn durchschneidet die Straße bald steil abstürzende Felswände, bald sanft sich neigende Matten, bald finstre Waldung; hier ruht sie auf dem festen Gerüste der Natur; dort läuft sie über von Fels zu Fels gespannten Bögen hin. Dicht an der Barriere stacheln dann und wann die Spitzen schlanker Tannen und schwankender Birken herauf, und lassen die Höhe errathen, in welcher die Straße sich an der Felswand fortwindet. Endlich scheint das Tageslicht ganz zu verschwinden, mit ihm flieht die Vegetation und kahl starren die grauen Urkalkwände zum [130] Himmel auf. Im Winter, bei hohem Schneefall, hilft die Gefahr, von Lawinen verschüttet zu werden, das Furchtbare dieses Passes vermehren; vor einigen Jahren wurden ein an seinem Eingang liegender Gasthof und mehre Häuser von einer Lawine aufgewickelt, und mit allen ihren Bewohnern in die Tiefe geschleudert.

„Am Abgrund geht der Weg, und viele Kreuze
Bezeichnen ihn, errichtet zum Gedächtniß
Der Wanderer, die die Lawin’ begraben.“

Den Schauern der Klamm entronnen, öffnet sich der Schoos eines friedlichen Thals, wo Alles, bis auf die höchsten Bergzinnen hinauf, in saftiges Grün sich kleidet. Nur die äußersten Hintergründe verschließt eine Gebirgsmauer von anderer Farbe und Gestalt. Ihre Firnen deckt glänzender Schnee; Schneefelder ketten die röthlich-grauen Hörner zusammen, und verrathen, daß man sich jenen Rippen der Alpen nähert, wo der ewige Tod sein Reich aufgeschlagen hat, und in das Niemand dringt, als der flüchtende Steinbock, der horstende Adler, der kühne, jagende Sohn der Alpen, und der forschende Freund der Natur. –

Das Gasteiner Thal bildet zwei Stufen, welche durch eine Thalecke geschieden sind, die jede Aussicht aus der unteren in die obere versperrt. Auf der ersten liegt Dorf-Gastein; auf letzterer der alte Markt Hof-Gastein, das Salzburgische Potosi mit seinen zum Theil noch stattlichen Gebäuden, die indeß kaum an die Herrlichkeit jener Zeit (im 16. Jahrh.) erinnern, wo die Weitmoser und andere Bergwerksbesitzer in diesem Erdwinkel Millionen erwarben und fürstlichen Hof gehalten haben. Was davon noch übrig ist, ist unbedeutend; nur in den Ruinen aus jener Periode ist die merkwürdige Geschichte des Orts zu lesen. Die Goldbergwerke, welche Ueberfluß und Pracht in dieses stille Thal führten, wurden von den Römern schon gebaut. Später verlassen, lebten sie viele Jahrh. lang blos in der Sage fort, bis ein wohlhabender, unternehmender Aelpner, Christoph Weitmoser, die alten Gruben wieder aufsuchte und aufzusäubern anfing. Er baute sich arm; so arm, daß er am Osterfeste nicht einmal Fleisch essen konnte. Das hörte der Salzburger Erzbischof Leonhard von Kautschach, und er ließ den Bedrängten zu sich kommen und streckte ihm 100 Thaler vor, sein Unternehmen fortzusetzen. Bald darauf that sich der Bergsegen auf, so reichlich, daß er und Andere nach 10 Jahren 3000 Bergleute beschäftigen, und Weitmoser jeder seiner Tochter 75,000 Gulden Mitgift geben konnte, und doch seine Erben noch über eine Million unter sich theilten. So groß ward der Reichthum und der Luxus zu Hof-Gastein im 16ten Jahrh., daß sich von Venedig, trotz der Unwegsamkeit des Gebirgs, ein Straßenzug hierher bildete! – Der allmähliche Verfall des Bergbaus in diesen Gegenden (nur wenige Gruben stehen noch in Ausbeute, und die meisten geben den Gewerken kaum die Kosten zurück,) hat seine Ursache theils in der Schwierigkeit, [131] tiefere Baue zu führen, theils in der Abnahme der Reichhaltigkeit der Erze. Die furchtbarsten Feinde aber der armen Bergknappen sind die Gletscher, deren von Jahrhundert zu Jahrhundert zunehmendes Vorrücken die besten Erzpunkte vereist hat. Hunderte von Stollen und Schichten, auf denen die Vorfahren bauten, deckt ewiger Schnee jetzt, oder sie liegen begraben unter des Eises Last.

Von Hof-Gastein aufwärts verengert sich das Thal und wo seitwärts eine Schlucht einschneidet, blickt man in die sublime Gletscherwelt. Endlich kommt man an den Punkt, wo es hohe Bergwände nach allen Seiten hin zu verschließen scheinen. Am äußersten Ende steigen Staubwolken neben glänzenden Säulen donnernder Wasserfälle auf: und hoch oben über den Catarakten sieht man durch den Dunstschleier, wie Feenschlösser, die stattlichen Gebäude des Wildbades, das neue Potosi Salzburgs und das sehnsüchtige Ziel so vieler Leidenden.

Die Lage dieses berühmten Kurorts ist höchst originell und wirklich einzig. Fast alle Gebäude liegen an dem äußersten Rande einer gegen 1000 Fuß hohen, senkrechten Thalstufe, durch deren Mitte sich die Ache einen Kanal eingesägt hat, aus dem sie sich mit einem 500 Fuß hohen Sprunge in den Felskessel stürzt, von da sie, nachdem sie abermals einen Felsdamm durchbrach, nach Hof-Gastein hinabrauscht. – Den Vorgrund unserer Ansicht bildet der Kessel des Achesturzes, dem zur Seite das Dorf Gastein, mit seiner freundlichen, kleinen Kirche auf grünen Matten liegend, gedacht werden muß. Das Schloß, die Straubinger Hütte und das Straubinger Gasthaus stehen oben; weiter hin sieht man die Gebäude der Prälatur und das neue Palais des Erzherzogs Johann mit seinen schwebenden Gärten.

Die Höhe des Wildbades ist am Pavillon etwa 3000 Fuß (nach Russegger 3226) über der Meeresfl. Die Thermen (heiße Quellen von 35–40 °R.), von denen sieben gefaßt sind, entspringen sämmtlich am Fuße des Reich-Ebergebirgs, aus festem Gneiss. Um als Bad benutzt zu werden, muß das Wasser bis auf 28 °R. abkühlen, was 6 bis 10 St. Zeit erfordert. Ihrer chemischen Zusammensetzung nach gehören diese Heilquellen zu den einfachsten. Das Wasser ist ganz klar, bei etwas bitterlichem Geschmack geruchlos und die sorgfältigsten Analysen desselben haben nichts entdeckt, was seine große Kraft erklären könnte. Nicht blos auf die höhern Wesen der organischen Schöpfung übt diese sich aus; auch bei den untersten wirkt sie wunderthätig. So richten sich völlig verwelkte Blumen, selbst wenn sie durch Ofenwärme fast gedörrt wurden, taucht man sie mit dem Stiele in’s Wasser, wieder auf, und sie bekommen ihre vorigen, schon verloschenen Farben, ja selbst ihren Geruch wieder.

Wiederbelebung der geschwundenen, Wiederkräftigung der geschwächten Lebenskraft ist’s hauptsächlich, was die Kurgäste in Gastein suchen. Besonders wirksam hat es sich von jeher bei gefährlichen und alten Verwundungen, bei geschwächten Männern und Frauen, erbleichten Mädchen, veralteten gichtischen und rheumatischen Uebeln, oder als Nachkur nach überstandenen schweren Krankheiten erwiesen. Die Frequenz des Bades nahm bisher zu von Jahr zu [132] Jahr und wird fortwachsen in dem Maße, als sich der Ruf seiner Kraft immer weiter, allgemeiner ausbreitet. Eben so schreiten auch die Anstalten, welche durch vermehrten Besuch nöthig werden, jedes Jahr voran. Ein neues Hotel, mit prachtvoller, zur Aufnahme von Kurgästen aus den höchsten Kreisen geeigneter Einrichtung, Bellevue, steigt an der Allee wie ein Palast empor. Der Wasserreichthum wurde durch Erbohrung neuer Quellen vermehrt, der Bau neuer Badehäuser hat begonnen. Mehre neue Straßenzüge wurden angelegt, die alten bequemer hergestellt, und die umsichtige österr. Regierung spart keinen Aufwand, um die Frequenz dieses schon von der Natur sehr begünstigten Badeortes immer lebhafter zu machen.

Daß eine solche Gegend, wie die Gasteins, eine Menge der interessantesten Ausflüge darbietet, läßt sich voraussetzen. Freilich gehört ein rüstiger Körper und zu manchen auch ein schwindelfreier Kopf und überhaupt ein Mensch dazu, der sich, zufrieden mit dem Hochgenuß der gewaltigen, großen Natur, über physische Bedürfnisse und die Forderungen der gewohnten Bequemlichkeit hinwegzusetzen weiß. Eine der schönsten, wenigstens die besuchteste Parthie ist die das Gasteiner Thal hinauf in das Innere der Gebirgswelt. Eine Viertelstunde hinter dem Wildbad, wo die Katarakten toben, verschwindet aller Lärm; ruhig gleitet die Ache in meandrischen Windungen durch den Teppich des Grundes; ernster und grauer ragen die Berge in die vegetationslose Luftregion empor, ihre Stirn schon starkgefurcht mit Schnee; nur die untersten Gehänge haben noch Holzung. Aber nicht lange währt diese Stille; bald ertönt wieder, dem Pluto dienend, Hammerschlag und stampfendes Pochwerk. Die Ache, obschon immer kleiner werdend, rauscht wilder über die Gneissblöcke, ein Sturz wird mächtiger als der andere und ihr Donner erfüllt die steile Schlucht, in welche sich allmählich das Thal verwandelte. Dann erweitert es sich wieder, es wird abermals stille und man wird vom Frieden der Hochalpen empfangen. Alles Pochen und Hämmern hat sich von der Oberwelt in unterirdisches Dunkel zurückgezogen, das habsüchtige Leben und Treiben der Menschen kroch in der Berge Bauch. Nur der kreisende Adler ruft dich aus deiner Betrachtung zuweilen auf, oder das Rauschen der flüchtigen Gemse. So gelangst du zur Urgebirgswelt, wo du neue, andere Züge siehst. Kein Baum oder Strauch verbirgt mehr den nackten Fuß der Bergriesen; nichts lebt, als die Bäche, die den Gletschern und Schneefeldern entstürzen, die dich von allen Seiten umringen; nur zwei oder drei einzelne Sennhütten triffst du noch an, die, aus zusammengeschichteten Gneissplatten aufgerichtet und an Felsen derselben Steinart gelehnt, kaum bemerklich werden. Ein nobler Kranz von Eisfirnen bildet die Strahlenkrone des Thals. – Hier stehst du am Ende deiner Tour, wenn du nicht Alpenstock und Klettermuth mit dir nahmst; denn die Spitze des Thals verschließt die hohe Felswand, aus deren Spalten zur Seite die Bäche herab stürzen, deren Vereinigung die Ache bildet, welche bisher dir Führerin und Begleiterin war. Willst du noch höher hinauf zu dem Kreuze des Rathhausbergs mit dem Ausblick über die Alpenhochwelt und hinab in [133] das Gebiet der Drau und in die Thaler Kärnthens; so mußt du einen sehr steilen und vielfach gewundenen Pfad steigen und darfst die Anstrengung eines dreistündigen Kletterns nicht scheuen. –

Am reichsten wird dem Botaniker die Mühe vergolten, und ist ein solcher dein Begleiter, so sey gewiß, daß du ihn bald verlierst. Wie einen Jagdhund, der die Spur eines Wildes aufgefunden und derselben unablässig folgt, ohne auf den Ruf des Herrn zu hören, so siehst du ihn von Klippe zu Klippe klettern; die Müdigkeit aber, die er vor wenigen Augenblicken noch auf der bequemen Straße klagte, ist verschwunden; er sieht und hört nicht mehr. Zum erstenmale erblickt er die Fülle einer ihm bisher nur dem Namen und der Beschreibung nach bekannt gewordenen Pflanzenwelt, und er stürzt von Blüthe zu Blüthe, gleichsam besorgt, daß sie vor ihm eine hungrige Gemse erspähen möchte, oder die nach Alpenweide lüsternen Thiere des weidenden Senners. Nicht eher wirst du deinem Freunde wieder begegnen, als am Rande des ewigen Eises, die letzten Gaben sammelnd, die dort Flora dem Glücklichen in den Schoos wirft.