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Das große Fest der Liebe

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Textdaten
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Autor: Hermann Heiberg
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Titel: Das große Fest der Liebe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 836
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das große Fest der Liebe.

Von Hermann Heiberg.

Schneeflocken! Helle Lichter! Eilende Menschen! Rasch dahinfliegende Wagen! Boten, betreßte Diener, nebenbei trippelnde, schritthaltende Kinder, beladene Mütterchen, Herren und Damen, Schlitten mit Klingklang! Erleuchtete Fensterscheiben, geöffnete Thüren. Geschäftiges Leben, wohin man blickt! In jedem Haus eine Vorbereitung zum Allerheiligsten der kommenden Tage.

Stille, glückliche Mienen in der Vorfreude des Gebens und Nehmens. Weichere Herzen, gefügigere Hände, leichteres Arbeiten, frühere Morgen-, spätere Abendstunden! Fleißige Nadeln, rasches Verstecken, Kinderjauchzen und heimliches Flüstern! Zu Bett! Zu Bett! Morgen ist Weihnachtsabend! Ein Zauberwort für menschliche Herzen, für Große und Kleine!

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Schnee, Schnee, Schnee, der zu Eis wird, sobald er sich herabsenkt. Wie sonst auf einer warmen Erde die Flocke wie eine Thräne zerrinnt, so erstarrt sie heute zu einem festen Gebilde! Als ob Millionen lebendige, angsterfüllte Geschöpfe aus dem Himmelsgewölbe, von einer dämonischen Gewalt gepackt, hinabjagten, so erscheint’s dem Führer, der auf der Maschine steht und gerade heute seinen Dienst versehen muß. Das schnaubende, wilde, rothlaternige Ungeheuer, die Lokomotive, stürzt sich über die Schienen, trotz Nacht und Einsamkeit, um ihr Pensum auszukeuchen. Und wie alles Diabolische, bläst sie ihren stinkenden Athem aus dem hochemporgerichteten, gleichsam das Unglück witternden Rachen und schleudert die Kohlenatome und den Dampf, aus denen sie ihre Kräfte entwickelt: Reste vergangener Pflanzenwelten und Wasser über die schneedurchflockte, sturmdurchwühlte Gegend.

Und fort, fort durch die Landschaft, durch den Schneewirbel, gegen das Eis, das von den Schaufelmessern der Lokomotive gefaßt und zerstäubt wird. Vorbei an Dörfern, Flecken und Städten mit ihren glitzernden Lichtern, vorbei an den hellerleuchteten Gebäuden und Palästen, vorüber an weißstarrenden Feldern, Aeckern und Wiesen, vorüber an silberumhüllten Tannenwäldern – –

Ah! Tannenwälder! Nun zuckt es durch des Mannes Brust. Daheim sitzt die Familie ohne ihn und harrt auch seiner nicht. – Der Weihnachtsbaum ist angezündet und flimmert mit seinen stillen, sanften Lichtern. Und die Frau und die Kinder umstehen den kleinen Tisch, und auch in ihre Herzen dringt die Freude; aber es ist doch nur eine halbe Freude! Er fehlt mit seinem zärtlichen Auge und den kräftigen Armen, mit denen er die kleine Schar emporzuheben pflegt. Sie Alle müssen ihn entbehren, gerade heute entbehren, wo Jeder ein Anrecht hat auf Zusammensein und unbekümmertes Genießen.

Aber sie haben doch ein schützendes Dach über sich und dürfen der Ruhe pflegen. Jenen aber ruft die eiserne Pflicht. Gerade in dem Augenblicke, in welchem sie sich in die warmen Betten verkriechen, ertönt abermals der schrille, unheimliche Pfiff der Lokomotive als Antwort auf das Zeichen zur Abfahrt. Und durch Kälte, Heulen und Sturm geht’s von Neuem durch die dunkle Nacht – fort bis an den frühen Morgen.

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In einem kleinen, kahlen Stübchen ohne Gardinen sitzen eine Frau und ein Mann. Im Bett liegt ein schmales, hohläugiges Geschöpf, – ihr letztes am Leben gebliebenes Kind von vieren. Krankheit und Armuth! Zwei furchtbare Worte!

Die Frau versieht in einem großen Hause Portierdienste. Sie arbeitet den ganzen Tag und scheuert in dem eisigen Zuge Abends die Treppen. Schwer ist’s und doppelt anstrengend, weil sie schon seit Wochen an Reißen in den Zähnen leidet. Alles half nichts. Ein Arzt? Es fehlt die Zeit und das Geld. Er trägt die Hand in einer Binde. Die Maschine hat ihn gepackt und ein paar Finger zermalmt. Das kleine Mädchen hustet schrecklich hohl. Etwas Warmes, Nahrung! Nahrung? Brot und Kartoffeln, dazu ein schwacher Kaffee. Weihnachtsabend! Ob’s was bringen wird? Werden die Vielen, die in dem großen Hause wohnen, an uns denken? Ja, heute denken sie der Armen, Elenden, Bedrückten.

Immer von Neuem öffnet sich die Thür. Feuerung ist draußen. Hier Kleider, warme Socken, ein Braten, Kuchen, Wein! Für die Kranke eine wollene Decke, ein kleiner Schmuckgegenstand. Blumen, duftende, in der Winterzeit! Und Geld! Geld! Die Aussicht, in den nächsten Wochen nicht zu darben! – – –

Große Gegensätze: ein unbefangenes Kind sein, des Daseins Härte bei Anderen mitten im eigenen Wohlleben zu empfinden oder in Pflichttreue sich zu opfern, der Gefahr ausgesetzt und in der Fremde abgelöst zu sein von Allem, was der Mensch lieb hat!

Aber die Macht dieses Festes ist eine wunderbare! Wir werden fast Alle wieder zu Kindern durch unsere Freude, unsere Hoffnungen und Erinnerungen. Und wir gucken Alle durch das Schlüsselloch und schauen, was das neue Jahr uns bringen wird. Wir hegen Alle Hoffnungen auf bessere Tage, wie die armen Leute in der Dachstube, und wir zehren an der Vergangenheit und trösten uns in der Hoffnung auf Wiederkehr guter Zeiten.

Das Weihnachtsfest reinigt unsere Herzen. Wir tauchen in ein heiliges Bad und erheben uns daraus mit einer von Menschenliebe erfüllten Brust.

Wer würde nicht der Armen gedenken, nicht Streit und Unfrieden vergessen, nicht Freude und Glück fördern in seinem Kreise an diesem Fest? Und es ist auch ein Blumengarten, durch den wir wandeln, um in eine neue Welt zu treten. Die neue Welt ist das neue Jahr. Freilich, willkürlich haben wir uns selbst die Grenzen gezogen, aber unsere Vorstellung ist überhaupt unser freudevolles oder trostloses Dasein. Und ein freudenloses Dasein hat niemals ein Mensch, der sich nicht allein sieht in der Welt, der lebt, indem er auch für Andere denkt und schafft, der Liebe übt und empfängt.

Weihnacht ist das Fest der Liebe! Liebet Euch unter einander! Haltet fest an Dreierlei: bleibet Kinder im frohen Genießen, thut Eure Pflicht, arbeitet, hoffet, und sorget nicht allzuviel und allzuweit. Und wenn das Herz krank ist – gedenket der guten Tage und verzaget nicht! Nach dunkler Nacht und Wogendrang erscheint wieder die Sonne am blauen Himmelsgewölbe, umfluthet die ganze Welt mit ihren milden, warmen Strahlen und senkt auch in Eure Herzen wieder goldenes Licht!

Freuet Euch des fröhlichen Festes, glaubet, trotz Entbehrung und Unglück um Euch her – „an gute Tage im – neuen Jahr!“