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Das heilige Grab (Meyer’s Universum)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CIII. Theben in Aegypten Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CIV. Das heilige Grab
CV. Die Stätte von Sardis
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DAS HEILIGE GRAB
(Jerusalem)

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CIV. Das heilige Grab.




Die Urzeit des Christenthums schenkte den Erinnerungsorten der Leiden des Heilandes keine, oder nur verborgene Aufmerksamkeit. Erst als die Anfangs einfachen und stillen Ceremonien der Christen öffentlich und feierlich, als die Opfergaben reicher und häufiger, die Kirchengebräuche methodischer wurden, als die anspruchlosen Versammlungsorte sich in geschmückte Kapellen und Tempel verwandelten; als man Kirchendiener zur Verwaltung ernannte und ordentliche Priester und Oberpriester einsetzte; als die einfachen Lehren des Weisen von Nazareth auf den Trümmern des Heidenthums im römischen Weltreiche zur Staatsreligion erhoben wurden und die Politik sich mit ihr verband: erst dann, zur Zeit Constantin’s, dachte der fromme Eifer daran, das Andenken an den Erlöser durch die Weihung der Orte, wo er gelebt und gewirkt hatte, zu ehren. – Die Kaiserin Helena bewies sich, wie wir schon bei einer frühern Gelegenheit erwähnt haben, in frommen Werken dieser Art besonders thätig. Golgatha, der Leidenshügel, und die Felsgruft an seinem Fuße, in der man den Leib des Herrn nach der Kreuzigung verbarg, die Cisterne endlich, in der der Fürstin bereitwilliger Glaube sie das wahre Kreuz finden ließ – wurden auf ihren Befehl mit Kirchen überbaut, prächtig ausgestattet und mit Priestern wohl versorgt. Bald verwandelten sich nun diese Orte zum Ziel unzähliger Pilgerfahrten aus allen Ländern der Christenheit. In spätern Jahrhunderten vereinigte man die genannten 3 Kirchen durch Anbauten, und diese Einrichtung ist, unter allen Wechseln der Herrschaft und des Schicksals, nach vielfachen Zerstörungen, welche Zufall und Fanatismus herbeiführten, geblieben bis auf den heutigen Tag.

Das Innere der eigentlichen Kirche des heiligen Grabes besteht in einer großen Rotunda, welche oben in einem zur Zulassung des Lichts durchbrochenen Dom endigt. Unter der Mitte des letztern, ganz frei in der Rotunda, [36] steht ein kleines, länglich-viereckiges, überkuppeltes Kapellchen von Marmor. Ein schwerer seidener Vorhang, der für eintretende Pilger emporgezogen wird, verhüllt den Eingang, zu dessen Seiten auf massiven Leuchtern von Silber armdicke Kerzen brennen. Eine schmale Treppe von Porphyr führt den Pilger durch einen engen Raum, den er nur gebückt betreten kann, hinab zu der eigentlichen Gruft. Diese ist überall mit Marmortafeln bekleidet und mit himmelblauer Seide austapezirt. Sie bildet ein Viereck, 6 Fuß breit und lang und etwa 4 Fuß tief. Daneben liegt der Stein, auf welchen der Leichnam des Heilandes vor der Einsenkung gelegt wurde. Um diesen vor dem Verlangen der Pilger, ein Stückchen zu besitzen, zu schützen, hat man ihm ebenfalls eine Marmorbekleidung gegeben. Ueber dem Grabe brennen stets 27 große silberne Lampen, Opfergaben von Königen und Päbsten. Die Wände umher schmücken Gemälde, die Himmelfahrt und die Erscheinung des Heilandes im Garten vorstellend: Werke von geringem Kunstwerth.

Am Grabe, wo wegen des engen Raumes immer nur 5 bis 6 Pilger auf einmal kurze Gebete verrichten dürfen, steht Tag und Nacht ein Priester (abwechselnd Katholik, Grieche, Armenier und Kopte) mit Weihwasser in silbernen Gefäßen, die kommenden Pilger zu besprengen und die Opfergaben in Empfang zu nehmen. In frühern Zeiten, wo der Andrang der Wallfahrer ungeheuer groß war und Mancher Monate lang auf die Gelegenheit, zugelassen zu werden, harren mußte, floß oft Blut deshalb in Strömen. In unsern kühleren Zeiten fällt, begreiflicher Weise, die Ursache zu solchen Scenen weg; doch vergeht kein Tag, wo nicht Christen von allen Bekenntnissen, (hier, vor dem Grabe des Meisters, muß wohl der Hader der Diener schweigen!) Männer wie Frauen, aus allen Gegenden der Welt herbeikommen, um in ehrfurchtsvollem Gebet ihre frommen Gelübde zu lösen. Gemeinlich bringen sie Rosenkränze und Kreuze mit aus der Heimath, Freunden gehörig, sie weihen zu lassen am Grabe des Erlösers.