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Das neue Reichstagshaus

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Textdaten
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Autor: Emil Peschkau
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Titel: Das neue Reichstagshaus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 761–766
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[761]

Der Sitzungsaal des neuen Reichstagshauses.
Nach einer Originalzeichnung von Willy Stöwer.

[762]

Das neue Reichstagshaus.

Von Emil Peschkau. Mit Abbildungen von Willy Stöwer.


Der neue Reichstagsbau ist nunmehr für die Benutzung fertig – das Werk einer fast zehnjährigen Arbeit ist vollendet, daß nur ein kleiner Teil der künstlerischen Ausschmückung, insbesondere der malerischen, der Zukunft vorbehalten bleibt. Fast zehn Jahre lang war ein ganzes Heer von Arbeitern und eine stattliche Schar unserer besten Künstler damit beschäftigt, den Vertretern des deutschen Volkes im neuen Reich ein würdiges Heim zu schaffen. Dem Laien erscheint es in der Regel wunderlich, daß man an solch einem Hause zehn Jahre lang baut, aber der Sachverständige denkt an die Monumentalwerke früherer Zeiten, an denen oft länger als ein Menschenalter, ja nicht selten mehrere Generationen hindurch gearbeitet wurde. Und was unsere Tage betrifft, so brauchte man zum Justizpalast in Brüssel siebzehn, zur Pariser Großen Oper dreizehn, zu den modernen Wiener Prachtbauten durchschnittlich zwölf Jahre. Um solche Zahlen begreiflich zu finden, muß man sich eben auch die unendliche Fülle der Einzelheiten vorstellen, die bei einem derartigen Riesenbau zu bewältigen sind, man muß als genauer Beobachter die stolze Reihe dieser Hallen, diese Unzahl von prächtigen Sälen und anheimelnden Stuben durchwandern. Fast mit jedem Schritte begegnet man da Neuem, Eigenartigem, Ueberraschendem, und ist es zumeist auch nur scheinbar neu, hat man es mit einer Anlage zu thun, die schon da oder dort versucht worden, einem Motiv, das aus einem alten Bremer Kaufhause oder einem italienischen Palaste stammt, einer Steingattung, der schon die Venetianer im fünfzehnten Jahrhundert gar reizvolle Wirkungen abgewannen, oder einer solchen, die durch die prunkvollen Villenbauten in den Geländen am Main und Rhein „modern“ wurde – man wird endlich durch den Reichtum des Gebotenen des originell Verarbeiteten, durch den bunten Wechsel der Formen, Bildungen und Farbenspiele geradezu erdrückt. Und all das mußte geplant, durchdacht, durch Tausende von Arbeitern ausgeführt und endlich wieder feinsinnig zusammengestimmt sein – zusammengestimmt bis zu den Vorhängen, den Teppichen, den Möbeln, die mit dem Wand- und Deckenschmuck harmonieren müssen. Da verschwinden denn zehn Jahre schnell, man wird darüber alt und merkt es kaum. Und mit der Zeit verschwindet das Geld – einundzwanzig Millionen hat der Bau verschlungen (wobei der Wert des Platzes nicht mit gerechnet ist), und doch zeigen zahlreiche schön umrahmte weiße Wandflächen an, daß für die Maler nicht viel übrig geblieben. Diese einundzwanzig Millionen sind für den Laien eigentlich noch viel imponierender als die zehn Jahre Bauzeit, aber man begreift auch sie, wenn man das Gebäude näher kennengelernt hat. So wollen wir denn den Versuch unternehmen, es vor dem Leser in Worten aufzubauen, wobei uns die Bilder unseres Künstlers unterstützen werden. Die Hauptfassade, die dieser in seiner Anfangsvignette wiedergiebt, hat die „Gartenlaube“ übrigens bereits in größerem Maßstabe in Nr. 9 des letzten Jahrgangs gebracht, zugleich mit einem Bildnis und einem Lebensabriß von Paul Wallot, dem Schöpfer des großen Werkes.

Wenn man jetzt die Straße „Unter den Linden“ hinabschreitet und durchs Brandenburger Thor will, so wird das Auge sofort von den Wipfeln des Tiergartens durch die gewaltige helle Steinmasse abgezogen, die sich, anmutig gegliedert, zur Rechten erhebt. Wer der Kunst nicht ganz fremd gegenübersteht, ohne sich doch bis ins Einzelne mit ihr beschäftigt zu haben, dem steigt beim Anblick des gerade in Berlin besonders überraschenden Gebäudes sofort der frische Lebenshauch, die heitere Frühlingshelligkeit in der Seele empor, die man als das Charakteristische der frühen Renaissance bezeichnen könnte. Da griff man die Formen der Antike wieder auf und bildete sie fröhlich weiter, ohne sich an die strengen Gesetze zu binden, die später die Hochrenaissance ihren Werken zu Grunde legte. Treten wir nun dem neuen Reichstagshause näher, so bemerken wir bald, daß nur von dem Geist dieser Frührenaissance die Rede sein kann und daß der moderne Meister auch Motive aus der Zeit des Niederganges der Renaissance, aus dem Barock etc. aufgegriffen und fortgebildet hat. „In welchem Stil ist das Gebäude also durchgeführt?“ fragt der Laie, der gern sicher geht, und ich möchte am liebsten antworten: „Im modernen.“ Wir haben in der That einen modernen Baustil, der eben das Gute der Alten gerade so verwendet und den Zeitansprüchen gemäß entwickelt, wie es die Meister der Renaissance mit den Anregungen thaten, die ihnen aus der Antike zuströmten. Man kann einen neuen Stil nicht von heute auf morgen mit dem stolzen Wort „Ich will“ schaffen. Der Stil ist etwas, das wird, das sich entwickelt, und der moderne Stil, der sich jetzt noch des Eisens bemächtigt hat – über dem Reichstagshause erblicken wir eine mächtige Kuppel, gebildet aus vergoldeten Eisenrippen und Glas, von einer bildnerisch reichgeschmückten Laterne gekrönt – dieser moderne Stil hat seine Kinderjahre bereits hinter sich. Wallots Reichstagsgebäude ist ein wesentlicher Schritt weiter in der Entwicklung dieses neuen Stils, der die alten Motive so verschmilzt und verarbeitet, daß das ganze Werk uns [763] nicht mehr den Eindruck des Fremden, Nachgeahmten macht, daß es uns vertraut berührt wie etwas aus unseren eigenen Seelen Hervorgewachsenes. Ist so meines Erachtens das Wallotsche Werk auf der einen Seite als ein Markstein in der Geschichte unserer Baukunst zu bezeichnen, so möchte ich anderseits doch hinzufügen, daß der Gedanke, der in diesem Haus verkörpert ist, einen mächtigeren Ausdruck hätte finden können. Wenn man in Florenz die Via Tornabuoni hinaufgeht und plötzlich das ernste Gemäuer des Palazzo Strozzi erblickt, da bleibt man betroffen stehen und unwillkürlich drängt es sich auf die Lippen: „Donnerwetter – Was müssen da für Menschen gewohnt haben!“ In solch ein „Donnerwetter!“ nun wird kaum jemand ausbrechen, wenn er vor das neue Reichstagshaus tritt. Man sagt wohl: „Ah, wie schön!“ und vertieft sich dann mit Behagen in das reizvolle Linienspiel, aber man denkt kaum an das Reich, das mit Blut und Eisen zusammengeschweißt wurde. Trotzdem dürfen wir uns des Schönen und Guten freuen, das der schaffende Geist hier bietet, und wenn wir das riesige Haus betreten, werden wir vielleicht viel entdecken, was uns damit versöhnt, daß es nicht deutsche Kraft ist, die uns draußen mit starken Armen empfängt.

Haupteingang auf der Ostseite.

Man kann den Charakter der Räumlichkeiten des neuen Reichstagshauses kaum besser bezeichnen als mit dem Worte „anheimelnd“. Dieses Innere erscheint mir eigentümlicher, besonderer als das Aeußere. Ich weiß nicht, wie sich die Akustik des großen Saales, die Ventilation und so weiter bewähren wird, und ich bemerke gleich, daß die große Glaskuppel, die sich über dem Oberlicht des Sitzungssaales erhebt, ästhetisch nicht günstig wirkt. Was jedoch das Innere des kolossalen Gebäudes zu etwas ganz Einzigem macht, das ist der Geist deutscher Traulichkeit, der in diesen Räumen webt, und der in der Hauptsache dadurch bedingt wird, daß bei der inneren Ausstattung vorwiegend die Holzarchitektur zur Geltung kam. Sonst staunt man in derartigen Monumentalbauten wohl die Pracht und den Prunk an, aber man fühlt etwas wie Frost, man möchte nicht darin wohnen. Wie anders im neuen Reichstagshause! Der Herr Reichskanzler möge es mir verzeihen, aber ich habe mich vor seinen Arbeitstisch gesetzt und gedacht, wie hübsch sich hier eine Novelle schreiben ließe. Und in der Bibliothek war mir, als müßte jeden Augenblick ein blondes Evchen oder Gretchen die Wendeltreppe herabkommen mit Kaffeetassen und süßem altdeutschen Kuchen und jenem altdeutschen Herzenslächeln, das noch tausendmal süßer ist ...

Aber wir wollen nicht planlos von einem zum andern schweifen, sondern den Leser bedächtig führen – halb treuer Eckart und halb Bädeker. Wie schon der erwähnte Artikel der „Gartenlaube“ näher ausgeführt hat, ist das ganze Gebäude ein Rechteck mit vier, durch reichen bildnerischen Schmuck angenehm ins Auge fallenden Ecktürmen und vier Portalen nach Nord, Süd, Ost und West. Wir haben uns der Westseite genähert, der Hauptfassade, sind die mächtigen Granitstufen emporgestiegen und treten nun unter den breitausladenden, auf sechs schlanken Säulen ruhenden Flachgiebel, über dem uns die Germania von Reinhold Begas begrüßt hat. Wir öffnen die Mittelthür und sind sofort in dem Reich der Abgeordneten, das bis zu dem im Mittelpunkt des Hauses befindlichen Sitzungssaal geht. Die entgegengesetzte, nach Osten gewendete Seite ist das Heim der Regierung, des Bundesrats, des Präsidiums, und vor dem Portale dieser Fassade befindet sich eine „Unterfahrt“, die den „hohen,“ „höchsten“ und „allerhöchsten“ Herrschaften ein behagliches Verlassen ihrer Wagen gestattet. Einen Blick in die Vorhalle dieses Teils bietet das nebenstehende Bild.

Im Bücherspeicher.

Durch das Westportal gelangen wir zunächst in eine von einer Kuppel überwölbte Rotunde, an die sich nach links und rechts, fast der ganzen Länge des Baues entsprechend, zwei Hallen anschließen. Die Rotunde ist auf jeder Seite von ihnen nur durch je 2 Säulenpaare geschieden, so daß wir eigentlich ein großes Ganzes vor uns haben, die 96 Meter lange, 13 Meter breite und fast 18 Meter hohe „Wandelhalle“ in der sich die Volksvertreter in mehr oder weniger gemütlichem Gespräch ergehen werden. Einen Eindruck von dieser Halle gewährt das Bild auf Seite 764. Mit ihren Sandsteinsäulen und Pilastern, ihrem Marmorfußboden, ihrer hellen, nur durch Werke der Plastik geschmückten Architektur bildet sie den Uebergang vom Aeußern zum Innern, zu den intimeren Räumen des Hauses. Wenden wir uns links, so sehen wir hohe Flügelthüren, die nach dem Postbureau, nach dem Lese- und Schreibsaal der Abgeordneten führen. Die reizvolle Holzarchitektur, die in den zuletzt genannten Räumen zur Anwendung kam, zeigt unser Bild auf Seite 765, das eine Partie des Lesesaales vorführt. Rechts vom Eingang befindet sich, dem großen Lesesaal entsprechend, die Restauration und daran anschließend, gleich dem achteckigen Schreibsaal im Eckturme untergebracht, ein Kneipzimmer. Während Lese- und Schreibsaal reich gegliederte Holzdecken haben, sind Restauration und Kneipzimmer überwölbt. Zu dem Getäfel dieser Räume stimmt aufs [764] schönste das mächtige Büffett der Restauration, ein Prachtstück seiner Art, dessen Abbildung sich auf Seite 766 findet. Von den Raumverhältnissen mögen ein paar Angaben über den Teppich eine Anschauung geben, welcher den Boden des Lesezimmers bedeckt. Er ist fast 10 Meter breit und über 23 Meter lang. Sein Gewicht beträgt über 15 Zentner und er kostet die Kleinigkeit von 5400 Mark. Der Teppich wurde in Schmiedeberg im Riesengebirge gefertigt, wo neun Arbeiterinnen neun Wochen lang daran arbeiteten. Er enthält genau gerechnet - da die Stellen, wo Schränke zu stehen kommen, ausgespart sind – 4 575 825 Maschen.

Die Wandelhalle.

Kehren wir in die Rotunde der Wandelhalle zurück und gehen wir auf eine der drei Thüren zu, die sich gegenüber dem Hauptportal befinden! Durch dieselben gelangt man in den Gang, der den großen Sitzungssaal auf allen vier Seiten umgiebt und sein Licht von den beiden Höfen her erhält, die sich nördlich und südlich vom Saal befinden und ihre Zufahrten durch das Nordportal und ein an der Ostseite befindliches Nebenthor haben. Beide Höfe sind unter dem Sitzungssaal durch eine Durchfahrt verbunden, so daß einfahrende Wagen nicht zu wenden brauchen und der Verkehr zwischen den einzelnen Theilen des Gebäudes erleichtert wird. Wir werden übrigens dem Erdgeschoß, zu dem ja diese Durchfahrt gehört, später einen Besuch abstatten und begeben uns nun in den Mittelpunkt des Hauptgeschosses, in den großen Sitzungssaal.

Der Saal ist ganz in Eichenholz ausgeführt, der Eindruck ist überraschend behaglich. Ueber dem in ernsten Linien gegliederten Getäfel der Wände steigen an drei Seiten Pfeiler und Säulen empor, die nach oben durch Bogen verbunden sind – sie umrahmen nach dem Saale zu die Tribünen für das Publikum (mit 346 Sitzplätzen), für die Presse (mit 60 Pult- und 21 Sitzplätzen) und für die Behörden, die Logen für den Hof, den Bundesrat und die Diplomaten.

Der Kaiser-Salon.

Der obere Teil der vierten Seite des Saales zeigt keine Tribüne. Er ist den anderen Seiten des Saales entsprechend gegliedert, aber in der Umrahmung erblickt man nur Wandflächen, die einstweilen noch weiß sind – später werden hier malerische Darstellungen hervorragender geschichtlicher Ereignisse angebracht werden. Unser Bild (auf Seite 761) zeigt noch einen Teil dieser Wand, an der sich der Präsidententisch, die Plätze für die Regierung, den Bundesrat, die Stenographen etc. befinden, und dann die links anschließende Seite mit den Logen für Diplomatie und Hof. Der Saal ist 29 Meter breit, 21,56 Meter lang und 13,15 Meter hoch. Die vierhundert Sitze für die Abgeordneten sind amphitheatralisch angebracht, jeder Abgeordnete hat vor seinem Sitz ein Pult, bequeme Zwischengänge erleichtern den Verkehr. Für die Mitglieder des Bundesrates sind 48 Sessel links und rechte vom Präsidium angebracht. Wie weise überlegt der Plan des ganzen Hauses ist, geht auch aus einer Kleinigkeit hervor, die sich bis jetzt noch in keinem Gebäude verwandter Art vorfindet. Die Stenographen müssen von zehn zu zehn Minuten wechseln und sowohl im alten Hause wie im allen andern Parlamenten müssen sie dann durch den Saal schreiten, sich sogar oft durch die Abgeordunten drängen, wenn diese in dichten Gruppen den Redner umstehen. Hier nun führen unmittelbar hinter den beiden Stenographentischen zwei kleine Treppchen hinab ins Erdgeschoß, so daß die Herren wie aus einer Versenkung aufsteigen und wie in einer Versenkung verschwinden. Auf diesen Treppchen gelangen sie in die „Vorhalle der Stenographen“, an die sich einerseits unmittelbar bequem eingerichtete Schreibräume anschließen, während anderseits ein kurzer Verbindungsgang nach dem Nordportale des Hauses führt.

Die volle Höhe des Hauptgeschosses, die 10 Meter beträgt – der große Sitzungssaal überschreitet diese Höhe noch um 3,15 Meter – wird nur von den Hauptgemächern, wie Lesesaal, Schreibzimmer, Restauration, Bibliothek etc., ganz in Anspruch genommen Die kleineren Räume, wie die Gänge und die nördlich und südlich vom großen Sitzungssaal, an den Schmalseiten des Gebäudes liegenden Sprechzimmer und dergleichen haben nur eine Höhe von 5,30 Metern. So bleibt darüber noch für eine beschränkte Anzahl von „Zwischengeschoß“-Räumen eine Höhe von 4,70 Metern zur Verfügung. In diesem Zwischengeschoß befinden sich, außer Kanzleien und dergleichen die Tribünen und Logen und die Vorräume, von denen aus man diese betritt; insbesondere ein [765] Saal für die Presse mit einem Büffett, mit Arbeitskabinen, Telephonzellen und so weiter, und die Räume für den kaiserlichen Hof: ein Toilettenzimmer, eingerichtet mit mahagoniartigem Holz aus den Kolonien, ein großer Salon (siehe die Abbildung auf Seite 764) mit bunten Marmorwänden, Oberlicht und einem reichornamentierten Kamin aus weißem Laaser Marmor und ein kleinerer in Stuckmarmor durchgeführter Raum, der den Salon mit der Loge verbindet.

Verlassen wir nun das Zwischengeschoß mit den Tribünen und kehren wir in den großen Sitzungssaal zurück. Wir sind von der „Seite der Abgeordneten“ hereingetreten; gehen wir jetzt durch eine der drei Thüren auf der entgegengesetzten Seite hinter den Tischen für Präsidium und Regierung wieder hinaus, so gelangen wir in den nach Osten gelegenen Längsteil des Hauses, der – der Einteilung des großen Sitzungssaales entsprechend – dem Präsidium, der Regierung und dem Bundesrate gewidmet ist. Wir können von hier aus geradeaus gehen und die Treppe hinab steigen, durch das Ostportal das Haus verlassen, wir können uns nach rechts wenden und bei der Regierung Audienz nehmen oder wir können, nach links schreitend, dem Reichstagsvorstand unseren Besuch machen.

Der Sitzungssaal des Bundesrats.

Nehmen wir zunächst den Weg nach rechts, so kommen wir in eine Vorhalle, die mit dem marmorähnlichen hellen Marzanastein (aus Istrien) dekoriert ist; aus dieser Halle führen zunächst Thüren in die Räume des Reichskanzlers und des Reichskanzleramtes und dann weitere in die des Bundesrats. Den großen Eckturm füllt hier der Sitzungssaal des Bundesrats aus, und so kühl und steif die Worte „Sitzungssaal des Bundesrats“ klingen, so warm und behaglich ist es hier. Das obenstehende Bild giebt einen Ausschnitt davon, aber die ganze Wirkung, die der köstliche Raum in Natur erzielt, kann es natürlich nicht vergegenwärtigen. Die schön gezeichnete Holzdecke mit teilweise vergoldetem Gebälk, die goldiggrüne Seidentapete, das reichgeschnitzte Eichenholzgetäfel, in dessen Sims vergoldete Rosetten gewissermaßen den Uebergang zu der Decke vermitteln, die edel stilisierten Möbel, die neben dem braunen Holzton wieder das Grün der Seidentapete und die zarte Goldornamentik zeigen – das giebt ein ebenso vornehmes wie trauliches Zusammenspiel. Eine breite Fülle goldenen Lichtes strömt durch die gewaltigen Fenster herein, draußen schwanken die dichtbelaubten Aeste hoher Bäume, gedämpft nur wie ein leises Schnarchen des „großen Pan“ vernimmt man den Lärm des Weltstadttreibens....

Von neuen Steuern
Spürest Du
Kaum einen Hauch....

Im Lesesaal.

Aber wir wollen nicht so vermessen weiter träumen, sonst dementiert uns der Reichsanzeiger. Verlassen wir das Heim der Regierung und schwenken nach links ab, so finden wir in dem nordöstlichen Teil des Hauses ganz ähnliche Räume, nur mit anderer Bestimmung. Was drüben dem Reichskanzler gehörte, gehört hier dem Präsidenten des Reichstags, den Schriftführern, und was drüben Bundesratszimmer war, ist hier Direktorium, Amtsraum und Kasse. Der Saal des Eckturmes aber wird von der Bibliothek eingenommen, die ganz in Holzarchitektur durchgeführt ist und zu den Kleinodien des Gebäudes gehört.

Die „Bibliothek“, in der nur Nachschlagewerke aufgestellt sind, ist durch Aufzug und Telephon mit dem im Obergeschosse befindlichen „Bücherspeicher“ verbunden. Hier ist alles Eisenkonstruktion – die Büchergestelle (in vier Etagen), die Galerien, die Treppen, die zu diesen führen, die Decke – und es ergiebt sich so ein äußerst eigenartiger Anblick, der in unserem Bilde auf Seite 763 festgehalten ist. Im Obergeschoß, das eine Höhe von 5,50 Metern bis 6,50 Metern besitzt, befinden sich außer der Bücherei nur noch Sitzungssäle für die Fraktionen, Kommissionen etc., im ganzen zwölf.

Steigen wir nun zuletzt noch hinab in das Erdgeschoß. Wie wir gesehen haben, führt das Hauptportal, vor dem sich eine mächtige Rampe befindet, unmittelbar in das Hauptgeschoß. Das gegenüberliegende Ostportal ist für den kaiserlichen Hof und den Bundesrat bestimmt. Die Equipagen lenken in eine dem Vorbau der Fassade entsprechende „Unterfahrt“ und [766] die Herrschaften treten in die auf S. 763 abgebildete Vorhalle, aus der zwei von mehreren Steinballustraden begleitete Treppenarme in das Hauptgeschoß führen. Zwei weitere Portale an den beiden nach Nord und Süd gelegenen Schmalseiten vermitteln den übrigen Verkehr – man gelangt durch beide zunächst in das Erdgeschoß. Hier finden wir wieder mehrere Sitzungssäle, das Archiv, die Botenmeisterei, Garderoben, die Wohnungen des Hausmeisters und des Pförtners, die Durchfahrt zwischen den beiden Höfen, die Küche und Nebenräume der Restauration, die bereits erwähnten Gemächer der Stenographen, die Druckerei und endlich eine Wartehalle für das Publikum. Dieses tritt durch das Nordportal ein, und von der Wartehalle führt dann eine Treppe unmittelbar in den Vorraum der Tribüne.

Das Buffett in der Restauration.

Damit wäre unsere Wanderung zu Ende. Es konnte leider nur eine flüchtige Wanderung sein, die uns nicht einmal gestattete, bei allen Hauptpunkten des Riesenwerkes so lange zu verweilen, wie wir’s gern gethan hätten. Aber der Zweck dieser Zeilen war ja nur, dem Leser skizzenhafte Linien vorzuführen so ausgewählt, daß sich ihm in den Hauptzügen doch ein klares Bild dieses Monumentalbaues gestaltet, der das größte moderne deutsche Bauwerk ist. Im übrigen muß man eben unserer Versicherung glauben, daß wir von den interessanten Einzelheiten nur einen winzigen Teil vorbringen konnten. Man braucht in dem gewaltigen Hause nur irgendwohin seine Augen zu richten und man sieht gewiß etwas Bemerkenswertes. Da geht man eine Treppe hinauf und staunt über die allerliebste weiße Schnur, die die Geländersäulen in der halben Höhe miteinander verbindet. Aber die Knoten sind nicht geschlungen – die Schnur ist von Stein. Und da wieder sieht man eine Wandmalerei, in der ein Dürersches Motiv in reizender Weise verwertet ist, dort lockt ein origineller Kamin zum Verweilen. Und wie viel ließe sich über den plastischen Schmuck des Inneren und Aeußeren sagen, an dem Künstler beteiligt sind wie O. Lessing, R. Begas, R. Diez, Schaper, H. Voltz, Widemann, A. Brütt, Eberlein, Schierholz, Maison, S. Eberle, Behrens, Klein, Vogel und andere! Wie hübsch ließe sich noch über das Material plaudern, das aus fast allen „steinreichen“ deutschen Gauen zusammengeholt wurde – auch Elsaß-Lothringen hat das Seine zum Bau des deutschen Reichstagshauses beigetragen, ebenso wie unser Kolonialbesitz, der mit Holz für Thüren und Getäfel vertreten ist. Die Damen würde gewiß auch ein Blick in die Küche fesseln, in der nur mit Gas gekocht wird, und die Herren würde es freuen, des Näheren zu erfahren, wie Wallot einige Disharmonien der Dekoration vertrauensvoll dem Raucheifer der Herren Abgeordneten überläßt. „Wenn da erst einmal tüchtig gedampft worden ist,“ meinte er kürzlich, „dann wird es auch so gut zusammenstimmen wie in den alten Bauwerken.“ Endlich würden die Einrichtungen für das elektrische Licht – das Haus wird ausschließlich elektrisch beleuchtet – und die Heizungsanlage, die sich außerhalb des Gebäudes befindet und durch einen Tunnel, in dem die Rohre laufen, mit dem Keller verbunden ist, eine Besprechung verdienen. Aber unser Raum ist erschöpft; nur noch einem Wunsch sei Ausdruck gegeben: möge nunmehr das neue Reichstagshaus eine seiner würdige Umgebung erhalten, möge der „Königsplatz“, nach dem die Hauptfassade geht, einst einen Ausbau finden, wie ihn die unvergleichlichen Plätze der italienischen Städte gefunden haben. Dann erst wird auch das neue Reichshaus auch außen hin zu rechter Wirkung kommen.