Das siebente Buch Mose

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Hans Boesch
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das siebente Buch Mose
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 372
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Betrugsfall unter Ausnutzung des Glaubens an Hexenkräfte
Serie: Tragödien und Komödien des Aberglaubens
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[372]
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Das siebente Buch Mose.

Der Aberglaube, der nie ganz auszurotten sein wird, und namentlich bei Ungebildeten, in der Erziehung Vernachlässigten, sowie bei geistig Beschränkten immer einen Unterschlupf findet, wo er gut konserviert und weiter überliefert wird, begnügt sich nicht mit den fünf Büchern Mose, welche die Heilige Schrift enthält. Er hat noch ein weiteres Buch geschaffen, aber nicht das sechste, sondern, dieses überspringend, gleich das siebente, denn Sieben, die durch eine Eins zusammengeschlossene doppelte Drei, ist eine verhängnisvolle Zahl, eine viel seltsamere als die Sechs. In diesem siebenten Buch Mose sind nun allerlei geheime Künste enthalten, welche dem Besitzer dieses Buches übernatürliche Kräfte verleihen. Er wird von seinen abergläubischen Mitmenschen mit der Ueberzeugung angesehen, daß er mehr kann als Brotessen, daß er in die Zukunft schauen und hexen und zaubern könne, weshalb man sich mit solchen Leuten halten müsse und es ja nicht mit ihnen verderben dürfe. Daß diese angeblichen Besitzer des siebenten Buches Mose aber auch nicht in glänzenden Verhältnissen leben und ihre Kunst doch vor allem zur Verbesserung ihrer Vermögenslage verwenden müßten und würden, wird von den Thörichten und Leichtgläubigen in der Regel vollständig übersehen.

Die Drechslersehefrau Veronika Röder in Nürnberg, die schon 27 mal mit dem Strafgesetzbuche in Konflikt gekommen war, lebte auch der Meinung, daß der Besitz des siebenten Buches Mose sehr vorteilhaft sein müsse. Da sie aber keines hatte, auch niemand kannte, der ein solches besaß, so konstruierte sie sich eine Frau Bartel, die ihre lebhafte Phantasie zur Eigentümerin des geheimnisvollen Buches machte. Sie meinte, auch auf diese Weise könne das siebente Buch Mose ihr Vorteil bringen. Sie hatte sich auch nicht getäuscht. Als sie die Arbeitersehefrau Ursula M. kennenlernte, erkannte sie bald, wie schätzenswert dieses Buch sei. Frau Ursula schüttete der neuen Freundin ihr Herz aus; sie vertraute ihr, daß ihr Mann sich viel mehr als notwendig mit dem Stillen seines ausgezeichneten Durstes beschäftige; Vorstellungen, die sie ihm gemacht, hätten ihr Mißhandlungen eingetragen, und zuletzt hätte sie die Zuneigung ihres Mannes verloren. Die Röder tröstete sie und versprach ihr zu helfen. Sie vertraute Frau Ursula an, daß sie eine Hexe, Frau Bartel, kenne, welche im Besitze des siebenten Buches Mose sei, allerlei Zauberkünste verstehe und glückliche und unglückliche Leute machen könne. Sie hause oben im Gemäuer der Burg. Diese Hexe könne helfen. Doch dürfe man mit niemand davon sprechen und auch nicht direkt mit ihr verkehren. Sie aber mache gerne die Mittelsperson. Und die arme Arbeitersfrau ging auf den Leim und wurde nun von der Röder ganz gehörig geschröpft, wenn die „alte Bartli“ für ihre Hexereien auch nur geringen Lohn beanspruchte.

Die Röder spiegelte der Frau Ursula nun weiter vor, die Hexe könne dafür sorgen, daß sie auf ein Los der Steinbühler Kirchenlotterie den Haupttreffer von 70000 Mark mache. Frau Ursula glaubte dies alles, und nun ging die Zauberei los. Sie mußte der Röder einen Hemdkragen und ein Paar Strümpfe ihres Mannes sowie eine Gabel bringen. Mit den Strümpfen wurde Hokuspokus getrieben, und sie wurden dann dem nichts ahnenden Manne wieder zum Anziehen gegeben. In den Griff der Gabel ward ein halbes Dutzend Kreuze eingeschnitten, und der Mann sollte sie dann wieder in Benutzung nehmen. Auch einige Gläschen einer Flüssigkeit sollten dem Manne in die Suppe gethan werden; der scheußliche Geruch derselben öffnete der Frau Ursula vorübergehend die Augen: sie goß die Gläschen aus. Dann aber kam über die Frau wieder die geistige Blindheit, und sie glaubte der Röder, daß die Bartel noch kräftigere Mittel wisse.

Die Röder solle nämlich Wallfahrten machen, eine zum heiligen Rock nach Trier, eine „hinter“ München und eine „hinter“ Wunsiedel. Zu letzterer müsse ein unschuldiger Knabe mitgenommen werden, der einem Kreuze dortselbst etwas anhängen müsse. Natürlich brauchte man auch geweihte Kerzen, von welchen die eine geopfert, die andere von Frau Ursula zur selben Zeit zu Hause angezündet werden mußte. Das alles kostete Geld und die gute Frau Ursula opferte gerne die mühsam erworbenen Spargroschen. Selbstverständlich fiel es aber der Röder gar nicht ein, nach Trier oder anderwärts hinzugehen; sie ließ sich ihre Beute zu Hause gut bekommen. Der Durst des Mannes nahm leider auch nicht ab. Frau Ursula jammerte deshalb eines Tages: „Wenn das nicht bald ein Ende nimmt, halt ich’s nimmer aus, ich muß nur immer zahlen und helfen thut’s nicht!“ Worauf ihr die Röder versicherte: „Jetzt ist’s gar, jetzt ist er bekehrt!“ Aber der Gatte der Frau Ursula ließ sich durch diese Zauberei nicht stören – er trank weiter.

Um den Gewinn von 70000 Mark zu machen, mußte Frau Ursula zwei Lose kaufen, sodann nach Vorschrift sechs Päckchen von Kochsalz machen und diese „unbeschrieen“ in Zwischenräumen in den Ludwigskanal werfen. Zum vollständigen Gelingen war es aber noch nötig, daß Frau Ursula drei Blumensträußchen band und sie auf Kindergräber steckte. Das kam der Frau seltsam vor. Aber die Röder sagte ihr: „Fragen dürfen Sie nicht, warten Sie nur, Sie gewinnen 70000 Mark und dann werden Sie uns dankbar sein!“ Frau Ursula gewann natürlich nichts; sie wurde wütend, ließ sich aber wieder besänftigen und – ging wiederum auf den Leim.

Der durstige Mann der Frau Ursula hatte sich vor dem Gericht wegen Körperverletzung zu verantworten. Die Röder machte der leichtgläubigen, beängstigten Gattin nun weis, auch dafür könne die Frau Bartel helfen. Diese schrieb, der Mann solle seine Strumpfsocken verkehrt anziehen, beim Betreten des Verhandlungssaales seine Blicke auf die Fenster richten und still für sich das nachfolgende Sprüchlein sprechen: „Ich trete vor das Gericht, da sitzen drei schwarze Männer, der eine hat keine Zunge, der zweite hat keine Lunge, der dritte soll verstummen. So wahr mir Gott helfe.“ Der Mann war seiner Frau würdig. Er that, wie ihm vorgeschrieben war. Der Erfolg war ebenso großartig wie bei den anderen Hexereien der Frau Bartel: der Mann erhielt acht Tage Gefängnis!

Nun ward es der Frau Ursula doch zu dumm! Nachdem sie bereits der Röder ihre Spargroschen im Betrage von 492 Mark geopfert hatte, erkannte sie, daß sie einer Schwindlerin in die Hände gefallen und daß die zwei Dutzend Briefe der Hexe Frau Bartel von der Röder selber geschrieben waren. Allerlei kräftige Zaubermittel wurden in diesen Briefen verraten, namentlich aber auch Frau Ursula zum Vertrauen zur Röder aufgefordert, da sie eine gar gute Frau sei, die nur das Beste der Frau Ursula wolle. Die Röder warnte dagegen ihrerseits vor Mißtrauen gegen die Hexe Bartel: sie habe einmal einen Soldaten, der sie gereizt habe, um das Augenlicht gebracht.

Die Röder wußte den Leuten das Geld aber auch ohne Hexerei abzunehmen, indem sie diesen vorspiegelte, Frau Ursula mache eine reiche Erbschaft oder sie habe die 70000 Mark gewonnen. Der Tochter eines Bäckermeisters schwindelte sie über 2000 Mark ab und sogar einem Dienstknecht 40 Mark. Einer Frau W. schwindelte sie vor, ihre Tochter sei Pfarrersköchin und sei von dem verstorbenen Pfarrer zur Alleinerbin eingesetzt worden. Diese gewährte der Röder einen Kredit von 300 Mark, nachdem sie der Frau W. versprochen hatte, ihrem Onkel beim Ausgraben des Schatzes des großen Hunnenkönigs behilflich zu sein. Der Onkel der Frau grub nämlich schon monatelang bei einer Eisengrube in der Oberpfalz nach dem Schatze und dem goldnen Sarge des Hunnenkonigs. Die Röder aber sagte, sie habe einen Onkel, der könne es machen, daß der Schatz noch viel früher gefunden werde. Das Lesen von Messen sollte dies ermöglichen. Gelesen wurden diese natürlich nie.

Der Frau Röder hat die Ausbeutung des Aberglaubens ihrer leichtgläubigen Mitmenschen nach Nürnberger Zeitungen, denen diese Mitteilungen entnommen sind, sechs Jahr Zuchthaus eingetragen. Wir fürchten aber, daß wenn sie wieder herauskommt, sie sich sofort wieder an das Hexen und Zaubern machen und sich auch ferner auf Kosten beschränkter Menschen ernähren wird, was ja, wie es scheint, gar nicht so schwer ist. Hans Boesch.