Das türkische Derwischthum in seiner heutigen Gestalt und Bedeutung
Das türkische Derwischthum in seiner heutigen Gestalt und Bedeutung.
„Vier Wanderer, ein Türke, ein Araber, ein Perser und ein Grieche, trafen einst auf der Landstraße vor einem Khan[1] zusammen. Ihre Reisebaarschaft war auf wenige Para zusammengeschmolzen; sie reichte noch gerade zu einem frugalen Mahl, und die Reisenden beschlossen, dasselbe gemeinschaftlich einzunehmen. Man berieth nun, was dafür einzukaufen sei. ‚Uzum‘, schlug der Türke vor; ‚Ineb‘, verlangte der Araber; ‚Inghur‘, rief der Perser dagegen, während der Grieche auf ‚Stafilion‘ bestand. Da Keiner nachgeben wollte, kam es zu heftigem Wortwechsel, ja, der Streit drohte in Thätlichkeiten auszuarten, als der Wirth, der alle vier Sprachen kannte, noch rechtzeitig einen Korb mit Trauben auf den Tisch stellte. Sofort waren Alle beruhigt; denn Jeder hatte nun, was er wünschte.“
Dieser sinnigen Parabel, die uns von einem persischen Sufy des zwölften Jahrhunderts überliefert wird, mußte ich unwillkürlich gedenken, als ich unlängst dem seltsamen Gottesdienste der „heulenden“ Derwische in Scutari beiwohnte. Der Philosoph hat in jener Erzählung die innere Gleichartigkeit der vier sich damals auf’s Heftigste bekämpfenden Religionsgenossenschaften veranschaulichen wollen. Mir erscheint sie noch heute auf manche äußere Erscheinung des religiösen Lebens anwendbar.
Denn wie der tief in der menschlichen Natur begründete Drang nach dem Uebersinnlichen den Ausgangspunkt aller Religionssysteme bildete, so sind auch schwärmerische Ausschreitungen bei der Ausübung des Gottesdienstes allen Völkern gemeinsam. Am häufigsten sehen wir in den Gemüthern der Gläubigen die Neigung für allerlei heilige Geheimlehren und Bußübungen auftauchen, und diese findet ihren Ausdruck, je nach der Verschiedenheit des nationalen Charakters, des Klimas und der Lebensweise, bald in unthätigem Nachsinnen über religiöse Fragen und stumpfer Weltentsagung, bald in ekstatischer Selbstvernichtung oder geheimnißvoller Schwärmerei. Sind nicht der indische Büßer, der ägyptische Säulenheilige, der christliche Einsiedler im Grunde eine und dieselbe Figur? Lassen sich nicht manche Parallelen ziehen zwischen Springprocessionen und Derwischtänzen, zwischen Heiligen- und Prophetencultus, zwischen Marienwundern und geheimnißvollen Heilungen erleuchteter Scheikhs?
Wer je Constantinopel berührte, kennt die „heulenden“ und „drehenden“ Derwische. Der Besuch ihrer Tekés (Klöster) bildet bekanntlich eine der Hauptnummern in dem Programm jedes gewissenhaften Touristen. Gewöhnlich aber hat der aufgeklärte Europäer nur ein mitleidiges Lächeln, nicht selten sogar ein Wort des Spottes für dieses fremdartige Schauspiel. Der Ursprung
[25][26] und die Bedeutung des Ceremoniells sind ihm unbekannt, und jene geistlichen Uebungen erscheinen ihm daher widersinnig, lächerlich, oft schauerlich oder geradezu widerwärtig. Selbst diejenigen Orientreisenden, welche zu Anderer Nutz und Frommen ihre Beobachtungen aufzeichneten und veröffentlichten (wie Gautier, Hackländer, Pietsch, Wanberg etc.), haben sich meistens begnügt, in sehr grellen, stark aufgetragenen Farben und fast immer in humoristischem Ton die seltsame Außenseite des islamitischen Cultus zu schildern. Ihre Darstellungen lassen ein Eingehen auf die symbolische Bedeutung der Ceremonien durchaus vermissen.
So kommt es, daß der Fremde, dem zu selbstständigen Studien Zeit, Gelegenheit, namentlich aber die Hülfsmittel fehlen, nicht selten ein völlig verzeichnetes Bild von dem Wesen und der Bedeutung des heutigen Derwischthums mit nach Hause nimmt, ja daß schon der Ankömmling, wenn er, mit dem ersten besten Reiseführer ausgerüstet, den orientalischen Boden betritt, eine unrichtige oder doch unklare Vorstellung darüber mitbringt.
Die nachstehenden Notizen mögen denn als ein Versuch angesehen werden, jene humoristischen, übrigens sehr lebendigen Schilderungen früherer Beobachter nach der culturgeschichtlichen Seite hin zu ergänzen. Sie mögen dazu dienen, einer in weiteren Kreisen verbreiteten irrigen Auffassung zu begegnen, welche in dem orientalischen Derwischthum die islamitische Form des katholischen Mönchswesens erblicken will. Diese Auffassung trifft keineswegs das Richtige, so sehr auch manche den beiden Instituten gemeinsame Einrichtungen, wie das Zusammenleben in Klöstern, die geistlichen Uebungen, die Ordenstracht etc., zu einem solchen Vergleich auffordern mögen.
Ebenso unrichtig ist es, von jenen dem Europäer so anstößigen äußeren Gebräuchen einzelner Orden sofort auf einen niederen Bildungsgrad, auf blinden Aberglauben und stumpfen Fanatismus ihrer Mitglieder zu schließen. Mancher Fremde, der mit Achselzucken und spöttischem Lächeln das Teké der „drehenden Derwische“ verläßt, würde erstaunen, wüßte er nur, daß mancher General, Gouverneur, Minister und Botschafter – Mitglied dieses Ordens ist.
Schon hieraus ergiebt sich, daß die Derwischorden mehr den Charakter von Freigemeinden tragen. Ihre ursprünglich scharf abgegrenzte, auf dogmatischen Sätzen beruhende Lehre hat sich sogar im Laufe der Jahrhunderte zu einer Art schwärmerischen Freimaurerthums verflüchtigt und ist neuerdings mehr Trägerin eines politischen Princips als einer religiösen Anschauung.
Ursprünglich vertrat das Derwischthum im Islam die freigeisterische Richtung. Es stand – und steht in den meisten Punkten noch heute – in schroffem Gegensatz zur orthodoxen Lehre, und der Derwisch ist der geschworene Feind des mohamedanischen Clerikers, des Ulema. Das schließt aber bei ihm den Fanatismus gegen den „Ungläubigen“ keineswegs aus. Im Gegentheil! Die politische Bedeutung des Derwischthums beruht gerade auf dem tiefeingewurzelten Haß gegen Rajahs[2] und Franken, auf dem systematischen Sichabschließen gegen alle abendländische Cultur und auf dem energischen Widerstand gegen alle und jede Reform des Staatswesens. Die Regierung weiß das sehr wohl. Sie unterschätzt durchaus nicht den Einfluß, den die Vertheidiger solcher Grundsätze auf die starke alttürkische Partei, namentlich aber auf die niederen bigotten Volksclassen, ausüben, und erkennt mit Recht in dem Derwischthum einen Factor, mit dem sie bei jedem Reformproject zu rechnen hat.
Jenes wunderliche Gemisch von Freidenkerthum und Fanatismus wird nur durch einen Rückblick auf die geschichtliche Entwickelung des orientalischen Sectenwesens erklärlich, der hier natürlich nur in gedrängter Form geboten werden kann:
Seiner heutigen äußeren Gestaltung nach stammt das türkische Derwischthum aus Persien. Seine Lehre aber deckt sich mit dem im Morgenlande weit verbreiteten Sufismus, nach welchem Alles in der Welt von Gott stammt und zur Wiedervereinigung mit demselben zurückstrebt, und ist weit älter als der Islam selbst.
Hervorgegangen aus den buddhistischen Ideen Indiens trat der Sufismus fast gleichzeitig an den entgegengesetzten Grenzen des Khalifats, in Persien und in Aegypten, auf. In Aegypten und bald darauf im nahen Arabien entwickelte er sich, namentlich unter dem Einflusse des eben erstarkenden Christenthums, zu jenem der Welt entsagenden Einsiedlerthum, welches die Wiege christlichen Mönchs- und Klausnerwesens wurde. Strengste Bußübung, düstere Weltentsagung, gänzliche Abtödtung der Sinne waren die ersten rohen Grundlagen dieser Lehre. Allmählich mischten sich derselben dann später mystische Elemente bei, und nun schwebte der Zustand des Gläubigen beständig zwischen schwärmerischer Verzückung und empfindungsloser Gleichgültigkeit gegen die Außenwelt, die nicht selten in thierische Stumpfheit überging.
Wie Bremer berichtet, gab es schon im sechsten Jahrhundert nach Christo auf dem Berge Athos eine christliche Mönchsgemeinschaft, deren Mitglieder, Tag für Tag in dunkler Zelle eingeschlossen, den Kopf auf die Brust gesenkt, ihren Blick unverwandt auf die Nabelgegend richteten. Dadurch geriethen sie zuerst in einen betäubten, nach und nach aber in einen verzückten Zustand, in welchem sie ein Licht um den Nabel erblickten, „dessen Schauen sie mit unaussprechlicher Seligkeit erfüllte und das sie für einen unmittelbaren Ausfluß der Gottheit erklärten“.
Wenn griechische Mönche bereits solche Resultate erzielten, wie viel stärker mußten solche asketische Uebungen auf das leicht erregbare nervöse Temperament und die lebhafte Phantasie des Arabers wirken, den schon die Abgeschiedenheit des Wüstenlebens, die dürftige Nahrung und die langen Nachtwachen ohnehin für Aberglauben und seelische Verzückungen besonders empfindlich machen!
Die Zahl der Illuminaten (Hellsehenden) wuchs denn auch in gewaltigen Verhältnissen. Sie durchziehen das Land als Bettelmönche oder hausen als Eremiten in den Felsenklüften der kleinasiatischen Küste, und wie in Europa der Berg Athos zum classischen Boden griechischen Mönchswesens wird, so sind bald am jenseitigen Ufer die Abhänge des Olymp mit den Einsiedeleien sufischer Einsiedler bedeckt. Das neue Religionssystem Mohammed’s ward der Secte nicht gefährlich; es sog dieselbe gewissermaßen auf. Als harmlose phantastische Schwärmer, als Prediger einer strengen Moral durften die Sufys auch ferner ihren absonderlichen Gebräuchen nachgehen. Ja, manche ihrer Ideen gingen schon damals unmerklich auf den Islam über.
Anders entwickelte sich der Sufismus in Persien. Dem Charakter des indogermanischen Volksstammes sagte mehr die weltgottgläubige Seite der neuen Lehre zu. Von ganz besonderem Einflusse aber war dabei das Bekanntwerden der Schriften griechischer Philosophen, von denen gerade um diese Zeit die ersten Uebersetzungen nach dem Oriente drangen. Die Sufys, als Vorkämpfer der freieren Richtung, versenkten sich ganz in das Studium der classischen Naturphilosophie; ihr Streben galt nichts Geringerem als einer Ausgleichung der wissenschaftlichen Forschung mit den religiösen Satzungen, einer Vermittelung neuplatonischer Ideen mit dem Dogma des unaufhaltsam um sich greifenden Islam. Aber trotz der Abneigung der Perser gegen die neue Religion wurde die Absicht der Sufys, dieselbe ganz nach ihren Principien umzuformen, nicht erreicht. Die willkürliche Behandlung des Korans und der Tradition verletzte die Gläubigen und führte zum offenen Bruche zwischen Philosophie und Dogmatik. Andererseits reichten die Kenntnisse Derer, welche der freien Forschung zulieb den Boden des naiven Glaubens verlassen hatten, zum gedankenmäßigen Aufbau eines neuen Systems nicht aus.
Allein unter der Einwirkung dieser Bestrebungen mußte der dem Sufismus ursprünglich innewohnende asketische Grundzug fast gänzlich verloren gehen. Der Name „Derwisch“, welchen die persischen Sufys angenommen hatten, bezeichnete zwar gleich dem arabischen „Fakir“ (arm) einen Bettler (der Thier, wisch liegend); allein das Gelübde freiwilliger Armuth und Weltentsagung war bald nur noch eine leere Formel.
Waren die Principien des Sufismus auch früher schon von einzelnen Secten und Geheimbünden aufgestellt, so lebten die Bekenner dieser Lehre doch nur in äußerlich losem Verbande. Eigentliche Orden bestanden bis dahin nicht. Die Gründung der ersten auch nach außen hin durch Tracht, Ritus und Lebensweise sich abschließenden Gemeinschaften fällt erst in die Mitte des zwölften Jahrhunderts nach Christo. Die meisten noch heute bestehenden sind im dreizehnten Jahrhundert gestiftet worden.
Diese Entstehung religiöser Orden, – so sehr sie auch mit dem ausdrücklichen Befehl Mohammed’s: „Im Islam giebt es kein Mönchthum“ im Widerspruch stand, – war doch die nothwendige Folge der nun schon Jahrhunderte lang im Schooß des Islam gepflegten sufischen Ideen. Unter dem unmerklichen Einflusse [27] derselben war das streng und deutlich abgeschlossene Religionssystem Mohammed’s unklar, schwärmerisch-unfaßbar geworden; es schlug zu einer Art „Gefühlsschwindel“ um, wie Ghazzaly es sehr treffend bezeichnet. Wie immer in Zeiten religiöser Schwärmerei, so machte sich auch jetzt hier eine exaltirte Richtung geltend, welche bald zu mönchisch-düsterem Fanatismus führte, bald in verzückten, durch künstliche Reizmittel erregten Seelenzuständen gipfelte, oft aber auch in fessellose Genußsucht ausartete, wie sie uns in ihrer heitersten und anmuthigsten Form in den Gesängen des Hafis, des Dschelaleddin Rumi und anderer persischer Dichterfürsten entgegentritt.
Die Poeten jener Zeit waren gewöhnlich Sufys, und – was der Literatur weniger förderlich war – jeder Sufy wollte Poet sein. Wer nur halbwegs correcte Verse machte, hielt sich für einen Erleuchteten und stand bald im Geruch der Heiligkeit. Die wahnsinnigsten Phantastereien fanden willig Glauben, und Betrug und Heuchelei begannen die Leichtgläubigkeit des Volkes zu eigennützigen Zwecken auszubeuten. Die Illuminaten gaben vor, Zusammenkünfte mit Engeln, Geistern, ja selbst mit dem höchsten Wesen zu haben. Derartige spiritualistische Extravaganzen, – ähnlich denen, welche die jüngste Gegenwart aufzuweisen hat, – waren übrigens wiederum die Veranlassung, daß die wenigen wahrhaft aufgeklärten Köpfe dem Sufismus, und mit ihm dem Derwischthum, entfremdet wurden. Sie entlocken Hafis die zornigen Worte:
„Komm, Sofy, komm, und laß uns aus der Heuchler
Befleckt Gewand ziehn,
Laß über ihre freche Lügentafel
Die nasse Hand ziehn!
Laß, öder Zelle Dunkelheit verfluchend,
Den Weinpokal uns
Aufstecken als Panier und also jauchzend
Durch’s weite Land ziehn!
Wir wollen nichts als gute Thaten üben;
Laß zwischen sie uns
Und nachtgeborne Fanatismen endlich
Die scharfe Wand ziehn!“[3]
Und doch war Hafis selbst in der schrankenlosesten Epoche seines späten Dichterfrühlings, als ihn sein Weg „weitab von der Moschee und allen Bonzen fern“ zur Schenke führte – doch war auch er keineswegs der liebenswürdige Schlemmer, der ewig Verliebte, der dithyrambische Sänger, als den wir ihn kennen. Er hat sein und seiner Freunde Glaubensbekenntniß niedergelegt in folgenden Strophen, die für jene ganze Bewegung charakteristisch sind:
„Wir, Vater Schemseddin und seine Kinder,
Wir, Scheich Hafis und seine frommen Mönche,
Wir sind ein eignes wunderliches Volk,
Von Gram gebeugt und ew’ger Klage voll,
Ohn’ Unterlaß in unserm Trauerjoch
Des feuchten Auges heiße Perle streuend,
Und ewig hell und ewig heiter doch;
Der Kerze gleich hinschmelzend und vergehend,
Und doch, wie sie, in lichter Wonne lachend; –
Versunken in ein Meer von Schuld und Sünde,
Ganz unbekannt mit dem Gefühl der Reue,
Und fromm zugleich und frei von allem Argen,
Des Lichtes Söhne, nicht der Finsterniß,
Und so der Menge unbegreiflich.“
Jene Mischung von äußerem Fanatismus und innerlich lockerer Moral ward bald ein charakteristisches Merkmal des Derwischthums. Für die strengen Ordensregeln, für die Büßungen und Kasteiungen des Tages suchte man sich des Nachts durch Ausschweifungen aller Art zu entschädigen. Die Tekés[4] wurden, wie so manche christliche Mönchsklöster, der Schauplatz raffinirtester Orgien. Aehnlichen Erscheinungen begegnen wir übrigens noch heutigen Tages selbst beim orthodoxen Islam. Die Fastenregeln des Korans werden während des Ramazân mit größter Strenge innegehalten. Der Gläubige darf am Tage nichts genießen, auch nicht rauchen, ja nicht einmal Wasser trinken. Die orientalische Spitzfindigkeit hat aber zum Ersatz dafür die Nacht zur Befriedigung der leiblichen Bedürfnisse freigegeben, und mit dem Kanonenschuß, welcher den Sonnenuntergang verkündet, beginnt ein lustiges, lockeres Carnevalsleben. Es ist dies die Zeit geselliger Vergnügungen, großartiger Gastereien; die Reichen halten während der ganzen Nacht offenes Haus und freie Tafel für ihre Freunde und Schmarotzer; die Theater und Concertsäle in Pera und Galata sind überfüllt und werden oft erst mit dem ersten Sonnenstrahl geschlossen.
Die Zahl der gegründeten und wieder verschwundenen Derwischorden ist ungeheuer; denn der Orientale knüpft die Geschichte mehr an Personen und Namen, als an Gedanken und inneren Zusammenhang. Daher die Menge der Secten und Brüderschaften, welche oft nur durch die Namen ihrer Stifter, nicht aber durch innere Meinungsverschiedenheit von einander gesondert sind. Mohammed selbst soll gesagt haben: „Meine Gemeinde wird sich in dreiundsiebenzig Secten spalten; eine einzige davon wird selig, die anderen gehen zu Grunde.“
Der erste Theil dieser Prophezeiung war bald erfüllt. Noch zu d’Onori’s Zeit – Mitte des achtzehnten Jahrhunderts – bestanden im osmanischen Reich sechsunddreißig geschlossene Derwischorden, die er einzeln namhaft macht. Der Leser wird mir die Aufzählung derselben gewiß gern erlassen, um so mehr, als mehrere davon inzwischen untergegangen, andere nur noch in den fernen halb barbarischen Grenzlanden im inneren Asien anzutreffen sind.
Uns interessiren natürlich diejenigen am meisten, die noch heute im türkischen Staat moralischen Einfluß und politische Bedeutung haben. Dies sind folgende sechs Orden:
1) Mewlewi oder der Orden der sogenannten „drehenden“ Derwische. Ihr Stifter war der durch Rückert’s Uebersetzungen in weiteren Kreisen bekannt gewordene mystische Dichter Mewlana Dschelaleddin Rumi (gestorben 1276 n. Chr.). Seine lyrischen und didaktischen Lieder athmen verzückte Gottesliebe; man glaubt in den mystischen kirchlichen Gebräuchen, welche durch die Einführung der orchestralen Musik in directem Widerspruch zu den Bestimmungen des Koran standen, eine Neubelebung, wenn nicht gar eine Fortsetzung des alten Cybele-Cultus[5] annehmen zu dürfen. In der That ist Koniah, das alte Ikonium, noch jetzt der Sitz des Ordensgenerals. Auch der Stifter stammt aus diesem Ort, und die phrygische Flöte, welche bei den griechischen Mysterien eine so bedeutende Rolle spielte, ist noch heute das Lieblingsinstrument der Mewlewi.
Vielleicht ließe sich auch der Tanz, jenes gleichmäßige um sich selbst und im Kreise Drehen, auf die Ceremonien der Cybele-Priester zurückführen.
Der heutigen Erklärung nach ist es eine symbolische Handlung, welche andeuten soll, daß man Gott überall und unaufhörlich zu suchen habe. Die eine nach oben gewendete Hand empfängt die himmlischen Gaben, die andere herabgeneigte theilt sie der Erde mit. Die Annahme einer Kasteiung oder eines Reizmittels zur Erregung exotischer Zustände ist durchaus irrig.
Eine gehobene religiöse Stimmung mag wohl bei diesem Tanze angestrebt und erreicht werden; von einer Kasteiung kann aber um so weniger die Rede sein, als die Tänzer in Folge der jahrelangen Uebung völlig schwindelfrei werden und im Stande sind, nach fast halbstündigem Drehen sicheren Schrittes geradeaus zu gehen. Auch hat der Stifter selbst die symbolische Bedeutung des Tanzes in unzähligen Ghaselen (einer Art arabischer Gedichte) hervorgehoben. Ich entnehme der reichen Auswahl nur einige Beispiele:
„Tritt an zum Tanz; wir schweben in dem Reih’n der Liebe;
Wir schweben in der Lust und in der Pein der Liebe.
Ich sage dir, warum das Weltmeer schließt die Wogen:
Es tanzt im Glanze vom Weltedelstein der Liebe.
Ich kann die Räthsel alle dir der Schöpfung sagen;
Denn aller Räthsel Lösungswort ist Liebe.“
Die Liebe zu einem Alles durchdringenden Geist, der, wie Schlegel sagt, „im Stein schläft, im Thier träumt und im Menschen wacht“, ist der einzig wahre Mittelpunkt, um den sich unser ganzes Sein und Fühlen drehen soll. Sie ruft der gläubige Mewlewi an mit den Strophen:
„Ich bin die Reb’ – o komm, und sei der Rebe
Die Ulm’, um die ich meine Ranken webe!
Ich bin der Epheu –; sei mein Stamm, o Ceder,
Daß ich nicht dumpf am feuchten Boden klebe!
Ich bin der Vogel – komm und sei mein Flügel,
Daß ich empor zu deinem Himmel schwebe!
Ich bin das Roß – o komm und sei mein Sporen,
Daß ich zum Ziel auf deiner Rennbahn strebe!“
[28] 2) Die Rufayis, ein Orden, welcher von Seid Ahmed Rufayi (gestorben 1205 n. Chr.) gestiftet wurde und der bekannt ist unter dem Namen „heulende Derwische“. Ihr Ceremoniell besteht namentlich im Hersagen langer Gebete, welche mit einer convulsivischen Bewegung des Körpers verbunden und zum Theil mit einem stoßweise hervorgebrachten rauhen Geheul begleitet werden. Der widrige Eindruck, den diese Uebungen machen, ist schon vielfach beschrieben worden. Die früher am Schluß jeder Uebung ausgeführten Taschenspielerkünste mit glühenden Eisen und Marterwerkzeugen sind neuerdings von der Polizei verboten worden, sollen aber noch bisweilen in einem „geschlossenen Kreise“ zur Ausübung gelangen. Dagegen findet die Ceremonie der wunderkräftigen Heilung, wie sie die anseitige, an Ort und Stelle aufgenommene Skizze darstellt, noch statt. Kranke jeden Alters und Standes, selbst Beamte und höhere Officiere, meistens jedoch Greise und Kinder, werden der Länge nach auf einem der bunten vor der Gebetsnische liegenden Thierfelle ausgestreckt hingelegt. Der Scheikh, von einigen Gehülfen unterstützt, betritt dieses lebende Piedestal und verharrt darauf stehend einige Secunden lang. Gleichzeitig wird Wasser in offenen Glasflaschen vor den in voller Thätigkeit begriffenen „Heulern“ vorbeigetragen und in dem Glauben, daß es durch die Einwirkung dieses heiligen Dunstkreises heilkräftig geworden, den Patienten zum Trunk gereicht.
Wie man sieht, ist der Orden der Rufayis die ganz besondere Heimstätte des Aberglaubens und religiösen Humbugs. Die Mitglieder finden aber noch heutzutage ihre Rechnung dabei und unterziehen sich willig den angreifenden Uebungen, obwohl viele von ihnen dieselben mit ihrer Gesundheit bezahlen müssen.
[47] Neben den im ersten Theile dieses Artikels erwähnten Orden der heulenden und drehenden Derwische verdienen noch die Chalwetti (gegründet zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts) besonders namhaft gemacht zu werden: sie sind die heutigen Eremiten und Wanderderwische des Islam. Gleich den „Kalenders“, welche indischer Abstammung sind, durchziehen sie das Land. Ihr Gelübde verbietet ihnen eine stehende Wohnung zu haben, und sie leben von Almosen, weit öfter aber noch vom Raube. In den inneren Provinzen des türkischen Reiches machen sie geradezu die Landstraßen unsicher. Mit einer hohen Filzmütze bedeckt, mit dem langen, in fettigen Strähnen herabhängenden Haar, in Lumpen gehüllt, ein Pantherfell auf der Schulter, aber nie ohne eine Waffe – Keule, Spieß oder Dolch – sind diese unheimlichen Gestalten mit Recht der Schrecken aller einsam Reisenden. (Vergl. unsere Abbildung auf S. 48) Der Europäer vor Allen weiche ihnen aus; denn zur Raublust gesellt sich bei diesen Derwischbanden meist ein wahnsinniger Fanatismus. Ein hier in Constantinopel lebender, auch in der künstlerischen Welt durch seine charakteristischen effectvollen Aquarelle wohlbekannter Maler, Herr P., wäre vor einigen Jahren fast das Opfer eines von fanatischer Raserei befallenen Chalwetti geworden. Er zeichnete an einem einsamen Orte eine Grabstätte; der Derwisch mochte darin eine Entweihung [48] des Ortes erblicken; genug, er zog den spitzen Stahl, den die meisten der kurzen, harmlos erscheinenden Derwischstäbe, gleich unseren Stockdegen, im Innern beherbergen, und schlich von hinten an den Künstler heran. Dieser ward noch rechtzeitig des Attentats gewahr, vertheidigte sich mit seinem Feldstuhl und entwaffnete endlich mit Hülfe eines herbeigerufenen Dritten den rasenden Mönch.
Mit der Entstehung der Derwischorden, welche namentlich im zwölften Jahrhundert wie die Pilze aufschossen, wurde ein neues fremdes Element auf den Islam übertragen. So mannigfach auch die äußere Gestaltung der Orden war, so bildete doch der sufische Pantheismus – der Glaube, „daß das verborgene Lebensprincip, welches die verschiedenen Formen des Weltorganismus erzeugt, nur das Erzittern des göttlichen Wesens sei“ – die allgemeine Grundlage der verschiedenen Schulen.
Viele Orden hatten aber neben der öffentlichen noch eine Geheimlehre. Nach jahrelangen Prüfungen und Kasteiungen erfuhr der bewährte Neugeweihte, daß der Prophet unter dem Schleier symbolischer Verhüllung nur politische oder sociale Grundsätze aufgestellt habe, daß der Koran nur ein todter Buchstabe und die Auslegung desselben das allein Wahre, Wissenswürdige sei. „Wenn man außerhalb der Kaaba[6] steht,“ lautete z. B. ein von Dschelaleddin ausgesprochener Glaubenssatz, „so ist es gut, seine Blicke auf dieselbe zu richten; wer aber drinnen steht, mag sich wenden, wohin er will.“
Eine solche Lehre, welche darauf ausging, ihre Bekenner von den Landesgesetzen unabhängig zu machen und womöglich unter die ausschließliche unumschränkte Botmäßigkeit ihres Scheikh zu bringen, mußte gar bald zu einem Conflict mit dem Clerus und der herrschenden Classe führen. Das Chalifat sah mit Recht das Bestehen seines Staatssystems durch diese Geistesrichtung bedroht, die um so gefährlicher erscheinen mußte, als sie gleichzeitig der nationalen Bewegung zum Deckmantel diente. Es war nicht mehr der bloße Dogmenstreit; es war der Rassenkampf zwischen dem persischen und arabischen, zwischen dem indogermanischen und semitischen Element, der jetzt aufloderte.
Es begann nun eine Zeit grausamster Verfolgung, die mit dem Blut zahlloser Märtyrer bezeichnet ist. Gelang es auch den Chalifen, die nationale Gährung niederzuhalten, so vermochten sie doch nicht zu verhindern, daß der Sufismus im Verborgenen fortwucherte, ja hier und da neue Triebe ansetzte und schließlich wieder in voller Blüte stand. Die Beispiele festen Duldermuthes, welche die Derwische, gleich den christlichen Märtyrern, ihren Peinigern gaben, gewannen selbst unter diesen der bekämpften Lehre neue Anhänger. Nach und nach erlahmte die Verfolgung, und die Unsicherheit, mit der die letzten gegen das Derwischthum gerichteten Schläge geführt wurden, bekundete hinlänglich die beginnende Erschlaffung und wachsende Ohnmacht des Sultanats.
In dem Maße, wie die Zahl der Orden sich nun wieder mehrte, wie die einzelnen Tekés sich durch Schenkungen und Speculationen bereicherten, wuchs auch der politische Einfluß der Derwische. Sie erhielten bald ungehindert Zutritt zu den Höfen der Großen, wurden deren Vertraute und Rathgeber; wir finden sie später in der nächsten Umgebung der Chalifen; ja im Jahre 1501 gelang es sogar einem Derwisch, Ismail Lefevi, sich auf den persischen Thron zu schwingen und so Begründer der „sophischen" Dynastie zu werden. – Nur die Priesterkaste der Ulemas setzte, wenn auch auf dem unblutigen Felde schriftstellerischer Polemik, den Kampf mit ungeschwächtem Eifer fort, weniger vielleicht aus Liebe zur Reinheit ihrer Lehre, als zur Vertheidigung der ihr vom Derwischthum mit Erfolg bestrittenen Herrschaft im Serail.
Die stärkste Stütze aber fanden die Derwische an dem berühmten Corps der Janitscharen, mit dem der Orden der Begtaschi, der Bettelderwische, von Alters her durch eine Art Waffenbrüderschaft verbunden war. Als Sultan Orkhan diese „neue Truppe“ (jeni-tscheri) im Jahre 1328 gründete, wollte er, getreu dem Princip seiner Vorgänger, welche allen weltlichen Ordonnanzen durch das beigedrückte Siegel des Mufti eine religiöse Weihe geben ließen, auch diesem militärischen Institut einen religiösen Charakter beilegen. Der damals am Hofe in großer Gunst stehende Scheikh der Begtaschi segnete die Truppen ein, indem er den weiten Aermel seines Mantels auf das Haupt der höheren Officiere legte. Zur Erinnerung an diese Weihe trugen letztere seitdem an dem Turban jenen eigenthümlichen auf den Rücken herabhängenden Filzlappen. Von nun an waren beide Corporationen Verbündete und theilten sich in die Herrschaft über die ohnmächtigen Regenten. Die Begtaschi begleiteten die Truppen in’s Feld, und in der Caserne am Atmeidan mußten beständig acht Ordensbrüder für die Wohlfahrt des Heeres und den glücklichen Erfolg der Waffen beten.
Da erfolgte im Jahre 1826 der fürchterliche Schlag, welcher die verwilderte Prätorianergarde vernichtete. Um sich von dem Einflusse der Janitscharen zu befreien, errichtete nämlich Mahmud der Zweite ein eigenes türkisches Heer nach europäischem Muster. Im Mai 1826 erließ er dann den Befehl, daß ein Theil der Janitscharen in die neuen Truppen eintreten solle. Da weigerten sich aber die wilden Krieger, diesem Befehle zu gehorchen, stürmten das Haus ihres Führers und rückten selbst gegen das Serail vor. Nun ließ der Sultan die heilige Fahne des Propheten entrollen und hierdurch alle Gläubigen zu den Waffen rufen. Mit den treu gebliebenen Truppen warf er die Aufrührer in ihre Caserne zurück und steckte dieselbe in Brand, wobei gegen 8000 Janitscharen den Flammentod fanden. Am 16. Juni desselben Jahres erfolgte eine Bekanntmachung, welche die Institution der Janitscharen aufhob und ihren Namen mit Fluch belegte. Die grausame Verfolgung, die nunmehr gegen die Besiegten in Scene gesetzt wurde, mußte sich natürlich auch gegen die Derwische, namentlich gegen die mächtigen, mit den Janitscharen verbrüderten Begtaschi, richten. Ihre Scheikhs wurden hingerichtet, die Klöster verbrannt; der ganze Orden wurde aufgehoben. Diese kühne Maßregel traf die Derwische wie ein Schlag aus heiterem Himmel.
Unfähig zu fliehen, „lehnten sie,“ wie der Chronist sagt, „starr an der Mauer, bleichen Entsetzens und sahen die Fackel des Lebens erlöschen“.
Allein die Energie des Reformators erlahmte noch im letzten Augenblick. Waren es religiöse Bedenken, war es die Furcht vor der Wuth des Pöbels oder glaubte er weit genug gegangen zu sein – genug, Sultan Mahmud gab die anfangs beabsichtigte Aufhebung sämmtlicher Derwischorden und die Einziehung der geistlichen Güter auf. Es ist nicht zu sagen, wie viel dieser Augenblick der Schwäche dem türkischen Staat gekostet hat, wie [49] so manche finanzielle Verlegenheiten und politische Complicationen mittelst einer energischen Durchführung des einmal begonnen Reformwerkes verhindert wären! Einmal versäumt, erschien die Gelegenheit zu einer durchgreifenden Verwandlung der inneren Verhältnisse nie wieder. Den Derwischen aber kehrte mit dem Gefühl der Sicherheit auch der alte Uebermuth zurück. Ihr Ansehen hatte durch die letzte mißglückte Verfolgung nur gewonnen. Der Trieb der Selbsterhaltung drängte sie nunmehr in eine allen Neuerungen feindliche Opposition, und das Volk sieht seitdem in ihnen die Schildträger des conservativen Princips, die eifrigsten Verfechter des Islam. Ihr Einfluß auf die unteren Volksschichten ist größer denn je; sie drängen sich in alle öffentlichen und Privatverhältnisse, und ihr Auftreten ist selbstbewußt, oft rücksichtslos.
Unter den einzelnen Orden sind neben den dogmatischen Verschiedenheiten auch noch gewisse sociale Färbungen wahrnehmbar: der Begtaschi ist das Urbild des Fanatikers; zu seinen religiösen Uebungen erhält nie ein Ungläubiger Zutritt. Während dieser Orden sich vorzugsweise aus den unteren Ständen recrutirt, ist der Orden der Mewlewi der aristokratische, was seine persönliche Zusammensetzung, der liberale, was seine politische Färbung anlangt. Musik und Wissenschaft werden unter seinen Mitgliedern eifrig und systematisch getrieben. In Pera besitzt der Orden ein großes Häuserviertel und in Stambul mehrere Tekés. Sein Hauptvermögen aber besteht in großen Ländereien, welche in der Umgegend von Koniah gelegen und gleich den Moscheengütern in Erbpacht (vakuf) gegeben sind. Dieser Besitz stammt schon von Murad dem Vierten, der ihn einst, nach einem glücklichen Kriegszuge gegen die Perser, den Mewlewis überwies.
Man irrt sehr, wenn man glaubt, daß die Derwische ein beschauliches mönchisches Leben führen. Die wenigsten Orden verlangen von ihren Mitgliedern Ehelosigkeit und Clausur. Bei den Mewlewis und Rufayis trägt nur ein kleiner Theil derselben die Ordenstracht; die meisten sind im Staatsdienst oder treiben bürgerliche Gewerbe. Die Mewlewis dürfen nicht einmal in dem Teké eine Nacht zubringen. Sie versammeln sich nur an bestimmten Tagen zu ihren Uebungen. So kommt es, daß man sie überall antrifft, und zwar vorzugsweise in den Kaffeehäusern, wo sie zwei Dritttheile ihres Lebens verbringen.
Man hat indessen wohl zu unterscheiden zwischen den eigentlichen Ordensbrüdern und jenen seltsamen Gestalten, denen man im Orient auf Schritt und Tritt begegnet, die der Volksmund Heilige und Erleuchtete bezeichnet und die einfach blödsinnig oder verrückt sind.
Der türkische Staat besitzt keine Irrenanstalten und hält es für bequemer und ökonomischer, jene Armen, deren verwahrlostes Aussehen bald Mitleid, bald Ekel erregt, der öffentlichen Nachsicht und Mildthätigkeit zu überweisen. Unter den abenteuerlichen Figuren, welche die Straßen Constantinopels bevölkern, ist der sogenannte „nackte Heilige“ jedenfalls die auffallendste und bekannteste. Dieser wunderliche Büßer – der übrigens die ihm gewordene Bezeichnung im buchstäblichen Sinne bewahrheitet – treibt sich zum Gaudium der Straßenjugend und zum Aergerniß der europäischen Damenwelt auf allen öffentlichen Plätzen umher, und der Polizei ist es bisher noch nicht gelungen, ihn zu entfernen oder zum Anlegen einer den Zeit- und Witterungsverhältnissen entsprechenden Bekleidung zu veranlassen. Die meisten dieser „Heiligen“ sind harmlos; indessen hört man auch hier und da von Excessen, die von ihnen begangen wurden, und nicht selten findet der Betrug und das Verbrechen unter dieser bequemen Maske den Weg zur Straflosigkeit. – –
Aus dem Obigen wird dem Leser die heutige Bedeutung des Derwischthums einigermaßen ersichtlich geworden sein. Allmählich und fast unmerklich ist im Laufe der Jahrhunderte eine Verschiebung der Ansichten eingetreten: die ursprünglich anti-islamische Tendenz des persischen Sufismus ist mehr und mehr zurückgetreten; die lose zusammenhängenden religiösen Seelen haben sich zu einer geschlossenen politischen Partei verdichtet, und der religiöse Schwärmer ist zum Fanatiker, das Derwischthum zur kräftigsten Stütze des Halbmondes geworden. Und seine Zukunft? Sie scheint nunmehr unzertrennlich an die Geschicke des Staats geknüpft zu sein, dem das Derwischthum seine Kräfte opfert. Hätte es, anstatt (wie der Jesuitenorden) nach weltlicher Macht und politischer Bedeutung zu haschen, sich begnügt, die Lehren seiner Gründer zu entwickeln, den Idealen des sittlich Guten und ewig Wahren nachzustreben, welche den Grundzug aller Religionen bilden, so wäre ihm vielleicht einmal die schöne Aufgabe zugefallen, die weite Kluft zu überbrücken, welche den Islam vom Christenthum und der modernen Civilisation scheidet.
- ↑ Orientalische Herberge.
- ↑ Rajahs (arabisch raijah, weidendes Vieh) bedeutet zinspflichtige Unterthanen, die sich nicht zur mohamedanischen Religion bekennen.
- ↑ Nach der Uebersetzung von Daumer.
- ↑ Klöster.
- ↑ Cybele, Landesgottheit der Phryger, die in vielen Städten Kleinasiens durch Orgien gefeiert wurde.
- ↑ Mohammed’s viereckiger Tempel in Mekka.