David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Erster Band – Zahlentheorie/Kapitel 7.1

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7. Die Theorie der algebraischen Zahlkörper. David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Erster Band – Zahlentheorie (1932) von David Hilbert
7.1 Die algebraische Zahl und der Zahlkörper.
7.2 Die Ideale des Zahlkörpers.
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Erster Teil.
Die Theorie des allgemeinen Zahlkörpers.


1. Die algebraische Zahl und der Zahlkörper.
§ 1. Der Zahlkörper und die konjugierten Zahlkörper.

Eine Zahl heißt eine algebraische Zahl, wenn sie einer Gleichung -ten Grades von der Gestalt

genügt, wo , , …‚ rationale Zahlen sind.

Sind , , …‚ eine endliche Anzahl beliebiger algebraischer Zahlen, so bilden alle rationalen Funktionen von , , …‚ mit ganzzahligen Koeffizienten ein in sich abgeschlossenes System von algebraischen Zahlen, welches Zahlkörper, Körper oder Rationalitätsbereich genannt wird [Dedekind (1[1], 2[2]), Kronecker (16[3]]. Da insbesondere die Summe, die Differenz, das Produkt und der Quotient zweier Zahlen eines Rationalitätsbereiches oder Körpers wieder eine Zahl des Körpers ist, so verhält sich der Begriff des Rationalitätsbereichs oder Körpers gegenüber den vier Rechnungsoperationen der Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division invariant.

Satz 1. In jedem Körper gibt es eine Zahl derart, daß alle anderen Zahlen des Körpers ganze rationale Funktionen von mit rationalen Koeffizienten sind.

Der Grad der Gleichung niedrigsten Grades mit rationalen Koeffizienten, der eine solche Zahl genügt, heißt der Grad des Körpers k. Die Zahl wird eine den Körper bestimmende Zahl genannt. Die Gleichung -ten Grades für ist in dem durch die rationalen Zahlen bestimmten Rationalitätsbereiche irreduzibel. Umgekehrt bestimmt jede Wurzel einer solchen irreduzibeln Gleichung einen Zahlkörper -ten Grades. Sind , , …, die anderen Wurzeln der Gleichung, so heißen die bezüglich durch , , …, bestimmten Körper , , …, die zu konjugierten Körper. Ist eine beliebige Zahl des Körpers , und ist

,
wo , , …, rationale Zahlen sind, so heißen die Zahlen

die bez. durch die Substitutionen , …, aus entspringenden oder zu konjugierten Zahlen.

§ 2. Die ganze algebraische Zahl.

Eine algebraische Zahl heißt eine ganze algebraische Zahl oder kurz eine ganze Zahl, wenn sie einer Gleichung von der Gestalt

genügt, deren Koeffizienten , , …, sämtlich ganze rationale Zahlen sind.

Satz 2. Jede ganze ganzzahlige Funktion , d. h. jede ganze rationale Funktion mit ganzzahligen Koeffizienten von beliebig vielen ganzen Zahlen , , …, ist wiederum eine ganze Zahl.

Beweis: Bezeichnen wir mit , , …, , , …, …, , , … bezüglich die zu , , …, konjugierten Zahlen, und bilden wir dann sämtliche Ausdrücke von der Gestalt

so lehrt der bekannte Satz von den symmetrischen Funktionen, daß die Gleichung, welcher diese sämtlichen Ausdrücke genügen, lauter ganzzahlige Koeffizienten hat, während der Koeffizient der höchsten Potenz der Unbekannten ausfällt.

Insbesondere ist die Summe, die Differenz und das Produkt zweier ganzen Zahlen wiederum eine ganze Zahl. Der Begriff „ganz“ verhält sich mithin gegenüber den drei Rechnungsoperationen der Addition, Subtraktion und Multiplikation invariant. Eine ganze Zahl heißt durch die ganze Zahl teilbar, wenn eine ganze Zahl existiert, so daß ist.

Satz 3. Die Wurzeln einer Gleichung beliebigen Grades von der Gestalt

sind stets ganze algebraische Zahlen, sobald die Koeffizienten , , …, ganze algebraische Zahlen sind.

Satz 4. Wenn eine ganze algebraische Zahl zugleich rational ist, so ist sie eine ganze rationale Zahl.

Beweis: Wäre nämlich , wo und ganze rationale, zueinander prime Zahlen bedeuten und dabei , und genügt einer Gleichung, deren Koeffizienten , …, ganze rationale Zahlen sind, so würde durch Multiplikation dieser Gleichung mit

folgen, wo eine ganze rationale Zahl wäre, und dies ist nicht möglich [Dedekind (1[1]), Kronecker (16[3])].

§ 3. Die Norm, die Differente, die Diskriminante einer Zahl. Die Basis des Zahlkörpers.

Ist eine beliebige Zahl des Körpers , und bedeuten , …, die zu konjugierten Zahlen, so heißt das Produkt

die Norm der Zahl . Die Norm einer Zahl ist stets eine rationale Zahl. Ferner nenne ich das Produkt

die Differente der Zahl . Die Differente einer Zahl ist wiederum eine Zahl des Körpers . Es ist nämlich, wenn zur Abkürzung

gesetzt wird, . Endlich heißt das Produkt

die Diskriminante der Zahl . Die Diskriminante einer Zahl ist eine rationale Zahl, und zwar bis auf das Vorzeichen gleich der Norm der Differente; es ist nämlich .

Ist eine den Körper bestimmende Zahl, so sind ihre Differente und Diskriminante verschieden von . Umgekehrt, wenn Differente oder Diskriminante einer Zahl von verschieden sind, so bestimmt diese den Körper. Ist eine ganze Zahl, so sind ihre Norm, ihre Differente, ihre Diskriminante ebenfalls ganz.

Satz 5. In einem Zahlkörper -ten Grades gibt es stets ganze Zahlen , , …, von der Beschaffenheit, daß jede andere ganze Zahl des Körpers sich in der Gestalt

darstellen läßt, wo , …, ganze rationale Zahlen sind.

Beweis: Ist eine den Körper bestimmende ganze Zahl, so ist jede Zahl in der Gestalt

darstellbar, wo , , …, rationale Zahlen sind. Durch Übergang zu den konjugierten Zahlen erhält man

und hieraus folgt allgemein für , , …, in leicht verständlicher Abkürzung:

wo als ganze ganzzahlige Funktion von , , …, , , , …, eine ganze Zahl ist. Da andererseits gleich der rationalen Zahl ist, so ist nach Satz 4 eine ganze rationale Zahl. Jede ganze Zahl gestattet daher die Darstellung

, (1)

wo , , …, ganze rationale Zahlen sind und die Diskriminante von bedeutet.

Nun sei wiederum eine bestimmte von den Zahlen , , …, ; wir denken uns alle ganzen Zahlen des Körpers von der Gestalt

berechnet, wo die Koeffizienten , , , … sämtlich ganze rationale Zahlen sind; wir können annehmen, daß etwa und der größte gemeinsame Teiler der sämtlichen Zahlen , , , … ist. Dann bilden die betreffenden ersten Zahlen , …, ein System von der verlangten Beschaffenheit. Ist nämlich eine beliebige ganze Zahl in der Gestalt (1) vorgelegt, so muß nach der eben gemachten Festsetzung sein, wo eine gewisse ganze rationale Zahl ist; dann aber ist die Differenz von der Gestalt

.
Hier wird wiederum sein; die Betrachtung der Differenz und die Fortsetzung dieser Schlußweise zeigt die Richtigkeit des Satzes 5.

Die Zahlen , …‚ heißen eine Basis des Systems aller ganzen Zahlen des Körpers , oder kurz eine Basis des Körpers . Jede andere Basis , …‚ des Körpers ist durch Formeln von der Gestalt

gegeben, wo die Determinante der ganzzahligen Koeffizienten gleich ist [Dedekind (1)[1], Kronecker (16[3])].


  1. a b c [356] Vorlesungen über Zahlentheorie von P. G. Lejeune Dirichlet, 2. bis 4. Aufl. Braunschweig 1871–1894.[WS 1]
  2. [356] Sur la théorie des nombres entiers algébriques. Paris 1877. Abdruck aus Bull. des sciences math. et astron. s. 1 t. XI und s. 2 t. I.[WS 2]
  3. a b c [359] Grundzüge einer arithmetischen Theorie der algebraischen Größen. J. Math. 92 (1882).[WS 3]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b c Dedekind, Richard: Vorlesungen über Zahlentheorie von P. G. Lejeune Dirichlet, 4. Auflage, Braunschweig, 1894, Internet Archive
  2. Dedekind, Richard: Sur la théorie des nombres entiers algébriques., in: Bulletin des Sciences Mathématiques et Astronomiques 2e série Band 1, Folge 1 1877, S. 69-92. EuDML
  3. a b c Kronecker, Leopold: Grundzüge einer arithmetischen Theorie der algebraischen Größen, in: Journal für die reine und angewandte Mathematik, Band 92 (1882), S. 1–122 GDZ Göttingen


7. Die Theorie der algebraischen Zahlkörper. Nach oben 7.2 Die Ideale des Zahlkörpers.
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