De vulgari eloquentia/II. Buch – Zehntes Kapitel

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Zehntes Kapitel.
Was der Gesang der Stanze sei, und daß die Stanze sich in mehreren Weisen verändert in der Kanzone.


Wissend nun, daß der Mensch ein vernünftiges Geschöpf ist, und daß die Seele verständig und der Körper thierisch ist, und nicht wissend, was diese Seele und was dieser Körper sei, können wir eine vollkommene Kenntniß des Menschen nicht haben, weil die vollkommene Kenntniß jeder Sache bis an die letzten Bestandtheile hinreicht, wie der Lehrer der Weisen im Anfange der Physik bezeugt. Um nun die Kenntniß der Kanzone zu erlangen, wonach wir trachten, untersuchen wir kürzlich diejenigen Dinge, welche das sie Definirende definiren, und erforschen zuerst den Gesang, sodann die Beschaffenheit und endlich Verse und Sylben. So sagen wir denn, daß jede Stanze gefügt ist, um eine gewisse Tonweise aufzunehmen; aber in der Art scheint Verschiedenheit stattzufinden, weil einige eine einzige fortlaufende Tonweise haben, bis zu Ende fortschreitend, das heißt, ohne Wiederholung irgend einer Modulation und ohne Theilung, und Theilung nennen wir eine Ausweichung von einer Tonweise in die andere; diese nennen wir Volta, wenn wir mit dem Haufen [149] reden; und einer Stanze von dieser Art[1] hat sich Arnaldo Daniello fast in allen Kanzonen bedient; und wir sind ihm gefolgt, wenn wir gesagt haben:

Al poco giorno, ed al gran cerchio d’ombra.[WS 1]

Es gibt aber Einige, welche die Theilung zulassen, und Theilung kann Dem gemäß, was wir so nennen, nicht anders stattfinden, als wenn Wiederholung Einer Tonweise geschieht, entweder vor der Theilung oder nachher, oder von beiden Seiten her; wenn vor der Theilung die Wiederholung geschieht, sagen wir, daß die Stanze zwei Füße[2] habe, und zwei Füße muß sie haben, obgleich es bisweilen drei werden, jedoch sehr selten; wenn die Wiederholung nach der Theilung geschieht, so sagen wir, daß die Stanze Volti[3] habe; wenn vorher die Wiederholung nicht geschieht, so sagen wir, daß die Stanze eine Stirn habe; wenn sie nachher nicht geschieht, so sagen wir, daß sie eine Sirima habe oder einen Schweif. Siehe nun, Leser, welche Freiheit Denen gegeben ist, welche Kanzonen dichten, und betrachte, weshalb der Gebrauch sich eine so weite Willkür genommen habe, und wenn dich das Nachdenken auf rechtem Pfade leitet, so wirst du finden, daß Das, was wir sagen, blos vermöge der Würde des Ansehens bewilligt sei. Hieraus kann hinlänglich erhellen, wie die Kunst der Kanzone in der Theilung des Gesanges besteht; und deshalb wollen wir zu der Beschaffenheit fortschreiten.


  1. Das heißt: ohne Wiederholung und ohne Theilung. Die von Dante, welche gleich darauf angeführt ist, gehört zu den Sestinen.
  2. D. h. Glieder des Gegensatzes. Siehe Lehrbuch der italischen Sprache von Adolf Wagner. S. 269.
  3. Ich habe hier mit Wagner Volti gesagt statt Verse (versus hat der Text), um Verwirrung zu vermeiden, da ich carmen durch Verse übersetze. Volti drückt gleichfalls die Glieder des Gegensatzes aus.

Anmerkungen (Wikisource)