Der 2. Glaubensartikel/Gelitten
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Gelitten.
Als Albrecht Dürer, der Nürnberger Maler, gefragt wurde, was eigentlich der Wert der Malerei sei, gab er zur Antwort: „Das ist ihr Wert, daß sie die Züge eines Menschen, auch noch nach seinem Tode, festhält und daß sie die Passion Jesu Christi darstellen kann.“ Und ihr wißt es ja, wie vielmals – dreimal im großen – Albrecht Dürer die Passion seines Herrn in würdiger und innerlicher Weise zur Darstellung gebracht hat. In euerem Glaubensbekenntnis sprecht ihr wohl: „gelitten unter Pontio Pilato, gekreuziget, gestorben und begraben.“ Das ist nicht ganz richtig. Wenn man die einzelnen Formeln des Glaubensbekenntnisses in der griechischen Sprache ansieht, so heißt es: „gelitten, unter Pontio Pilato gekreuzigt“, weil die Kirche das ganze Leben des Herrn von seiner Menschwerdung bis zu seiner Kreuzerhöhung, von der Kreuzerhöhung bis zum Tod und Grab unter dem Gesichtspunkt des Leidens darstellt und nur als Höhepunkt dieses Leidens die Kreuzigung unter Pontius Pilatus betont.
Laßt mich darum heute von dem Leiden des Herrn Jesus reden:
Was er litt; von wem er litt; wozu er litt.
Und dann erlitt er den Widerspruch der Sünder, wie wir es eben gelesen haben. Von den Seinen konnte und von den Feinden wollte er nicht verstanden werden. „Daß du ein Samariter bist und hast den Teufel in dir!“ (Joh. 8, 48.) So reden sie von dem Reinen, den niemand einer Sünde zeihen konnte. Er wird von seinen Feinden ein Sohn des Teufels gescholten. Was ist das Großes von dem Herrn, der zwölf Legionen von Engeln hätte heranziehen lassen können, daß sie seine Feinde wie Spreu zerstreuen, der das Land und die Städte seiner Feinde hätte gleich den Städten am Toten Meer vernichten können, daß er zu all dieser Verkehrtheit, Verworfenheit und Verwerfung schwieg! Den Wohltäter nennen sie Freund des Feindes – der im Tempel gelehrt und ihre Kinder gesund gemacht und ihre Häuser mit Frieden erfüllt hat, nennen sie einen Samariter. Der Herr, der so viel an die einzelnen und an das Volk gewagt hat, wird von dem Volke verworfen: „wir wollen nicht, daß er über uns herrsche!“ (Luc. 19, 27.)
Heimatlosigkeit, Unverstand und böser Wille und am Ende Erfolglosigkeit. Als er sein Haupt am Kreuze neigte, war seine Arbeit so erfolglos, als wäre sie nie geschehen und sein Werk ohne jede Aussicht; Finsternis um ihn und Nacht in ihm. Als er von der Erde schied, hat er ihr alles gelassen und sie war ebenso arm, ja noch ärmer als vorher; denn sie hatte ihren Freund erfahren, sie hatte Gottes Treue erlebt und hatte alles von sich gestoßen.
Gottes eingeborner Sohn kümmert sich darum, daß an dem Hochzeitstag armer Leute der Wein gebricht. Hört es: die Großartigkeit besteht nicht in der Pflege des Bedeutenden, sondern in der Pflege des Kleinen und in der Erbarmung mit den geringen Verlegenheiten des Lebens. Jesus hat sich um 5000, die kein Brot hatten, gesorgt. Er litt für arme, an des Tages Flüchtigkeit und der Erde Eitelkeit verkaufte Leute. Paulus schreibt an die Römer: „Es stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen dürfte vielleicht jemand sterben. Darum preiset Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren.“ (Röm. 5, 7 und 8.)
Für wen hat Christus gelitten? Für Herren, für Leute, deren Dank dann sein Leben verklärte? Für Persönlichkeiten, an die es wohl wert war, sein Leben zu wagen? Für hervorragende Leute? Keineswegs, sondern für die Ärmlichkeit deiner und meiner Seele.
| Wie arm ist die Seele, wenn sie leidet! Wie klein erscheint dir die Gabe, wie groß aber erscheint dir der Schmerz! Wie klein ist die Seele, wenn sie krankt! Dieselben, die mit hochtönenden Worten von Gott sich lösen können, sind ganz zerknirscht, wenn sie Zahnweh haben. Seht, für solche Leute ist Jesus gestorben. Wenn man denkt, daß der Herr Himmels und der Erde, dem alle Lobgesänge zu wenig und alle Lobsprüche zu gering sind, um Fischer, Schiffer und Zöllner sich kümmerte; wenn man nur eine Minute sich besinnt, wie er in ein enges, dumpfes Leben nicht nur sich hineindenkt, sondern sich hineinlebt und das zu seines Lebens Inhalt macht, dann begreift man, was leiden heißt.Wenn ein Fürstensohn sein Leben lang unter armseligen Tagelöhnern und unter ihren kleinen Sorgen hinbringen kann und ihre Sorgen teilt: Das tägliche Brot, das tägliche Arbeitsfeld, eine kleine, armselige Erholung und dann das Sterben, – dann rühmt man ihn, der es über sich gewann, solchen Leuten solche Dienste zu erweisen. Und hier ist der Sohn des Himmels, der Hohe, Reine, der König der Ehren, der Herr der Majestät und läßt sich in die engen Vorstellungen und in den niederen Gesichtskreis und in die Armseligkeit des Menschenlebens hineinbauen; und nie ist es ihm zu viel. So ist er für uns Gottlose ins Leiden gegangen.
Wenn also das Bekenntnis majestätisch spricht: empfangen vom heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau, gelitten – so steigt es drei Stufen abwärts: von Himmelshöhen in Erdenarmut, von Erdenarmut in Leidenstiefe.
Er hat gelitten. Nie ist die Freude anders als in der Erinnerung und in der Weissagung zu ihm gekommen. Nie ist die Sonne ihm anders aufgegangen als in der Erinnerung an das Verlassene und im Hinweis auf das zu Gewinnende. Ihm hat die Sonne nie gelacht, ihm hat der Himmel nicht geblaut, ihm hat die Erde nie Trost gegeben; denn er sah überall der Sünde Leiden. Wenn wir Schmerzen sehen, so lassen wir uns, wenn wir überhaupt Mitleid haben, an des Schmerzes Erscheinung genügen und wollen ihn nicht auf uns wirken lassen. Er aber hat nicht nur die Erscheinung gesehen: „das macht dein Zorn, daß wir so vergehen!“ – (Ps. 90, 7), sondern er hat auch immer wieder das Geheimnis mit neuem Staunen durchlebt, wie ein Mensch, in die Wahl gestellt zwischen Heimat und Freude und Fremde und Sünde, diese wählen und jene lassen kann.
Aber, Gott sei Dank, daß dieses große Leidensbild des Herrn nicht umsonst über der Erde erstanden ist. Seitdem er draußen vor dem Tore über jeder einzelnen Seele und über die Seele der| Menschheit und über dem Schmerz des Lebens beschwerlich litt und kämpfte, heißt es:Daß ich möchte trostreich prangen
Bist du sonder Trost gehangen.
Darum, und das ist das Letzte und das Höchste, darum hat er gelitten und hat die Schmerzen der Gottesferne getragen und ist ermüdet im Schifflein zusammengebrochen, darum hat er gelitten, damit ich endlich aufsehen und sagen könnte: ich habe noch eine Freude zu erwarten. – Es gibt nichts Betrüblicheres als die große Klage der Antike über das Menschenleben. Wenn ihr die größten griechischen Dichter des Altertums lest: Homer, Pindar und Sophokles, – den Epiker, den Lyriker und den Dramatiker – findet ihr ihre Werke voll von der Klage über der Menschheit Leiden. „O ihr Geschlechter der Menschen, wie gleicht ihr den Blättern der Bäume!“ sagt Homer. Und der andere: „Wie der Schatten eines Rauches zieht das Leben dahin!“ Und der Dritte ruft: „Es ist besser nie geboren werden oder doch in früher Kindheit sterben.“ Und all dem Leiden gegenüber steht Jesus und spricht: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ (Matth. 5, 4.) Weil er des tiefsten Leides tiefsten Hintergrund, die Gottesferne und die Sünde, getragen hat am Kreuz, darum spricht er: „Weine nicht!“ (Luc. 7, 13.) Und weil er so Großes getan und dem Leiden seine Kraft und dem Schmerz sein Recht und der Angst ihren Grund genommen hat, darum sprechen wir: „Deine Angst kommt uns zugut, wenn wir in Ängsten liegen.“
Ihr wißt, daß die Epistel des kommenden Sonntags, von einem Sterbenden geschrieben, mit den mächtigen Worten anhebt: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermal sage ich: Freuet euch!“ (Phil. 4, 4.) In der Antike findet ihr solche Klänge nicht. Die Freude ist ein kaum gegrüßter, schon wieder verlorener Augenblick, das Unglück, sagt der alte Heide, folgt so schnell| aufeinander, daß nicht einmal die Luft dazwischen sein kann. Und nun schreibt ein armer Mann, dem sie seine Familie genommen, seine Ehre in den Staub getreten, seine Freiheit entzogen, sein Leben verkürzt und des Todes Nähe heraufgeführt haben: „Freuet euch in dem Herrn allewege und abermal sage ich euch: freuet euch!“ (Phil. 4, 4.)Ach, es wär’ zum Weinen, wenn kein Heiland wär’,
Aber sein Erscheinen bracht’ den Himmel her.
Daß ich Einen habe in der großen, weiten, verlorenen Welt, da einer wider den andern ist und keiner des andern Sprache ganz versteht, bei dem ich mich ausweinen kann und nicht befürchten muß, mißverstanden zu werden, daß ich Einen habe, zu dem ich reden kann ohne viele Worte zu machen: „Du weißest, was Sünde und was Versuchung heißt, der du trägst die Sünde der Welt!“ und daß ich dann zu diesem Einen, andringend und eindringend, ganz mich auf ihn verlassend, sagen kann: Erbarme dich meiner! – Das ist die Freude, die das Leben stärkt. Wollt ihr euch um diese Freude bringen? Wollt ihr Jesum als den reichbegabten, geistvollen, über die Welt und das Weltwesen schätzenswerten Aufschluß gebenden Lehrer ansehen? Wollt ihr Jesum als den gelten lassen, der der Menschheit zeigt, wie man aus sich heraus immer vollkommener werden kann? Oder wollt ihr mit dem Bekenntnis der Kirche, das jetzt 1500 Jahre währt, – so lange besteht das apostolische Glaubensbekenntnis – sagen, er litt, damit ich Frieden hätte und durch seine Wunden bin ich geheilet? (Jes. 53, 5.)
Wenigstens sollt ihr wissen, daß nur in dem Manne der Schmerzen aller Frieden und nur in dem Leiden Jesu der wahre Grund alles Lebens liegt. Ihr sollt es wissen, und Gott lasse es euch erfahren!
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