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Der Bauernkönig

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Textdaten
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Autor: Schmidt-Weißenfels
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Titel: Der Bauernkönig
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 404-407
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[404]

Der Bauernkönig.

Die dritte Session des preußischen Abgeordnetenhauses unter der neuen Aera, die von 1861, hatte begonnen, Alles war wohlbestellt: liberale Minister regierten; aber fast drei Jahr lang regierten sie schon, ohne daß sie einen rechten Fortschritt gemacht hätten; eine liberale Kammer befand sich mit ihnen im zärtlichsten Freundschaftsverhältniß, durchgehends von wasserblauer constitutioneller Farbe, und so gouvernirt wie amüsirt durch den liberalen Junker Georg von Vincke, den allgewaltigen Kammerkönig. Nur nicht drängen, nur nicht fordern! hieß es vom Ministertisch herunter; nur nicht drängen, nur nicht fordern! hallte das Echo in der Kammer zurück; nur nicht drängen, nur nicht fordern! murmelte etwas seufzend das Volk nach.

Da plötzlich tritt in diese Versammlung der preußischen Abgeordneten eine hagere Gestalt mit einem schneeweißen Kopf. Aller Augen richten sich auf ihn; General Vincke wirft ihm einen seiner eifersüchtigen Mephistoblicke zu; Graf Schwerin lugt unter der Brille nach dem alten Mann hinüber mit dem tiefgefurchten Gesicht, auf dem ein Gemisch von Selbstbewußtsein und Bitterkeit, Mißtrauen und Gram, tiefem Ernst und Listigkeit seinen markanten Ausdruck gefunden.

„Waldeck! Waldeck!“ raunt Einer dem Andern zu, und neugierig recken sich die Hälse. „Waldeck ist wieder in der Kammer!“

So fliegt’s durch alle Zeitungen wie eine der wichtigsten Kunden, und weit über die Grenzen Preußens hinaus wird die Bedeutung dieses Ereignisses gewürdigt, denn mit ihm zog nach zwölfjährigem Exil, nach jahrelanger Verfolgung, Verhöhnung und Beschimpfung, die alte Demokratie wieder in die parlamentarische Arena, ernster und erfahrener geworden, versöhnt mit dem Bestehenden [405] und doch in ihrer Idee sich treu geblieben. Ja, da war sie nun wieder, die verwetterte Standarte der alten Demokratie, die aus einer wogenden Meinung eine strenge Schule, aus einer abstrakten Idee ein fester Körper von Fleisch und Blut geworden war – und gerade durch die Reaction, trotz ihr.

Benedikt Waldeck.

Jedermann fühlte, daß Waldeck, der nach mehrjährigem Zögern wieder ein Mandat angenommen, es deshalb gethan haben mußte, weil er etwas zu sagen hatte. Er war ein Haupt der Demokratie in Preußen, die seit dem Jahre 1858 wieder aufgelebt war und sich dem politischen Leben angeschlossen hatte, ohne anfänglich die Vertretung ihrer eigenen Sache zu verlangen. Sie hatte die wasserblauen Liberalen zu ihren Mandataren gemacht. Mit Waldeck’s Wiedereintritt in das parlamentarische Leben war es anders: jetzt war dieser der Mandatar seiner Partei und er hatte ihr die Losung für die nächste Zukunft zu geben.

Am 8. Februar 1861 schon bestieg Waldeck die Tribüne und sprach. Diese erste Rede, athemlos von der Versammlung mit angehört und von Beifall oft unterbrochen, war das gehoffte Ereigniß. Sie gab Vertrauen und contrasignirte den Versöhnungspact der Demokratie mit der Verfassung; sie klang den liberalen Ministern, dem Kammerkönig und den preußischen Girondisten wie Musik des Verdienstes in die Ohren; aber bei alledem tönte aus ihr doch die Idee der Demokratie hell und frisch heraus. „Drängen! Fordern!“ So klang der Refrain, und die Vinckeaner nickten in heimlicher Freude die Köpfe, daß ein Demokrat aussprach, was sie aus lauter Liebesgefühl auszusprechen sich scheuten, und die Demokratie zuckte elektrisch zusammen: Ja, drängen, fordern, was Recht ist und so viel wir das Recht dazu durch die Verfassung haben! Und im Lande, im Volke überall scholl es als mächtiges Echo zurück, wie tief und voll dem Herzen entstiegen: Ja, drängen, fordern, damit wir im liberalen Sumpf nicht stecken bleiben und Fortschritte mit der Verfassung machen!

So war durch Waldeck das Signal einer neuen Epoche der Demokratie gegeben, und der Gedanke seiner ersten Rede wurde bald darauf dem Programm der deutschen Fortschrittspartei, soweit es deren innere Politik betraf, einverleibt. Die Demokratie, die viel gelernt und glücklicher Weise auch viel vergessen hatte, war in die neue Fortschrittspartei aufgegangen, zum Zeichen, daß sie den revolutionären Boden von 1848 verlassen und den der gesetzlichen Reform betreten hatte.

Es lag etwas ungemein Versöhnendes gerade darin, daß Waldeck es war, der diesen Eintritt in die neue Bahn vermittelte. Er hatte von allen Führern der alten Demokratie wohl am meisten durch den Fanatismus der Reaction zu leiden gehabt; auf ihn vor Allem hatte sich der grimmige und blutgierige Haß derselben geworfen und ihn mit allen nichtswürdigen Mitteln um Freiheit und Ehre zu bringen gesucht. Wer entsinnt sich nicht noch des Hochverrathsprocesses, den ihm Herr von Hinckeldey auf Anstiften so elender Creaturen wie Ohm, Piersig und des noch jetzt im Preußenverein zu Berlin arbeitenden Gödsche im Jahre 1849 machen ließ? Das Bubenstück war so frech und gemein, daß zuletzt selbst der Staatsanwalt mit Entrüstung darüber sprach und Waldeck’s Freisprechung beantragte. Sie erfolgte zum stillen Grimm der Kreuzzeitung, und auch die verächtliche Aufforderung einiger Obertribunalsräthe an ihren demokratischen Collegen, wie ein Anrüchiger aus dem höchsten Gerichtshof der Monarchie zu scheiden, [406] blieb ohne Erfolg. Der Richter Waldeck hatte nichts mit dem politischen Charakter desselben, mit seiner Eigenschaft als demokratisches Haupt gemein. Nach wie vor sitzt Waldeck im Geheimen Obertribunal, dem er seit dem Jahre 1846 definitiv angehört, und kein Jurist als solcher wird leugnen, daß er eine Zierde desselben und seiner Wissenschaft ist. Das verhindert freilich nicht, daß ihn noch heut die preußischen Justizminister und viele Andere zum Teufel wünschten; aber Wünsche dieser Art giebt es frommer Weise in jeder Partei, und sie richten sich recht oft sogar selbst gegen die Minister.

Zwölf Jahre lang, von 1849 bis 1860, lebte Waldeck still und einsam lediglich seiner Rechtswissenschaft. Wie seine Partei, hielt er sich von allem politischen Leben Jahre lang fern; wie diese sammelte er neue Kräfte und blieb der Alte in seinem Glauben. Die Schule des Unglücks läuterte die Demokratie, befreite sie von ihren Irrthümern, verknüpfte sie inniger als zuvor mit dem wirklichen Leben.

Erst 1860 trat Waldeck wieder aus seiner Zurückgezogenheit heraus, indem er sich an dem deutschen Juristentag betheiligte. Ein Mandat lehnte er damals, wie die anderen Führer der Demokratie, noch ab – denn, wie gesagt, die Vincke’schen Liberalen hatten damals die Aufgabe der Zeit zu erfüllen. Erst als diese sich unfähig dazu zeigten, gab die Demokratie ihre passive Haltung auf, um vor Allem dem Ganzen, gewiß nicht um lediglich ihren Interessen zu dienen. Und dieser Waldeck, den die Reaction zu einem rothen Gespenst gestempelt hatte, vor dem alle Philister eine Zeitlang ein Grauen überkam und mit dem die Schulkinder wie mit dem schlimmen Nicolaus geschreckt wurden, dieser Waldeck trat nun auf wie ein ganz vernünftiger, ganz ungefährlicher Mann; die Philister schämten sich nun ihrer Angst und fanden, daß Waldeck gar kein so fürchterlicher Mensch sei; die Demokraten getrauten sich wieder, sich Demokraten zu nennen, nachdem der durch den Janhagel von 1848 entstandene und von der Reaction colportirte, anrüchige Nebenbegriff von Umstürzlern, Revolutionären und mordlustigen Communisten angesichts der wirklichen demokratischen Eigenschaften sich verloren hatte. Es dämmerte überall jetzt die Ueberzeugung auf, daß man einer politischen Gesinnung jeder Art dienen könne, ohne an seinem persönlichen Charakter dadurch beschädigt zu werden, und daß überall die Redlichkeit und Festigkeit der Parteimeinung von dem bloßen Maulheldenthum derselben zu unterscheiden sei.

So ist es gekommen, daß Waldeck heut bei allen seinen Gegnern in Achtung steht, denn man weiß es, er ist sich treu geblieben, in seinen Tugenden wie in seinen Schwächen – ein starrer Charakter, der lediglich das Ziel im Auge hat, dem er seit dreißig Jahren energisch nachgestrebt, und der niemals rechts und niemals links davon abweichen will, selbst wenn er dadurch an Popularität, vielleicht auch an praktischem Erfolg gewönne. Er ist eben ein alter Demokrat, der aus den Zeiten hervorgegangen ist, in denen die demokratischen Ideen erst zu geringer Klarheit im Volke gekommen waren und sich unreif meist nur in Studentendemonstrationen und literarischen Productionen äußerten. Mit echt westphälischer Zähigkeit bleibt Waldeck auf diesem Standpunkte; denn außer seinem Streben, die allgemeinen Principien der Demokratie in das Staatsleben einzuführen, richtet sich seit dreißig Jahren seine Hauptkraft darauf, die Freiheit der Gemeinde, des Bauers, als erste Bedingung staatlicher Freiheit, zur Geltung zu bringen.

Benedikt Waldeck ist am 31. Juli 1802 im alten Münster geboren, so daß er also seine Kindheit unter der Franzosenherrschaft verlebte, die mit der cäsarisch zugestutzten Einführung der Ideen der Revolution nicht eben Anstand nahm. Hier sind die Wurzeln der deutschen Demokratie überhaupt und auch die der Waldeck’schen Gesinnung zu suchen. Auf der Universität Göttingen, wo er mit Heinrich Heine zusammen Poesie und dramatische Scherze trieb, bildete er sich zum Juristen aus, und 1828 kam er schon als Oberlandesgerichts-Assessor nach Halberstadt, 1832 als Gerichtsdirector nach Vlotho in Westphalen, später nach Hamm als Oberlandesgerichtsrath und 1844 in das geheime Ober-Tribunal zu Berlin, dem er seit 1846 als Rath angehört.

Zu den Ideen aus der Franzosenherrschaft kamen selbstverständlich später die Einflüsse des verbotenen deutschen Liberalismus, der in Folge der Carlsbader Beschlüsse ein ziemlich die ganze gebildete Welt umfassender wurde und durch die Julirevolution wesentlich mit neufranzösischen Ideen gekräftigt, aber auch irritirt wurde. Wir deuten dies nur an, um damit zu sagen, daß Waldeck ebensowenig wie Anderen die politischen Grundsätze angeflogen sind, wie solche denn stets aus den Einflüssen der Zeit hervorgehen.

Mit instinctiver Zähigkeit hatte sich Waldeck – geleitet dabei unstreitig durch den angeborenen westphälischen Freisassensinn – schon in Vlotho mit den bäuerlichen Verhältnissen eingehend beschäftigt. Er faßte dieselben ganz den Ideen von 1789 gemäß auf, und in seiner ersten Schrift, „über das bäuerliche Erbfolgegesetz in Westphalen“, plaidirte er nicht nur für die freie Dispositionsbefugniß des Bauers über sein Eigenthum, sondern auch für die Stein’sche Agrargesetzgebung von 1807 – nebenbei gesagt, auch ein Resultat der französischen Revolutionsideen, wie alle Stein’schen Reformen und sonach wie das ganze damals neu errichtete Preußen. Insofern ist Preußen wirklich ein demokratischer Staat, unbeschadet, daß es ein königlicher ist.

Die angeführte Schrift machte viel Aufsehen und bestimmte die preußische Regierung, Waldeck’s Vorschläge zu prüfen. Er wurde sogar Mitglied der deshalb in Münster eingesetzten Commission, doch kam die Angelegenheit nicht zum Austrag. Im Jahre 1848 aber bewirkte Waldeck die Aufnahme eines darauf gerichteten Gesetzes in die Verfassung. Das war freilich nicht im Sinne der feudalen Aristokraten, sondern es war ein demokratische That; aber zufällig wurde sie außerdem auch sehr wohlthätig für die westphälischen Bauern und ist es bis heutigen Tages noch. Wie populär Waldeck sich durch alle diese Bestrebungen bei der ländlichen Bevölkerung gemacht hatte, deutet der Umstand an, daß man ihn damals, also in den 30er Jahren, in Westphalen allgemein nur den „Bauernkönig“ nannte.

In allgemeiner Beziehung äußerte sich die demokratische Gesinnung Waldeck’s auch in der Auffassung des Gerichtswesens. Er war es, der 1843 die Jubelfeier zu Soest anregte, wo von dem Richterstande das Princip gefeiert wurde, welches in der zehn Jahre zuvor erlassenen königlichen Verordnung des mündlichen und öffentlichen Gerichtsverfahrens in Bagatellsachen ausgedrückt war. Seine Rede bei diesem Feste machte durch seine begründeten Forderungen nach Justizreorganisation und Proceßgesetzgebung ungewöhnlichen Eindruck in den betreffenden Kreisen, und es war wohl ein schöner Triumph, als bald darauf diesen Forderungen entsprochen wurde und auch aus dem Gerichtswesen die alten feudalen Einrichtungen verschwanden. Das war auch wieder demokratisch, aber alle Welt, außer der Kreuzzeitung, findet es heut für sehr gut.

Die Bewegung von 1848 mußte natürlich von Waldeck, in welchem deren Geist schon längst gearbeitet hatte, mit großer Leidenschaftlichkeit erfaßt werden. Jetzt war ja die Zeit gekommen, da der Staat auf den Grundlagen der Demokratie reorganisirt werden sollte, da der noch bestehende mittelalterliche Feudalismus den Einrichtungen des bürgerlichen Rechtsstaates Platz zu machen hatte. Waldeck wurde in Berlin und anderwärts gewählt, und trat in die preußische Nationalversammlung, deren Vicepräsident er dreimal, zuletzt bei deren Auflösung, war.

Es gelang ihm, die verschiedenen Fractionen der Linken unter seiner Leitung zu einigen und damit das Haupt der Opposition in der Versammlung zu werden. Er nahm dadurch eine bedeutende Machtstellung ein, die ihm namentlich den Haß der Reaction zuzog. Und doch übte Waldeck immer nur einen mäßigenden Einfluß auf seine Partei aus, in der viel republikanische Tendenzen und wilde Leidenschaften herrschten. Durch geschickte Transactionen mit den Centren unter Unruh und Kirchmann schwächte er die meisten leidenschaftlichen Anträge der äußersten Linken ab und gewann für diese alsdann die Majorität. Unter den damaligen Umständen war es wohl ein Verdienst, so zu handeln, und doch an Ansehen und Popularität nicht einzubüßen.

Was nun Waldeck’s Thätigkeit in der Nationalversammlung von 1848 speciell betrifft, so dürfte heute von Seiten der Vernunft gar keine Anklage gerechtfertigt sein. Diese Thätigkeit war allerdings eine echt demokratische, aber sie war keineswegs revolutionär, noch unheilvoll, wie sich am besten durch die später folgenden Ereignisse herausgestellt hat.

Waldeck bewirkte die Einsetzung einer Verfassungscommission, deren Vorsitzender er wurde und welche die neue Constitution für Preußen entwerfen sollte. Ehe dieser Entwurf beendet war, erfolgte im November 1848 die Auflösung der Versammlung – [407] aber in der octroyirten Verfassung Manteuffel’s vom 5. December 1848 finden sich viele dieser zum Theil von Waldeck selbst gearbeiteten Commissionsentwürfe wieder vor. Waldeck entwarf ein Preßgesetz, das ebenfalls nicht zur Abstimmung kam; ferner die Habeas-Corpus-Acte, die angenommen ward; eine Aufruhr-Acte und eine neue Gemeinde-, Kreis- und Bezirks-Ordnung, die alle unerledigt blieben. Erfolgreich wirkte er auch für Aufhebung der aristokratischen Grundsteuerbefreiungen und, als entschiedener Gegner aller feudalen Vorrechte, gegen das Jagdrecht. – Darauf hat sich die Thätigkeit Waldeck’s in der Nationalversammlung von 1848 vornehmlich concentrirt, und sie macht dem Manne in Allem Ehre; kaum daß darin Spuren einer damals gewiß verzeihlichen leidenschaftlichen Ueberstürzung zu finden sind. Auch ist es ein schöner Zug Waldeck’s, daß er immer mit Liebe dieser constituirenden Versammlung von 1848 gedenkt, sie bei jedem Angriff vertheidigt, auf ihre Arbeiten als auf werthvolle zurückgreift. Gleich nach seinem Wiedereintritt in das parlamentarische Leben, 1861, stand er stolz für diese Nationalversammlung gegen die cynischen Angriffe des Kammerkönigs Vincke ein.

Zuletzt leitete er die energische Opposition des preußischen Parlaments gegen das Cabinet vom November. Er schloß sich dem Steuerverweigerungsbeschluß an und verfaßte die Anklageschrift auf Hochverrath gegen das Ministerium, präsidirt von demselben Cürassier-General Grafen Brandenburg, dem man kürzlich, Gott weiß wofür! ein Denkmal auf dem Leipziger Platz in Berlin gesetzt hat, just als sollte Waldeck, der alle Tage daran vorübergehen muß, damit geärgert werden. Wohl trat die Versammlung zuletzt über das äußerste formelle Recht, aber doch nur aus Nothwehr. Als auf einen Wink von Waldeck ein erbitterter Bürgerkrieg losbrechen konnte, da empfahl er Ruhe und passiven Widerstand. Heut’ lächeln wir über diesen, namentlich wenn wir der Bürgerwehr gedenken; aber daß allein die Selbstbeherrschung Waldeck’s und seiner Freunde ein unendliches Unglück verhütete, das darf ihm als Verdienst nicht vergessen werden.

Für die durch die octroyirte Verfassung im Februar 1849 berufene zweite Kammer wurde Waldeck nicht weniger als sechs Mal gewählt. Die Thätigkeit in dieser Versammlung war um so geringer, als das Ministerium absichtlich keine Arbeiten vorlegte und sich alles Interesse auch nur um die deutsche Frage drehte. Waldeck setzte zuletzt aber doch durch, daß dem Ministerium wegen des verhängten Belagerungszustandes ein Mißtrauensvotum gegeben wurde, in Folge dessen die Kammer Ende April aufgelöst wurde. Das Ministerium war aber inzwischen durch die sich vollziehende Auflösung des Frankfurter Parlaments mächtiger geworden, die Reaction faßte überall Fuß, und die unglücklichen Aufstände in Dresden und am Rhein boten ihr die vortrefflichste Gelegenheit, endlich den beschlossenen Vernichtungskrieg gegen die Demokratie zu unternehmen. Es mußte ein Hauptschlag sein, wenn es gelang, sie in ihrem mächtigsten Chef, in Waldeck, zu treffen, und da man rechtlich dem Manne nichts anhaben konnte, so sorgten die elenden Handlanger der Reaction, daß es mit der Lüge geschehen könne. Am 16. Mai 1849 verhaftete man ihn und klagte ihn des Hochverraths an; aber mehr als alles Andere sagte schon damals der Instinct dem Volke, daß nur die Bosheit und Niedertracht ihn dessen zeihen konnte. Und der Instinct war richtig – mit der Freisprechung Waldeck’s hatte die Demokratie eine Ehrenerklärung erfahren und an Moral außerordentlich vor der herrschenden Reaction gewonnen. Von diesem Zeitpunkt an ist auch ihre innere Kräftigung, ihr neues Leben zu datiren.

Die mit dem Jahre 1861 wiederbegonnene parlamentarische Thätigkeit Waldeck’s ist in Wahrheit eine Fortsetzung der früheren. Der alte Demokrat ist noch heute derselbe. Welche Folge seine erste Rede hatte, haben wir bereits erzählt. Waldeck war der Einzige seiner Partei in der Kammer von 1861, aber er griff nichtsdestoweniger rührig in die Verhandlungen ein. Die demokratische Reform der Gemeindeverfassung und der Agrarverhältnisse rief auch diesmal wieder all seinen Eifer wach, den man mit Unrecht seine Einseitigkeit, seinen Eigensinn nennt; gerade auf diesem Gebiet ist er der alte, zähe Demokrat von Verdiensten. So stimmte er 1861 gegen die Grundsteuer, polemisirte gegen die neue Militärorganisation, arbeitete an den Bergwerksgesetzen und an dem Bericht über das Handelsgesetzbuch und dessen Einführung. Auch forderte er die Wiederherstellung der Gemeindeordnung von 1850 und brachte in der nächsten Session, in der die Demokratie zahlreicher vertreten war und welche deshalb auch bald aus lauter Angst aufgelöst wurde, einen revidirten Entwurf derselben mit Motiven ein, ohne daß es ihm jedoch damals schon gelang, ihn zur Verhandlung im Plenum zu bringen.

Waldeck ist jetzt ein Mitglied der Fortschrittspartei, welche die Majorität des Abgeordnetenhauses bildet. Nicht in Allem harmonirt er mit ihr, und man beklagt sich manchmal im Stillen darüber, sieht den alten Mann oft mit Mißmuth seinen eigenen Weg gehen. Man hat Unrecht. Waldeck ist und bleibt der Träger eines fest ausgeprägten demokratischen Gedankens, der eigentliche Bildner der alten demokratischen Partei in Preußen. Wenn er manchen Bestrebungen, namentlich der jüngeren Demokratie, auch etwas fremd gegenübersteht, so muß man bedenken, daß er darum in der Idee mit ihr doch vollständig eins ist und durch sein Alter ein Recht hat, den Jüngeren ihre Specialitäten allein zu lassen, wie er die seinige noch immer jugendkräftig vertritt. Namentlich in der deutschen Frage, heut die Basis unserer Demokratie geworden, auf der alle ihre Sonderinteressen einheitlich ineinander laufen, steht Waldeck nicht durchaus auf dem Programm der deutschen Fortschrittspartei. Nichtsdestoweniger hat er in einer Rede vom 2. März 1861 über diesen Gegenstand sich klar und bezeichnend ausgedrückt. Er erkannte darin die Bestrebungen des Nationalvereins an, die Nothwendigkeit eines deutschen Centralparlaments, in dem aber auch Deutsch-Oesterreich vertreten sein soll; er erkannte das Anrecht Preußens auf die erste Rolle in Deutschland an, aber er meinte auch nicht mit Unrecht, es könne dasselbe erst dann verwerthen, wenn es in seinem Innern freiheitlicher entwickelt sei, und es müsse um seiner deutschen Mission willen also vor Allem darauf hinarbeiten, sich selbst erst besser – begehrlicher zu machen. Danach würde es nun wohl nicht so schnell mit dem neuen Deutschland gehen, welches das deutsche Volk an die Erben Friedrich’s des Großen übertragen möchte.

Schmidt-Weißenfels.