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Der Blitz in Amerika

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Textdaten
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Autor: Theodor Kirchhoff
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Titel: Der Blitz in Amerika
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 812, 813
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[812] Der Blitz in Amerika. Mit Bezugnahme auf den in Nr. 33 (1872) der „Gartenlaube“ enthaltenen belehrenden „Blitzartikel“ von H. J. Klein wird es Solchen, die mit den Witterungsverhältnissen bei den Antipoden nicht bekannt sind, gewiß interessant sein, zu erfahren, daß Californien und Oregon gleichsam meteorologisch privilegirte Länder sind, in denen der Blitz wenig oder gar nichts zu sagen hat. Der Tod durch einen sogenannten Donnerkeil mag, nach der unbestrittenen Angabe meines gelehrten Mitarbeiters unserer „Gartenlaube“, ein besonders angenehmer und daher ein wünschenswerther sein; aber wir Goldlandbewohner ziehen das Sterben in einem Springfederbett, oder, wenn es ein gewaltsames sein muß, durch einen ritterlichen Revolverschuß jenem fremdartigen Todesboten, von dem man nicht weiß, ob er aus der Erde heraus oder vom Himmel herunter gefahren kommt, denn doch bei Weitem vor! – Hier im Goldlande sind die Gewitter eine noch seltnere Erscheinung, als in Deutschland ein Erdbeben. Seit zehn Jahren wohne ich an der Westküste Nordamerikas und erinnere mich, während dieser langen Zeit nur zwei Gewitter dort erlebt zu haben: ein ziemlich heftiges im vorigen Jahre während einer stürmischen Mitternacht in San Francisco und eins, wenn ich nicht irre, vor fünf Sommern in The Dalles in Oregon. Ein sich an einem Telegraphenpfosten einen bissigen Mosquito von der Seite abreibender Ochse ward das Opfer des letztgenannten Gewitters und wurde der Getödtete von den Bewohnern jenes Goldhafens damals mit großem Mitleid betrachtet, so zu sagen als ein Märtyrer seines Glaubens an die Nichtigkeit der Gefahr vor Gewittern in Oregon. Außer jenem tragischen Todesfälle habe ich nie vernommen, daß ein lebendes Wesen an dieser Küste vom Blitze erschlagen worden sei.

Kurze Zeit nach der Entdeckung des Goldes in Californien, als dieses bis dahin fast ganz unbewohnte Land wunderbar schnell besiedelt wurde und neue Städte wie Pilze aus der Erde wuchsen, kam ein speculativer Yankee auf den unglücklichen Gedanken, eine Schiffsladung von Blitzableitern von Boston nach San Francisco zu senden, an welchem letzteren Orte er dieselben an die Besitzer neuer Gebäude mit etwa fünfhundert Procent Nutzen vortheilhaft zu verkaufen hoffte. Den Aerger des Yankee, mit seinen schönen stählernen Stangen in ein blitzloses Land gekommen zu sein, kann man sich vorstellen!

Was aus den paar tausend Blitzableitern geworden ist, vermag ich mit Gewißheit nicht anzugeben (eine Anzahl derselben soll als Fenzpfosten Verwendung gefunden haben); sicher ist aber, daß nie einer derselben den Giebel eines californischen Hauses oder einer californischen Kirche gekrönt hat, denn es wäre Unsinn, einen Blitzableiter in diesem Lande aufzustellen. Franklin hätte, wäre er ein Californier gewesen, nie die Natur des Blitzes entdecken und den elektrischen Funken, der jetzt, dem Menschen dienstbar, Länder und Welttheile verbindet, vom Himmel herabholen können. Jener Blitzableiter-Importeur aus dem Yankeelande aber wird Franklin wenig zu Dank verpflichtet gewesen sein; seine meteorologische Unkenntniß Californiens mußte er mit dem Ruin seiner zeitlichen Güter büßen und wurde obendrein noch verlacht.

Was die Ursache jener fast gänzlichen Abwesenheit von Gewittern an dieser Küste sein mag, darüber eine Erklärung zu geben, steht leider nicht in der Macht meines Wissens. Aber als von großem Segen muß dieselbe für das Goldland betrachtet werden; und wenn uns dafür die Mutter Erde mitunter ein klein wenig rüttelt und schüttelt, so geschieht ja auch dieses hier in San Francisco stets auf freundliche Weise und gewiß nur deshalb, damit wir Bewohner des herrlichen Goldlandes uns auf die bevorzugte Stellung unserer Adoptivheimath unter den Ländern dieser Welt nicht zu viel einbilden sollen. Jedenfalls sind die Erdbeben in San [813] Francisco, welche hier bislang nur den Schornsteinen und Dachgesimsen ein Leid zugefügt und in zwanzig Jahren blos sage zwei unvorsichtig unter einem einstürzenden Schornstein stehende Chinesen erschlagen haben, den Gewittern im Osten Amerikas, deren Opfer jährlich nach Hunderten von Menschenleben gezählt werden, bei Weitem vorzuziehen.

San Francisco, am 1. November 1872.

Theodor Kirchhoff.