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Der Bosporus

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CCCCII. Havre, von der Stromseite Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band (1842) von Joseph Meyer
CCCCIII. Der Bosporus
CCCCIV. Frithiofs Bauta
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DER BOSPORUS

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CCCCIII. Der Bosporus.




Aus den Gegensätzen quillt das Leben, der Tod gebiert die Ewigkeit, der Widerstand die Bewegung. Auch für die Bewegungen der Geschichte stellen sich zwei große Gegensätze als Hauptelemente dar: – die Staaten, welche wachsen, und jene, welche welken. In jenen ist selbstbewußte Kraft, Ausdehnungstrieb, Zukunft: in diesen Schwäche, Erhaltungspein, Hoffnungslosigkeit; dort herrscht freier Lebenstrieb: hier Uebergang zur Erstarrung; dort ist nichts stabil, als die Veränderlichkeit; – Neugeburt ist überall und Wechsel allenthalben: hier strebt Alles zur Beharrlichkeit im Alten hin, zur Verknöcherung, Verstockung; – dort ist Licht in Wissenschaft, Kirche und Staat: hier Lichtscheu und Dunkelheit, Tyrannei statt Regiment, Aberglaube statt Religion.

Schreiten die Begebenheiten ruhig und langsam fort, dann ist die Wechselwirkung dieser Gegensätze mild und ohne Drang. Der welkende Staat schrumpft in dem Maße ein, als der wachsende sich zu ihm ausdehnt, und um den Sterbenden rankt das junge frische Leben schon, ehe ihn der Tod erlöst. Die Metamorphose geht still und leise vorüber. Aber in den Zeiten großer Umbildungen tritt die Schärfe des Widerspruchs grell in den Tag hinaus und statt des ruhigen Dabinsterbens sehen wir Agonie oder gewaltsame Tödtung. Unsere Zeit aber hat die wunderliche Ungereimtheit an sich, daß, während sie selbst einer großen Epoche des Umbildens und Umgestaltens aller menschlichen Verhältnisse notorisch angehört, dennoch ihre Faktoren mit einem fast fanatischen Eifer bemüht sind, Altes zu stützen und Absterbendes am Leben zu erhalten. So ist und das seltsame Schauspiel gegeben, daß, während die lebenskräftigsten unter den Staaten ihre Wurzeln immer weiter und tiefer in die Erde schlagen, während ihre Zweige, wie die der Eichen, in die Lüfte wachsen und sich immer breiter entfalten, während ihr Gewächs grünt, blüht, Früchte trägt und Saamen um sich streut, und sich fortpflanzt, als Colonien, in allen Zonen: doch ihre Lenker zusammentreten, um die Thorheit aller Thorheiten zu begehen, nämlich todte Massen neu zu beleben, und jenen Staaten, deren Rolle ausgespielt, deren Tag vergangen, deren Geschichtsblatt voll geschrieben ist, ihren Bestand gewaltsam zu verlängern. Das ist ein krankes Streben, das Hülfe bei den Todten sucht, und das ist ein unvernünftiges Streben, welches die eigene Kraft an die fremde Hinfälligkeit vergeudet, und Der thut Unrecht, der die Ansprüche der frischen, lebendigen Gegenwart einer rechtlosen Vergangenheit zum Opfer bringt. Wo die Dynastien und Staaten abgelebt sind, da sind ihre Rechte und Befugnisse an den Völkern haften geblieben, [82] und es ist Hochverrath an dem eignen Beruf, sie in der Ausübung dieser Rechte und Befugnisse zu hemmen. Oder meinen die Gewaltigen, sie könnten und dürften den Pulsschlag der Kulturgeschichte regeln, wie den Umlauf des Geldes? Sie mögen sich solchem Wahne hingeben, aber sie thun es auf ihre eigene Verantwortung. Die Zeit wird sie belehren, wie arg ihr Bahn gewesen, und ihre Ernte wird der Aussaat gleichen.

„La Turquie: – voila un cadavre! war das kecke Ministerwort Sebastiani’s vor 10 Jahren. Ihn Lügen zu strafen, standen seitdem die Fürsten Europa’s zusammen. Soll etwa das Reich Osmans das Räthsel der Sphynx erneuern? soll aus seiner leblosen Gegenwart seine glorreiche Vergangenheit neu auferstehen? Wie würden die restaurirenden Könige zusammenschrecken, wenn also geschähe? Nein, so Großes wollen sie nicht! Hülflos haben sie das greise Sultanat ausgesetzt, hülflos seinen Schicksalen preis gegeben, und sie halten den Verderber nur noch ab, damit die Agonie sich verlängere. Scheint es ihnen doch recht zu gefallen, den Türkenstaat in Ohnmacht zu sehen, umringt von Schrecken und Gefahren, die von allen Seiten auf ihn eingedrungen sind. Die Christenmächte scheint dieses Marterleben des altersschwachen Erbfeindes zu freuen, über den die Angst so Herr geworden ist, wie einst der Schrecken vor ihm über sie selbst Herr war. Ernst ist’s ihnen gewiß nicht damit, neue Formen für ihn auszusinnen und sie wie künstliche Blätter dem welken Gewächse aufzusetzen, daß sein Wachsthum sich neu belebe; sie wollen nur seine letzten Lebenstriebe darin auffangen, sie nach ihren bestimmten Ansichten umzubilden, damit, wenn die Stunde reif ist, wo sie die große türkische Erbschaft, ohne Codizill und Testament, theilen werden, sie solche faßlicher vorfinden. Aber diese herzlose, künstliche Berechnung hebt sich wohl von selbst auf, wenn der Herr seine Zeit ersehen hat, und leicht könnte es dann kommen, daß Völker theilten, während die Könige noch die Loose mischten. Es wäre in der That der Fürsten-Curatel Meisterstück, wenn es dieser gelänge, an ihre vielgliederige Kette der Causalität die Zukunft des byzantinischen Orients zu fesseln, der jetzt, wie ein Bleigewicht, an den Sohlen Europa’s hängt.

„Es gibt –“ mit den Worten eines Andern zu reden – „drei verhängnißvolle Stätten auf der Erbe, drei Weltringe, an die sich die Schicksals-Fäden des menschlichen Geschlechts hängen: am Jordan, an der Tiber, am Bosporus. Fast so lange als unser Geschlecht Geschichte macht, war es dem magischen Schimmer der drei ewigen Städte unterthan: Jerusalem ist die Wiege, Rom das Sinnbild des weltbeseligenden, universellen Christenthums, sein Gegensatz ist Konstantinopel mit dem erstarrten Morgenland.“ Aber einen ureinsäßigen, jetzt noch lebendigen, mit der Urbs aeterna gleich unsterblichen, unaustilgbaren Reichsgenius von Byzanz, als zweites Element der christlichen Welt, kann ich doch nicht erkennen. Mag es gleich zugestanden werden, daß das ganze faule Gezimmer der osmanischen Monarchie, die Eintheilung der Provinzen, die Hierarchie des öffentlichen Dienstes, die Art der Aemter, die Formen der Verwaltung und alle die Gräuel und Produkte [83] der Willkühr und Tyrannei: – Stellenverkauf, Lüge, Trug, Diebstahl der Obrigkeit, Erbarmungslosigkeit und permanente Verschwörung des Fiskus gegen Gut und Eigenthum der rechtlosen Unterthanen ein byzantinisches Erbe sind und daß die Türken in der Beherrschungs- und Verwaltungsweise des Landes nur die Namen änderten, nicht einmal die Modalitat, geschweige den Grundsatz; mag also auch das cohärente Fortleben des byzantinischen Reichsphantoms im Scheine des Halbmonds nicht abgeleugnet, mag auch zugegeben werden, daß die aus Turkestan vor 4 Jahrhunderten hereingebrochene Gewalt im Sinne und Blut mit Ost-Rom eins geworden ist und sich am Hofe nichts geändert hat, als der Glaube: – das Unmögliche einer Wiederherstellung des türkischen Orients aus ureigner Kraft ist doch bei der augenfälligen Verwesung nimmer in Abrede zu stellen! Wäre der Islam nicht selbst in Widerpart mit sich und nicht in sich selbst zerfallen, dann wäre noch eine Chançe da; aber die Rolle des Padischah ist ausgespielt, sein religiöses Scepter ist zerbrochen, der Ruf des Großherrn sammelt nicht mehr die Völker des Ostens unter die Fahne des Propheten. Todte Ideen, erloschene Gluthen, entflohene Geister werden dort nicht wieder in’s Leben beschworen. Und darum sollt Ihr, – zumal Euern verzagten Händen voller Neid und voller Furcht vor einander die Titanenfunktion so übel ansteht, den fallenden Coloß des Türkenreichs im Sturze aufzuhalten, – Euch ermuthigen zum Vollzug Dessen, was Ihr heimlich in Eurer Seele Alle beschlossen habt. Schreibt für die Familie Osmans eine Ordonnanz, wie Napoleon einst für die Braganzas that, und schickt Flotten, Heere – Ihr habt sie ja! – zu des Bosporus Ufern, Euer Decret zu vollziehen. Macht schnell und fesselt die schon getheilten Völker durch nachdrucksvolle That! Oder wollt Ihr das nicht, so sprecht ein großes Wort zu einem großen Versuch: stellt den Thron des jungen regenerirten Griechenlands in die Siebenhügelstadt, ärntet dafür den Applaus der Welt und, vielleicht! auch in der Geschichte ein dankendes, ehrendes Blatt! –


Wir wollen nun den Bosporus selbst betrachten. „Wie eine ungeheuere Wasserschlange in sieben Windungen“ streckt sich diese Meerenge drei Meilen lang vom Meere von Marmora zum Euxinus hin, welcher seine Fluthen in jenes ausgießt. Sind die nächsten Umgebungen der alten Constantinsstadt landeinwärts wenig angebaut, öde, kahl und menschenleer, so sind dagegen die Thäler, die Abhänge und Gestade des Bosporus entzückend, und seit Jahrtausenden der gepriesene Wohnsitz einer dichten Bevölkerung und sorgfältiger Kultur. Anmuthige Gärten, Lustwäldchen, Flecken und Dörfer, Sommerpaläste, Landhäuser und Kiosks, prächtige Springbrunnen und die auf Vorgebirgen und Höhen malerisch gelegenen alterthümlichen Vesten, oder die Trümmer aus der griechischen und christlichen Vorzeit, gewähren ein Bild voller Reiz und Mannichfaltigkeit. [84] Prächtig ist das Thor zu allen diesen Schönheiten: die Einfahrt aus dem schwarzen Meere. Die von den blauen Gewässern sich kühnaufthürmenden Felsenvorgebirge tragen, als Wächter und als Wegweiser der Nacht, Leuchtthürme auf ihren Scheiteln und die gewaltigen Mauern der beiden Vesten, Phanaraki auf asiatischer, und Rum-Ili auf europäischer Seite. Beide Forts sind Denkmäler der Macht der Genuesen in diesen Gegenden, und noch sieht man über den Thoren das Wappen der stolzen Republik. Nicht weit von der Einfahrt treten die Bergkette des Olympos und von der entgegengesetzten Seite die des Hämus auf einander zu und die Ufer des Kanals rücken zusammen. An dieser zur Vertheidigung der Einfahrt so günstigen Stelle sind auf beiden Seiten Batterien aufgestellt und Citadellen und Forts (Phil-Burun, Poiras etc. etc.) bedecken die Höhen in der Nähe, deren schwere Geschütze die Meerenge bestreichen. Die Gestade selbst sind steile Feldwände und die Strömung ist hier sehr heftig. Keiner Flotte ist es möglich, die Durchfahrt zu forçiren, wenn die Geschütze (man zählt in den Bosporusbefestigungen überhaupt an drittehalbtausend) nur einigermaßen gut bedient werden.

Es war dieser Punkt schon bei den Alten von strategischer Wichtigkeit, und er wurde durch manches welthistorische Ereignis berühmt. – Weiter abwärts in geringer Entfernung erhebt sich ein Vorgebirge steil und drohend; es ist der Riesenberg, und dahin versetzt die türkische Legende das Grab Josua’s, des judäischen Eroberers. Als heiliger Ort wird er von Wallfahrern häufig besucht, und Josua verrichtet hier so gut Wunder und spielt den Universaldoctor so vortrefflich, als irgend einer aus der christlichen Heiligenschaar, oder eine „Mutter Gottes voller Gnade.“ Die Zöllner der Dummheit fehlen hier ebenfalls nicht; ein Derwischkloster steht am Berge und die Opferpfennige mästen die trägen Bäuche vortrefflich.

Weiter abwärts, auf asiatischer Seite, sieht man zwischen Platanengruppen hindurch in ein schönes Thal, – das „Thal des Großherrn“ und eine Reihe Marmorstufen führt zum Gestade, das nach ihnen den Namen Chunkar Ikelessi bat. Der schöne kaiserliche Kiosk ist in eine für Rechnung des Schatzes verwaltete Papierfabrik umgewandelt worden; gegenüber auf der europ. Seite glänzen die Sommerwohnungen der christlichen Gesandten und Botschafter um Bujukdere; es ketten sich dort Gärten, Paläste und Kiosks in ununterbrochener Reihe an einander. – Im Thale des Großherrn war es, wo 1833 das russische Hülfsheer lagerte, das herbei eilte, als nach der Schlacht von Koniah dem Pascha von Aegypten der Weg nach der türkischen Hauptstadt offen stand. Mehemed Ali war freilich der Mann nicht, der den Geist des scheidenden Türkenreichs beschwören konnte. Der große Augenblick ging vorüber. – Nahe an Constantinopel macht der Bosporus zwei kleine Bayen voller Anmuth, die Bay von Sultanieh, mit einem kaiserlichen Kiosk, und von Kandlidsche, mit einem Flecken gleichen Namens, bei dem sich eine große Moschee aus einem Kranze von Platanen erhebt. Gleich unterhalb derselben verengt sich der Kanal wieder und zwei Vorgebirge rücken gegen einander. An dieser zur Befestigung wieder sehr geschickten Stelle drohen [85] die Citadellen Rumili-Hissar auf europäischer, Anadoli-Hissar auf asiatischer Seite. In den ungeheuern Casematten der letztern ist es, wo von jeher die in den Fehden mit den christlichen Mächten gemachten Gefangenen aufbewahrt wurden, und mit Schaudern erblickt man diese scheußlichen Kerker, wo die herzlose türkische Barbarei, zu deren Erhaltung jetzt die europäischen Könige zusammenstehen, mehrmals die unglücklichen christlichen Krieger verschmachten ließ. Bei Rumili-Hissar geht eine enge Schlucht herab, in deren Tiefe der Bach Göksu seine Gewässer dem Bosporus zuführt. Verfolgt man diesen Bach, so gelangt man in den reizendsten Grund von Constantinopels Umgebung, in das Thal der himmlischen Wasser, mit einem Kiosk des Sultans und den Landhäusern vieler Großen. Hier ist an jedem heitern Tage im Sommer die vornehme Welt der Hauptstadt versammelt, und unzählige Gruppen lagern malerisch im Schatten der Platanen und Cypressen an den rieselnden Quellen, die zum Theil als Springbrunnen gefaßt sind. Auch die Frauen fehlen dann nicht. Der vornehme Türke führt sie in mit Stieren bespannten Wagen hinaus; aber um die verschleierten Gestalten kreisen mißtrauische, wachsame Hüter und weisen jede ungehörige Neugier zurück. In dem bunten Gewimmel spielen die Verkäufer von Erfrischungen eine Hauptrolle; auch der wandernde Conditor trägt Zuckerwerk, Crêmes und dergleichen Näschereien im breiten Korbe auf dem Kopfe umher. Aber der nüchterne Türke trinkt bloß Wasser, das er im heißen Sommer mit Schnee kühlt, den die Handler aus dem Gebirge in kleinen Ballen zum Verkaufe herbringen. Er legt einen Schneeballen vor dem Ausguß seines Kruge, und das durchfließende oder sickernde Wasser erlangt dadurch die gewünschte Kühlung. – Zunächst Skutari erhebt sich das Vorgebirge Candilli über einem schönen Flecken desselben Namens, und auf seinem Scheitel prangt der kaiserliche Sommerpalast Tshengel-Köi; in unmittelbarer Nähe desselben aber die Lustörter Beglerbeg und Istawros ebenfalls mit großherrlichen Schlössern. Nun beginnt Skutari selbst, und gegenüber breitet das Häusermeer Constantinopels über sieben Höhen und Thäler sich aus.

Auf europäischer Seite liegt die größte Menge der kaiserlichen Sommerresidenzen. Manche sind in einem verfallenen Zustande, denn es ist die Gewohnheit der türkischen Herrscher, daß jeder sich selbst einen neuen Palast am Bosporus baue; die Menge der Schlösser wird dadurch maßlos vermehrt, und über das Neue das Alte vernachlässigt. Auch der jetzige Sultan hat unweit Skutari einen neuen Palast, den sein Vater schon anfing, aber nicht vollenden konnte. Der Tschiragan prangt nach dem Meere zu mit einer prachtvollen Säulenfaçade von Marmor. Wundervoll ist die Aussicht von der Terrasse dieses Schlosses auf Constantinopel und die Ufer des Bosporus. Doch im Innern ist Flitterkram statt solider Pracht, und man sieht’s an der ganzen Ausstattung, daß die goldnen Tage des Sultanate vorüber sind. Unfern davon stehen die Paläste der dem Beherrscher der Gläubigen gestatteten sieben Sultaninnen, deren lange Fronten mit vorspringenden Erkern [86] sich malerisch genug ausnehmen, ohne indeß Anspruch auf architektonische Schönheit zu haben. Alle Fenster derselben sind dicht vergittert, die Gärten, welche sie umgeben, mit hohen Mauern umschlossen und schwarze Verschnittene halten die Wache an den Pforten. – Noch einen Blick auf Rumili-Hissar, ehe wir vom Bosporus scheiden! Diese alte Veste diente seit den letzten 2 Jahrhunderten als berüchtigte Bastille, deren Thore sich dem Unglücklichen nur einmal öffnen, denn zurück kehrt Keiner. Weder Ansehen der Person, noch Rang, noch Verdienst schützen; über Hoch und Niedrig waltet dasselbe Verhängniß, Alle vernichtet hier des Despotismus eiserner Arm mit gleicher Unerbittlichkeit. Wer dem Sultan oder seinen Favoriten im Wege ist, der verschwindet in diesen schaudervollen Kerkern, wo keine Erlösung ist, als durch die seidene Schnur, oder den Säbel der schwarzen Sklaven, die hier Henker und Kerkermeister zugleich sind. Nach Sonnenuntergang darf sich kein Fahrzeug in der Nähe dieses unheimlichen Schlosses blicken lassen; denn alle Opfer werden in verschlossenen Barken bei Nacht hierher gebracht und die türkische Hofjustiz will richten ohne Zeugen. In den bewegten Zeiten des vorigen Sultans war das Aufheben hochgestellter Personen an der Nachtordnung. Man sagte dann, sie seyen in Rumili-Hissar begraben, und kein Mensch wagte es, weiter zu forschen. – Das Vorgebirge, auf welchem die Veste steht, ist das Hermäon der Alten. Hier schlug Androkles jene berühmte Brücke über den Bosporus, über welche Darius sein zahlloses Perserheer führte, Europa unter das asiatische Joch zu beugen. Ein Fels, auf dem jetzt einer der Festungsthürme steht, war zu einem Throne ausgehauen, und von ihm herab betrachtete der König das stolze Schauspiel des Heerübergangs. Weltherrscher-Gedanken mochten hier in seiner Seele lodern, als die Brücke unter den Tritten der ungezählten Schaaren der Krieger, Rosse und Elephanten donnerte. Armer Darius! deine Macht konnte wohl die Wasserkluft zweier Welttheile überjochen und des Bosporus Felsen erschüttern, aber nicht die Herzen und den Himmel der Freiheit. Dir ging’s wie allen Despoten; es fehlte dir für die Freiheitskräfte der Maßstab, denn der Despot kennt keinen andern, als den von seinen Sklaven hergenommenen, und wie trüglich der ist, hat sich immerfort bewiesen, vom Tage bei Marathon an, bis zu den Heldenkämpfen am Kaukasus.