Der Eid und das Kind in spe

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Die Dorfschenke W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Der Eid und das Kind in spe
Der Geschmack der großen Welt
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Der Eid und das Kind in spe.
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DER EID UND DAS KIND IN SPE.
WOMAN SWEARING A CHILD.

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Der Eid und das Kind in spe.


(A woman swearing her Child to a grave citizen.)




Ein bekanntes englisches Rechtsverfahren bei gerichtlicher Bestimmung der Vaterschaft von unehelichen Geburten bietet den Stoff zu diesem Blatte, welches zu den frühesten Werken des Künstlers gehört. Wann Hogarth die Composition entwarf, läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben; wahrscheinlich fällt dieselbe in diejenige Zeit, wo er noch als junger Mann für Buchhändler arbeitete. Das Blatt bot nämlich ein Titelkupfer zu Picart’s Ceremonies religieuses, T. IV., welches Werk, 1735 in Amsterdam gedruckt, eine Rüge über das hier dargestellte Verfahren enthielt, wodurch der Meineid in mannigfachen Fällen erleichtert und sogar gewöhnlich wird. – Hogarth hat später das Blatt nicht wieder herausgegeben. Die Aechtheit ist jedoch unbezweifelt. Als Ireland seinen Commentar verfaßte, befand sich die Originalzeichnung im Besitze eines gewissen Whalley; wo sie seitdem hinkam, ist unbekannt.

Der Schauplatz ist das Zimmer eines Friedensrichters [Jusice of [682] the Peace, oder kurzweg Justice, oder ein Quorum mittimus[1]] und zwar eines Musters aus alter Zeit. Seiner Ehrn (His honour) ist offenbar ein Grundbesitzer, welcher den Namen zu den Akten hergibt, indem sein Schreiber (clerk) die Gesetzkenntniß für ihn ersetzt. Der Schrecken der Wilddiebe, gefallener Mädchen, Hasen, Füchse und Rebhühner, ist sicherlich ein zweiter Western[2] (den Fielding ja auch zum Friedensrichter macht), und hält Jagd und Flasche für die einzigen der Menschheit würdigen Beschäftigungen. Deßhalb heißt er auch Gunslead (Flintenblei). Wie es scheint, ist er auch für den Augenblick schon angetrunken und durchaus nicht im Stande, auf die vorgehende Handlung zu achten. Seine geistige Ausbildung wird durch die A-B-C-Bücher oder durch eine Kunst des Buchstabirens zur Genüge angedeutet, woraus seine Bibliothek besteht, und deren Titel zugleich mit dem Namen sein würdevolles Haupt gleichsam krönt (The art of spelling. Gunslead Justice).

Wie erwähnt, gibt der Friedensrichter durchaus nicht Acht auf die vorgehende Handlung. Sein Blick ist gedankenlos anders wohin gewandt, als auf das Mädchen. Die amphibische Natur dieser Schönen ist leicht zu erkennen. Der Eid ist ihr eben so gleichgültig, wie dem Richter. Der Vater ihres zu hoffenden Kindes steht hinter ihr, und flüstert ihr etwas in’s Ohr, vielleicht eine Beruhigung, oder den Namen des ehrsamen Bürgers, der als wohlhabender Mann auf den Eid des Mädchens die Ernährung des Kindes dem Kirchspiel abnehmen muß. Dieser ist ein Apotheker, wie man aus der Botanisir-Büchse erkennen kann. Seine Unschuld hoch und heilig betheuernd, hebt er die Hände empor; allein dies hilft nichts, weder vor Gericht noch vor seiner Frau. Diese Dame, welche wegen ihrer nicht sehr anziehenden Züge Grund zur Eifersucht zu besitzen glaubt, ist im Begriff, mit der einen Faust sein Gesicht zu bearbeiten, und schlägt ihm mit der andern die Botanisirbüchse [683] an den Bauch. – Den Meineid scheinen übrigens zwei Mädchen im Hintergrunde sehr wohl zu bemerken. Wahrscheinlich sind es Freundinnen der Hauptperson, welche den Eid ablegten, der arme Apotheker sei in verdächtiger Unterredung mit derselben mehrere Male von ihnen bemerkt worden. – Auch zwei Herren im Vordergrunde, wovon der Eine mit seinem Augenglase die mit dem Eid beschäftigte Gruppe betrachtet, scheinen den Zusammenhang der Sache sehr wohl zu durchschauen. Wahrscheinlich sind es Freunde des Friedensrichters, vielleicht von ihm auf sein Landgut eingeladen, welche sich die Zeit vertreiben wollen, indem sie bei den richterlichen Handlungen ihres sehr ehrenwerthen Freundes zuschauen und dieselbe critisiren. Einige Ausleger halten diese Figuren für Advokaten, allein es fehlen die Attribute des Standes.

Die andern Gerichtspersonen, welche bei der Handlung betheiligt sind, kümmern sich allein um die rechtliche Form. Der Schreiber, das Orakel des Friedensrichters in allen Fällen, ist damit zufrieden, daß die zweideutige Dame nach vorgeschriebenem Gebrauch den Eid auf das Evangelienbuch ablegt, welches er gleichgültig hinhält. Der eine Gerichtsdiener ist nur gegenwärtig, weil seine Anwesenheit zu den Erfordernissen seines Amtes gehört; der Büttel des Kirchspiels (parish beadle), eine stehende Figur bei allen ähnlichen Auftritten, hält den Pöbel im Respect, und ist im Begriff, die Thür vor ihm zuzuschließen.

Das Kind des Friedensrichters, ein kleines Mädchen, nimmt mehr Interesse an der Handlung, wie der Papa mit seinen dienstbaren Geistern. Sie parodirt in aller Naivität das ganze Verfahren, indem sie ihren Wachtelhund (spaniel) ein ähnliches Manöver, wie den Eidschwur, ausführen läßt.

Etwas sonderbar ist eine Ausschmückung des Zimmers. Der Friedensrichter, ein zweiter Justice Shallow (Einfaltspinsel), der nicht einmal lesen kann, hat an der Wand, um diesen Mangel zu verdecken, eine Himmelscharte aufhängen, seinen Studirtisch mit Sternen ausschmücken, und seinen Plafond mit einem Sternbilde bemalen lassen. Astronomie war ja in jenen Zeiten durch Sir Isaak Newton in Mode gekommen.




  1. Dieser gewöhnlich in humoristischer Weise gebrauchte Name hat seinen Ursprung in den Anfangsworten des von der Regierung ausgestellten Ernennungspatentes.
  2. Im Tom Jones.