Die Dorfschenke

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Der Chor W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Die Dorfschenke
Der Eid und das Kind in spe
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Die Dorfschenke.
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DIE DORFSCHENKE ODER DIE LANDKUTSCHE.
THE COUNTRY-INN-YARD OR THE STAGE-COACH.

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Die Dorfschenke.
Oder:
Die Landkutsche.
(The country-inn-yard or the stage-coach.)




Eine Landkutsche der alten Zeit, welche Fielding im Joseph Andrews und Smollet zu verschiedenen Malen die Gelegenheit bot, Scenen voll Humor und Abwechslung darzustellen, blieb auch von Hogarth nicht unbenutzt, wie dies sich aus dem damaligen Leben erwarten ließ. Gegenwärtig würde freilich eine solche Darstellung bei der gänzlichen Umwandlung der Verkehrmittel auf den größeren Kommunikationswegen eben so wie die Landkutschen selbst veraltet sein. Beide gelten als steamed out (herausgedampft), wie der seit nicht langer Zeit erfundene Ausdruck heißt.

Zwei Sujets bieten sich auf dem Blatte, eine Landkutsche, die im Begriff ist, wegzufahren, und die Verhöhnung eines bei der Parlamentswahl durchgefallenen Candidaten. Im Hintergrunde läßt sich das [676] gewöhnliche Verfahren bei solchen Gelegenheiten bemerken. Die siegreiche Partei trägt in Prozession, worunter viele sogenannte Knittelmänner (bludgen-men) zu bemerken sind, vor einem zahlreichen Publikum die ausgestopfte Figur des Candidaten der Gegenpartei in derselben Weise vorüber, wie dies von Hogarth auf dem ersten Blatte „der Wahl“ hinsichtlich des Herzogs von Newcastle dargestellt ist. Dieser Candidat war Henry Child oder Lord Castlemaine, der Sohn eines Peers und später ein Mitglied der Pärie. Als er sich einst um einen Parlamentssitz der Grafschaft Essex bewarb, wurde er während der Abstimmung zurückgewiesen, da seine Gegner entdeckt hatten, daß ihm noch einige Monate an dem gesetzlichen Alter eines Parlamentsgliedes fehlten (21 Jahre). Dieser Vorfall, verbunden mit dem unglücklichen Familiennamen (Child: Kind) gab schon früher Veranlassung zu mannigfachen Spöttereien und war Ursache, daß die Familie denselben durch Parlamentsakte 1735 in Tilney verändern ließ. Hogarth erinnerte sich jedoch desselben noch im Jahre 1747, und hat den Lord Castlemaine, oder Lord Tilney, wie er später hieß, auf diesem Blatte mit den Attributen der Kindheit ausgeschmückt. Er trägt ein Sabberläppchen (bim) am Halse, und hält eine Kinderklapper nebst einem A-B-C-Buch in den Händen.

Die Scene der Darstellung liegt also in der Grafschaft Essex. Lokalveränderungen haben die Orte dort seitdem unkenntlich gemacht; englische Erklärer halten jedoch den hier dargestellten Flecken, mit dem Wirthshause zum alten Engel (The old angel Inn. Tom Bates from London. Tom Bates aus London), welches die Fledermaus über dem Hauptthore führt, für das Städtchen Chelmsford.

Die Landkutsche ist zur Abfahrt gerüstet, denn auf dem Bocke sitzt der Kutscher. Die Reisenden eilen herbei, oder bringen noch einige Geschäfte in Ordnung. Einer derselben ist nur mit dem Rücken hinter der Hausthüre sichtbar, und wahrscheinlich ein reisender Handlungsdiener, denn er hat sich sogar für die Landkutsche modisch gekleidet, wie man aus dem fashionabeln Haarbeutel und Rocke sieht. Für jetzt erfüllt er seinen Beruf bei der Hausmagd, die er mit Entzücken küßt. Die dicke Wirthin, welche diese Abhaltung ihrer Dienerin nicht sehen kann, läutet vergeblich; [677] vielleicht soll Jenny über einen Punkt in den Rechnungen der Abreisenden Aufklärung geben. Eine andere Beschäftigung wird bei einem Gentleman bemerkt. Dieser ist offenbar ein Agent des durchgefallenen Candidaten für einen Parlamentssitz von Essex. Die Akte gegen Bestechung (An act against birbery and corruption), wovon freilich nur die Anfangsworte sichtbar sind, hält er in der Tasche; bis an die Ohren ist er zugeknöpft, um sich gegen die Folgen derselben zu sichern; wahrscheinlich hat der Candidat, den er repräsentirte, in dem Wirthshause eine freie Wahl (free election) gegeben, d. h. die Zeche für die Masse der Einkehrenden bezahlt. Einige Items, vielleicht sogar für erkaufte Stimmen, sind noch bei der Abreise vergessen worden; der Candidat ist durchgefallen, somit wird auch nur mit Widerstreben gezahlt, allein Mine Host (der Wirth) legt betheuernd die Hand auf’s Herz, und der Herr mit dem Tressenhut muß zahlen. Unter den übrigen Abreisenden fällt eine alte dicke Frau, die in den Wagen steigt, zuerst in die Augen. Ein Reisegefährte ist so galant, sie hineinzuheben, und zugleich ihr nothwendigstes Geräth, die Branntweinflasche mit einer Herzstärkung (cordial), unterdessen zu halten. Ihr körperlicher Umfang kann unmöglich den übrigen Reisenden genehm sein, allein eine magere alte Jungfer mit den Manieren eines achtzehnjährigen Mädchens wird diese Unbequemlichkeit schon wieder ausgleichen. Diese scheint mit der Gesellschaft durchaus unzufrieden, hauptsächlich aber wohl über die Mutter mit dem Kinde, welche dicht vor ihr steht. – Die Gesellschaft im Inneren der Kutsche wird durch einen Reisenden, von welchem allein der Kopf zum Vorschein kommt, und durch einen würdevoll einherschreitenden Herrn mit Stock und Degen, letzterer als Zeichen des Gentleman, geschlossen. Der Herr hat zu viel mit sich selbst zu thun, um einen zwerghaften und buckligen Postillon zu bemerken, der ihn demüthig um ein Trinkgeld anfleht.

Natürlich fehlt es auch nicht an sogenannten Outside-Passengers (Passagieren an der Außenseite der Kutsche). Hinten im Korbe sitzt ein phlegmatisches altes Weib und raucht Taback, um die übrige Welt durchaus unbekümmert. Auf dem Deckel sind zwei entgegengesetzte Nationalitäten repräsentirt. Dort sitzt ein ehemaliger Officier des Grand [678] Monarque, an der weißen Cocarde kennbar, und ein Matrose von Seiner britischen Majestät Linienschiff Centurio. Der arme Teufel von Officier ist in derselben Lage, wie Yorick’s Ludwigsritter, der Pasteten verkäuft (im Sentimental journey). Die Maitressen-Regierung Ludwigs XV., welche kein Geld übrig hat, um Officiere von Verdienst zu bezahlen, hat ihn genöthigt, den Kanal zu überschiffen, um sich in England mit Fechtunterricht zu ernähren. In anderer Lage ist der englische Matrose; voll Verachtung und Selbstgefühl blickt er auf den armen Franzosen, denn er hält am Arm einen vollgepfropften Beutel, worin sich gewiß eine ziemliche Summe an Prisengeldern befindet.

Endlich sind noch zwei Personen am Fenster des Wirthshauses zu bemerken, wie es scheint, zwei gute Freunde, die mit der durchgefallenen Partei in Verbindung stehen. Der Eine raucht Taback, als Mittel gegen das Uebel, welches die Engländer „blaue Teufel“ (blue devils), die Deutschen, etwas plumper, den „Katzenjammer“ nennen, dessen Wirkungen in seinem Gesichte deutlich zu erkennen sind. Die Krankheit wird die Folge des Weines und Punsches bei einem Wahldiner (Election dinner) am vorhergehenden Abend sein. Der Andere tröstet sich über das Unglück bei der Wahl durch ein Liedchen, das er auf dem Waldhorn zum Besten gibt. Uebrigens gehören alle Personen im Vordergrunde, die mit der Wahl zu thun gehabt haben, zur verlierenden Partei. Sie können deßhalb mit Recht die Procession im Hintergrunde nicht bemerken.