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Der Esterházykeller

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Textdaten
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Autor: Carl Reinhardt
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Titel: Der Esterházykeller
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 92-94
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[92]
Bilder aus Wien.
Der Esterházykeller.

Wer nimmt nicht gern auf einige Stunden Abschied vom goldigen Sonnenlicht, um tief im Bauch der Erde eines jener dunkeln Arsenale zu besuchen, worin die Waffen gegen unsern alten Erbfeind, den Durst, aufbewahrt liegen.

Jede Stadt von einiger Bedeutung hat ein solches Zeughaus, worin man sich männiglich bewaffnen und streiten kann. Freilich wankt Mancher schwer verwundet von dannen, aber nicht vom Feind, dem Durst, sondern von seinen eigenen Waffen, von denen [93] er zu viel oder zu schwere führte, was nur alte bewährte Kämpen ungestraft thun können.

Wenn nun auch nicht jede Stadt solche berühmte Keller aufweisen kann, wie Bremen seinen Rathskeller – München den Bockkeller – Hamburg Wilcken’s Keller und Leipzig Auerbach’s Keller, so trifft man doch überall einen „Keller“ und darin gewiß etwas zu trinken! –

In Wien ist nun, besonders bei den Fremden, der Esterházykeller am bekanntesten. Die dort lagernden unverfälschten Ungarweine und der Name des Fürsten, der jedesmal, wenn er ausreitet, einen „silbernen Hut“ verliert, und so viel Schafheerden besitzt, daß dieselben einige kleine deutsche Fürstenthümer in zwei Stunden kahl weiden würden, lassen in dem Fremden dann Bilder von großartigen Kellerhallen mit Marmorsäulen und kunstvoll geschnitzten Riesenfässern aufdämmern, zwischen denen ehrwürdige Kellermeister mit Fackelbegleitung umherwandeln. Aber mag die Phantasie des Durstigen noch so groß und reich sein, die Wirklichkeit läßt Alles hinter sich, und das Gefühl eines ungeheuern Erstaunens erfüllt den Besucher, der zum ersten Mal den berühmten Keller betritt.

Der Esterházykeller in Wien.

In der Zeit von elf bis ein Uhr, so wie Nachmittags von fünf bis sechs ist die Thür zum Naß geöffnet. Wir verlassen den Graben, und schreiten in der stillen Naglergasse fort, bis wir zum Haarhof kommen, wo uns der kundige Mentor etwas bergab in eine Gegend führt, in der ein starker Ammoniakgeruch verherrscht. Mit Verwunderung stehen wir vor einer halbgeöffneten alten, verrosteten Eisenthür, in welche entweder der Rost, oder der kunstreiche Verfertiger eine Verzierung gearbeitet hat, die eben so wohl einem Adler, als einem umgestülpten, zerrissenen Regenschirm gleicht.

Durch diese Thür betreten wir eine Treppe, welche durch die täglichen Mißhandlungen der Heraufgehenden und durch ihr Alter boshaft geworden ist, und welche nichts lieber sieht, als daß man über sie hinunterfällt. Um dies nun möglichst zu erleichtern, hat man auf ihrer Mitte eine Fallthür angebracht, die wiederum nur zur Hälfte geöffnet ist, denn auf der andern Hälfte, die ganz so ausschaut, als ob sie seit ihrer Geburt niemals geöffnet worden, steht ein alter Windofen und ein Blechleuchter, der aussieht, als ob es sein Kind wäre, und in dem mit ungeheurem Hohn ein elendes Talgstümpfchen brennt, damit man die nun folgende pechschwarze Finsterniß sieht. Zur Ehre der Treppe müssen wir jedoch erwähnen, daß ein alter blankpolirter Strick an der Wand das Hinunterfallen bedeutend befördert, weil er die spaßhafte Gewohnheit [94] hat, einige Klafter länger zu werden, wenn sich Jemand ernstlich an ihn hält.

Mit Todesverachtung tappen wir nun den finstern Schacht hinab. Den verrätherischen Strick haben wir losgelassen, ehe er noch länger wurde. Fuß vor Fuß den Boden untersuchend, steigen wir tiefer, bis uns ein Stoß vor den Kopf und ein dumpfes Klirren auf die Idee bringt, daß hier eine Glasthür sein könnte. Dies ist in der That der Fall, und wir drücken dieselbe auf, um die letzten Stufen unter unseren Füßen zu verlieren und eine schiefe Ebene hinab zu rennen, welche an einem Tisch mit Würsten, Käse und Semmeln endigt, gerade als ob der Baumeister beabsichtigt hätte, die Eintretenden mit der Nase auf diese Gegenstände zu führen.

Obgleich wir nun zum Stillstand gebracht, nichts weiter sehen können, als vier bis fünf schwächliche Talglichter, und hier und da aus der Dunkelheit den wohlbekannten und erheiternden Blitz eines Glases, so riechen wir dennoch. Unsere Nase spürt einen starken, tüchtigen Weingeruch, nicht etwa, als ob man eine dünnhälsige Flasche entkorkte, sondern eine massive Blume, eine Art Victoria Regia, die uns von allen Seiten umgibt, wie eine Taucherglocke. Zu dem Gläserblitzen kommen nach und nach, wie sich unsere Augen an die Beleuchtung gewöhnen, glänzende Augen, die zwischen den Fässern hervor uns anblicken. Endlich lernen wir auch Gesichter und Gestalten unterscheiden, die dort auf allem Möglichen sitzen, nur nicht auf Stühlen. Jeder hält sein Seidelglas mit beiden Händen fest, als könnte es ihm gestohlen werden, und hie und da hat Einer ein Papier auf den Knieen liegen, dessen Inhalt von dem oben erwähnten Tisch stammt.

An einem anderen Tisch, etwas im Hintergrund, sitzt ein hagerer Mann, von etwas ziegenbockartigem Ansehen, welcher den Wein verkauft und das Register darüber führt. Er hat gewöhnlich einen Regenmantel um, wahrscheinlich, damit er nicht auch äußerlich naß wird. Unter einem Seidel wird nicht verabreicht, und wenn sich Zwei zu einem Seidel associiren, so entlockt diese „Jämmerlichkeit“ dem Wasserdichten nur ein verächtliches Lächeln, dem frommen Küper aber ein mitleidiges Kopfschütteln, denn es ist ihm unbegreiflich, wie ein lebendiger Mensch weniger, als ein Seidel trinken kann.

Die geringste Sorte, Guldenwein genannt, wovon das Seidel 6 Kreuzer kostet, ist schon ein vortreffliches Getränk, welches man in Auerbachs Keller gern mit 25 Ngr. à Flasche bezahlen würde. Dann kommt das Seidel zu 9 Kreuzer, ein tüchtiger Bursche, der einen im Genick hat, ehe man es sich versieht, und auch wohl im Stande ist, einen unter’n Tisch zu werfen, besonders, wenn er mit „Wermuth“ gemengt ist. Vom Wermuth, unter dem man sich nicht etwa ein bitteres Getränk vorstellen darf, kostet das Seidel 15 Kreuzer. Es ist ein dicker, trüber, malagaartiger Wein von großer Stärke und mehr zum Naschen und Mischen, als zum Trinken. Diese drei Sorten sind die hier gewöhnlich begehrten, und werden in den Besitzungen des Fürsten gebaut. Andere Ungarweine, wie Tokayer u. dgl., sind nicht zu bekommen.

Nachdem wir uns mit Wein versorgt haben, wenden wir uns zum Büffet und entscheiden, ob wir warm oder kalt speisen werden. Warm heißt Frankfurter Würstel mit Green, wobei wir zweierlei Entdeckungen machen. Erstens, daß die Würstel, welche in Frankfurt „Wiener“ heißen, hier „Frankfurter“ genannt werden, und zweitens, daß der alte Windofen oben auf der halben Fallthür kein leerer Wahn oder eine verfehlte Bestimmung sei, sondern wacker eingreife als Rad in der großen Weltmaschine, denn Wiener Wursteln heiß zu machen, ist nicht der Bestimmungen schlechteste.

Speisen wir kalt, so heißt dies „Käse“, und sind damit beide Nahrungsfragen erledigt, so kommt die Platzfrage an die Reihe, denn da wir ein Stück Käse, ein Brod und ein Glas Wein haben, so müßten wir nothwendiger Weise eins dieser drei Stücken stets unter den Arm klemmen, wenn wir stehend schmausen wollten.

Tische und Stühle sind nicht vorhanden, doch hat eine mitleidige Hand ein Bret längs der Wand neben der Thür auf irgend etwas gelegt, und so eine Bank geschaffen, auf welcher wir uns niederlassen. Hart über unserem Kopf hat Jemand ein Stück Holz der Mauer gewaltsam zwischen die Rippen gekeilt, und daran einen Leuchter gehängt, der eine so große Familienähnlichkeit mit dem auf der halben Fallthür hat, daß wir ihn ohne Weiteres für seinen Bruder halten. Da sich unsere Augen vollkommen an die Dunkelheit gewöhnten, sehen wir jetzt deutlich jeden Ziegelstein, der sich aus dem Gewölbe des Kellers hervordrängt, die Namenszüge auf den Fässern und die stillen Zecher neben denselben, deren immer mehrere auftauchen.

Ein plötzlicher Knall an der Glasthür, wo die betreffenden Scheiben längst von Holz eingezogen sind, verkündet die Ankunft eines neuen Gastes, der dann gewöhnlich auch sofort hereinstürzt. Stolpert er nicht auf den Würsteltisch los, sondern geht mit ruhigem Schritt nach dem Wasserdichten, so kann man darauf schwören, daß es ein Stammgast ist.

Mit Bedauern erfahren wir, daß sich die Ungarweine im Allgemeinen nicht auf Flaschen halten, und vom Faß weg getrunken werden müssen, was auch ihren billigen Preis herbeiführen mag. Wenn unsere Meißner oder Loschwitzer Weine diese Eigenschaft hätten, so müßte man folgerichtig beim Trinken derselben etwas herausbekommen, beim Grüneberger wenigstens auf das Maß ein kleines Rittergut. Und wie herrlich schmeckt dann der Ungarwein, wenn man dabei an Grüneberg denkt und an das schöne Gedicht von Heine:

Zu Grün’berg steht an der Mauer
Ein Weinstock hoch auf der Höh!
Die harten Trauben voll Trauer
Bedeckt im August der Schnee.

Er träumte von dem Schumlauer
Dort unten im Ungarland,
Und seufzte: ’s wird Alles sauer,
Wird nur mein Name genannt.

d. h. bei Heine handelt es sich eigentlich um eine Tanne und eine Palme, aber ein Ungarweinstock und ein Grüneberger stehen ungefähr in demselben Verhältnisse, und doch gibt es noch einen Wein, der nach dem Grüneberger kommt. Es ist dies der „Leipziger“, nicht etwa der, der dort getrunken wird, denn das ist Grüneberger mit falschen Legitimationen, sondern der, der dort wächst! Es kommt freilich selten vor, aber es ist Tatsache, daß der Finanzrath C… einmal aus in Leipzig gewachsenen Weintrauben einen Eimer und 16 Flaschen Wein gepreßt hat. Die Wirkungen dieses Weines waren unerhört. Brachte man eine Flasche voll in ein Zimmer, so blieben plötzlich alle Uhren stehen, die Saiten vom Pianoforte platzten mit einem Ruck, und die Tischplatten zogen sich krumm.

Aber ernstlich, der hier im Esterházykeller verschenkte Ungarwein ist so gut und echt, daß man ihn selbst in Ungarn, wo, nebenbei gesagt, das Fälschen des Weines an der Tagesordnung ist, nicht reiner und von besserer Qualität trinkt. Der Verbrauch ist deshalb auch ein ungemein großer und wiegt in dem Einkommen des Fürsten sehr bedeutend mit. Man nennt als Werth der hier aufgestapelten Weine eine ungeheure Summe, die allein hinreichte, um zehn andere unfürstliche Familien zu reichen und angesehenen zu machen.

Da die Tischzeit nahe war, so ward viel Wein nach der Oberwelt geholt und zwar von hübschen Dienstmädchen ganz unverhohlen, dann von ältlichen Damen in Strickbeutel und Arbeitskörbe eingezwängt, und von einigen ganz respectablen Herren in großen viereckigen Flaschen, aus alten Apotheken stammend, welche in dickes Papier in Buchform verpackt nach Haus geschmuggelt wurden, wobei die guten Herren in der festen Ueberzeugung gingen, daß kein Mensch eine Flasche in dem Papiere vermuthen könne. – Aber geht nur hin und packt eine Flasche, wie ihr wollt, siegelt sie zu und schreibt „ Proben ohne Werth“ darauf: man merkt doch, daß Ihr eine Flasche Wein tragt, eben so gut wie man es jenen Beiden anmerkt, die fest an einander gehalten nach oben steuern, obgleich sie ihren Wein tief im Innern verborgen haben.

Auch wir steigen hinauf an das Tageslicht, denn ein anderes Geschlecht braucht um die Mittagsstunde unsern Platz und macht dem Ofen eine heiße Stunde, in der viele „Würstel“ als Opfer fallen.

C. Reinhardt.