Der Finanzer

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Autor: Hans Ebert
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Titel: Der „Finanzer“
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der „Finanzer“.




Wo der Inn mit hellen Fluthen
Lustig aus Gebirgesenge
Niederströmt in ebene Gaue
Und in letztem Jugendträumen

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Rauscht um ein behaglich Städtlein,

Dort zu Rosenheim, welch Drängen,
Welch ein Wettkampf hoher Häupter!
Auch Gewaltige heutzutage
Leiden unter Konkurrenten,

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Und so streckt sein majestätisch

Silbern Haupt der Wendelstein heut
Unzufrieden übers Städtchen:
Ob auch festlich drin die Menge
Auf und niederwogt, kein Auge

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Schickt wie sonst ihm frohe Blicke.

Eines andern Majestät und
Silberschimmernd Haupt bannt jeden:
Kaiser Wilhelm ist gekommen,
Er, der Greise, Nimmermüde,

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Und des Reiches Paladine,

Seiner Siege Schwert und Feder,
Moltke und der große Kanzler.
Und wen rings in Hof und Dörfern
Diese Kunde traf, der eilte,

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Sich die Helden zu beschauen,

Die des Reiches Ring geschmiedet.
Manch ein „Dirndel“ schreitet kräftig
Durch die kranzgeschmückten Gassen,
Keines aber stolzer, schlanker

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Als das Walderinger Veverl –

Frischer Mund und frisches Auge,
Nur auf ihrer braunen Stirne
Schattet’s wie von Unmuthswolken.
Kaiser sah sie wohl und Kanzler,

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Hat auch wacker „Hoch!“ geschrieen,

Bloß den Moltke wies ihr keiner.
Und doch hat sie grad „dös Miannl“
Schauen wollen, denn die Brüder
Sepp und Hansei haben tapfer

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Mitgekämpft im großen Kriege,

Haben, heimgekehrt, gar manchmal
Ihr erzählt vom alten Feldherrn
Und der Sepp schloß stets bedeutsam:
„Muasßt’n schau’n, dös is a Mannl!“

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Jetzt blieb doch, was sie ersehnte,

Unerfüllt und ach! sie kann nicht
Ungestörte Umschau halten,
Denn sie muß ein blondes Bürschchen
Hüten, ihren jüngsten Bruder.

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Ja, wenn’s möglich wär’, den Franzei

Bei ’nem Menschen in der Nähe
Auf ein Stündchen „einzustellen“!
Wart – da drüben bei dem Hause
Drin der Kaiser abgestiegen,

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Steht ein würdevoller Alter,

„So a freundli’s Mannsbild“, denkt sie;
Der hat g’wiß vom Staat an Amterl,
Denn er hat a saubers G’wandel,
Wie an Uniform, der is wohl

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Eisenbahner, is am Ende

So ein mächtiger Finanzer.
Raschen Schrittes geht das Veverl
Zu ihm hin und sagt: „Finanzer,
Sei so guat und b’halt dös Büaberl

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Auf a kloane Stund’n bei Dir.

Möcht’ ma nur den Moltke anschau’n.“
Sprichts, drückt dankbar im Enteilen
Dem Finanzer noch ein Geldstück
In die Hand und ist entschwunden.

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Franzei sieht sich den Finanzer,

Der Finanzer sich den Franz an;
„Is mir völli fremd“ – denkt Franzei,
„Was beginn’ ich?“ – denkt sein Hüter.
Doch wo Alte klug erwägen,

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Fährt dazwischen laute Jugend:

Franzei bricht in dicke Thränen,
Bricht in jene wirkungsvollen
Laute aus, wie die Natur sie
Für die Durchsetzung und Wahrung

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Von berechtigten Int’ressen

Wilden lieh und braven Kindern.
Nun ist plötzlich dem Finanzer
Klar geworden, was beginnen.
An das Ohr des Tönereichen

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Hält die Uhr er voll Erfahrung

Und macht kunstvoll: „Ticktack, Ticktack!“

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Franzei reibt sich erst die Augen,
Horcht dann staunend auf das Wunder
Und mit rothen Backen schmiegt er

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Traulich schon sich an den Alten,

Als das Veverl endlich auftaucht.
Finster naht sie dem Finanzer:
„Laß Diar’s guat san, daß D’ no doa bist –
Koanen Menschen is mehr z’ trauen!

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Haben’s nit in d’ Zeitung g’logen,

Daß der Moltke kimmt, dia Schlankel’n,
Dia soll’n dengerst Schtrix’n kriag’n.“
„Nun“, sagt freundlich da der Alte,
„Lügen manchmal auch die Schlankel’n’

100
In der Zeitung, diesmal hat sie

Wahr gesprochen, auch der Moltke
Kam hierher und ist zu sehen.“
„Jessas, Jessas, Alpenrosen
Von da schönst’n gab i leichtli,

105
Kunnt’ i nur dös Mannl sehg’n.“

„Gut, es sei!“ lacht der Finanzer,
Schreibt im Flug in fremder Sprache
Ein paar Worte auf ’ne Karte
Und spricht zu dem braunen Veverl:

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„Wenn Du dies so gegen neun Uhr

Morgen früh dort drüben abgiebst,
Wo der Kaiser wohnt, so zeigt man
Sicher Dir ,dös alte Mannl’;
Nur mußt Du die Alpenrosen

115
Nicht vergessen.“ Veverl mustert

Prüfend das Gesicht des Alten,
Endlich meint sie: „Will’s probieren.
Aber dös, Finanzer, mark Dir,
Hast mir g’log’n, b’hüat der Deixel

120
Deine Aug’n, denn so bin i,

Seh’g i Di, i kratz Dir’s außi.
Und da hast Du no a Zwanzgerl,
Kauf a Moaßerl Dir im Hirschen,
Nur sei g’scheit und trink koan Rausch nit. –

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Franzei kumm, wir müssen hoamwärts!“


  * *  
*

Sonnenglanz und Sommermorgen!
Von dem Thurm des Städtchens schlägt es
Neun Uhr jetzt – so träg und schläf’rig,
Denkt das Veverl, als wenn’s keine

130
Eile gäbe, keinen Moltke.

Rosig wie des Frühlichts Schimmer,
In der Hand ’nen mächt’gen „Buschen“,
Tritt sie zögernd in das Haus ein,
Das ihr der Finanzer zeigte,

135
Und blickt scheu nach einem Helfer,

Der die Karte ihr erklären,
Ihr den Moltke weisen könnte.
Schau, da naht sich wieder einer
Mit ’ner Uniform, wie gestern

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Der Finanzer, der muß helfen!

Veverl knixt und reicht die Karte
Stumm dem Fremden, der lacht freundlich,
Als er rasch sie überflogen,
Und führt Veverl in ein Zimmer.

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„Will Dich gleich dem Marschall melden,“

Damit geht er, und dem Veverl
Klopft das Herz und surrt das Köpfchen:
„Wenn der Moltke iatzt daher käm’!
Veverl, Veverl, wärst nit gang’n!“

150
Doch da ist auch ihr Begleiter

Schon zurück und sagt: „Der Marschall
Will Dich sehen; geh’ nur herzhaft
Durch die Thür – dort drinnen ist er.“
Veverl thut’s, indessen hat sie

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Kaum die Schwelle überschritten

Läßt sie jäh den Buschen fallen
Und ruft schreckensbleich: „O Jessas
Maria und a bissel Josef,
Der Finanzer! Werd’ i aufg’henkt?

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O Herr General, verzeihen’s,

Daß Sie an Finanzer gleich seh’n!“
Doch der Marschall streckt ihr fröhlich
Seine Hand hin und erwidert:
„Wirst ,dös Mannl‘ doch nicht fürchten?

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Komm’, gieb mir den schönen ,Buschen‘

Und nimm diesen Siegesthaler
Als ein Zeichen, daß Du wirklich
Heut den Moltke hast gesehen,
Als Gedenkstück vom ,Finanzer‘!“

170
Noch ein Händedruck des Marschalls

Und das Veverl ist entlassen.
Draußen, wo im Sonnenscheine
Ihre Berge leuchtend winken,
Wirft sie zu den Fenstern Moltkes

175
Einen letzten Blick hinüber,

Denkt, was die zu Haus wohl sagen,
Denkt an Sepp und spricht dann leise:
„Is a woahr, dös is a Mannl!“
 Hans Ebert.