Zum Inhalt springen

Der Fischer oder die Auferstandenen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Lukian von Samosata
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Fischer oder die Auferstandenen
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Drittes Bändchen, Seite 367–407
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1827
Verlag: J. B. Metzler
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Ἀναβιοῦντες ἢ Ἁλιεύς
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[367]
Der Fischer oder die Auferstandenen.
Socrates. Empedokles. Plato. Aristoteles. Chrysippus. Diogenes. Lucian, unter dem Namen Freimund. Die Philosophie. Die Wahrheit. Die Tugend. Die Sittsamkeit. Der Syllogismus. Pythagoräer. Peripatetiker. Epicuräer. Academiker. Stoiker. Die Priesterin der Minerva. Die Ueberführung.


1. Socrates. Werft zu! Werft zu! Steinigt den verfluchten Kerl! Nehmet Erdschollen! Schmeißt ihm Scherben nach! Schlagt mit Prügeln auf den gottlosen Schurken! Laßt mir ihn nur nicht entwischen! Frisch auf, Plato, Chrysipp, und du! – Zugeschlagen! In geschlossenen Gliedern gegen ihn angerückt, und mit vereinter Kraft;

– – Ranzen an Ranzen gedrängt, und Knüttel an Knüttel,[1]

ihm zu Leibe! Denn er ist ja unser gemeinschaftlicher Feind, und es ist Keiner unter uns, dem nicht sein Uebermuth gegolten hätte. Auf, Diogenes! jetzt, wenn je einmal, brauch deinen Knotenstock, und laß mir nicht ab! Er soll es büßen, [368] der Lästerer! Was ist das, Epikur und Aristipp? seyd ihr schon müde? Pfui!

Seyd nun Männer, ihr Weisen, gedenkt des grimmigen Zornes![2]

2. He, Aristoteles, tummle dich! Ach vortrefflich, die Bestie ist gefangen! – Haben wir dich, du Scheusal? Nun sollst du’s zu fühlen bekommen, wer die Männer sind, die du gelästert hast. – Was fangen wir mit ihm an? Ich dächte, wir sinnen auf mehr als Eine Todesart, die wir ihm anthun wollen, damit Jeder von uns seine Genugthuung erhält. Eigentlich hätte er um jeden Einzelnen von uns einen siebenfachen Tod verdient. Ich bin der Meinung, es werde ihm vor allen Dingen die Zunge ausgeschnitten, sodann die Augen ausgestochen, hierauf soll er gegeisselt und am Ende gekreuzigt werden. Was meinst du, Empedokles?

Empedokles. Ich meine, man sollte ihn in den Aetna-Schlund werfen, damit er es verlerne, Männer zu verlästern, die so viel besser als er sind.

Plato. Das Beste wäre wohl, man ließe ihn den Tod des Pentheus oder Orpheus finden: so könnte Jeder zur Genugthuung sich ein Stück von ihm nach Hause nehmen.

3. Lucian. O nicht doch! Ich bitte euch bei Jupitern, dem Schirmer der Flehenden!

Socrates. Es ist beschlossen. Du kommst nicht wieder los. Weißt du nicht, was Homer sagt,

Das kein Bund die Löwen und Menschenkinder befreundet.[3]

[369] Lucian. Nun – so will ich gleichfalls Homer’s Worte für mich bitten lassen. Vielleicht daß ihr aus Rücksicht auf die epischen Verse, die ich zusammenfüge, mein Flehen nicht verschmähet:

Schont des Unschuldigen Leben, und nehmet stattliche Lösung,
Erz und Goldes genug, das auch die Weisen erfreuet.[4]

Plato. Glaubst du, wir wüßten nicht auch aus Homer dir zu antworten? So höre:

Nur nicht Flucht, o Frevler, erwarte mir etwa im Herzen:
Fruchtlos sprichst du von Gold, da in unsere Hände du fielest.[5]

Lucian. O wehe mir! Also auch Homer richtet nichts aus, auf den ich am meisten gehofft! So muß ich denn meine Zuflucht zu Euripides nehmen, ob der mich vielleicht noch rettet:

O morde nicht den Fleh’nden, Götterspruch verbeut’s![6]

Plato. Wie? Sagt Euripides nicht auch:

Nicht Unrecht leiden sie, die Unrecht selbst gethan?[7]

Lucian.

Für bloße Worte straft ihr mit dem Tode mich?[8]

[370] Plato. Ja, beim Jupiter! Euripides selbst sagt ja:

Ungezügelter Zunge, und
Frevelnder Thorheit Ende ist
Verderben – – [9]

4. Lucian. Nun denn! weil es bei euch unwiderruflich beschlossen ist, daß ich sterben soll, und kein Mittel zu meiner Rettung mehr vorhanden ist, so sagt mir doch wenigstens: wer seyd ihr, und worin besteht der unersetzliche Schaden, den ich euch zugefügt haben soll, und worüber ihr so unerbittlich gegen mich aufgebracht seyd, daß ihr mich sogar zum Tode führen wollt?

Plato. Frage dich selbst, heilloser Schuft, was du uns gethan hast, und frage dein sauberes Geschreibe. Hast du nicht die Philosophie selbst gelästert, und uns Allen den größten Schimpf angethan, indem du uns weise und – was die Sache noch ärger macht – freie Männer als Sclaven öffentlich feil bieten lässest? Im gerechten Unwillen darüber habe ich, und Chrysipp, Epikur, Aristoteles, der verschwiegene Pythagoras, Diogenes, und alle Uebrigen, die du in jener Schrift so schmählich durchgezogen, von Pluto auf einige Zeit Urlaubs genommen, und sind heraufgekommen, um dich zur Strafe zu ziehen.

5. Lucian. Nun athme ich wieder auf. Ihr werdet mir nichts am Leben thun, sobald ihr meine Gesinnung gegen euch werdet kennen gelernt haben. Werfet nur eure Steine wieder weg, – oder nein, behaltet sie vielmehr: ihr werdet sie wohl brauchen können gegen die, welche es verdienen.

[371] Plato. Possen! Heute noch sollst du sterben, und alsbald

Hüllt dich ein steinerner Rock für das Unheil, das du gehäuft hast.[10]

Lucian. So wisset denn, wenn ihr mich tödtet, so tödtet ihr den Mann, der allein unter Allen euer Lob verdiente, der euch befreundet, euch von Herzen zugethan, und, wenn es nicht anmaßlich klingt, der unermüdliche Pfleger und Verfechter eurer Studien war. Sehet zu, daß ihr nicht durch Leidenschaftlichkeit, Undank und Uebereilung gegen den, der euch Gutes erwiesen, die Handlungsweise der heutigen Philosophen anzunehmen scheinet.

Plato. Höret den Unverschämten! Also noch zu Danke hast du uns durch deine Lästerungen verpflichtet? Glaubst du denn wirklich, Sclaven vor dir zu haben? Meinst du, ein so übermüthiges, rohes Geschwätz lassen wir uns noch als eine Wohlthat in Rechnung bringen?

6. Lucian. Wie, wo und wann habe ich denn euch übermüthig behandelt? War ich nicht jederzeit ein Verehrer der Philosophie und euer bewundernder Lobredner? Waren nicht eure hinterlassenen Schriften mein liebster Umgang? Und alles das, was ich schreibe, lege ich es der Welt nicht als einen Beweis vor, wie Vieles ich euch verdanke, und wie ich nach Bienensitte aus euern Schriften Honig sammle? Und alle die, welche mich mit Beifall lesen, kennen jede Blume, und wissen, wo und von wem und wie ich sie pflückte. Mit dem Lobe, das sie meiner Blüthenlese zollen, preisen sie [372] ja in der That nur euren reichen Garten, der an Gestalt und Farbenpracht die mannigfaltigsten Blumen in Fülle hervorbringt für Jeden, welcher sie auszulesen, zu ordnen, und mit gefälliger Abwechselung in Gewinde zu flechten versteht. Wie sollte nun Einer, der so viel Gutes von euch empfangen hat, sich einfallen lassen, seine Wohlthäter zu schmähen, denen er es allein verdankt, daß sein Name einige Bedeutung hat? Er müßte denn nur die Natur eines Thamyris oder eines Eurytus haben, und gegen die Musen, von denen er die Kunst des Gesanges erhalten, als Gegner in einem Wettkampfe auftreten, oder, wie der Letztere, seine Pfeile aus Eifersucht gegen Apollo selbst abschießen wollen, der doch Erfinder und Geber der Schützenkunst ist.

7. Plato. Halt, sauberer Freund, diese deine Declamation ist im geradesten Widerspruche mit der That selbst, und stellt deine Frechheit in ein um so grelleres Licht, da du ja selbst gestehst, du hättest die Pfeile, die du auf uns abschossest, von uns erhalten. So wird also dein Verbrechen, uns zur alleinigen Zielscheibe deiner Lästerungen gemacht zu haben, noch durch die Verschuldung des schnödesten Undankes vergrößert. Das war also unser Lohn für die Bereitwilligkeit, mit welcher wir dir unsern Garten aufschloßen, dich allenthalben Blumen pflücken und mit vollen Händen davon gehen ließen? Schon um dieses Undanks willen hast du ja den Tod verdient.

8. Lucian. Sehet, wie ihr bloß eurer Rachelust Gehör gebt, und eure Ohren auch den gerechtesten Vorstellungen verschließt! Hätte ich doch nie geglaubt, das diese Leidenschaft einem Plato, einem Chrysipp, einem Aristoteles, oder [373] irgend einem Andern von euch etwas anhaben könnte! Wenn irgend einen Sterblichen, so hatte ich mir euch über dergleichen Schwächen erhaben gedacht. Nehmet mir wenigstens das Leben nicht ohne Untersuchung, ohne förmliches Urtheil und Recht! War es doch bei euch immer gebräuchlich, Streitigkeiten nicht nach dem Rechte des Stärkern, sondern im ordentlichen Rechtsgange, und unter Vernehmung des einen wie des andern Theiles zu entscheiden. Stellet also auch jetzt einen Richter auf, und bringt eure Anklage wider mich entweder alle zusammen vor, oder wählet einen Einzelnen aus eurer Mitte, der es im Namen Aller thun soll. Ich werde mich sodann gegen eure Beschuldigungen zu rechtfertigen suchen. Erscheine ich als schuldig, und wird dieses vom Gericht gegen mich erkannt, so werde ich mich ohne Widerrede der gebührenden Strafe unterwerfen, und euch wird der Vorwurf eines gewaltsamen Verfahrens nicht treffen. Wofern ich mich aber genügend verantworte, und rein und unantastbar befunden werde, so wird das Gericht mich freisprechen, und euer Zorn wird sich gegen diejenigen kehren, die euch falsch berichtet und gegen mich aufgehetzt haben.

9. Plato. Das wäre freilich Wasser auf deine Mühle! Du gedenkst wohl, den Richter breit zu schlagen, und mit heiler Haut davon zu kommen? Man kennt dich schon als einen durchtriebenen Advocaten, der vortrefflich mit der Rhetorik zu handthieren weiß. Wer wäre denn der Richter, den du aufgestellt wissen willst, und den du nicht durch Geschenke, wie ihr Leute zu thun pflegt, auf deine Seite bringen wirst?

Lucian. Seyd ohne Sorgen. Ich verlange keinen Mann zum Richter, der euch verdächtig und zweideutig scheinen, [374] oder gar sein Urtheil an mich verkaufen könnte. Hört also: die Philosophie soll in Gemeinschaft mit euch selbst zu Gerichte sitzen.

Plato. Und wer soll denn anklagen, wenn wir die Richter sind?

Lucian. Ihr sollt Ankläger und Richter zugleich seyn. Auch das macht mir nicht bange: so gewichtig ist die Gerechtigkeit meiner Sache, und so gewiß bin ich, mich mehr, als nöthig ist, rechtfertigen zu können.

10. Plato. Was sollen wir thun, Pythagoras und Socrates? Es kommt mir vor, der Mann hat so Unrecht nicht, wenn er vor ein förmliches Gericht gestellt zu werden verlangt.

Socrates. Schreiten wir immerhin zu dieser Verhandlung. Wir wollen die Philosophie zuziehen, und hören, was er wohl zu seiner Vertheidigung verbringt. Jemand ungehört verdammen, ist roh und gemein, und schickt sich bloß für leidenschaftliche Menschen, die ihre Rechtsgründe in der Faust haben, nicht aber für uns Weise. Wir würden unsern Verläumdern erwünschten Stoff geben, wenn wir einen Menschen, ohne ihn sich vertheidigen zu lassen, steinigten, zumal da wir Verehrer der Gerechtigkeit seyn wollen. Oder wie könnten wir uns noch über das Verfahren des Anytus und Melitus, meiner beiden Ankläger, und derer, die damals zu Gerichte saßen, beschweren, wenn dieser von unserer Hand gestorben wäre, ohne daß wir seiner Verantwortung auch nur einen Augenblick unsere Ohren geliehen hätten?

Plato. Vortrefflich erinnert, Socrates! Wir wollen [375] uns zur Philosophie begeben. Diese soll das Urtheil sprechen, und diesem Spruche wollen wir uns fügen.

11. Lucian. Nun das läßt sich einmal hören: das war gut und rechtlich gesprochen! Behaltet indessen eure Steine nur immer bei euch, wie gesagt: ihr werdet sie nach Beendigung des Gerichtes brauchen können. Wo ist aber die Philosophie zu finden? Ich weiß ihre Wohnung einmal nicht; wiewohl ich aus Verlangen nach ihrem Umgang lange Zeit und aller Orten ihren Aufenthalt gesucht habe. Da traf ich einmal auf Leute in groben Mänteln, mit langen Bärten, die sagten, sie kämen gerade von ihr her. In der Meinung also, daß diese es am besten wissen müßten, fragte ich sie darnach. Diese mußten es aber noch viel weniger als ich gewußt haben; denn entweder gaben sie mir gar keine Antwort, um ihre Unwissenheit nicht gestehen zu müssen, oder sie wiesen mich, der Eine an diese, der Andere an eine andere Thüre. Und so war es mir bis auf den heutigen Tag nicht möglich, die Behausung der Philosophie ausfindig zu machen.

12. Es begegnete mir zwar öfter, daß ich entweder auf eigene Vermuthung hin, oder von einem Andern gewiesen, vor eine Thüre kam, wo ich zuverlässig hoffte, die Gesuchte endlich einmal zu treffen. Ich mußte dieß aus der Menge der Aus- und Eingehenden schließen, die sämmtlich durch ernste, wichtige Mienen, durch Züge, die tiefes Nachdenken verriethen, und ein gewisses gemessenes Wesen sich auszeichneten. Ich drängte mich also mit ihnen hinein, und da fand ich denn ein Weibchen, das, so sehr es ein einfaches [376] und natürliches Wesen anzunehmen sich bemühte, doch nichts weniger als natürlich war. Denn ich fand bald, daß die anscheinende Nachlässigkeit ihres lockigen Haares, so wie der Faltenwurf ihres Gewandes etwas Affectirtes hatte, das eine geheime Absicht verrieth. Es wurde mir immer deutlicher, daß sie sich sorgfältig geputzt hatte, und sich des scheinbar Ungekünstelten in ihrem Aeußern nur bediente, um desto liebenswürdiger zu seyn. Sogar aufgelegtes Weiß und Roth glaubte ich zu bemerken. Ihre Worte waren einschmeichelnd, wie die einer Buhlerin. Die Artigkeiten, die ihr von ihren Liebhabern über ihre Reize gesagt wurden, hörte sie mit sichtbarem Wohlgefallen an, und eben so bereitwillig war sie, die Geschenke, die ihr der Eine oder Andere in die Hand drückte, anzunehmen. Während sie nur immer die Reichsten neben sich sitzen ließ, würdigte sie die Aermern ihrer Anbeter auch keines Anblicks. Und mehreremal, wenn sich ihr Gewand von Ungefähr verschob, sah ich, daß sie goldene Ketten, dicker als ein Aal, um den Hals hatte. Nach solchen Entdeckungen gieng ich wieder des Weges, den ich hergekommen war, und bedauerte nur die armen Narren, die sich von einer solchen Dirne nicht an der Nase, aber an dem Bart herumführen ließen, und, wie einst Ixion, statt der Juno ein nichtiges Schattengebilde umarmten.

13. Plato. Darin magst du Recht haben. Die Thüre der Philosophie liegt nicht so im Anlaufe, daß sie Jeder finden könnte. Uebrigens haben wir heute eben auch nicht nöthig, uns in ihre Wohnung zu verfügen. Wir können sie hier im Ceramikus erwarten: denn sie wird nun bald aus [377] der Akademie zurückkommen, um in der Pöcile[11] spazieren zu gehen; so bringt es ihre stete Tagesordnung mit sich. Wahrhaftig, sie kommt schon. Siehst du dort die in dem würdigen Aufzuge, mit dem milden Ausdrucke des Gesichts, die so nachdenklich und ruhig einhergeht?

Lucian. Ich sehe ihrer Mehrere, die sich an Tracht, Gang und Haltung ganz ähnlich sind; und doch kann wohl nur Eine unter ihnen die wahre Philosophie seyn.

Plato. Allerdings. Sie wird sich dir sogleich selbst zur erkennen geben, sobald sie nur zu reden angefangen haben wird.

14. Philosophie. Ha! was seh ich? Plato, Chrysippus, Aristoteles, und alle übrigen Häupter unserer Wissenschaft, auf der Oberwelt? Was führt euch wieder in’s Leben zurück? Habt ihr Verdruß da unten gehabt? Wenigstens macht ihr bitterböse Gesichter. Und wer ist denn der Gefangene da, den ihr mit euch führt? Wohl ein Dieb, ein Mörder, oder ein Tempelräuber?

Plato. Etwas weit Aergeres noch, als alle Tempelräuber, so wahr Jupiter lebt. Er hat sich erfrecht, dich, heiligste Philosophie, und uns Alle zu lästern, die wir das, was wir von dir empfangen, der Nachwelt überliefert haben.

Philosophie. Und darüber könnt ihr euch so ereifern? Wisset ihr nicht, was ich Alles von der Komödie bei den Dionysien über mich sagen lassen mußte? Und dennoch hielt ich gute Freundschaft mit ihr, und ließ es mir nicht einfallen, [378] deßwegen mit ihr zu hadern und sie vor den Gerichten zu verklagen. Ich ließ ihr gerne ihren Scherz, wie ihn die Bestimmung des lustigen Festes mit sich brachte. Denn ich weiß gar zu gut, daß der Spott nichts schlechter macht, und daß im Gegentheile das wahre Gute und Schöne, wie das Gold unter Hammerschlägen, dadurch nur um so heller und reiner strahlt. Ich begreife also nicht, wie ihr deßwegen so gereizt und rachsüchtig seyn könnt. Warum haltet ihr denn diesen Menschen da so fest am Nacken?

Plato. Wir nahmen auf Einen Tag Urlaub, und kamen, um diesen da zur gerechten Strafe zu ziehen. Denn das Gerücht hat uns die Schmähungen hinterbracht, welche er vor aller Welt gegen uns sich erlaubt hat.

15. Philosophie. Und nun wollt ihr ihn ohne Urtheil und Recht, und ohne nur seine Vertheidigung anzuhören, hinrichten? Man sieht ihm doch wohl an, daß er etwas zu sagen hat.

Plato. Das wollen wir nicht. Die ganze Sache stellen wir deiner Entscheidung anheim. Dein Ausspruch soll dem ganzen Handel ein Ende machen.

Philosophie [zum Beklagten]. Und was sagst du dazu?

Lucian. Ich sage eben dasselbe, hohe Herrin! Du wirst allein das Wahre zu finden wissen. Ich bat ja selbst darum, und erlangte es erst nach vielem Flehen, daß man die Entscheidung der Sache auf dich ausgesetzt seyn ließ.

Plato. Siehst du, infamer Bursche, jetzt kannst du sie deine Herrin nennen, und noch kurz zuvor stelltest du sie als das verächtlichste Ding dar, und botest sogar auf öffentlichem [379] Markte ihre Systeme nach einander, zu zwei Obolen das Stück, zum Verkaufe aus!

Philosophie. Gebt acht, am Ende hat dieser Mann gar nicht von der Philosophie, sondern von jenen Marktschreiern übel gesprochen, die unter unserem Namen so viele schlechte Streiche machen.

Lucian. Du wirst dich davon sogleich überzeugen, wenn du meine Vertheidigung anhören willst. Begeben wir uns nur auf den Areopag, oder noch besser, auf die Burg selbst, von wo wir die ganze Stadt mit einem Blicke übersehen können.

16. Philosophie [zu ihrem Gefolge]. Ihr, liebe Freundinnen, lustwandelt inzwischen in der Pöcile. Ich werde auch dahin kommen, sobald diese Sache im Reinen seyn wird.

Lucian. Wer sind deine Begleiterinnen, Philosophie? Sie gleichen dir so sehr an schönem, edlem Anstand.

Philosophie. Diese männliche hier ist die Tugend, jene dort die Selbstbeherrschung, neben ihr die Gerechtigkeit, die vor ihnen hergeht, ist die Wissenschaft, und dort die farblose, kaum sichtbare Erscheinung ist die Wahrheit.

Lucian. Die letztere sehe ich nicht.

Philosophie. Siehe dort die nackte, ungeschminkte, die sich unseren Blicken immer zu entziehen sucht, und wenn wir sie im Gesichte zu haben glauben, uns wieder entschlüpft: die ist’s.

Lucian. Nun sehe ich sie, aber nur mit Mühe. Nimm diese deine Begleiterinnen mit dir, damit die Gerichtssitzung desto vollzähliger und ansehnlicher werde. Wenigstens sollte die [380] Wahrheit dabei seyn, da ich sie zu meiner Sachwalterin nehmen will.

Philosophie. So kommt denn mit. Es wird euch nicht beschwerlich fallen, auch einmal eine Rechtssache entscheiden zu helfen, zumal eine solche, die unsere eigenen Angelegenheiten betrifft.

17. Die Wahrheit. Gehet nur: ich brauche nicht zuzuhören, da ich längst weiß, wie sich die Sache verhält.

Philosophie. Aber uns, liebe Wahrheit, muß sehr viel daran liegen, daß du mit zu Gerichte sitzest, damit wir über Alles die zuverläßigsten Angaben erhalten.

Wahrheit. Darf ich aber auch diese beiden Dienerinnen, die mir ganz besonders ergeben sind, bei mir haben?

Philosophie. Nimm mit, welche du willst.

Wahrheit. Wohlan, so folget mir, ihr beiden, Freimuth und Aufrichtigkeit, um dieses furchtsame Männchen, unsern Verehrer, aus einer Noth zu befreien, in welche er ohne alle gerechte Ursache gerathen ist. Du, Ueberführung, kannst einstweilen hier bleiben und uns erwarten.

Lucian. O das nicht, meine Herrin! Gerade diese soll mit uns kommen. Ich werde nicht mit gewöhnlichen Bestien zu kämpfen haben, sondern mit frechen, und schwer zu überführenden Burschen, die immer wieder neue Ausflüchte zu finden wissen: daher ist uns die Ueberführung unentbehrlich.

Philosophie. Ja wohl, wir müssen sie bei uns haben. Auch wird es sehr gut seyn, wenn du auch den Beweis mitnimmst.

[381] Wahrheit. So kommt denn alle, weil ihr doch, wie es scheint, beim Gerichte nöthig seyd.

18. Aristoteles. Siehst du, Philosophie, wie er die Wahrheit gegen uns zu gewinnen sucht?

Philosophie. Ihr werdet doch nicht etwa besorgen, die Wahrheit selbst möchte ihm zu Gefallen zur Lügnerin werden?

Plato. Nun das wohl eben nicht: aber – man kann nicht wissen, er ist ein schmeichlerischer, abgeführter Bursche: es könnte ihm doch gelingen, sie zu beschwatzen.

Philosophie. Seyd gutes Muths, die Gerechtigkeit ist bei uns: da wird Niemanden Unrecht geschehen. Laßt uns nun gehen.

19. Sag’ an, Beklagter, wie ist dein Name?

Lucian. Freymund, Wahrliebs Sohn, Ueberweisers Enkel.

Philosophie. Was für ein Landsmann?

Lucian. Ein Syrer, aus den Gegenden am Euphrat: doch was schadet dies? Kenne ich doch auch von diesen meinen Gegnern Mehrere, die nicht minder, als ich, barbarischer Abkunft sind, ohne daß Erziehung und Sitten den Landsmann von Soli, Cypern, Babylon und Stagira verrathen.[12] Und in deinen Augen würde auch der nichts verlieren, dessen Mundart barbarisch klänge: wenn nur seine Denkart gesund und richtig ist.

[382] 20. Philosophie. Du hast Recht: die Frage war überflüssig. Was bist du aber eigentlich deines Zeichens? Das sollte ich denn doch wissen.

Lucian. Ich bin ein abgesagter Feind aller Aufschneiderei und alles marktschreierischen Wesens, aller Lügen und alles eiteln Dünkels, und hasse diese abscheuliche Gattung von Menschen, deren, wie du weißt, eine Unzahl ist, von Herzensgrunde.

Philosophie. Beim Herkules, wenn das dein Geschäft ist, so hast du viel zu hassen.

Lucian. Ja wohl! Du siehst nun selbst, wie Viele auch mich hassen, und welchen Gefahren ich mich dadurch aussetze. Gleichwohl, wie feindlich diese Verhältnisse sind, ist mir darum doch das Freundliche nichts weniger als fremd. Ich bin ein Freund des Wahren, ein Freund des Schönen, ein Freund des Natürlichen und alles wahrhaft Liebenswürdigen. Doch nur sehr Wenige sind es, an denen ich die Kunst, mich zu befreunden, üben kann, während derer, die zu hassen mein Beruf ist, viele Tausende sind; so daß ich, indem ich jene Kunst vollends zu verlernen befürchten muß, mit dem letztern mich am Ende nur zu sehr vertraut mache.

Philosophie. Das solltest du wirklich nicht. Das Eine kann bestehen, ohne das Andere aufzuheben. Betrachte nicht jene Liebe und diesen Haß als gesonderte Dinge. Sie scheinen zweifach, und sind nur Eines.

Lucian. Dieß, o Philosophie, mußt du am besten wissen. Mein Wahlspruch ist nun einmal: Haß allen Schlechten, Lob und Liebe den Guten! –

[383] 21. Philosophie. Nun gut, wir sind zur Stelle. Hier, in der Vorhalle des Minervatempels laßt uns Gericht halten. – Priesterin, besorge die Sitze! – Wir wollen unterdessen der Göttin unsere Verehrung darbringen.

Lucian. O Minerva, Schirmerin der Stadt, sey mein Beistand im Kampfe gegen meine übermüthigen Feinde, und erinnere dich der falschen Eidschwüre, die du täglich aus ihrem Munde vernimmst! Du allein, Wächterin dieser Stadt, siehest ihr ganzes Thun und Treiben. Jetzt ist die Stunde gekommen, Rache an ihnen zu nehmen. Solltest du aber sehen, daß ich überwältigt würde, und der schwarzen Steine mehr, als der weißen, fallen, so lege den Deinigen dazu, und rette mich! –

22. Philosophie. Wohlan! Wir sitzen nun zu Gerichte, und sind bereit anzuhören, was ihr beiderseits zu sagen habt. Weil es aber nicht angeht, ihr Kläger, daß ihr Alle zugleich sprecht, so wählet Einen aus eurer Mitte, welchen ihr dazu für den Geschicktesten haltet, der in eurem Namen die Anklage nebst Beweis vorbringen soll. Sodann wirst du, Freymund, mit deiner Vertheidigung auftreten.

Die Auferstandenen. Wer ist nun wohl von uns der Geschickteste, unsere Sache zu führen?

Chrysippus. Wer anders, als du, Plato? Du besitzest Alles, was dazu nöthig ist, in vollem Maaße, Reichthum und Großartigkeit der Gedanken, hinreißende Anmuth und ächt Attischen Wohllaut der Sprache, dazu Scharfsinn in Auffindung der Beweise, und die Kunst, jeden derselben am rechten Orte und so anzubringen, daß dem Zuhörer die Beistimmung [384] unwillkührlich entlockt wird. Wohlan also, sey unser Wortführer, und sage in unser Aller Namen, was zu sagen ist. Rufe dir alle jene Mittel in’s Gedächtniß zurück, deren du dich gegen deine sophistischen Gegner Gorgias, Polus, Prodicus, Hippias bedientest, und lasse sie hier vereint wirken. Denn dieser Gegner ist gefährlicher, als alle. Streue das Salz der Ironie auf deine Rede, und rücke dem Feinde mit deinen spitzigen, und aneinander geketteten Fragen zu Leibe. Auch kannst du ja, wenn du es für gut hältst, jene Stelle vom geflügelten Wagen des Jupiter’s anbringen,[13] und den Gott in vollem Grimme heranfahren lassen, wofern dieser Bursche nicht zur Strafe gezogen würde.

23. Plato. Nicht doch: wir brauchen dießmal einen heftigern Redner, als ich bin, zum Beispiel einen Diogenes, Antisthenes, Krates, oder dich selbst, Chrysippus. Denn es ist hier nicht der Ort für einen schönen und ausgearbeiteten Vortrag: wir müssen vielmehr einen Sprecher haben, der darauf eingerichtet ist, unsern Gegner auf gut advokatisch in die Enge zu treiben. Denn Freymund ist ein gewaltiger Wortemacher.

Diogenes. Ich will die Anklage übernehmen: ich glaube nicht, daß eine Rede dazu erforderlich seyn wird. Mich hat er schwerer als alle Andern beleidigt, da er mich neulich um zwei Obolen ausbieten ließ.

Plato. Philosophie, Diogenes wird in unserem Namen sprechen. – Vergiß aber nicht, mein Freund, daß du [385] nicht blos deine Sache zu führen hast, sondern behalte stets das Gemeinsame im Auge. So wenig wir auch sonst in unsern Ansichten übereinstimmen mögen, so laß dich wenigstens jetzt in keine Erörterung darüber ein; äußere dich auch nicht darüber, welche Vorstellung richtiger als die andere sey: sondern sprich blos deinen Unwillen über die Unverschämtheiten und Schmähungen aus, welche sich Freymund in seinen Schriften gegen die Philosophie überhaupt erlaubt hat. Nimm also durchaus keine Rücksicht auf die verschiedenen Schulen, in die wir zerfallen, und verfechte nur unser gemeinschaftliches Interesse. Bedenke, daß du allein unser Vertreter bist, daß in deinen Händen das Schicksal unserer Sache liegt, und daß es von dir abhängt, ob wir im ehrenvollsten Lichte erscheinen, oder ob alle die Dinge für wahr gehalten werden, welche dieser Mensch über uns ausgesagt hat.

24. Diogenes. Sorget nicht: an mir soll es nicht fehlen; ich werde für Alle sprechen. Und sollte sich wirklich die Philosophie – sanft und mildherzig, wie sie ist – von ihm auf die Seite bringen lassen, und ihn lossprechen wollen, so werde ich wenigstens das Meinige thun und ihm zeigen, daß unser Eins seinen Knüttel nicht zum Spaße führt.

Philosophie. O das sey ferne: Viel vernünftiger ist es ja, dergleichen mit Worten, als mit Prügeln auszumachen. Beginne nun, Diogenes. Das Wasser ist aufgegossen,[14] die Blicke der Versammlung sind auf dich gerichtet.

[386] Lucian. Laß die Uebrigen auch mit zu Gerichte sitzen und ihre Stimmen abgeben, Philosophie. Diogenes aber soll allein Kläger seyn.

Philosophie. Wie? du fürchtest nicht, daß sie gegen dich stimmen werden?

Lucian. Durchaus nicht. Ich werde meine Sache nur mit einer um so größern Mehrheit gewinnen.

Philosophie. Das heißt wacker gesprochen! So setzt euch denn: und du, Diogenes, rede!

25. Diogenes. Was für Männer wir in unserm Leben waren, ist dir genau bekannt, o Philosophie, und es wäre überflüssig, hierüber viele Worte zu machen. Denn, um von mir selbst nichts zu sagen, wer kennt nicht das viele Gute, das Pythagoras, Plato, Aristoteles, Chrysipp und die übrigen hier Anwesenden, in der Welt gestiftet haben? Ich beschränke mich also darauf, den frechen Uebermuth zu schildern, den dieser verruchte Freymund an so verdienten Männern, wie wir sind, ausgelassen hat. Redner vom Handwerk, wie die Sage geht, verließ er die Gerichtshöfe und verzichtete auf die Ehre, die er sich dort durch Ausübung seiner Kunst erwerben konnte, um alle gewonnene Geschicklichkeit und Stärke im Reden gegen uns zu richten und uns unaufhörlich zu verläumden. Er schilt uns öffentlich Windbeutel und Betrüger, und macht uns in den Augen der Welt lächerlich und verächtlich, als ob gar nichts an uns wäre. Ja er wußte sogar den Haß des großen Haufens gegen uns und gegen dich, o Philosophie, rege zu machen, indem er deine Studien Kinderpossen und Narrheiten nannte, und die [387] ehrwürdigsten Dinge, die du uns gelehrt hast, zum Gegenstande seiner Witzeleien machte. Dafür erntete er von seinen Zuhörern Lob und Beifallklatschen, während wir die muthwilligsten Mißhandlungen erfuhren. Denn so ist nun einmal die Natur der Menge: sie leiht ihr Ohr am liebsten dem rohen Spaßmacher, zumal, wenn er mit seinem Spotte Dinge durchzieht, die insgemein für die ehrwürdigsten gelten. Was war es für ein Jubel, als vor Zeiten Aristophanes und Eupolis unsern Sokrates auf die Bühne brachten, um ihn in einigen abgeschmackten Scenen dem öffentlichen Gelächter preis zu geben? Gleichwohl nahmen sich jene Beiden so etwas nur gegen einen einzelnen Mann heraus, und obendrein an dem Bacchusfeste, das an und für sich schon eine solche Freiheit gestattet. Die Posse gehörte als wesentlicher Theil zur Festfeier: jener Gott selbst lacht gerne, und hatte vielleicht seine eigene Freude daran.

26. Dieser Mensch aber studirte recht absichtlich und lange, wie er uns verlästern könne, schrieb ein dickes Buch voll Schmähungen wider uns zusammen, versammelt alsdann einen Cirkel der gebildetsten und namhaftesten Leute um sich, und ergießt nun die Fluth seiner Verläumdungen über einen Plato, Pythagoras, Aristoteles, Chrysipp, über mich und alle übrigen Philosophen, ohne von der zügellosen Lust irgend eines Festes fortgerissen, oder durch eine Beleidigung von unserer Seite persönlich gereizt worden zu seyn. Im letztern Falle, wenn er nicht der angreifende, sondern der sich vertheidigende Theil wäre, könnte sein Verfahren einigermaßen entschuldbar genannt werden. Was aber das Unverzeihlichste ist – hinter deinen eigenen Namen, o Philosophie, [388] versteckt er sich, und hat unsern alten Freund den Dialogus[15] zu berücken gewußt, daß er ihm nun als Helfershelfer gegen uns zu Willen ist. Auch unsern ehemaligen Gefährten Menippus hat er beschwatzt, sich in seinen Possenspielen gegen uns gebrauchen zu lassen.[16] Darum ist dieser auch nicht mit uns als Kläger erschienen: er ist der gemeinschaftlichen Sache untreu geworden.

27. Für dieses Alles hat dieser Mensch gerechte Strafe verwirkt. Was wird er zu seiner Rechtfertigung anführen können, er, der vor so vielen Ohrenzeugen mit den heiligsten Gegenständen seinen Spott getrieben? Auch für die, in deren Gegenwart er es gethan, wird es heilsam seyn, ihn bestraft zu sehen, daß Keiner hinfort sich beigehen lasse, die Philosophie mit Verachtung zu behandeln. Würden wir uns still verhalten, und solche Beleidigungen auf uns sitzen lassen, so würde man es uns nicht für weise Mäßigung, wohl aber für Einfalt und Mangel an Muth anrechnen. Denn nun vollends die allerneueste Unverschämtheit – wer könnte sich die gefallen lassen? Da führt er uns nach einander wie verkäufliche Sclaven auf den Markt, stellt einen Ausrufer auf, und schlägt, wie man erzählt, den Einen um zwanzig, einen Andern um zwölf Minen, Etliche nur um einzige los. Mich hat der heillose Kerl gar um zwei Obolen weggehen lassen, zur großen Ergötzlichkeit aller Anwesenden. Im gerechten [389] Unwillen über diese schmähliche Mißhandlung erscheinen wir hier auf der Oberwelt, und bitten um Genugthuung.

28. Die Auferstandenen. Brav, Diogenes, du hast unsere gemeinsame Sache tüchtig geführt, und Alles gesagt, was nöthig war.

Philosophie. Stille mit euren Lobsprüchen! – Fülle nun dem Beklagten die Wasseruhr. – Die Reihe ist an dir, Freymund! Laß dich vernehmen. Dein Wasser rinnt bereits: säume dich also nicht.

29. Freymund. Mein Ankläger Diogenes, o Philosophie, hat nicht einmal Alles, was er konnte, wider mich angegeben, sondern das Meiste und gerade das Schlimmste unbegreiflicher Weise übergangen. Ich bin so weit entfernt, jene Aeußerungen läugnen zu wollen, oder auch nur auf eine Entschuldigung derselben gedacht zu haben, daß ich im Gegentheile gesonnen bin, dasjenige, was entweder mein Ankläger verschwiegen, oder was ich selbst zu sagen früher unterlassen hatte, hier nachzuholen. Du wirst sodann selbst sehen, wer die Leute sind, die ich zum Verkauf ausbieten ließ, und von denen ich die Ausdrücke Marktschreier, Gaukler u. s. w. gebrauchte. Nur darauf bitte ich die Versammlung genau acht zu geben, ob ich in allen Stücken die Wahrheit sage. Sollte aber eine oder die andere meiner Aeußerungen hart oder ehrenrührig klingen, so wird es, denke ich, billiger seyn, die Schuld denen, die durch ihr Betragen mich dazu veranlassen, nicht aber mir beizumessen, der ich ihre Schändlichkeiten aufdecke. – Was zuerst mich selbst betrifft, so sah ich bald genug ein, daß mit der Ausübung der gerichtlichen Beredsamkeit tausend Widerwärtigkeiten verknüpft sind, [390] und daß man dabei Betrügereien, Lügen, Unverschämtheit, Geschrei und Händeln täglich ausgesetzt ist. War es ein Wunder, wenn ich dieser Lebensart mich entzog, und mich zu dir, o Philosophie, und zu deinen Gütern flüchtete? Als hätte ich nach Sturm und Wogendrang endlich einen sichern Port gefunden, beschloß ich unter deinem Schirme den Rest meiner Tage zu verleben.

30. Kaum hatte ich mich mit eurer Wissenschaft etwas näher bekannt gemacht, so konnte es nicht fehlen, ich verehrte dich und alle Diese als die Gesetzgeber der besten Art zu leben, und als die Führer für die, welche darnach Verlangen tragen: ich sah in euch die Lehrer der schönsten und heilsamsten Wahrheiten für Jeden, der euren Vorschriften mit unverwandtem Blicke und festen Schritten folgend, nach ihnen sein Leben regeln und einrichten will. Allein, beim Jupiter, wie Wenige sind in unsern Tagen, die dieß thun!

31. Wie Viele sehe ich, die nicht aus wirklicher Liebe zur Philosophie, sondern aus Sucht nach dem Ansehen, das sie sich dadurch zu verschaffen glauben, die Philosophen spielen, und, indem sie gewisse äußerliche, in die Augen fallende Merkmale, die Jeder ohne Mühe nachäffen kann, z. B. den philosophischen Gang, die Tracht, den Bart u. dergl. annehmen, sich das Ansehen von weisen und tugendhaften Männern vortrefflich zu geben wissen! Seh ich nun, in welch schreiendem Widerspruch ihre Handlungen mit dieser Außenseite standen, wie ihre ganze Lebensweise das Gegentheil von der eurigen war, und die Würde des Standes schändete, zu dem sie sich bekannten, so erfüllte mich das mit dem tiefsten [391] Unwillen. Es war mir nicht anders, als sehe ich einen schwächlichen, verweichlichten, weibischen Burschen die Rolle eines Hercules, Theseus oder Achilles übernehmen, während doch weder Haltung, noch Stimme den Helden bezeichnete, sondern der Tropf unter der gewaltigen Maske sich erbärmlich ausnähme. Würde schon eine Helena und Polyxena sich eine solche bis zur Ungebühr weit getriebene Aehnlichkeit mit ihrem Geschlechte verbitten,[17] wie viel übler würde es Hercules, der Siegprangende, aufnehmen, sich so schmählich zwitterhaft dargestellt zu sehen? Ich denke, dieser würde ihn sammt seiner Herculeslarve mit Einem Keulenstreich zu Boden strecken.

32. Dasselbe ist nun hier der Fall. Es war mir unerträglich, die schamlose Mummerei mit anzusehen, wie Affen sich unterstanden, Heldenmasken vorzunehmen. Sie machen’s, wie der Esel von Kuma. Dieser steckte sich in eine Löwenhaut, und wollte für einen Löwen angesehen seyn. Wirklich gelang es ihm, den unwissenden Kumanern durch sein rauhes Geplärr Schrecken einzujagen; bis endlich ein Fremder, der schon mehr Löwen und Esel gesehen hatte, die Maske ihm abzog und mit Prügeln den Heimweg wies. Was mir aber bei diesem Allem das Schlimmste schien, war dieß: sobald man einen jener Nachäffer einen schlechten oder unanständigen und lüderlichen Streich machen sieht, so geben die Leute sogleich der Philosophie selbst, und demjenigen Philosophen die Schuld, nach dessen Schule der Sünder sich nennt, und von [392] dessen Lehrsätzen er Profession macht.[18] Indem man also von der schlechten Lebensweise eines Solchen ausgeht, werden die nachtheiligsten Schlüsse auf euch selbst gemacht. Ihr seyd aber längst gestorben, und der Vergleichung mit euern Jüngern entrückt, und die Welt hat nur die Letztern und ihren unwürdigen, ärgerlichen Wandel im Auge. So kann es, daß ihr zugleich mit diesen in Aberacht gefallen und gleichsam abwesend, ohne euch verantworten zu können, verurtheilt worden seyd.

33. Ich konnte unmöglich gleichgültig dabei bleiben, und stellte also die falschen Philosophen in ihrer wahren Gestalt dar, und zeigte, wie sie so ganz verschieden von euch selbst wären. Und nun, statt mich dafür gebührend in Ehren zu halten, belangt ihr mich vor Gericht! Hörte ich einen Eingeweihten die Geheimnisse der beiden Göttinnen[19] leichtsinnig ausplaudern, und ich rügte voll Unwillens diese Gottlosigkeit, würdet ihr denn mich als den Gottlosen anklagen? Das wäre doch wohl sehr unrecht. Pflegen doch auch die Athlotheten den Schauspieler, der die Rolle der Minerva, des Neptun oder Jupiter schlecht und unwürdig der Gottheit gespielt hat, geisseln zu lassen, ohne daß es die Götter ihnen verübeln, daß Leute, die einmal in Göttermasken gesteckt hatten, dem Zuchtmeister übergeben werden: im Gegentheile sollt ich denken, sie haben Gefallen daran, sie peitschen zu sehen. Denn wird eine Sclaven- oder sonstige gemeine Rolle ungeschickt gegeben, so hat das wenig auf sich. Hingegen [393] einen Jupiter oder Hercules in unwürdiger Gestalt vor den Zuschauern auftreten lassen, ist ein Gräuel, der Sühnung fordert.

34. Jene Leute nun gehen in ihrer Verkehrtheit so weit, daß sie zwar eure Schriften sehr genau kennen, aber im Leben solche Grundsätze befolgen, daß es nicht anders ist, als ob sie euch nur in der Absicht läsen und studirten, um stets das Gegentheil in Ausübung zu bringen. Was sie uns von der Verachtung des Geldes und eitler Ehren zu sagen wissen, und daß nur das Sittlichgute ein Gut sey, daß man leidenschaftlos seyn, über den Flitterstaat der Großen dieser Welt wegsehen, und mit ihnen umgehen müsse, wie mit seines Gleichen – Alles das ist, bei den Göttern, recht schön, vernünftig, wahrhaft großartig. Aber nun sehe man, wie sie eben diese Lehren nur um Geld ertheilen, wie sie den Reichen ihre Ehrfurcht zollen, wie sie nach Gold und Silber schnappen, wie sie bissiger als junge Hunde, furchtsamer als die Hasen, schmeichlerischer als die Affen, geiler als die Esel, diebischer als die Katzen, und zänkischer als die Hähne sind. Daher machen sie sich selbst zum Gespötte, wenn sie Händel unter sich anfangen, vor den Thüren der Reichen einander mit den Ellenbogen wegstoßen, und große Gesellschaften und Schmausereien aufsuchen, wo sie dem Wirth mit den niederträchtigsten Schmeicheleien zur Last fallen, dabei voll ungenügsamer Gefräßigkeit sich auf’s unanständigste überfüllen, unter häufigen Bechern abgeschmackte, und mit ihrer Philosophie schlecht harmonirende Gespräche führen, und den Wein nicht einmal – bei sich behalten. Da lachen denn natürlich [394] die Laien, die bei dem Gelage zugegen sind, und verachten eine Philosophie, die so häßliche Früchtchen erzieht.

35. Das Schändlichste ist endlich noch, daß Jeder von ihnen behauptet, nichts zu bedürfen, und immer nur schreit: „der Weise ist allein reich!“ im nächsten Augenblicke aber um ein Geschenk bittet und unartig wird, wenn man es ihm abschlägt; gerade als wenn Einer im königlichen Aufzuge, mit Diadem und Tiare und allen übrigen königlichen Ehrenzeichen geschmückt, bei dem gemeinen Volke betteln gehen wollte. Wenn sie etwas erhalten wollen, so wird ein langes und breites darüber gesprochen, wie man gegenseitig mittheilsam seyn müsse, wie gleichgültig der Besitz des Reichthums, wie Gold und Silber um nichts besser sey als die Kieselsteine des Ufers: kommt aber irgend ein hülfsbedürftiger alter Bekannter oder vieljähriger Freund, und bittet nur um eine kleine Beisteuer, da ist man mäuschenstille, befindet sich gerade selbst in Verlegenheit, will von Nichts wissen, und stimmt am Ende ein ganz anders Lied an, als man zuvor gesungen. Dahin sind sie nun und verflogen alle jene schönen Deklamationen über die Freundschaft, die Tugend und das Sittlichschöne: es waren in der That nur geflügelte Worte, womit tagtäglich in ihren Schulen eitle Klopffechterei getrieben wird.

36. Diese Menschen sind nur so lange Freunde zusammen, als nicht Gold oder Silber in Wurf kommt. Aber man zeige ihnen nur einen Obolus: gleich ist der Friede gebrochen, unversöhnlicher Hader beginnt, die Schriften werden ausgestrichen, die Tugend flüchtet sich. Da geberden sie sich, wie die Hunde, wenn man einen Knochen unter sie [395] wirft: sie fahren los, beißen einander, und bellen hinter dem her, der das Bein erwischt hat. Einst ließ ein ägyptischer König Affen auf den Waffentanz abrichten; und geschickt, wie diese Thiere sind, alle menschlichen Verrichtungen nachzumachen, lernten sie gar bald, mit Purpurröcken angethan, und Larven vor den Gesichtern, die künstlichen Bewegungen des Tanzes ausführen. Lange waren sie die Bewunderung der Zuschauer; bis einmal ein Spaßvogel, der Nüsse in der Tasche hatte, diese mitten unter sie hineinwarf. Die Nüsse sehen und das Tanzen vergessen war Eins. Aus den niedlichen Solotänzern wurden wieder Affen, die ihre Masken zu Grunde richteten, die Kleider zerfetzten, und sich mit einander um das Naschwerk balgten; und so hatte das ganze künstlich angeordnete Ballet unter großem Gelächter der Zuschauer ein Ende.

37. Gerade so machen es auch unsere Philosophen. Diesen galten meine Ausfälle, und nimmer werde ich aufhören, sie mit der Geißel der Satyre zu züchtigen. Aber ferne sey von mir der Wahnsinn, gegen euch und Solche, die euch gleichen – und wirklich, es giebt deren noch Einige, die der Philosophie aufrichtig zugethan und euren Vorschriften getreu sind – je ein schmähendes oder nur schiefes Wort mir zu erlauben. Was könnte ich auch wider euch sagen? Wo habt ihr je in eurem Leben euch so, wie Jene, benommen? Nur jene göttervergessenen Gleisner sind’s, die ich, wie ich glaube mit vollem Rechte, hasse. Oder solltet ihr wirklich, Pythagoras, Plato, Chrysipp, Aristoteles, solltet ihr eine Verwandtschaft dieser Menschen mit euch anerkennen? sollten sie durch irgend Etwas in ihrem Leben beweisen, daß sie die Eurigen [396] sind? Nein beim Jupiter, ihr und sie – das paßt wie Hercules und der Affe. Weil sie Bärte haben, und philosophische Studien vorgeben, und ernsthafte Gesichter schneiden, deßwegen soll man sie mit euch vergleichen? Wenn sie nur wenigstens ihre Rollen mit einiger Treue spielten, so könnte man sich’s noch gefallen lassen: so aber möchte ein Geyer eher eine Nachtigall vorstellen, als Einer von diesen einen Weltweisen. – Ich sagte, was ich für mich zu sagen wußte. Sprich du, o Wahrheit, ob ich wahr gesprochen.

38. Philosophie. Tritt ein wenig auf die Seite, Freymund. – Nun, wie steht’s? Was sagt ihr zu dem Vortrag dieses Mannes?

Die Wahrheit. O Philosophie, ich hätte, wie er so sprach, in die Erde sinken mögen, so wahr ist leider Alles, was er sagte. Ich erkannte Zug für Zug jeden Einzelnen von denen, die es so machen. Bei jeder Stelle fand ich augenblicklich die Beziehung bald auf Diesen, bald auf Jenen; kurz er entwarf von diesen Menschen ein sehr deutliches und vollständiges Gemälde, in welchem er nicht blos ihre äußern Umrisse, sondern auch ihre Characterzüge auf’s getreueste darstellte.

Die Sittsamkeit. Auch ich, gute Wahrheit, schämte mich in ihrer Seele.

Philosophie. Nun, ihr Philosophen, was ist eure Meinung?

Die Auferstandenen. Daß man ihn lossprechen, ihn öffentlich für unsern Freund und Wohlthäter anerkennen soll. Gieng es uns nicht eben wie den Bürgern von Ilium, da sie einen Tragöden zum Singen aufforderten? Man hat uns [397] unsere eigene Jammergeschichte vorgesungen. Möge er doch nicht aufhören, dieses Lied zu singen, und die den Göttern verhaßten Bursche in ihrer jämmerlichen Gestalt auftreten zu lassen.

Diogenes. Ich lobe mir den Mann gleichfalls, o Philosophie, nehme meine Anklage zurück, und mache ihn zu meinem Freunde, weil er sich so brav bewiesen.

39. Philosophie. Schön! Komm herbei, Freymund! Du bist losgesprochen, hast deine Sache mit allen Stimmen gewonnen, und sollst hinfort der Unsrige seyn.

Freymund. Vor allen Dingen der Göttin meine Anbetung![20] Und um es desto feierlicher zu thun, rufe ich mit dem Tragiker:

Geberin hehren Siegs! Leite mich stets,
Und ermüde nicht, mir
Des Ruhmes Kränze zu reichen![21]

Die Tugend. Nun ist noch die zweite Hälfte unseres Geschäftes übrig: die falschen Philosophen müssen jetzt vorgeladen werden, um ihre Strafe für Alles zu empfangen, was sie an uns gefrevelt haben. Freymund soll Jeden einzeln anklagen.

Freymund. Wohlgesprochen, o Tugend! – He, Syllogismus, [398] rufe in die Stadt hinab, die Philosophen sollen heraufkommen!

40. Syllogismus. Holla, aufgemerkt! Die Philosophen sollen auf der Burg erscheinen, um sich vor der Tugend, der Philosophie und der Gerechtigkeit zu verantworten!

Freymund. Siehst du? Es sind nur Wenige, die herbeikommen. Die Andern haben die Vorladung wohl auch gehört, aber zum Theile fürchten sie sich vor einer Untersuchung, zum großen Theile aber haben sie keine Zeit zu erscheinen, sondern müssen den Reichen ihre Aufwartung machen. Wenn sie Alle kommen sollen, so mußt du ihnen so zurufen, Syllogismus: –

Philosophie. Rufe du lieber selbst, Freymund, wie du es gut findest.

41. Freymund. Das soll gleich geschehen. „Holla, aufgemerkt! Alle, die sich Philosophen nennen, und diesen Namen zu verdienen glauben, sind eingeladen, auf der Burg bei einer Austheilung zu erscheinen. Es trifft zwei Minen und einen Sesamkuchen auf den Mann; und wer einen recht langen Bart aufzuweisen hat, soll noch einen Feigenkuchen obendrein bekommen. Ehrbarkeit, Rechtschaffenheit, Enthaltsamkeit braucht Keiner mitzunehmen: das sind Dinge, die man nicht vermißt. Dagegen muß Jeder mit fünf Syllogismen versehen seyn: denn ohne diese darf Keiner für einen Weisen passiren.

Mitten liegen im Kreis auch zwei Talente des Goldes,
Dem bestimmt, der von allen sich zeigt als den wackersten Streiter.“[22]

[399] 42. Hilf Himmel! wie voll schon der Weg zur Burg herauf ist! Wie das wimmelt! Wie sich das drängt und stößt, so wie von zwei Minen etwas verlautet! Einige steigen an der Pelasgischen Mauer, Andere am Tempel des Aesculap, noch Mehrere am Areopag, Einige selbst am Grabmal des Talos herauf: ja Einige haben sogar am Dioskurentempel Leitern angelegt, und klettern nun mit Gesumse, wie ein Bienenschwarm heran. Von daher und dorther erscheinen

Tausende, gleich wie Blätter und knospende Blumen im Frühling.[23]

In wenig Augenblicken ist die Burg voll. Mit Geschnatter nehmen sie ihre Plätze ein. Allenthalben sieht man nichts als Ranzen, Bärte, Kriecherey, Unverschämtheit, Knotenstöcke, Gefräßigkeit, Syllogismen, Geldhunger. Die Wenigen, welche auf den ersten Ausruf heraufgekommen waren, sind unter der Menge verschwunden, und wie könnte man sie herausfinden, da ihr Aeußeres von dem der Uebrigen so gar nicht verschieden ist? Das ist denn doch nicht recht, Philosophie, und darüber könnte man dir sehr gegründete Vorwürfe machen, daß du den Bessern kein besonderes Unterscheidungszeichen ertheilest: denn gar oft sehen bloße Gleisner ächten Philosophen weit ähnlicher, als die, welche es wirklich sind.

Philosophie. Dafür soll nun bald gesorgt werden! Nun aber müssen wir diesen hier Gehör geben.

43. Platoniker. Wir Platoniker müssen unsern Theil zuerst haben.

[400] Pythagoräer. Mit nichten: uns gebührt der Vorrang; Pythagoras war älter.

Stoiker. Possen: die Vornehmern sind wir aus der Stoa.

Peripatetiker. Oho, weit gefehlt! Wenn sich’s um Geld handelt, sind wir Peripatetiker voran.

Epikuräer. Gebt uns einstweilen nur die Kuchen und die Feigenbrode: auf das Geld wollen wir gerne warten, und wenn wir auch die Letzten seyn sollten.

Academiker. Wo sind die zwei Talente? Wir Academiker wollen beweisen, daß wir die besten Streiter unter Allen sind.

Stoiker. Doch nicht, so lange noch ein Stoiker zugegen ist?

44. Philosophie. Hört auf, euch zu zanken! He, ihr Cyniker dort, stoßt euch nicht so, laßt eure Stöcke in Ruhe! Die Absicht, in welcher ihr hieherberufen worden seyd, ist eine ganz andre. Ich, die Philosophie, und hier die Tugend und die Wahrheit, wir wollen untersuchen, welche von euch wahre Philosophen sind. Diejenigen, deren Leben unseren Vorschriften gemäß erfunden wird, werden für Weise erklärt werden und sollen hinfort glücklich seyn. Die Heuchler aber, die keinen Theil an uns haben, sollen ihr schmähliches Ende finden, daß sich fortan kein eitler Prahler einfallen lasse, eine Würde sich anzumaßen, die für ihn viel zu erhaben ist. – Was soll das? Ihr lauft davon? Wahrhaftig, sie nehmen fast Alle Reißaus, springen über Felsen und Abgründe, und die Burg ist auf einmal wieder leer, bis auf die [401] Wenigen, die, ohne eine Untersuchung zu scheuen, da geblieben sind.

45. Hebet einmal den Ranzen dort auf, ihr Aufwärter, den der kleine Cyniker im Davonlaufen verloren hat. Laß doch sehen, was er enthalten mag! Feigbohnen, ohne Zweifel, ein Buch und ein Stück grobes Schwarzbrod?

Freymund. Nichts weniger! Seht her, ein Paar Goldstücke, eine wohlriechende Salbe, ein bequemes Besteck, ein Spiegel und ein Paar Würfel.

Philosophie. Ach! vortrefflich, mein sauberer Herr! Das waren also die Stärkungsmittel bei deiner Tugendübung? Mit solchen Sächelchen behangen konntest du dich unterstehen, aller Welt die unverschämtesten Strafpredigten zu halten und Jedermann zu hofmeistern?

Freymund. So sind die Menschen. Euch liegt es nun ob, darauf zu denken, wie die Welt hierüber in’s Klare gesetzt, und wie es Jedem möglich werden möge, auf den ersten Blick die ächten Weisen von denen zu unterscheiden, deren Leben das Gegentheil beweist. Besonders aber wird dir daran liegen, o Wahrheit, dieses Mittel aufzufinden: denn es wird nur zu deinem Vortheil seyn, wenn die Lüge nichts mehr über dich vermögen und kein Taugenichts im Stande seyn wird, von aller Welt unerkannt die Rolle des Edeln und Weisen zu spielen.

46. Die Wahrheit. Wenn es euch gefällt, so wollen wir das dem Freymund übertragen: er hat sich als ein braver, uns wohlgesinnter Mann, und als dein aufrichtiger Verehrer bewährt, o Philosophie. Er soll in Gesellschaft der Ueberführung mit Allen, die den Philosophen-Namen [402] führen, Bekanntschaft machen. Wer sich ihm dann als ächten Jünger der Weisheit erprobt, den soll er mit einem Oelzweig kränzen, und in das Prytaneum[24] führen. Wo er aber auf einen dieser heillosen Maul-Philosophen stößt, deren es nur zu Viele giebt, dem soll er den Mantel vom Leibe reißen, den Bart mit der Schaafscheere auf der Haut abscheeren, und ein Merkzeichen auf die Stirne stechen oder zwischen den Augbraunen einbrennen, und zwar soll das Brenneisen die Gestalt eines Fuchses oder Affen haben.

Philosophie. Vortrefflich, liebe Wahrheit! Und die Probe, Freymund, sey derjenigen ähnlich, welche die Adler mit ihren Jungen an der Sonne anstellen: aber anstatt sie wie diese gegen das Licht blicken zu lassen, halte ihnen Gold, Ansehen und Wollust vor die Augen; und wen du darüber wegschauen und von dem Anblicke nicht angezogen werden siehst, der ist’s, den du mit dem Oelzweige zu krönen hast. Wer aber mit den Augen auf jene Dinge starrt, und mit den Händen nach dem Golde fährt, den ergreife, und lasse ihm den Bart abscheeren und das Brandmal aufdrücken.

47. Freymund. Es soll geschehen nach deinem Gefallen, Philosophie: bald werden dir Solche, die Füchse und Affen auf der Stirne tragen, in Menge begegnen, aber nur Wenige, die Kränze haben. Wenn es euch genehm ist, will ich gleich jetzt Etliche von Jenen heraufholen.

Philosophie. Wie? Du willst die Entflohenen herbeischaffen?

[403] Freymund. Sehr leicht, wenn mir nur die Priesterin die Angelschnur dort nebst dem Haken, welche der Fischer aus dem Piräeus gestiftet hat, auf einige Augenblicke borgen will.

Priesterin. Hier hast du sie, und die Ruthe dazu.

Freymund. Noch bitte ich dich um ein Paar getrocknete Feigen und ein Goldstückchen.

Priesterin. Das sollst du haben. – Hier!

Philosophie. Was soll das werden?

Priesterin. Er hat eine Feige und das Goldstück an den Angelhaken befestigt, und läßt nun, auf der Mauer sitzend, die Schnur hinab in die Stadt.

Philosophie. Was machst du da, Freymund? Willst du Steine von der alten pelasgischen Mauer fischen?

Freymund. Stille! warte, was ich für einen Fang thun werde. O Neptun, du großer Fischerpatron, und du holde Amphitrite, ich bitte, bescheret mir nur dießmal einen reichen Zug!

48. Ha! da sehe ich ja schon einen mächtigen Hecht, oder ist’s gar ein Goldbrassen?

Die Ueberführung. Auch nicht: es ist eine Art Hay. Er nähert sich der Angel mit aufgesperrtem Rachen: er wittert das Gold: nun ist er dran – er beißt an – er ist gefangen – herauf mit ihm!

Freymund. Du mußt mir ziehen helfen – ach, nun ist er oben. Laß sehen, mein prächtiger Fisch, welcher Gattung du angehörst. Ha! ein Meerhund![25] – Hercules, was der Zähne hat! – So, mein sauberer Patron, also zwischen [404] den Felsen[26] strich man dem Raube nach, wo man sich recht unbemerkt glaubte? Aber nun sollst du an den Kiemen aller Welt zur Schau aufgehangen werden. – Nehmen wir aber zuvor den Angelhaken mit der Lockspeise heraus. Siehe da! der Haken ist leer! Er hat die Feige sammt dem Goldstücke bereits im Bauche.

Diogenes. Zum Henker, er soll sie von sich geben. Wir brauchen sie noch für Andere.

Freymund. Allerdings. Aber wie, Diogenes! kennst du ihn nicht? geht er dich nichts an?

Diogenes. Nicht das Mindeste.

Freymund. Nun, wie hoch sollen wir ihn schätzen? – Siehst du, das ist eben der, den ich neulich um zwei Obolen ausbot.

Diogenes. Immer noch zu viel für den. Er ist ungenießbar, häßlich von Ansehen, hat ein hartes Fleisch: er ist gar nichts werth. Wirf ihn kopfüber den Felsen hinab. Laß die Schnur noch einmal hinunter, um einen Andern zu fangen. Nur nimm dich in Acht, Freymund, daß die Ruthe nicht bricht!

Freymund. Sorge nicht: sie sind leicht, sie wiegen nicht schwerer als Häringe.

Diogenes. Und haben auch nicht mehr Gehirn.[27] Ziehe sie immer herauf!

[405] 49. Freimund. He, was da für ein Plattfisch herankömmt! er sieht ja aus, wie halbirt: es ist eine Scholle, dünkt mich. Schon sperrt er das Maul nach der Angel aus – er packt - wir haben ihn.

Diogenes. Heraufgezogen! – Was ist es für Einer?

Die Ueberführung. Für einen Platoniker giebt er sich aus.

Plato. Wie, Schandbube, auch du lässest dich mit Gold fangen?

Freymund. Was meinst du, Plato, was soll mit ihm geschehen?

Plato. Ebenfalls über die Felsen hinab mit ihm!

50. Diogenes. Nun nach einem Andern geangelt!

Freymund. Ach, nun sehe ich einen gar schönen Fisch herbeikommen: er hat, so viel ich aus der Entfernung beurtheilen kann, bunte Farben, und Goldstreifen über den Rücken hinab. Siehst du ihn, Ueberführung? Es ist derselbe, der den Aristoteles vorstellen will. Schon war er dran, dann schwamm er wieder weg. – Wie sorgfältig er sich umsieht.[28] – Nun kommt er wieder – er schnappt – gefangen! In die Höhe mit ihm!

Aristoteles. Frage mich nicht nach ihm, Freymund! Ich weiß nicht, wer er ist.

Freymund. Nun so werfen wir auch den über den Berg!

51. Diogenes. Aber siehe da, eine ganze Menge Fische von gleicher Farbe und einer rauhen Haut voller Stacheln: [406] die sind gewiß schwerer zu fassen, als ein Igel. Da sollten wir wohl ein Netz haben, wenn eines zur Hand wäre. Doch es wird hinlänglich seyn, wenn wir nur Einen aus der ganzen Heerde heraufziehen. Der Keckste von ihnen wird schon anbeißen.

Die Ueberführung. Wirf aus, aber verwahre zuvor das untere Ende der Schnur wohl mit Eisendrath, damit, wenn der Fisch das Goldstück verschlungen hat seine scharfen Zähne die Schnur nicht zersägen.

Freymund. Die Angel ist unten. Neptun, beschleunige den Fang! – O seht, seht, wie sie sich um den Köder reißen. Da haben sich Mehrere zugleich an die Feige gemacht, und benagen sie um die Wette: Diese hier hängen an dem Goldstücke, wie angewachsen. – Ach schön! einer der Stärksten hat die Angel selbst im Rachen. – He du, sag’ einmal an, wer dein Namenspatron ist? – Aber was bin ich für ein Narr, daß ich von einem Fisch eine Antwort haben will! Sprich also du, Ueberführung, wo ist sein Meister?

Die Ueberführung. Chrysippus hier.

Freymund. Ich verstehe; gewiß, weil Gold in dem Namen steckt.[29] Aber sage mit um der Minerva willen, mein Chrysippus, kennst du diese Leute, und sind es deine Vorschriften, die sie befolgen?

Chrysippus. Eine beleidigende Frage, beim Jupiter: glaubst du denn, daß ich in Berührung mit solchen Burschen stehe?

[407] Freymund. Brav, edler Chrysipp! Nun so soll dieser mit den Uebrigen über den Felsen wandern, zumal da er so grätig ist, daß man sich die Kehle verwunden würde, wenn man ihn essen wollte.

52. Philosophie. Nun mag des Fischens genug seyn, lieber Freymund; damit nicht – denn es giebt ja vielerlei Fische – am Ende einer mit der Angel sammt dem Goldstücke ausreißt, und du der Priesterin beides ersetzen mußt. Wir, meine Freundinnen, wollen lustwandeln gehen: und ihr habt Zeit, euch zurück zu verfügen, damit ihr euern Urlaub nicht überschreitet. – Du aber, Freymund, mache mit der Ueberführung die Runde bei jenen Allen, und krönet oder brandmarket, wie ich euch angewiesen habe.

Freymund. Es soll geschehen, Philosophie. – Nun lebet wohl, ihr edelsten der Männer! – Komm, Ueberführung, laß uns unsern Auftrag ausrichten. Wohin sollen wir uns aber zuerst wenden? In die Akademie? oder in die Stoa? Laß uns mit dem Lyceum den Anfang machen. Es verschlägt nichts, wo wir beginnen: ich weiß nur zu gut, daß wir überall, wo wir hinkommen mögen, sehr wenige Kränze, aber desto häufiger das Brenneisen nöthig haben werden.



  1. Parodie von Il. II, 363.
  2. Parodie von Il. VI, 112.
  3. Il. XX, 262. Voß.
  4. Parod. von Il. X, 378. f. u. I, 23.
  5. Parod. von Il. X, 447. f.
  6. Bruchstücke aus Euripides.
  7. Eurip. Orestes v. 413.
  8. Bruchstück.
  9. Bacchantinnen v. 385. ff.
  10. Il. III, 57.
  11. Gemähldehalle zu Athen, wo die Stoiker lehrten, die davon ihren Namen hatten (στοά, Halle).
  12. Chrysippus war aus Soli in Cilicien, Zeno aus Cittium in Cypern. Diogenes der Stoiker aus Babylon, Aristoteles aus Stagira in Macedonien.
  13. Anspielung auf die dichterische Stelle im Phädrus § 56.
  14. Die Zeit, vor Gericht zu reden, wurde beiden Theilen nach der Wasseruhr zugemessen.
  15. Die Philosophen, besonders von der Socratischen Schule, hatten die dialogische Form des Lehrvortrags zu der ihrigen gemacht.
  16. Man s. die Todtengespräche und den Icaromenippus.
  17. Man erinnere sich an die Sitte der Alten, weibliche Rollen durch Männer darstellen zu lassen.
  18. Nach der Conjectur ἐνεπορεύετο von Jacobs Act. Phill. Monacc. T. II p. 459.
  19. Der Ceres und Proserpina, den eleusinischen Göttinnen.
  20. Zur Rechtfertigung dieser Uebersetzung bemerke ich, daß mir der Aorist προςεκύνησα, hier in derselben Bedeutung zu stehen scheint, wie der Aorist in ἐγέλασα Deor. Dial. XVI, 2.
  21. Schlußchor in den Phönizierinnen, dem Orestes, und der Iphigenia in Tauris des Euripides.
  22. Parodie von Il. XVIII, 507. f.
  23. Il. II, 468.
  24. Um dort auf öffentliche Kosten unterhalten zu werden, eine Ehre, die nur den verdientesten Staatsbürgern widerfuhr.
  25. Κύων, Wortspiel mit Cyniker.
  26. D. h. (wie es scheint) in den Winkelgäßchen am felsigten Fuße der Acropolis.
  27. So traf Wieland glücklich den Sinn des Wortspiels ἀφύαι und ἀφυέστατοι.
  28. περισκοπεῖ.
  29. Chrysippus würde zu deutsch heißen: Goldroß.