Der Graf von Paris

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Graf von Paris
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 547
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[547] Der Graf von Paris. Schwerlich wird der Enkel Louis Philippe’s jemals die Krone seines Großvaters tragen, obschon er jetzt den Anhängern der Bourbons und der Orleans, der königlich gesinnten Partei in Frankreich, als der einzig berechtigte Thronkandidat erscheint. Gleichwohl ist es immer von Interesse, sich ein Bild des vielbesprochenen Prinzen entwerfen zu können, welcher gegenwärtig von der republikanischen Regierung aus Frankreich verbannt ist. Ein solches Bild entwirft uns der unter dem Pseudonym „Graf Vasili“ schreibende „große Unbekannte“ in dem soeben erschienenen ersten Bande des Werkes über „Die Gesellschaft in Paris“.

Der Graf von Paris, obgleich auch der Kandidat der Legitimisten, der Anhänger des Grafen von Chambord, würde stets nach den Grundsätzen des Julikönigthums regieren; er ist kein Prätendent, der durch ungesetzliche Gewaltthat die Herrschaft an sich reißen würde; er hält es für seine Pflicht, sich bereit zu halten, wenn Frankreich ihn rufen sollte, aber er hofft dies nicht und wünscht dies nicht, weil nur gefährliche und furchtbare Umwälzungen dazu führen könnten: er hegt keine chimärischen Hoffnungen wie der Graf Chambord sie hegte; er sieht nur eine schwerlastende Pflicht vor sich, die er unter Umständen würde übernehmen müssen. Sein geheimes Ideal wäre, bis ans Ende seiner Tage als großer Herr in der Straße von Varennes und im Schlosse von Eu leben zu können, umgeben von Freunden, seine Kinder friedlich erziehend, einen hervorragenden, aber wenig lästigen Platz in der Gesellschaft einnehmend und auf einem Fuß von Gleichheit mit den fremden Prinzen verkehrend.

Persönliche Freunde besitzt der Graf von Paris nicht; er lebt in vollkommener Gemeinschaft der Neigungen und Empfindungen mit der Gräfin, einer Prinzessin Isabelle von Orleans-Montpensier, die sehr jung ihren Vetter geheirathet hat, einer trefflichen Gattin und Mutter, welche dabei den Sinn für Musik und Litteratur hegt und pflegt, heiter ist, sich lebhaft zu unterhalten versteht, eine glänzende Toilette liebt, gern mit der ganzen Pracht ihrer Edelsteine erscheint, ohne besondere Eleganz und weibliche Koketterie, aber auch eine kühne Reiterin und Jägerin ist. Eine Schönheit ist sie nicht; ihre Nase ist etwas lang, ihre Augen sind klein, ihr Mund ist groß, aber sie hat schöne Zähne.

Wenn der Graf von Paris seine Besucher empfängt, an seinem Schreibtisch stehend, so hat man nicht den Eindruck, als würden seine Züge sich auf den Münzen scharf und bedeutsam ausprägen, etwa wie die Napoleon’s III., der mit seinem sanften, träumerischen Gesicht, mit seinem verlorenen Blick, den geschlossenen Lippen, die nur selten ein verführerisches Lächeln zeigten, sich eher für das geprägte Abbild eines kaiserlichen Herrschers eignete. Ja, unser Berichterstatter hat gegen die Züge des Grafen von Paris einen sehr bedenklichen Einwand; er findet, daß er einem deutschen Fürsten ähnlich sehe, nicht einem der kleinen Durchlauchten, die sich ähnlich wie der Baron von Gondremark im „Pariser Leben“ in den Strudel der französischen Hauptstadt stürzen, immerhin aber doch einem, wenn auch hochstehenden deutschen Fürsten. Er ist groß von Gestalt; seine Haltung ist noch ganz jugendlich; das Haupt neigt er ein wenig zur Seite. Freundlich und wohlwollend empfängt er seine Besucher; er erhebt sich, um sie zu begrüßen; sein Händedruck ist herzlich; sein Blick fest und frei wie der Blick eines ehrlichen Mannes, der etwas auf seine moralische Würde hält. In diesem ruhigen blauen Auge liegt nichts, was an einen königlichen Abenteurer erinnerte; sein Schreibtisch, voll von Büchern und Papieren, beweist, daß er ein fleißiger Arbeiter ist. Seine Unterhaltung ist angenehm und inhaltreich, ohne pedantisch zu sein; er liebt es, sich zu unterrichten, von Fachmännern zu lernen, mit denen er verkehrt, den Gegenstand des Gesprächs zu erschöpfen.

Der Graf von Paris arbeitet regelmäßig sechs bis sieben Stunden täglich; doch pflegt er auch körperliche Uebungen, er ist kein leidenschaftlicher Jäger, aber doch ein sicherer Schütze und sitzt gut zu Pferde. Als Schriftsteller hat er seine Reise nach Syrien beschrieben und ein Werk über die Londoner Arbeitervereine verfaßt, ein überaus fleißiges, auf den sichersten statistischen Arbeiten ruhendes Werk, welches so viel als möglich die Thatsachen sprechen läßt, und zwar in einem guten, logischen Stil, doch ohne alle originelle Geistesblitze.

Uns Deutsche interessirt natürlich die Frage, welche Politik der Graf von Paris verfolgen würde, wenn der allerdings wenig wahrscheinliche Fall einträte, daß er in Frankreich zur Herrschaft gelangte. Und die Antwort würde in so fern beruhigend lauten, als nach dem Portrait des Grafen Vasili der Graf von Paris nichts weniger als ein ehrgeiziger Soldat wäre, aus seinen persönlichen Neigungen daher keine Gefahr für den Frieden erwachsen würde. Aber die Portraits der unter dem Namen „Graf Vasili“ arbeitenden Gesellschaft von Pamphletisten, deren Vertreterin nach außen die sattsam bekannte Frau Juliette Adam in Paris ist, haben sich bis jetzt nichts weniger als treu und zuverlässig, sondern häufig als ungenaue oder böswillige Zerrbilder erwiesen, welchen keinerlei bleibender Werth zugeschrieben werden kann.