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Der Hessen Volkstribun

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Titel: Der Hessen Volkstribun
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 597–599
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Hessen Volkstribun.

Friedrich Oetker.

Wer kennt nicht den beharrlichen Kampf, den ein kleines Volk im Herzen Deutschlands seit einer Reihe von Jahren für sein angestammtes Verfassungsrecht kämpfte? Welchem Vaterlandsfreunde füllte sich nicht mit Schmerz und doch auch mit Stolz die Brust, so oft der Name „Kurhessen“ genannt ward? Wer aber die Leiden und Kämpfe dieses kleinen Landes beobachtet hat, dem ist auch der Name des Mannes nicht unbekannt, der dort als Vorkämpfer steht und in dessen Person wir die Eigenschaften, die wir an dem hessischen Stamme bewundern, gleichsam in höchster Potenz geeinigt erblicken, der Name Friedrich Oetker. Wir sind überzeugt, daß sein Bild und eine kurze Darstellung seines Lebens jedem Deutschen, der die Helden im geistigen Kampfe seines Volkes ehrt, willkommen ist.

Friedrich Oetker ward am 9. April 1809 zu Rehren, einem Dorfe in der Grafschaft Schaumburg, geboren, wo der Vater abseits des Orts eine kleine Mühle besaß. Sein Unterricht bis zum 16. Lebensjahre fiel den Dorfschulmeistern anheim. Im 17. Lebensjahre wurde für ihn der Besuch des damals vortrefflichen Gymnasiums zu Rinteln möglich, und Ostern 1831 bezog er zum Studium der Rechtswissenschaft die Universität Marburg.

Im Frühjahr 1835 trat Oetker zu Kassel in den Vorbereitungsdienst ein. Um diese Zeit waltete dort Hassenpflug noch in seiner ersten Periode als Minister und machte den Versuch, Oetker für die Regierungspartei zu gewinnen. Bald mußte er jedoch gewahr werden, daß an der Charakterstärke Oetker’s jede Verführungskunst scheitere. Von da an galt Oetker für eine „verdächtige“ Persönlichkeit; und als er im Jahre 1837 um eine Anwaltsstelle sich bemühte, erklärte ihm Hassenpflug rundweg, „daß er ihn nicht zum Anwalt machen werde.“ Erst als Hassenpflug bald darauf abtrat, wurde Oetker seinem Wunsche entsprechend zum Anwalte bestellt, jedoch auch jetzt nur „provisorisch“, d. h. auf beliebigen Widerruf; ein bis dahin in Kurhessen unerhörter Fall.

An den politischen Kämpfen der damaligen Periode nahm Oetker keinen offenen Antheil. Erst mit dem Umschwunge des Jahres 1848 begann für sein Leben eine neue Epoche. Zunächst wurde seine provisorische Anstellung als Anwalt in eine definitive verwandelt. Das war der einzige Anspruch, den er damals für sich an den Staat machte. Außerdem widmete er sich von jetzt an ganz der freien Presse, mit deren Macht er in jene bewegte Zeit einzugreifen begann. Nachdem von ihm gleich in den ersten Märztagen mehrere Flugblätter erschienen waren („Blättchen, weil ich noch kein Blatt habe“), gründete er die „Neue Hessische Zeitung“, in welcher er mit Entschiedenheit die Grundsätze der constitutionellen Partei vertrat und namentlich das neue Ministerium bei dem begonnenen Ausbau der Verfassung im Sinne der Märzverheißungen unterstützte. Als Mitredacteur seines Blattes gewann er den geistvollen, feurigen, mitunter jugendlich übersprudelnden Adam Pfaff.

Innerhalb der constitutionellen Partei nahm Oetker bald eine bedeutende Stellung ein. Die Bürger Kassels wählten ihn zum Mitglied ihres Stadtraths, die Schaumburger Städte bei den im [598] Herbst 1848 stattfindenden Neuwahlen zu ihrem Vertreter auf dem Landtag. Auch hier vertrat Oetker die nämlichen Grundsätze wie in der Presse. Consequenter Ausbau der Verfassung, andererseits strenges Festhalten am Recht und strenge Bewahrung der Rechtscontinuität waren die Principien, für die er focht.

Aber freilich konnte der Umstand, daß Oetker auf diese Weise für Ordnung und Recht eintrat, nicht hindern, daß ihm auf der andern Seite die bittersten Feinde erwuchsen. Die Rücksichtslosigkeit, mit welcher er die Jämmerlichkeit vormärzlicher Zustände rügte und auf deren Abstellung drang, hatte ihn namentlich in Hofkreisen tief verhaßt gemacht. Ein sichtliches Zeichen hiervon trat bereits im Jahre 1849 hervor in der Herausforderung, die Oetker von einem Manne zuging, der bei einem Kunstinstitute eine hohe Stellung einnahm und als dem Hofe sehr ergeben galt, aber wegen seines Verhaltens gegen einen jüngern Künstler in der „Neuen Hessischen Zeitung“ heftig angegriffen worden war. Der Zweikampf fand statt mit glücklichem Ausgang für Oetker.

Im Jahre 1850 begann auf dem von Parteien durchwühlten Boden die Ernte der Reaction zu reifen. In Voraussicht hiervon sandte sie ihren großen Schnitter, Hassenpflug, nach Kurhessen. Sofort veränderte die constitutionelle Partei ihre Frontstellung, und an der Spitze der neuen Fronte stand wiederum Friedrich Oetker. Offen erklärte er in der Kammer, daß zwischen dem Lande und diesem Ministerium nur ein „Krieg auf Leben und Tod“ sein könne. Auch sein Blatt griff unablässig das Ministerium an. Mehrere wider ihn erhobene Anklagen endigten mit Freisprechung.

Es kann nicht die Aufgabe sein, hier die Einzelnheiten der nun sich entwickelnden Krisis und ihres traurigen Ausgangs darzustellen. Sie sind bekannt genug. Die fingirte Steuerverweigerung, der mattgesetzte Kriegszustand, die Bundesexecution, die Schlacht von Bronnzell, die Strafbaiern – an diese Worte knüpfen sich für jeden Deutschen unauslöschliche Erinnerungen.

Als Oetker sein Blatt mit allen Mitteln des Gesetzes vergeblich vor dem Untergang, mit dem der Kriegszustand dasselbe bedrohte, zu retten versucht und deshalb in Gotha eine Presse engagirt hatte, von wo aus er dasselbe erscheinen ließ, wußte der Verdruß der Gegner endlich keinen andern Ausweg, als offen gegen die Person gerichtete Gewalt. Eines Tages drang einer der „treugesinnten“ Offiziere mit Soldaten in die Behausung Oetker’s ein und führte ihn gefänglich in das Castell ab. Zwar fand sich kein Gericht, welches den Verhafteten eines Vergehens hätte schuldig sprechen mögen. Aber er blieb verhaftet, ungeachtet von den Civilgerichten dringend seine Freilassung begehrt wurde. Endlich, als dem inneren Wirrwarr durch das Abschiedsgesuch der Officiere ein jähes Ende bereitet war, als die hessischen Truppen von Kassel wegzogen, um den einrückenden Preußen auszuweichen, ließ man Oetker eben so unmotivirt frei, als man ihn vier Wochen früher ohne Abschiedsgrund in Haft genommen.

Bald wurde nun der Kampf ein hoffnungsloser. Als Preußen zurückwich, galt es nicht mehr die Sache, sondern nur noch die Ehre zu retten. Die Redacteure der „Neuen Hessischen Zeitung“ harrten aus, bis die Baiern vor Kassels Thoren standen. Da wichen auch sie der Gewalt. Oetker begab sich zunächst nach Braunschweig, bald darauf aber, als auch von dort seine Auslieferung begehrt wurde, auf freien englischen Boden, nach Helgoland.

Hier lebte er mehrere Jahre, für ihn keine glücklichen. Auf geringe Mittel beschränkt, oft von Krankheit heimgesucht, bedurfte er der ganzen Energie seines Geistes, um auszuharren. Seine Beschäftigung fand er in dem Studium der Insel und ihrer Bewohner. Die Frucht dieser Studien war sein im Jahre 1855 erschienenes Werk „Helgoland“, das beste, was über die berühmte Insel geschrieben ist, und wofür ihm später die Universität Tübingen die Doctorwürde ertheilte. Im Herbst 1854 siedelte Oetker nach Brüssel über. Hier gaben ihm Studien auf dem Gebiete des belgischen Volkslebens den Stoff zu einer Reihe von Aufsätzen, die in deutschen Zeitschriften (Gartenlaube, Westermann’s Monatsheften, Morgenblatt etc.) nach und nach erschienen; ein Schriftchen über den Sprachenstreit ward 1857 in’s Vlämische, 1858 in’s Französische übersetzt.

In Kurhessen waren währenddeß die Verhältnisse langsam weitergeschritten. Nach vierjähriger Dauer hatte man den Kriegszustand eingestellt. Hassenpflug war vom Schauplatz abgetreten, und Oetker durfte ungefährdet in die Heimath zurückkehren.

Wirklich erschien er im Sommer 1856 wieder in Kassel. Aber die Zustände traten ihm jetzt noch so hoffnungslos entgegen, daß er in das glücklichere Belgien zurückeilte, seine dortigen Bestrebungen wieder aufnehmend, und zu dem Ende abwechselnd in Brüssel, Gent, Ostende und Brügge lebend. Erst nach einigen Jahren begann in Deutschland wieder ein neuer Morgen zu tagen. Von Preußens Thron war das Wort erklungen: „Die Welt muß wissen, daß Preußen das Recht schützt.“ In raschen Schlägen hatte der italienische Krieg die Macht Oesterreichs erschüttert, aber zugleich andererseits unverkennbare Gefahren für Deutschland wachgerufen. Ueberall begann der deutsche Volksgeist die Schwingen mächtig zu regen. Und inmitten dieser Verhältnisse wußte der Bundestag nichts Besseres zu thun, als seinen Ausschuß einen Bericht erstatten zu lassen, nach welchem der Umsturz der kurhessischen Verfassung verkündet und das Werk Hassenpflug’s gekrönt werden sollte.

Das hessische Volk glich einem Angeklagten, den man auf nichtigen Vorwand in den Kerker geworfen und auf Leben und Tod processirt hatte. Auf der Folterbank des Kriegszustandes hatte der designirte arme Sünder fast Alles zugestanden, was seine Kerkermeister von ihm verlangten. In seiner jahrelangen Haft war er still und geduldig geworden, und hatte davon zu sprechen verlernt, daß die ganze wider ihn verübte Procedur nichts als ein einziges großes Unrecht sei. Jetzt sollte sein Urtheil gefällt, seine Verurtheilung ausgesprochen werden. Da erhob sich der Angeschuldigte noch einmal mit seiner letzten Kraft und betheuerte seine Unschuld. Das waren die Stimmen, die, als der Bundestagsbericht bekannt wurde, aus Kurhessen durch alle unabhängigen Blätter Deutschlands flogen. Anfangs zaghaft und schüchtern, erhoben sie sich doch bald zu einem muthvolleren Tone, als ringsum alle Stämme Deutschlands ihre Theilnahme bewiesen und die Hoffnung sich zeigte, daß Preußens Regierung, in richtiger Erkenntniß ihrer Pflichten für Recht und Ehre, die Sache des hessischen Volkes zu der seinigen machen werde.

Was aber auch auswärts und von Einzelnen im. Lande selbst geschehen mochte, nimmer konnte Kurhessen hoffen, sein Recht wieder zu erlangen, wenn nicht das gesammte hessische Volk sich aufraffte, um gegen die Vollendung des Unrechts kräftig anzukämpfen. Wie aber sollte das geschehen? Die altbewährten Helden der Volkssache waren aus dem Lande getrieben, alt geworden oder gestorben, und wer etwa noch zurückgeblieben, war durch hundert Bande gefesselt. Niemand, so schien es, war vorhanden, der in dem Kampfe gegen eine übermächtige Regierung die Führerschaft übernehmen könne.

Da erschien Friedrich Oetker wieder auf dem Schauplatz. Ohne Weib und Kind, fast ohne Bedürfnisse, frei lebend von seiner Feder und mit einem politischen Muthe ohne Gleichen, war er der rechte Mann, um den Kampf im Lager des Feindes selbst aufzunehmen. Schon bei dem ersten Morgengrauen einer besseren Zeit hatte Oetker von Brüssel aus in verschiedenen deutschen Blättern das Schicksal seines Heimathlandes in Erinnerung gebracht. Als aber dort die Verfassungsfrage wieder brennend zu werden begann, hatte er rasch seine Thätigkeit in Belgien abgebrochen und war über Paris und Frankfurt nach Kassel zurückgekehrt, wo er im August 1859 eintraf. Es war dies die Zeit, wo in Kurhessen die ersten öffentlichen Kundgebungen zu Gunsten des alten Verfassungsrechts mittelst Vorstellungen hier stattfanden, welche die Stadträthe zu Kassel, zu Hanau und Eschwege an den Kurfürsten richteten. Auch bereitete sich bereits ein Beschluß der zu Kassel versammelten Stände in gleichem Sinne vor. Aber alle diese Schritte standen doch nur vereinzelt da, eine Frucht höherer Intelligenz der größeren Städte, während in den tieferen Schichten des Volkes, zumal auf dem platten Lande, das rechte Verständniß der Lage vielfach noch fehlte.

Um die Mitte November – gerade in den Tagen, wo ganz Deutschland sein Schillerfest feierte, welches freilich in Kassel zu einem Volksfeste nicht werden durfte – erschien in der kurfürstlichen Residenz ein neues Tageblatt, „Hessische Morgenzeitung“ genannt. In gemessener, aber offener und entschiedener Sprache vertrat dasselbe die Ansicht, daß die Beseitigung der Verfassung von 1831 ein jeder Rechtfertigung entbehrendes Unrecht sei, welches nur durch vollständige Wiederherstellung gesühnt werden könne. Als Redacteur eines Blattes von so entschiedenem Tone gab sich Oetker kund, und in der That, da saß er, der Hessen treuer Volkstribun, in einem kleinen Stübchen mit erborgten Geräthen, [599] von der einfachsten Kost sich nährend, oft von körperlichen Leiden gestört, ohne jede sonstige Lebensfreude nur dem einen Gedanken lebend, und schrieb und schrieb, und Alles, was er schrieb, haftete wie scharfe Harpunen in dem Fleische der Gegner. Mit unerbittlicher Logik wies er nach, was unter dem Hassenpflug’schen System aus dem Lande geworden. Mit bitterem Sarkasmus legte er die ganze Abscheulichkeit der Vilmar’schen Doctrinen an den Tag. Das war eine Sprache, wie man sie seit Jahren in Kurhessen nicht mehr gehört hatte. Schnell war das wohlfeile, populär geschriebene Blatt in Tausenden von Exemplaren über das ganze Land verbreitet und wurde von Bürger und Bauer begierig verschlungen. Es war eine unendliche moralische Erfrischung für das hessische Volk, daß endlich einmal das Recht wieder Recht genannt und dem Unrecht die heuchlerische Larve vom Gesicht gezogen wurde. Mehr aber noch wirkte das Blatt durch das Beispiel politischen Muthes, womit es auftrat, und durch die thatsächliche Beweisführung, was man selbst einer solchen Regierung gegenüber im Bewußtsein seines guten Rechtes wagen könne.

Wie die Bewegung lawinenartig heranwuchs, ist bekannt, und ebenso bekannt ist es, daß dies Alles den Bundestag nicht hinderte, in der Sitzung vom 22. März 1860 für die definitive Beseitigung der Verfassung von 1831 zu stimmen; und die kurhessische Regierung glaubte hiernach eine neue Verfassung unterm 30. Mai 1860 verkünden zu dürfen. Aber die Bewegung war bereits zu tiefgehend, als daß damit die Sache beendigt gewesen wäre. Dreimal mußte das Volk Kurhessens nach der neuen Verfassung zur ständischen Wahl schreiten, und dreimal stellte es der Regierung eine Kammer gegenüber, welche fast einstimmig es ablehnte, sich als die rechtmäßige Vertreterin des Landes anzuerkennen.

Alle diese Schritte wurden theils vorbereitet, theils begleitet und gestützt von der „Morgenzeitung“. Ohne das Verdienst Anderer um die hessische Sache gering anschlagen zu wollen – wir brauchen blos beispielsweise die Namen Nebelthau und Ziegler zu nennen – muß daher die Wirksamkeit Oetker’s ohne Zweifel hier als die bedeutendste anerkannt werden.

Sehen wir auf den inneren Charakter der von Oetker verfolgten Richtung, so war solche durchweg von der Festhaltung des strengsten Rechtsstandpunktes bestimmt. Während Andere noch schwankten, in welchem Maße man Wiederherstellung des alten Verfassungsrechts beanspruchen solle, und nicht abgeneigt waren, in dieser Beziehung politisch zu markten, vertrat Oetker von Anfang an mit Entschiedenheit die Ansicht, daß zunächst das volle Recht wieder herzustellen und erst dann dasjenige, was etwa in der Verfassung von 1831 bundeswidrig, auszuscheiden sei. Aus diesem Gesichtspunkte betonte er auch stets die Nothwendigkeit, eine neue Ständeversammlung zunächst nach dem Wahlgesetz von 1849 zu berufen, weil er nur hierdurch den nothwendigen Rechtszusammenhang gewahrt fand. Dieser Standpunkt, der anfangs Manchem zu ideal erschienen, ist gleichwohl im Laufe der Zeit der allgemeinere geworden und hat sogar schließlich, und auf die unseren Lesern noch vor Augen schwebende höchst überraschende Manier, den Sieg errungen.

Groß war natürlich in gewissen Kreisen das Aergerniß, daß Oetker, der vernichtet Geglaubte, wieder auftrat. Es fehlte nicht an Lust, sich seiner durch einen Gewaltstreich zu entledigen. Aber man fand nicht den Muth dazu. Man beschränkte sich deshalb auf alle nur möglichen kleinen Maßregelungen. Aber hier war Oetker gerade der Mann, um mit köstlichem Humor seinen Widersachern die Spitze zu bieten. Wurde sein Blatt vor der Ausgabe polizeilich confiscirt, so hatte er an der Stelle des beanstandeten einen zweiten Artikel schon im Drucksatz bereit, und anstatt des confiscirten Blattes erschien nach einer Stunde ein neues. Als der Nationalverein verboten wurde, machte er bekannt, daß er Beiträge zwar nicht mehr „für den Nationalverein“, wohl aber „zu guten Zwecken“, oder „zur beliebigen Verwendung“ anzunehmen im Stande sei; und nun flossen unter diesen Titeln die Geldsendungen der Vaterlandsfreunde in seine Hände. Als er polizeilich befragt wurde, was er mit diesen Geldern anfange, erfreute sich die Polizei der aufklärenden Antwort: „er wolle sich das noch reiflich überlegen.“ Wurde er, wie dies oftmals geschah, wegen Preßvergehen angeklagt, so benutzte er die Freiheit der Vertheidigung, um seine Gegner mit einer Lauge beißenden Spottes zu überschütten. Als dem ersten Drucker der Morgenzeitung im Verwaltungswege die Concession entzogen wurde, war bereits ein zweiter engagirt, der den Druck ungestört fortsetzte. Als der zweite fiel, trat ein dritter an seine Stelle. Freilich war diese Concessionsentziehung eine Maßregel, gegen welche auf die Länge der Zeit nicht aufzukommen war. Oetker sah sich daher genöthigt, in seiner Zeitung auf alle eigenen Artikel über die vaterländische Sache zu verzichten und sich auf den Abdruck von Artikeln auswärtiger Blätter zu beschränken, und selbst diese durfte er oft genug nur lückenweise zu bringen wagen. Aber nun ließ er selbstständige Flugblätter auswärts drucken und diese seine „Rathschläge und Winke“, „Wünsche und Vorschläge“ etc. neben der „Morgenzeitung“ deren Lesern zugehen, und sie wurden nur um so eifriger gelesen, als die Regierung auch diesen Mittheilungen ein Verbot entgegensetzte. Von den gegen ihn erhobenen Anklagen hatten die meisten eine Freisprechung, einige freilich auch eine Verurtheilung zu Geldstrafen zur Folge, die in höchster Instanz mitunter zu nicht ganz unbedeutenden Summen aufstiegen.

Wo möglich noch größer, als der Haß seiner Feinde, erzeigte sich aber die Hochachtung und das Vertrauen seiner Freunde und Mitbürger. Als im Laufe des vergangenen Jahres der Bürgerausschuß zu Kassel zu ergänzen war, ging aus allen Wahlabtheilungen der Bürgerschaft der Name Friedrich Oetker’s in erster Linie fast einstimmig hervor, ein Act, dessen Bedeutung um so weniger zu verkennen war, als vorauszusehen war, daß die Wahl wegen regierungsseitig versagter Bestätigung ohne Erfolg blieb. Zahlreiche Beiträge „zu guten Zwecken“ wurden vertrauensvoll in seine Hände gelegt, damit es der von ihm vertretenen Sache nicht an Geldmitteln fehle. Da aber auch bekannt wurde, daß Oetker selbst während seiner politischen Thätigkeit sein kleines Vermögen, welches er als Anwalt erworben, zugesetzt habe und nur noch auf geringe Mittel beschränkt sei, unternahmen einige Freunde streng geheim eine Sammlung; und binnen Kurzem waren sie in der Lage, ihm ein Ehrengeschenk von beinahe 7000 Thalern zur Bestreitung seiner persönlichen Bedürfnisse zu überreichen. Bei seiner Erkrankung im Sommer 1861 beschenkten ihn Kasseler Frauen mit einem prachtvoll gestickten Ruhesessel. Und bei den Festessen, welche die beiden letzten Male bei Wiederkehr des Jahrestags der Verfassung von 1831 zu Kassel und Hanau stattfanden, wurden unter den Toasten keine lebhafter begrüßt, als die auf den Namen „Friedrich Oetker’s“ ausgebrachten. Die Auszeichnungen, welche ihm nach dem endlichen Verfassungssieg, in Folge der Mobilmachung Preußens, zu Theil wurden, die Ehrenbürgerrechte, seine mehrseitige Wahl in die Kammer und dergl. sind unseren Lesern bekannt.

Leider wohnt der starke Geist, dem alle diese Huldigungen gelten, nicht in einem gleich starken Körper. Asthmatische Beschwerden, welche ihn von früher Jugend auf gepeinigt, hatten sich durch die Anstrengungen der letzten Jahre so gesteigert, daß die Aerzte für den Winter 1861 zu 1862 ihm dringend einen Aufenthalt im Süden anriechen. Oetker ging in die südliche Schweiz. Seine Hauptaufgabe war ohnehin erfüllt, und in die Redaction seines Blattes hatte er schon zu Anfang des Jahres Dr. Wippermann, einen Sohn des früh verstorbenen Märzministers, mit aufgenommen. Gegenwärtig steht er wieder daheim fest auf dem Boden seiner Kämpfe und seines Siegs, für jeden neuen Kampf allezeit gerüstet und sattelfest.

Friedrich Oetker ist in jeder Beziehung ein seltener Mann. In seinem strammen Wesen, welches durch einen hindurchlaufenden humoristischen Zug seinen Gegnern oft noch unbequemer wird, birgt sich ein edler, durchaus reiner Charakter. An literarischer und politischer Begabung mögen Andere in Deutschland ihn erreichen; an Lebendigkeit des Rechtssinnes, an Muth und Entschlossenheit, an zäher Beharrlichkeit und eisernem Festhalten eines einmal erfaßten Zieles, an völliger Hingebung seiner Person für die Sache des Vaterlandes wird nicht leicht Einer es ihm gleichthun. Möge dem hessischen Volke die Freude gegönnt sein, in ihm noch lange einen seiner größten Wohlthäter verehren und ihm den reinsten Volksdank bethätigen zu können, ihm und sich zu Ehren.