Der Hohlenstein in Schwaben
Hoch droben bei dem Dörflein Hart
Man noch ein Felsenloch gewahrt,
Es ist im tiefen Wald gelegen
Ab von den Feldern und den Wegen,
Als hätt’ ihn Sturm und Blitz gespalten,
Er scheint für Fuchs und Eul’ allein
Ein trüb unheimlich Haus zu seyn,
Doch ist es bald dreihundert Jahr,
Da stand in ihm, das Haupt gebückt,
Den Rücken an die Wand gedrückt,
Die Arme knapp in’s Kreuz geschlagen,
Schon seit zwei Nächten und zwei Tagen
Hatt’ nichts, als diese Felsenwand.
Die Bündler hatten ihn vertrieben,
Sind auf den Fersen ihm geblieben:
Und hätt’ ihn nicht der Felsenspalt,
In seine dunkle Hut genommen,
Er wär’ um’s Leben auch gekommen.
So aber zogen mit Geschrei
Und wildem Fluchen sie vorbei.
Begann zu hungern und zu dürsten,
Fing er zu klagen an und beten,
Hätt’ es der schmale Raum erlaubt,
Da rauscht es in den nahen Zweigen,
Zwei Männer sieht er niedersteigen.
Nicht Feinde sind es, wild erbost,
’S ist guter unterthanen Trost;
Es sind vom alten Schlage Bauern,
Von denen Eberhard im Bart
Gerühmt die ächte Landesart,
Daß ihrem Schooß allnacht ohn’ Grauen
Wie die den Herzog hier erkunden,
Sie wissen nicht, wen sie gefunden,
In’s Dörflein führen sie ihn gern
Als einen arm verirrten Herrn.
Wie’s gute Sitt’ im Schwabenlande,
Sie klagen von den harten Tagen,
Und wie das Land sey schwer geschlagen,
Der Herzog flüchtig und verbannt, –
Mit Steuern und mit wildem Jagen
Thät er es unaufhörlich plagen,
Bis endlich Gott der Herr ihn lehrt’,
Daß ihm’s nicht also ganz gehört.
Er sprach: das soll schon anders werden;
Sie aber sagen drauf mit Lachen:
Er wird es doch nicht besser machen,
Und wenn er’s in der Noth verspricht,
Und haben ihn in’s Haus genommen.
Er drückt und bückt sich durch die Thür,
Doch kommt ihm alles köstlich für;
Wie mundet ihm der schwarze Brei!
Er nimmt vom alten Schranke dort
Das neue, deutsche Bibelwort,
Er liest in Andacht die Propheten
Und wie er drauf sich macht davon,
Spricht er: Gott euch für jetzt belohn’,
Daß ihr den Ulrich mochtet speisen,
Und ihm sein Regiment verweisen!
Und war es ihnen lang ein Traum;
Doch als das Land ward wiederbracht,
Sind sie gar fröhlich aufgewacht;
Mit Kriegsdienst, Steuern, bösen Frohnen
Doch ward der Türk’ im Reich erblickt,
Da hat es Einen Mann geschickt,
Und gegen die Franzosen neulich,
Da schickt’ es mehr als Einen treulich.
Das Dörflein Hart es wohl erfahren,
Daß es den Herzog auf der Flucht
Gerettet aus der Felsenschlucht.
- ↑ Bei Nürtingen, nicht auf der Alb, aber doch im
nahen Angesichte derselben.
Anmerkungen (Wikisource)
Erstdruck in: Schwäbisches Taschenbuch auf das Jahr 1820. Stuttgart [1819], S. 80-84 Google. Nach Werner Schulze: Gustav Schwab als Balladendichter. Berlin 1914, S. 78 Internet Archive gedichtet 1815.
Zur Ulrichstein-Überlieferung siehe ausführlich Der Winkel von Hahrdt.
Vers 15: Herzog Ulrich von Württemberg
Vers 37: Eberhard im Bart. Zur Anekdote siehe 1495: Württemberg wird Herzogtum. Stuttgart 1995, S. 9 Freidok mit Nachweisen.