Der Honigbaum

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Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Der Honigbaum
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 357–360
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Honigbaum.

In den vereinigten Staaten von Nordamerika giebt es eine Unmasse von wilden Bienen, die ihre Zellen in hohle Bäume oder Aeste bauen und dort vortrefflichen Honig einlegen. Es leben dort auch Leute, die ein wirkliches Geschäft daraus machen, den Bienen nachzugehen und die Bäume zu finden; besonders in Illinois z. B. wo die weiten blumigen Prairieen das wahre Paradies der Bienen sind; aber auch in Missouri und Arkansas, Louisiana und Texas sucht der Jäger eifrig, die Stellen aufzufinden, die ihm so süßen Raub versprechen, und süßer Honig gehört nicht allein zu seinen Delicatessen, nein, bildet sogar einen Theil seiner Provisionen, neben getrocknetem oder geräuchertem Wildpret und Bärenspeck, neben gedörrten Kürbissen und ausgeschältem Mais.

Die Bienenjagd selbst ist sehr einfach; soll ein Baum aufgefunden werden und sind nicht gerade honigreiche Blumen in der Nähe, auf denen die Bienen arbeiten, und von denen ab ihr Cours zu bestimmen ist, so wählt sich der Jäger in irgend einer Gegend, in der er Bienen vermuthet, einen kleinen offenen Platz, oder haut sich mit seinem schweren Jagdmesser einen solchen im Walde aus, in dessen Mitte er dann einen Stock in die Erde schlägt, ein Bündel Blätter darauf steckt und verdünnten Honig darüber weg spritzt.

Nicht lange dauert es, so finden die Bienen die süße Lockung, und nachdem sie sich schwer damit beladen haben, steigen sie erst in kleinen, dann in größer werdenden Kreisen in die Höhe, als ob sie sich über die genaue Richtung orientiren wollten, und schießen nun plötzlich in schnurgerader Linie ihrem Baume zu, um das Gesammelte im allgemeinen Waarenhaus niederzulegen.

Der Bienenjäger muß nun vor allen Dingen genau auf die Richtung achten, in der die beladenen Bienen fortziehen, wozu natürlich ein gutes Auge gehört; dann trägt er seine Lockspeise zwei- bis dreihundert Schritte den fortgezogenen Bienen nach und wartet, bis sie wieder von diesen, was gar nicht lange dauert, auf’s Neue gefunden ist, um auch von hier aus ihren Cours zu beobachten·

Behalten sie denselben bei, so ist das ein sicheres Zeichen, daß der Baum noch weiter entfernt sein muß, und ihnen nach werden die mit Honig bespritzten Blätter so lange getragen und wieder aufgestellt, bis sie zurück fliegen. Der Jäger weiß nun, daß er den Honigbaum passirt hat, und daß sich derselbe zwischen seinem jetzigen und letzten Haltepunkt befinden müsse, wonach er nun sorgsamer und aufmerksamer zu Werke geht.

Ist er dicht am Baum und die Bienen arbeiten, so zeigt ihr ungewisses Aufsteigen und Zickzackfliegen die sichere Nähe der Zellen an, und es hält dann selten schwer, ihnen mit den Augen bis zu der kleinen Oeffnung zu folgen, in der sie ihren Eingang haben, und wo man gegen den hellen Himmel bald die fleißig und geschäftig aus und einschießenden dunklen Punkte erkennen kann.

Nun werden diese Bienenbäume freilich in allen Jahreszeiten gesucht und gefunden, aber nicht in allen Jahreszeiten darf der Baum umgehauen werden, da man z. B. im Frühjahr, wo der ganze Schwarm den Winter hindurch von dem eingetragenen Honig gelebt, nur sehr wenig darin aufgespeichert finden würde; der Baum könnte aber auch, ehe die richtige Jahreszeit zum Umhauen käme, von einem andern Jäger gefunden werden, und nachher Streitigkeit entstehen, wer der rechtmäßige Besitzer wäre; dem deshalb zu begegnen, hat sich ein Gesetz im Walde, unter den Jägern selber gebildet, daß der einen Bienenbaum als sein rechtmäßiges Eigenthum beanspruchen darf, der ihn zuerst gefunden und, als sein Zeichen ein Stück Rinde davon abgeschlagen, wie die Anfangsbuchstaben seines Namens, oder wenigstens sein Zeichen mit dem Messer da hineingeschnitten hat. Den Baum darf von da an Niemand mit der Axt berühren, wie der Eigenthümer und wenn er ihn fünf oder zehn Jahre stehen ließe – er ist sein, und ein derartiges Eigenthumsrecht wird in der That nur von solchen mißachtet werden, die auch ein Pferd oder Rind ihres Nachbars stehlen würden.

Als ich im Jahre 1840 Rohr am Mississippi schnitt, dasselbe nachher den Kaufleuten in die nördlichen Provinzen hinaufzuschaffen, hatte ich mich durch das stromab gehende Dampfboot an einem Schilfbruch im Staate Tenessee aussetzen lassen, wo ich, wenn ich nicht draußen im Walde logirte, in der Hütte eines dortigen Holzschlägers übernachtete.

Dort im Haus wohnten auch drei junge Leute, zwei Söhne des Mannes und ein anderer junger Bursch, den er zu sich genommen, ihm Klafterholz für die dort anlegenden Boote zu schlagen, und wir vier wurden bald gute Freunde mitsammen, jagten in den Sümpfen, fischten in den Bayous und Slews, oder segelten auf dem Mississippi, und hetzten fast jede Nacht mit einer zahlreichen Meute Hunde (wir hatten deren neunzehn, besonders zur Bärenjagd bestimmt) Waschbären und Opossums, kurz, führten ein ganz vortreffliches Leben und befanden uns ausnehmend wohl. Die Zeit liegt jetzt noch wie ein Traum hinter mir, und ich denke mit Freuden an die glücklichen, sorglosen Stunden zurück, die wir da verlebt.

Nur einen Gegner hatten wir dort oben, und das war ein anderer Farmer oder Ansiedler, ein Mr. Bowley, der sich da später niedergelassen und die ganze Section, trotz seinem späteren Eintreffen, beanspruchte, weil er das Land bebaute, oder wenigstens [358] angefangen hatte, urbar zu machen, während Dehart nur Holz für die Dampfboote schlug. Dehart hatte sich ebenfalls einen kleinen Garten hergerichtet, und ein paar Kartoffeln, Kürbisse und Wassermelonen darin gezogen, wonach er gerade ein sogenanntes preemption right beanspruchte und die beiden Nachbarn lebten deshalb eben nicht auf besonders freundlichem Fuß miteinander. Das Alles hätte sich aber vielleicht noch reguliren lassen, wenn Bowley nicht auch sonst ein ungemüthlicher und streitsüchtiger Mensch gewesen, mit dem sich eben nicht auskommen ließ, und die Neckereien zwischen den Beiden hörten deshalb nicht auf.

Ursache genug boten hierzu schon die politischen Ansichten der Beiden; Bowley war Whig, und wir dagegen, Dehart besonders, waren eifrige Demokraten, wobei die damalige Präsidentenwahl, in der die Whigs Alles aufboten, General Harrison in das „weiße Haus“ zu bekommen (was ihnen auch zuletzt gelang) Stoff zu den ergötzlichsten Scenen und Reibereien lieferte. Das ist aber nicht, was ich hier erzählen wollte, denn mehr noch als selbst General Harrison’s Wahl hatte ein „Bienenbaum“ gerade damals, als ich dort eintraf, die Gemüther erbittert, um dessen Eigenthumsrecht sie sich stritten, und der in der That die Ursache eines ernsten Zwistes zu werden drohte.

Dehart hatte denselben nämlich im Februar, und kurz vorher, ehe sich Bowley dort niedergelassen, auf die gewöhnliche, oben beschriebene Weise gesucht, und vielleicht achtzig Schritt vom Ufer des Mississippi in dem starken Ast eines mächtigen Baumwollenholzbaumes, die in jenen Sümpfen besonders groß und stark werden, gefunden und bezeichnet, sich aber damals die Mühe des Umhauens nicht machen wollen, da die Bienen in der Jahreszeit doch nicht viel Honig haben konnten, und sich die Ernte auf den Herbst verspart.

Im Sommer nun war Bowley dorthingegangen, und seine Fenz aufrichtend, brachte er den Baum nicht allein in dieselbe, sondern baute sogar sein eigenes Blockhaus in den Schatten des gewaltigen Baumes, um den herum er alle die übrigen wegschlug, freien Raum zu gewinnen, und schien im Anfang gar nicht auf das Zeichen am Stamm, das ihn als einen gefundenen und in Anspruch genommenen Bienenstock bezeichnete, geachtet zu haben. Dehart dachte auch nicht gleich daran; die ganze Ansiedlung so in seiner Nähe war ihm nicht recht, und wie ihm endlich der bezeichnete Bienenbaum einfiel und er zu Bowley ging, seinen Anspruch darauf geltend zu machen, weigerte sich dieser, irgend ein Recht darauf anzuerkennen. Der Platz war durch das Preemptionsrecht sein, eben so alle Bäume, die darauf standen, besonders aber der, unter dessen Schutz er sein Haus gebaut, und wenn er sich auch sonst nichts daraus machen würde, wie er sagte, daß sein Nachbar auf seinem Lande einen früher gefundenen Bienenbaum fälle, so denke er gar nicht daran, sich den Baum, der ihm Schatten gab, eines lumpigen Eimers Honig wegen, über den Kopf abschlagen zu lassen.

Hiergegen wandte nun Dehart ein, daß er auch gar nicht daran denke, den riesigen Baum zu fällen, nur den Ast wolle er abschneiden, in dem die Bienen ihre Zellen hätten, und der gerade nach der seinem Haus entgegengesetzten Seite hinausstand, wo er ihm weder Schutz noch Schatten geben könne.

Bowley wollte sich aber nicht überzeugen lassen; der Baum war sein und stand neben seinem Hause, und Niemand anderes hatte ein Recht, daran herumzuhacken oder zu sägen; dabei blieb er. Uebrigens erklärte er, Jeden, der ihm etwa mit Gewalt den Honig vor der Nase wegholen wolle – und Dehart hatte allerdings eine solche Drohung ausgestoßen – gerade so zu behandeln, als ob er zu ihm auf Einbruch komme, d. h. ihm eine Kugel durch den Pelz zu jagen. Wir Alle wußten dabei recht gut, daß er den Schutz der Gesetze in diesem Fall auf seiner Seite gehabt haben würde, denn das Recht des bezeichneten Bienenbaums war nur eben ein unter den Ansiedlern selber anerkanntes, und keineswegs vom Staat sanktionirt. Desto mehr empörte uns aber auch die gemeine Handlungsweise des Burschen, und halbe Nächte lang deliberirten wir, auf welche Art wir doch noch unsern Willen – der Bienenbaum war eine allgemeine und Prinzipangelegenheit geworden – durchsetzen, und den Alten prellen könnten, ohne eben zu einem Resultat zu kommen.

Nun war es allerdings noch nicht Herbst, und Dehart’s trösteten sich damit, daß bis dorthin noch Manches geschehen und auch vielleicht ein Weg gefunden werden könnte, den Alten einmal auf kurze Zeit zu entfernen, die nicht unbenutzt hätte bleiben sollen; gerade in jener Woche brachte denn auch Einer der jungen Leute heraus, daß Bowley eine kleine Tour nach Memphis – der nächsten Stadt in Tenessee – machen wolle, dort einige Einkäufe zu besorgen. Denselben Abend aber kam der alte Dehart wüthend nach Haus und erzählte, er habe einen von Bowley’s Negern im Holz getroffen und von diesem erfahren, daß Bowley allerdings morgen Nachmittag mit dem ersten stromabkommenden Dampfboot nach Memphis fahren, vorher aber erst noch – er schwur dabei mit einem kräftigen Fluch, daß das nicht geschehen solle, wenn er es verhindern könne – den Ast mit dem Honig abschneiden und bergen wolle.

Das war die Frechheit zu weit getrieben, nach des alten Hinterwäldlers Meinung, und da uns das Feuer also auf den Nägeln brannte, denn bis morgen früh war kein langer Zeitraum mehr, beschlossen wir, das Aeußerste daran zu setzen, und noch in dieser Nacht dem alten Geizhals den Honigast vor der Nase und über dem Hause fortzuholen. Bob, der älteste Sohn Dehart’s, besonders war Feuer und Flamme darauf und schwur, er wolle den Ast haben und wenn er den alten Schuft von einem Whig das Haus über dem Kopf anzünden oder ihm eine Kugel durch das zähe Hirn jagen müsse – und er wäre es auch vielleicht im Stande gewesen.

Gleich nach Sonnenuntergang machten wir uns fertig, denn selbst die Neger auf dem Platze sollten über Tag keine Ahnung davon haben, was wir vorhätten, mögliche Klatschereien und eine Vereitlung unsers Planes zu vermeiden. Eine scharfe Säge war hierzu das nöthigste Instrument, und Taue, den Ast, wenn er abgesägt, von dem Baum herunter zu lassen. Unsere Büchsen luden wir übrigens ebenfalls, fest entschlossen, einen etwaigen Angriff zurückzuweisen, und trugen dann Alles, etwa zehn Uhr Abends, und wie wir darauf rechnen konnten, daß Bowley mit den Seinen schlafen gegangen, in das Boot hinunter, lösten das Tau und ruderten mit umwickelten Riemen stromauf.

Bob Dehart kannte hier jeden Fußbreit Landes, wie auch den Baum selber, in dessen Ast sich die Bienen befanden; ja, war früher sogar schon ein paar Mal hinaufgeklettert, darnach zu sehen, und leitete auch jetzt das ganze Unternehmen, bei dem sich übrigens der alte Dehart nicht betheiligte. Wir waren auch genug Menschen; vier junge Burschen, die sich den Henker um eine Gefahr kümmerten, wenn sie nur einen Spaß dabei hatten, und das Einzige, was uns noch besorgt machte, waren zwei starke Hunde, die Bowley an seinem Hause hielt, und die allerdings nicht laut werden durften, wenn sie uns nicht den ganzen Plan verderben sollten. Bob kannte die aber ebenfalls genau, denn da er fortwährend mit seiner Meute hier durch den Wald jagte, waren die beiden Hunde sehr oft zu ihm gekommen, ihn Tage lang zu begleiten und einmal Fleisch zu fressen, das sie zu Hause wenig genug bekamen. Bowley jagte nie, und war auch zu geizig, oft zu schlachten.

Für die Hunde lag deshalb auch ein Vorrath Fleisch im Boot und Bob sollte damit vorangehen, sie erst einmal vor allen Dingen zu beruhigen. Das glückte und auch besser, wie wir eigentlich hoffen durften. Wir legten unter der steilen Uferbank mit unserem Boote an, landeten Bob und warteten unten, bis uns sein Zeichen, der vorsichtig nachgeahmte Ruf des Whip poor Will, die Versicherung der einen beseitigten Gefahr gab.

Langsam und selbst das geringste Geräusch vermeidend, betraten wir jetzt gerade dort das Ufer, wo Bowley ebenfalls ein Boot befestigt hatte, das leer und leicht auf dem Wasser lag. Eine Verfolgung damit, im ungünstigsten Fall der Entdeckung, wäre möglich gewesen, und wir beschlossen deshalb, nach kurz gehaltenem Kriegsrathe, es, wenn auch nicht zu beschädigen, doch unbrauchbar für den augenblicklichen Bedarf zu machen. Den Rand desselben daher an der einen Seite niederpressend, bis das Wasser hineinlief, ließen wir es füllen und krochen dann, darüber beruhigt, so leise und vorsichtig als möglich die Uferbank hinauf, wo uns Bob ungeduldig erwartet hatte. Die beiden Hunde lagen neben ihm und als sie bei unserer Ankunft knurren wollten, streichelte und beschwichtigte er sie.

Ohne weiteren Zeitverlust schlichen wir uns jetzt dem Baume zu; das Wetter begünstigte uns ebenfalls, denn es fing an zu regnen und der Wind heulte durch den Wald; nur Bob hatte jetzt die schwerste Arbeit, den mächtigen Stamm zu erklettern und den Ast oben, den er allein so genau wußte, durchzusägen und niederzulassen. Hierbei half ihm übrigens vortrefflich eine lange dünne [359] Stange, die wir unfern vom Haus liegen fanden, und an der er mit leichter Mühe so weit hinaufzuklettern im Stande war, die ersten auszweigenden Aeste zu erreichen. Oben glücklich angekommen ließ er dann vollkommen geräuschlos einen dünnen Bindfaden herunter, an den er einen kleinen, in ein weißes Tuch gewickelten Stein gebunden hatte, damit ihn die Untenstehenden leichter finden konnten; an diesen wurde des Tau geschlagen, das er zu sich aufzog, mit dem einen Ende fest und sicher um den Ast befestigte und dann das übrige um einen andern Ast knotete, damit das abgesägte Stück Holz mit dem Honig nicht etwa plötzlich einmal hinunterschlage und durch sein Geräusch den Eigenthümer des Hauses wecke.

Als das geschehen, begann Bob oben mit größter Vorsicht zu sägen, und mußte nach unserer Berechnung, die wir etwas ungeduldig unter dem Baume standen, schon ein ziemliches Stück durchgesägt haben, als er plötzlich wieder aufhörte und uns ein früher verabredetes Zeichen durch Schlenkern mit dem niederhangenden Seil gab. Ziemlich geschickt im Klettern wurde ich jetzt hinaufgeschickt, zu sehen, was er verlange, denn einander zu rufen durften wir nicht wagen, wo das Geräusch von Stimmen so leicht an das Ohr des gefürchteten Gegners schlagen konnte. Bob war aber sehr zufrieden als er mich kommen sah, und dachte gar nicht daran, mich wieder herunter zu lassen; er mußte noch Jemanden da oben haben, der ihm behülflich war den schweren Ast, so geräuschlos als möglich, niederzulassen, und hatte das Holz bald durchgesägt, das jetzt anfing der schweren Last des weitausbiegenden Astes schon etwas nachzugehen. Vorsichtig stützte ich jetzt, während er noch sägte, den Ast selber, dessen Schwere im Fall zu brechen; die Last war nun aber doch zu groß, die Stellung auch die ich dabei einnehmen mußte zu mühsam und auch zu gefährlich, viel wagen zu dürfen, und wie es so weit eingesägt war, daß es nur noch durch einen dünnen Splitter gehalten wurde, brach es plötzlich, trotz meinem Dagegenstemmen, hinunter und schlug, als es den Widerstand in dem Tau fand, schwerfällig und dumpfdröhnend gegen den Stamm an.

„Wau, wau, wau!“ sagte der eine Hund, der sich über das fremdartige Geräusch wahrscheinlich ärgerte, und der andere schien nur auf eine Entschuldigung gewartet zu haben, ebenfalls laut zu werden. Er bellte erst ein paar Mal kurz und abgebrochen, setzte sich dann auf sein Ende und fing laut und kläglich an zu heulen.

„Jetzt können wir uns gratuliren,“ sagte ich mit einem leise gemurmelten aber herzlich gemeinten Fluch zu meinem Nachbar; „die verdammten Bestien haben einmal angefangen und werden nicht eher wieder aufhören, bis sie das ganze Haus rebellisch gemacht und wir sitzen indessen hier oben in der Falle.“

„So lange es dunkel bleibt ist hier oben der beste Platz,“ knurrte Bob, „aber wie wird’s nachher. Hol’ der Teufel das elende Vieh – nun hör’ nur ein Mensch an wie er heult.“

Der Ast hing indessen, nur jetzt oben von dem starken Tau gehalten, tief hinunter, und schlug in dem Windzug herüber und hinüber. Bob hatte dabei, ehe er an zu sägen fing, den Eingang zu den Zellen, ein schmales etwa drei Zoll breites Astloch, mit seinem Halstuch verstopft, daß die Bienen nicht heraus sollten; das abgesägte Ende war aber ebenfalls hohl, und wie sich später herausstellte, selbst bis zu dort mit Honig gefüllt, und die Bienen müssen da jedenfalls einen Ausweg gefunden haben, denn wir hörten jetzt, wie sie einzeln daraus vorsummten und in der Dunkelheit verwirrt in den Wipfel des Baumes hinaufschossen.

„Es kann Nichts helfen, wir müssen den Ast hinunterlassen,“ sagte jetzt Bob leise zu mir; „der war unten auch hohl und ich schmecke hier Honig an der Säge; wenn er lange hängen bleibt, schlägt er sonst Alles heraus was darin sitzt. Wo nur die andern Beiden stecken?“

Wir horchten einen Augenblick, als unten plötzlich eine Thür knarrte.

„Hu, faß!“ sagte da plötzlich eine Stimme, deren Eigenthümer jedenfalls vorher ein Paar Secunden hinausgehorcht und irgend etwas Verdächtiges gehört hatte oder gehört zu haben glaubte – „faß, Deik, faß, Pollo!“

Pollo, der junge Hund, wurde jetzt ganz ausgelassen vor lauter Freude, er sprang erst nach seinem Herrn zu und bellte und heulte und dann gegen den Baum an, auf dem wir saßen und wo sich sein anderer guter Freund befand, und es war fast, als ob er die beiden einander vorstellen wollte. Glücklicher Weise regnete es in dem Augenblick was vom Himmel herunter wollte, und Bowley war jedenfalls im Negligée und scheute sich herauszukommen, der niederhängende Ast hätte ihn sonst unbedingt auffallen müssen, und wir Beiden wären da oben wirklich gefangen gewesen.

Jemand im Hause mußte jetzt wahrscheinlich gefragt haben, was denn die Hunde da draußen hätten, denn Bowley sagte:

„Ach was wird’s sein, ein Opossum, das sie hier aufgebäumt haben, aber man kann jetzt nicht hinaus, es gießt wie mit Eimern – nun sie werden’s schon noch oben halten bis es hell wird – hu, faß, Pollo, mein Hund, hu, faß – und du paß auf, Deik, und wahr ihn, mein Bursche.“

Damit hörten wir, wie die Thür wieder zugeschlagen wurde, und Bob ließ jetzt ohne ein Wort weiter zu sagen, den Ast langsam niedergleiten. Der Regen war uns hierbei insofern zu statten gekommen, daß er die Aeste schlüpfrig gemacht; das Tau konnte leicht darüber wegrutschen und wir fühlten bald Grund. Wir hielten uns selber aber auch nicht länger als irgend nöthig oben auf, und waren froh von unserem Stand auf den schlüpfrigen Zweigen erlöst zu werden, kletterten rasch bis zum untersten Ast nieder, ließen das Tau über diesen langsam zur Erde, daß es doppelt hing und nachher übergezogen werden konnte und glitten, dieses fassend, zu Boden.

Hier hatten indessen unsere anderen beiden Kameraden schon das Ende des Taues von dem Honigast losgemacht, und diesen auch greifend, der allerdings eine arge Last hatte, keuchten wir damit so rasch wir konnten, und von den beiden jungen Hunden wedelnd gefolgt, dem Ufer zu, warfen ihn, gerade über halb da wo unser Boot lag, den steilen sandigen Hang nieder und schleppten ihn dann auf das Boot, das er durch sein Gewicht halb unter Wasser drückte. Mit den überall hinausstarrenden Zweigen wäre es aber auch gar keine Möglichkeit gewesen zu rudern, und die in’s Wasser hängenden, würden uns ebenfalls bös aufgehalten haben. Der jüngere Dehart ging deshalb scharf daran das Gesperre wie den ganzen äußeren Theil des Astes, in dem doch kein Honig saß, fortzusägen, und Bob, da das kein anderer der Hunde wegen riskiren durfte, kletterte noch einmal auf die Uferbank hinauf, das noch in dem Baum hängende Tau niederzuziehen und herunter zu bringen.

Wir waren eben unten mit dem Ast so weit fertig geworden, daß er uns wenigstens nicht mehr im Rudern störte und auch etwa die Hälfte seines Gewichts verloren hatte, als oben am Haus der eine Hund plötzlich einen lauten Schmerzesschrei ausstieß und furchtbar zu winseln und heulen anfing – wie wir später erfuhren, hatte das von Bob heruntergezogene Tau ihn gerade auf den Rücken getroffen.

„Daß die Bestie der Teufel hole!“ fluchte der junge Dehart, „wenn’s nach mir gegangen wäre, hätten wir ihnen beiden schon lange die Gurgel abgeschnitten.“

„In’s Boot, in’s Boot!“ rief aber der Andere – „das bringt den Alten heraus und Bob wird gleich da sein!“

Der Rath war nicht zu verachten, wir machten das Boot, das auf dem Schlamm saß, flott, sprangen auf unsere Sitze und hatten kaum die Riemen[1] aufgegriffen, zum Abstoßen fertig zu sein, als oben vom Haus aus ein Schuß fiel und in demselben Moment auch der Körper Bob’s von der steilen Uferbank aus nieder auf den Sand stürzte.

„Schuft, das kostet Dein Leben!“ schrie sein Bruder, die Büchse aufgreifend, ehe er aber nur an’s Land springen konnte, hatte sich der Gestürzte schon wieder aufgerafft, und war in wenigen Sätzen, das Tau hinter sich drein schleifend, am Boot.

„Fort!“ rief er dabei, indem er lachend hineinkletterte, „fort, der Schuß war gut gemeint, aber schlecht gezielt – fort, er hat noch eine Büchse im Haus“ und wir Alle legten uns schon in die Ruder und glitten in demselben Moment in den Strom hinein, als eine dunkle Gestalt oben auf der Uferbank erschien und ihr „halt! Halt oder ich schieße!“ zu uns herüber schrie.

„Schieß und sei verdammt!“ brummte Bob in den Bart, „vorwärts meine Bursche – der Kerl ist’s wahrhaftig im Stande,“ und die elastischen Ruder bogen sich unter dem guten Willen unserer Sehnen. Der alte Bowley aber, ob er nun schon gemerkt hatte was geschehen war oder nicht, verlor seine Zeit auch nicht [360] mit Redensarten, denn dem Land das Gesicht zugedreht, wie wir beim Rudern saßen, sahen wir den scharfen zuckenden Blitz einer Büchse durch die Nacht leuchten, und in demselben Moment auch fast schlug die Kugel in unser Boot, zwischen mir und dem jüngsten Dehart durch, aber glücklicher Weise nicht durch das Boot selber, sondern mitten auf den entführten Ast, der vorn im Bug lag.

„Klapp!“ lachte Bob, „irgendwo saß es; jetzt paßt nun auf, ob der alte Kasten an zu lecken fängt, daß wir das Kugelloch finden.“

„Ich glaube sie hat auf den Ast geschlagen,“ sagte der junge Bursche, der bei Dehart’s in Arbeit stand.

„Dann sind wir geborgen,“ rief Bob lachend, „und nun scharf ausgegriffen, meine Jungen, und mitten in den Strom hinein, bis wir außer Sicht sind.“

Es bedurfte kaum weiterer Aufmunterung; wir thaten unser Bestes, und hörten jetzt wie drüben am Ufer grimme Flüche laut wurden. Jedenfalls hatte der Feind das versenkte Boot gefunden, mit dem eine Verfolgung natürlich ganz unmöglich war, und wir brauchten Nichts mehr zu fürchten. Nichtsdestoweniger schossen wir rasch vom Lande ab, und das Ufer lag bald wie ein dunkler Streifen hinter uns, von wo aus es nicht möglich gewesen wäre das kleine Boot noch zu erkennen, vielweniger darauf zu feuern. Mit der Strömung gingen wir dann ein kurzes Stück hinunter, und hielten dann erst wieder unserer eigenen Wohnung zu, die wir auch noch wohl eine Stunde vor Tag glücklich erreichten.

Mr. Bowley, der nicht den mindesten Zweifel hegte, wer ihm den kecken und wie er es nannte, unverschämten Streich gespielt, drohte mit einer Klage, aber das Recht des Besitzes ist in jenem wilden Landstrich schwer anzutasten, und der Honig war verzehrt, ehe er in Memphis einen Advokaten aufgetrieben, sich nur nach der Sache zu erkundigen.

Nun hatten wir allerdings Müh und Noth genug mit der Kleinigkeit Honig gehabt, und sehr wahrscheinlich viel leichter, jedenfalls mit weit weniger Gefahr, drei andere Bäume in der Nachbarschaft gefunden, aber keinen von uns gereute jene nächtliche Arbeit, und der ausgeschälte Ast lag noch lange, als eine Art Siegestrophäe, auf dem Dach unseres Hauses.

Fr. Gerstäcker.

  1. Ruder.