Eduard Duller (Die Gartenlaube 1854)
Eduard Duller.
Die deutsche Literatur hat vor Kurzem zwei ihrer würdigsten Vertreter, das deutsche Volk zwei seiner edelsten und liebenswürdigsten Dichter verloren. Eduard Boas und Eduard Duller. Beide starben im kräftigen Mannesalter zu fast gleicher Zeit an fast gleicher Krankheit und nach gleich langen Kämpfen mit ihr. Eduard Boas starb im deutschen Norden, dem er angehörte in Landsberg an der Warthe und Eduard Duller im deutschen Süden in Wiesbaden wohin er von Mainz aus gegangen war, die oft bewährte Heilkraft der Quellen auch an seiner zerstörten Gesundheit zu versuchen. Aber um Eduard Boas trauert nicht nur der Norden, um Eduard Duller nicht nur der Süden – sie gehörten Beide dem ganzen Deutschland an. Wenn in den vorzugsweise literarische und belletristische Interessen vertretenden Zeitschriften Eduard Boas’ Tod zahlreiche Berichte über ihn, sein Leben und Dichten hervorruft – so gehört hingegen Eduard Duller vielmehr jenen weitern Kreisen an, in denen die „Gartenlaube“ vorzugsweise ihre Leser sucht und findet und darum sei zunächst hier auch seiner gedacht.
Eduard Duller ist am 8. November 1809 in Wien geboren, wo er auch die Rechte studirte, bald aber ganz diesem Berufe entsagte und sich allein der literarischen Laufbahn widmete, die er schon als Jüngling und zwar gleich mit einem großen Schritt betreten hatte: mit einem Drama, „Meister Pilgram,“ das 1828 auf dem Hofburgtheater zu Wien mit Beifall aufgeführt ward. Ein seltenes Glück für einen jungen österreichischen Poeten! Eine zweite Tragödie, „der Rache Schwanenlied“ folgte. Wie die meisten österreichischen Schriftsteller, litt es auch ihn damals nicht in seinem Vaterlande. Er verließ Wien 1830 und ging nach München, wo er besonders durch seinen Landsmann und Freund, den Künstler Moritz von Schwind, den Betrachtungen des Mittelalters sich zuwendete und eine poetische Begeisterung für diese Zeit und ihre Kunstwerke faßte, die allein seinen frühern Schriften ihre Eigenthümlichkeit aufdrückt. Nach ein Paar Jahren ging er an den Rhein. In Trier schloß er einen innigen Freundschaftsbund mit Friedrich von Sallet, der von wesentlichem Einfluß für seine Entwickelung war: die nüchtern philosophisch-protestantische Anschauungsweise des Dichters des „Laienevangeliums“ wirkte reformatorisch auf Duller’s mittelalterliche Sympathieen. In Düsseldorf war er im vertrauten Umgange mit Immermann und Grabbe (später auch mit Ferd. Freiligrath und G. Kinckel), wo er sich als Mitarbeiter an mehreren Zeitschriften eine Zeit lang hauptsächlich den ästhetischen Interessen widmete, immer bemüht „deutsche Art und Kunst“ zur verdienten Geltung zu bringen. In Frankfurt begründete er eine der trefflichsten Zeitschriften: „der Phönix.“ Freiligrath durfte in seinem „Bannerspruch“ dazu mit Recht singen:
Da war kein Schelten und kein Toben,
Und keiner eitlen Rede Brunst;
Ich sah ein Band, das war gewoben
Aus Glaube, Freiheit, Wissen, Kunst.
„Das ist das Reich nach dem wir streben;
Und ist auch unser Häuflein schwach:
Wir haben Kämpfer vor und neben
Und immer neue wachsen nach!
Die ganze Menschheit eine Heerde
O nur gerungen und geglaubt!
Es frommt ihr jede Hand breit Erde,
Die der Gemeinheit wir geraubt.“
Die Tendenz dieser Zeitschrift und Duller’s ganzes Wirken ist vollständig mit diesen Worten charakterisirt. Zu seinen Romanen wählte er meist historische, besonders mittelalterliche und nationale Stoffe und ließ so nach einander erscheinen: „Berthold Schwarz.“ „Freund Hain.“ „Der Antichrist.“ „Die Feuertaufe.“ „Ketten und Kronen.“ „Loyola.“ „Kaiser und Papst.“ Seine kleineren Arbeiten erschienen als: „Erzählungen und Phantasiestücke.“ „Geschichten für Jung und Alt.“ und „historische Novellen.“ Auch noch ein Drama schrieb er: „Franz von Sickingen.“ Seine Dichtungen erschienen in: „Die Wittelsbacher,“ ein Romanzenkranz. „An Fürsten und Völker,“ politische Gedichte, gesammelte Gedichte und: „Der Fürst der Liebe.“ Letzteres ist ein Buch, welches durchaus nicht die Würdigung gefunden hat, welche es verdient. Wer aber Duller ganz kennen und verstehen, wer sich in die ganze Tiefe seines reichen Gemüthes, in die ganze Begeisterung dieser aufstrebenden Seele versenken will, der sollte vor allen dies Buch kennen lernen. Es ist eine Gedichtsammlung wie es ihrer Tendenz nach keine zweite giebt in der deutschen Literatur, wie es denn keinen zweiten Duller giebt! Und dieses Buch ist ganz er selbst. Die erhabenste Begeisterung der Wahrheit und Liebe redet daraus. Nicht gerade daß wir all den darin enthaltenen Gedichten einen poetischen Werth ersten Ranges einräumen möchten, obwohl ihn viele besitzen, allein dem ganzen Buch gebührte der erste Rang unter einer Gattung von Büchern, die freilich von Vielen für ganz überflüssig gehalten, von Tausenden aber dennoch begehrt und in Ermangelung besserer Erzeugnisse unter den schlechteren gesucht wird, so daß den schädlichen Einflüssen derselben durch diesen Mangel Thor und Thür geöffnet ist – ich meine die Gattung der Andachtsbücher. Die Vornehmen und Feingebildeten lächeln bei diesen Worten, aber wäre nicht das Bedürfniß im Volke und bei den Frauen zumal, mindestens bei den jungen Mädchen, da, nach religiöser Begeisterung, Trost und Ermunterung durch religiöse Schriften – wie anders wäre das Anwachsen der Traktätlein und der ganzen Literatur im Dienst des Mysticismus zu erklären, die diesem Bedürfniß um so eifriger entgegenkommt, als es von anderer Seite gänzlich ignorirt wird? Leopold Schäfer’s „Laienbrevier“ ist vielleicht das einzige derartige Buch für die Gebildeten, das der Fluth pietistischer Bücher gegenübersteht. Es hat mehrere Auflagen gehabt und ist in unzähligen Händen – aber Duller’s „Fürst der Liebe“ zeichnet
[361]sich durch eine viel größere Wärme, ja ich möchte sagen: Christlichkeit aus und würde darum auch größere Verbreitung haben, wenn es nur einmal bekannter – und besonders in einer kleineren und billigeren Ausgabe zu haben wäre. „Der Fürst der Liebe“ ist der erhabene Stifter des Christenthums selbst, dessen ewige Lehren der Liebe und Wahrheit durch jedes einzelne Gedicht klingen. Wie für alle nationale Elemente begeisterte sich Duller auch für den Ausbau den Kölner Dom’s und sang mit Freiligrath ein „Dombaulied,“ ohne jemals über eine so rein äußerliche Bestrebung das Höhere zu vergessen was dem deutschen Volke Noth that. Er sah im Dombau nicht wie mancher sonderbare Schwärmer jener Tage eine Verheißung deutscher Einheit, aber er hieß diese Idee willkommen eben in seiner Begeisterung für deutsche Art und Kunst.
Wenn wir so aus seinen Romanen und Gedichten seine nationale und religiöse Begeisterung reden hören, so finden wir auch seine Geschichtswerke von demselben Geiste durchdrungen. Seine „Geschichte des deutschen Volkes“ für Volk und Jugend, hat wohl von allen seinen Werken die weiteste Verbreitung erhalten. Zu Schiller’s Geschichte des Abfalls der Niederlande schrieb er eine treffliche Fortsetzung und Ergänzung. Ferner eine „Geschichte der Jesuiten“ und „Beiträge zur Geschichte Philipp’s des Großmüthigen.“ Die Geschichte „des deutschen Volkes,“ an welcher er zuletzt schrieb, ist leider erst in wenigen Lieferungen erschienen, da er aber schon lange an dem Material dazu gesammelt, so ist zu hoffen, daß es nur einer Redactionsarbeit bedarf, sie in seinem Geiste weiter erscheinen zu lassen. Wie wir hören, hat dies Prof. Hagen übernommen. Wenige waren gleich Duller zu einer solchen Geschichtsschreibung geeignet und er hatte sich in der letzten Zeit ganz diesem Berufe gewidmet. – Duller schloß sich der deutschkatholischen Bewegung an, und wirkte auch in ihrem Dienste durch Wort und Schrift. Ueberall am Rheine predigte er und begeisterte Tausende für seine Sache. In Mainz und Wiesbaden zum deutschkatholischen Prediger gewählt, ward ihm nach langer Schwankung die Bestätigung versagt und endlich mußte auch das von ihm in Wiesbaden redigirte „deutschkatholische Sonntagsblatt“ eingehen. Viele seiner Predigten sind gedruckt und sowohl einzeln als gesammelt erschienen. Die hohe Begeisterung, die ihn selbst durchdrang, war es, durch welche er zumeist wirkte. Er hatte bei einer so bewegten Wirksamkeit durch das viele Reisen und Sprechen sowohl, als auch durch die ganze aufregende Thätigkeit, die mit diesem schweren Apostelberufe verbunden war, seine Gesundheit so sehr [362] angegriffen, daß seine Freunde um seinetwillen es beinahe gut hießen, als er von den Verhältnissen gezwungen ward, dieses ruhelose Leben aufzugeben. Leider aber zu spät! Der Keim des Todes war bereits gelegt und er erlag ihm am 23. Juli vorigen Jahres.
Er hinterläßt eine hochbetagte Mutter und eine treue Gattin, mit der er seit zehn Jahren in der glücklichsten Ehe lebte. Er hatte sie in Darmstadt als eine gefeierte dramatische Künstlerin kennen gelernt und sie aus Liebe zu ihm der Bühne entsagt. In schönster Seelenharmonie trugen sie alle Stürme des Geschickes gemeinschaftlich, wie sie denn auch gemeinschaftlich für die Sache der Humanität wirkten und dabei nicht allein in der eigenen Liebe, sondern auch in der Verehrung von Tausenden reichen Ersatz fanden für alle Verfolgungen und Feindschaften, welche eben dieses Wirken ihnen zuzog.
In Duller’s kleiner, fast schwächlicher Gestalt suchte auf den ersten Blick vielleicht Niemand die feste Männlichkeit, die er durch sein ganzes Leben so schön bewährte. Sein Haar war blond und sein Antlitz bleich – aber wenn er sprach, belebte es sich wunderbar, seine geistige Bedeutenheit strahlte von seiner hohen Stirn und seine blauen Augen glühten wie blinkende Sterne. Dieser Ausdruck sowohl wie das volltönende Organ, was das Feuer seiner Rede unterstützte, übte einen mächtigen Zauber auf seine Zuhörer, die er nicht nur momentan in die höchste Begeisterung hineinriß, sondern noch lange darin erhielt: man vergaß nicht wieder, was man von ihm gehört, so tief wußte er die Herzen zu fassen. Aber seine größte Macht waren auch nicht diese äußern Gaben, sondern eben sein Herz. Als Mensch war Duller von Freund und Feind gleich hochgeachtet – als Schriftsteller ist es ihm nicht gelungen die allgemeine Popularität und den Einfluß auf das Publikum zu erringen wie er verdient hätte. Ist dies doch dem deutschen Schriftsteller so schwer, hängt es doch meist viel mehr von äußern Umständen ab, als von der eigenen innerlichen Begabung und Kraft. Die literarischen Zustände in Deutschland sind leider der Art, daß es schon viel ist, wenn einer nicht an ihnen in seiner geistigen wie seiner äußerlichen Existenz zu Grunde geht. Wer sich weder erniedrigen kann zum gemeinen Lohnarbeiter der Herren der Presse, noch dem wechselnden Geschmack der Mode sich unterwerfen, noch um die Gunst der Großen buhlen – und wer dennoch darauf angewiesen ist allein von seiner Feder sich und die Seinen zu ernähren: dessen Genius muß Titanenkraft besitzen, wenn er auf seinem Flug zur Sonne niemals zurücksinken und von der erstaunten Welt gesehen und geprießen werden soll.
Ein solcher Titane war Duller nicht, aber er gehörte zu jenen selbstständigen Schriftstellern, die lieber ihre Existenz ihrem Streben und ihrer Gesinnung aufopfern, als diese jener, und zu den begeisterten Poeten, welche aus innerm Drange heraus schaffen und dabei nicht fragen nach dem größern pecuniären Gewinn oder nach dem Beifall der Menge oder gar nach der Gunst der Höfe und dem Modeurtheil der Salons. Und weil sich Duller so unabhängig erhielt und doch mit der Eile arbeiten mußte, die alle Schriftsteller zum unausgesetzten Schaffen mahnt, die allein damit ihren Lebensunterhalt gewinnen: so hat er wohl Bedeutendes geleistet, aber nicht das Bedeutende, was er würde geschaffen haben, wenn er sich zuweilen die nöthige Muße hätte gönnen dürfen.
Unter den Schriftstellern zählt er dennoch mit zu den besten Namen der Gegenwart, aber dem Volke sind seine Werke fremder geblieben als sie verdienen. Hoffentlich ruft sein Tod eine Gesammtausgabe seiner Werke hervor und verschafft dem[WS 1] Todten die Anerkennung, die dem Lebenden nicht genug geworden. Anfangs in den Kreisen der Literatur mit günstigen Aussichten aufgenommen, ist er später in ihnen, wenn nicht verdächtigt, doch ignorirt worden, da er gerade in einer Zeit seine Begeisterung für Menschenwohl und Freiheit am Offensten darlegte, wo es bereits gefährlich geworden war, nicht nur selbst eine solche zu haben, sondern auch die Träger derselben noch an seiner Seite zu dulden. So war Duller zuletzt nur noch mit seinen Gesinnungsgenossen in Verbindung und für die eigentlichen Literaten, die ihn früher mit Stolz ihren Collegen nannten, hatte er aufgehört zu existiren. Aber so zahlreich auch seine Gegner waren, nie haben sie gewagt, seinen Namen zu verunglimpfen, gemeine und egoistische Motive seinen Wirken unterzuschieben. Sie haben sich begnügen müssen ihn einen Schwärmer zu nennen. Das war er auch im Gegensatz der blasirten und philosophischen Kälte so vieler Führer, sowohl in der Literatur als auch in der Politik auf beiden Seiten. Duller nannte sich selbst mit Stolz einen entschiedenen Liberalen – aber er war noch mehr, er war ein ganzer Mensch. Er dichtete nicht nur von einem „Fürsten der Liebe,“ er weihte sich ihm auch und wirkte für sein Reich, für das Reich der Liebe mit einem begeisterten Herzen, das selbst von Liebe überströmte. So war er für die Einzelnen, so war er für das Allgemeine. So ist er auch gestorben als ein Apostel der Liebe im Glauben, daß ihr Reich noch kommen werde!Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: den