Immermann und Grabbe

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Autor: Lorenz Clasen
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Titel: Immermann und Grabbe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 363-366
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Immermann und Grabbe.
Fragment aus dem Düsseldorfer Künstlerleben.

Unter den Männern von Intelligenz und Talent, welche in den dreißiger Jahren dem Düsseldorfer Künstlerleben ein erhöhtes Relief verliehen, war unbedingt Immermann, der berühmte Verfasser des Münchhausens, der Hervorragendste und Einflußreichste. Nicht als hätte er es sich angelegen sein lassen, auf den Charakter der Schule im Allgemeinen oder auf die Richtung einzelner Künstler einzuwirken; dazu hielt er sich bei allem freundschaftlichen Verkehr einestheils doch immer noch zu fern, war zu wenig anschließend und aus dem Innersten mittheilend, und anderntheils mit seiner eigenen Kunstanschauung noch zu sehr in der Ausbildung begriffen. Daher benutzte er den Umgang mit den Künstlern zunächst zur Förderung seines eigenen Urtheils, zur Prüfung seiner Reflexionen, zur Bereicherung seiner positiven Wahrnehmungen. Seine zuerst in der Pandora erschienenen „Düsseldorfer Anfänge“ waren das Resultat dieser seiner zwölfjährigen Studien und Beobachtungen. Die dort ausgesprochenen Ansichten über das Wesen der Kunst brachte er keineswegs von Münster mit nach Düsseldorf, sondern gewann sie erst hier. Selbst die geistvolle und zutreffende Darstellungsweise, insofern sie von einer auffallend frischen und allseitigen Erregung zeugt, hat ihren Hauptgrund in der besonders auf ihn so wohlthätig einwirkenden künstlerischen Umgebung. Diese Einwirkung war aber nicht blos befruchtender und weckender, sondern auch kritischer Natur. Denn wie sehr sich auch das damals noch junge Malervölkchen vor seiner gewaltigen Persönlichkeit und vor der Thatkraft seines Geistes beugte, so war es doch deshalb nicht geneigt, ihn so ohne Weiteres anzubeten. Wagte man auch gegen ihn keine unumwundene Kritik, weil man den leicht Reizbaren nicht verletzen und erzürnen wollte, so ging eine solche doch für ihn theils daraus hervor, wie man das Vorgelesene hinnahm, theils wie man über ähnliche Poesieen von Andern – und zwar ohne viel Federlesens[WS 1] – urtheilte. Auch fehlte es dem jugendlichen Treiben nicht an Humor, Satire und Witz, und mancher anscheinend nur in die Ferne zielende Hieb traf unversehens den Nebenanstehenden. Vor Allem aber waren es zwei Dinge, denen man den Krieg erklärt hatte, der Langeweile und dem Zopfthum. Unter der ersteren begriff man aber allerlei, z. B. Weitschweifigkeit, Pedanterie, Trockenheit, Phrasenthum, Schwerfälligkeit u. dgl. Ihr entgegen stellte man plastische Anschaulichkeit, Deutlichkeit, Kürze, Lebendigkeit etc. Es ließe sich wohl aus zahlreichen kleinen Zügen nachweisen, – liefe man nicht Gefahr, selbst langweilig zu werden – daß Immermanns spätere ebenso einfache als lebendige, ebenso kernige als ungeschraubte Darstellungsweise stillschweigend diesen Anforderungen seiner Umgebung Rechnung trug.

Ich sage stillschweigend, denn Immermann war nicht der Mann, durch ein etwaiges Zugeständniß solcher Art seine Selbstständigkeit und Autorität in Frage zu stellen. Auch war er im Herzen durchaus kein Freund von einer solchen Accommodation der Form und zwar um so weniger, als er darin eine gewisse Annäherung an die flüchtige und pikantseinwollende Tagesliteratur erblickte, die er gründlich haßte, weil er ihr den Ernst der Gesinnung, die höhere Weihe, die wahre Erkenntniß der Kunstbedeutung absprach. Kam er auf sie zu sprechen, so umspielte ein zürnender Hohn seine seinen gekniffenen Lippen und seine Augen wetterleuchteten umheimlich hinter der Brille. Später machte sich diese Bitterkeit, dieser Stolz eines trotzenden Selbstbewußtseins weniger bemerkbar, ja es traten Momente der Milde, der Nachsicht und selbst einer gewissen Wehmuth bei ihm ein. Er hatte gewissermaßen auf der Höhe seines Strebens und seiner Anschauungen Posto gefaßt und durfte nun mit einiger Ruhe – um so mehr, da sich ihm jetzt die Kritik günstiger zeigte – auf die Umgebung und das Geleistete und Erreichte zurückschauen.

Was aber war es, was den Immermannschen Stolz, der nicht selten in schroffer Weise hervortrat, erträglich, ja Hochachtung gebietend machte? Es war seine durch und durch edle und wahrhaftige Gesinnung, sein energisches, unermüdliches Streben nach dem Höchsten, sein vollständiges Durchdrungensein von der hohen Bedeutung und der Heiligkeit des Dichterberufes, sein echt männliches, strenges und zuverlässiges Wesen. Schon seine äußere Erscheinung deutete unverkennbar auf diese Eigenschaften. Er hatte eine hohe, stattliche Gestalt, zu der sich erst in den letzten Jahren seines Lebens eine mäßige Beleibtheit gesellte. Seine Schultern, ohne hochstehend zu sein, waren nur wenig abhängend; ihnen entsprechend der Hals mehr kurz als lang, was der Haltung des mit einem vollen, kräftigen, tiefbraunen Haare versehenen Kopfes eine gewisse gebieterische Festigkeit verlieh. Die Kopfbildung neigte sich weniger zur ovalen als zur quadratisch gedrückten Kreisform. Auf der hohen Stirn thronte dictatorischer Ernst. Die Schwellungen über der Augenhöhle und nach den Schläfen zu waren vorherrschend ausgebildet, [364] ohne daß die letztern auf eine besondere Neigung zum Phantastischen hätten schließen lassen. Die mehr breite als schmale und in den Verhältnissen kurze Nase deutete auf hartnäckigen Trotz; ebenso zeigte die Wangenformation eine feste, compacte Muskelbildung. Am meisten aber verriethen die seinen geschlossenen Lippen des männlich kleinen Mundes den streng maßhaltenden und scharf geprägten Charakter. Von allen Theilen des Gesichtes schloß allein das runde Kinn nicht ganz die Neigung zu einer bequemen Behaglichkeit aus. Um das Bild vollständig zu machen, darf eine gewisse amtliche Gemessenheit seines Wesens nicht unerwähnt bleiben.

Befand sich dieser Mann unter uns bei unsern engeren gesellschaftlichen Zusammenkünften oder bei allgemeinen festlichen Veranlassungen, so gab es wohl nicht leicht Jemand, der nicht ab und zu nach ihm hinübergeschielt hätte, um zu sehen, was für ein Gesicht er machte zu unsern Scherzen und Schnurren, zu unsern Deklamationen und scenischen Vorstellungen. War er aber selbst der Leiter eines solchen Festes, oder beglückte er uns mit dem Vorlesen irgend eines Shakespeare’schen oder Calderon’schen Stückes oder seiner eigenenen Werke, so waren wir diese Zeit vollständig seine Leib- und Seeleigenen. Seinen Anordnungen hatte man sich unbedingt zu fügen, seine Auffassung war die allein richtige, die geringste Störung, die kleinste Vernachlässigung ließ seinen Zorn befürchten. Dieser aber pflegte sich nicht in viel Worte zu kleiden, sondern ging gleich zur That über. Hatte er z. B. eine Probe zu einem Festspiel angesetzt, und fünf Minuten nach der anberaumten Zeit waren nicht alle Mitwirkenden anwesend, so warf er ohne Weiteres sein Buch oder Manuscript in den Winkel, und verlegte die Probe auf den folgenden Tag, wäre auch die Zeit bis zur Aufführung noch so knapp zugemessen und für die Betheiligten – die sich schließlich nur dem allgemeinen Besten oder doch der allgemeinen Unterhaltung opferten – noch so ungelegen gewesen. „Ich will Pünktlichkeit,“ pflegte er zu sagen, „und bin nicht gewöhnt zu warten.“ Ach, welch Seufzen und Klagen erhob sich dann, war unglücklicher Weise die Verspätung einer mitwirkenden Dame die Schuld seines Zornes, die nun nicht nur diesen, sondern auch den Aerger aller übrigen Mitwirkenden auf dem Gewissen hatte!

Wie groß war aber auch hinterher die Freude, hatte sich das Ganze zu einer echt künstlerischen Lösung abgerundet! Zu diesem Zwecke scheute Immermann keine Mühe und keine Wiederholung, kein Vormachen und immer wieder Nachhelfen. Und wie geschickt wußte er die vorhandenen Kräfte zu verwenden, und mit welcher Umsicht und Feinheit Alles bis in’s Kleinste zu ordnen und in der Wirkung durchzuführen! Das kam daher, weil er nicht nur selbst ein erstaunliches Talent besaß, dem Wort durch Betonung und Gebehrde seine volle Bedeutung und Tragweite zu verleihen, sondern auch unter allen Umständen den festen, beharrlichen Willen hatte, mit allen Kräften einer möglichsten Vollendung nahe zu kommen. Dieser ernste Grundton verließ ihn nie ganz, selbst nicht, wenn er im traulichen Kreise hinter dem Glase Wein seiner Laune den Zügel schießen ließ, und mit drolligen Einfällen und Bezüglichkeiten um sich warf, wie wir ähnliche in seinem Münchhausen und Tulifäntchen in Menge vorfinden. Dann waren es besonders der geniale Humorist A. Schrödter und der ehemals so heitere Th. Hildebrandt, die mit ihm zu unser Aller Erbauung ein Witzturnier aufführten, bei welchem die umherfliegenden Splitter der gebrochenen Lanzen auch wohl allmählich noch Andere reizten, in die geöffnete Bahn einzureiten.

Daß eine solche Natur sich nicht mit dem cynischen und schrecklich heruntergekommenen Grabbe, den trotz alledem genialen Dichter des Hannibal, des Don Juan und Faust, des Napoleon und der Herrmannsschlacht, würde befreunden können, sagten wir Alle uns gleich bei des Letztern Ankunft in Düsseldorf. Gelegentlich will ich hier einschalten, auf welche seltsame Weise ich die nähere Bekanntschaft dieses ebenso unglücklichen als genialen Mannes machte, Zunächst war es mein Freund Hasenklever, der bekannte – leider zu früh verstorbene – Maler der Jobsiade, der mich eines Abends in jene Weinkneipe auf der Rheinstraße führte, die Grabbe zu seinem beständigen Absteigequartier erkoren hatte.

„Du wirst einen tollen, aber doch einen sehr gescheidten Kerl kennen lernen,“ sagte Hasenklever auf dem Wege dorthin; „vor Allem aber einen höchst originellen Menschen und das zieht mich ganz besonders zu ihm hin. Ich sage Dir, wenn Du den schimpfen hörst, so steigen Dir die Haare zu Berge, und doch ist er eigentlich im Herzen ein gutes Haus.“

Wir traten in die von Tabaksqualm verdüsterte Stube.

„Siehst Du, dort sitzt er; komm, ich will Dich vorstellen.“

Ich sah nach dem Bezeichneten hin. Es war ein kleiner, auf seinem Stuhle ineinandergesunkener Mann, dessen großer Kopf fast nur ans einer riesigen, von wenigen blonden Haaren umgebenen Stirn bestand. Er schwankte, vorn überhängend, unsicher hin und her.

Hasenklever trat begrüßend an ihn heran und stellte mich vor. Grabbe warf einen scheuen Blick zur Seite und sagte:

„Gut, Sie können mir gestohlen werden. – Ich bin kein Freund von Complimenten,“ setzte er nach einer Weile halbentschuldigend hinzu und rückte seinen Stuhl, damit wir Platz gewannen.

„Die Grobheit darfst Du ihm nicht übel nehmen,“ flüsterte mir Hasenklever zu; „so ist er immer.“

Und nun begann eine Unterhaltung, die nichts weniger als erquicklich war, obgleich sie sich meist auf historische Charaktere, auf Hannibal, Cäsar, Napoleon etc. bezog. Die Kraftausdrücke und Epitheta, mit denen dieselben von Grabbe abgefertigt und versehen wurden, waren allerdings meist von überraschender Charakteristik, geistvoll und schneidend, aber durchaus nicht zu einer weiteren Mittheilung geeignet. Je mehr er dem Glase zusprach, desto wilder, kolossaler und verzerrter wurden seine Vergleiche, die nicht selten das Widerwärtigste und Heiligste zusammenzuketten suchten.

„Mein lieber Auditeur,“ (Grabbe war bekanntlich preußischer Auditeur) sagte ein neben ihm sitzender Arzt, „ich glaube, Sie werden gut thun, aufzubrechen. Ich halte es für meine Pflicht, Sie zu warnen; es könnten die Wallungen von gestern –“

„Halt’s Maul, Doctor; was geht’s Dich an, wenn ich mich zu Tode saufe!“

Ich drückte mich aus der Gesellschaft und verspürte nach diesem Abend nicht das geringste Verlangen mehr, mit dem genialen Dichter des herrlich sprudelnden Lustspieles „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ und des großartigen Gedichts „Don Juan und Faust“ in eine nähere Berührung zu kommen.

Aber der Zufall fügte es anders.

Einige Tage später passirte ich Morgens gegen halb acht Uhr die Ratingerstraße, als ich in einiger Entfernung Grabbe gewahrte, der, bald stillstehend, bald unsicher weiterschlotternd, sich nach den Häusern umsah. Ihm näher kommend, grüßte ich.

„Sie da!“ sprach er mich an,’ „können Sie mir sagen, wo hier der Auditeur Grabbe wohnt?“

„Sie können Ihre Wohnung nicht finden, Herr Auditeur?“

„Ah, Sie kennen mich? waren Sie gestern bei uns?“

„Gestern nicht, aber vor einigen Tagen. Erinnern Sie sich - -“

„Nein, ich erinnere mich nicht - - aber wissen Sie meine Wohnung?“

„Im schwarzen Horn, nicht wahr?“

„Ja, im schwarzen Horn.“

„Sie sind hier gleich bei der Thüre; soll ich Sie hinaufführen?“

„Ja, kommen Sie! Nun, hol’ mich der Teufel, ich dachte schon, die Spelunke wäre ganz vom Erdboden verschwunden gewesen.“

Mühsam erstiegen wir die engen Treppen.

„Immer höher!“ rief er und dann, im zweiten Stockwerk angelangt: „halt! da – das ist die Thüre.“

Wir traten in eine schmale, ziemlich knapp möblirte Stube. Ein simpler Arbeitstisch, eine kleine Bibliothek, ein Bett, ein Schrank und ein paar Stühle verliehen dem Raume ein wohnliches Ansehen. Sofort warf er sich auf’s Bett.

„Klingeln Sie, damit mir das – mein Frühstück bringt.“

Ich willfahrte und bald nachher trat das Stubenmädchen mit dem Verlangten ein. Es bestand aus einem großen Glase Kornbranntwein und einem entsprechenden Stück rohen Speck, nebst einer trockenen Brodschnitte.

Während er diese Dinge mit einer gewissen Hast zu sich nahm, räumte ich einige an der Erde zerstreut liegende Manuskripte zusammen und legte sie auf seinen Arbeitstisch.

„Werfen Sie den Schund in’s Feuer!“ schnarrte er.

„Das wollen wir einstweilen nicht thun; Sie würden es vielleicht später bereuen.“

„Nein, sage ich; es ist dummes Zeug, es sind Polypen, die [365] ich meinem Hannibal aus der Nase geschnitten; ausgemerzte und umgeänderte Scenen!“

„So würden Sie wohl erlauben, daß ich sie zu mir steckte?“

„Meinetwegen!“

Ich dankte und versicherte zugleich, daß ich ein großer Verehrer der kernigen, kräftigen Auffassung und der plastischen Behandlung seiner dramatischen Charaktere sei.

„Schweigen Sie, schweigen Sie!“ rief er und kehrte sein Gesicht gegen die Wand. „Ich bin ein unglücklicher Mensch,“ murmelte er in’s Kissen und schluchzte krampfhaft.

Meinen Versuch, ihn zu beruhigen und zu Kosten, ließ er gar nicht aufkommen.

„Wenn Sie mir einen Dienst erzeigen wollen, so reichen Sie mir das Glas; da – da – steht’s,“ unterbrach er mich, ohne sich umzuwenden.

„Kann ich Ihnen mit weiter nichts dienen?“

„Nein! – Doch, ja, gehen Sie zu Immermann, sagen Sie ihm, daß ich heute Morgen nicht kommen könnte – daß ich in sechs Wochen nicht kommen könnte – daß ich todtkrank sei – und daß ich wünschte … Aber nein –“ und er wandte sich um und maß mich mit mattem Blick – „Sie sind noch zu jung, um die Courage zu haben, ihm dies zu sagen … Ich werde es ihm schreiben, daß ich ein armer, verlorener, zu Grunde gerichteter – auf ewig verlorener Mensch bin.“

Alle seine Gesichtsmuskeln arbeiteten heftig und seine schlaffen Lippen bebten. Tief erschüttert trat ich näher, ich wollte seine Hand fassen.

„Scheren Sie sich zum Teufel!“ rief er; „aber,“ setzte er fast weinerlich hinzu, „kommen Sie morgen früh wieder. Nicht wahr, Du kommst? – Morgen werde ich ein ganz anderer Mensch sein.“

Ich versprach es ihm, fand aber jedes Mal denselben zerrissenen, unglücklichen Menschen, dessen Geist sich nur dann aufzurichten vermochte, wenn es ihm gelang, im dichterischen Schöpfungsdrange sein eigenes trauriges Ich zu vergessen. Wie recht, dachte ich, hat doch unser Meister Schadow, wenn er behauptet, auch das größte Talent, ja selbst das wirkliche Genie gehe auf halbem Wege zu Grunde, wenn ihm nicht eine gewisse Charakterfestigkeit von Zeit zu Zeit unter die Arme greife.

Zwei Jahre später hatte ich Gelegenheit, auch Immermann, mit dem ich bis dahin nur in außerhäusliche Berührung gekommen, in seinen vier Pfählen, wie man zu sagen pflegt, kennen zu lernen. Welcher Contrast!

Es sollte dem damaligen Kronprinzen von Preußen, dem jetzt regierenden Könige, bei seiner Anwesenheit in der Rheinprovinz von den Künstlern Düsseldorfs ein großes Fest gegeben werden. So etwas konnte nie ohne dramatische Vorstellungen, lebende Bilder, Festzüge u. dgl. abgehen. Am wenigsten durften diese Dinge diesmal fehlen, da es galt, einem geistvollen, für Kunst und Poesie enthusiasmirten Prinzen, dessen geniales Urtheil notorisch war, eine Unterhaltung zu bereiten, die zugleich unser künstlerisches Getreibe in ein günstiges Licht zu stellen geeignet wäre. Solche Vorstellungen aber kosteten den Mitwirkenden allemal schwere Opfer an Zeit und Geld und kaum erst hatten wir uns von den Anstrengungen eines nicht lange vorher stattgehabten Festes erholt. Viele litten noch an den pecuniären Nachwehen desselben. Theils die noch brühwarme Erfahrung, theils eiserne Notwendigkeit bestimmte uns daher, diesmal möglichst ökonomisch zu Werke zu gehen, das heißt den Festplan so einzurichten, daß die noch von früher vorhandenen Decorationen und Costüme mit geringer Abänderung wieder verwendet werden könnten.

So hatten wir in den Vorberathungen, denen Immermann nicht beiwohnte, weil er zu dieser Zeit verreist war, beschlossen. Ja, wir verhehlten es uns nicht, daß dessen Abwesenheit für die mindere Kostspieligkeit des Festes ein günstiger Umstand wäre, und hofften, wie es schon einmal geschehen, auch ohne ihn etwas Vortreffliches zu Stande zu bringen. Aber schon in den nächsten Tagen kehrte Immermann zurück und zwar zu unserm nicht geringen Schreck, denn hätte er erfahren, daß wir die Absicht gehabt, ihn zu umgehen, er würde es uns sobald nicht verziehen haben. Indeß fand sich ein Ausweg, der geeignet schien, jede Bedenklichkeit zu heben. Man ernannte in aller Eile unter dem Vorwande, daß sie den Zweck habe, Immermann mit Rath und That beizustehen, aus unserer Mitte eine Commission. Ihre geheime Aufgabe aber war, ihm die Zügel zu halten, daß er nicht allzu rücksichtslos in’s Zeug gehe. Dieser Commission gehörten – so viel ich mich dessen nach nun zwanzig Jahren zu erinnern vermag – u. A. Hildebrandt, Kiederich, Steinbrück, Heubel, Haach und meine Wenigkeit an.

Wir wurden von Immermann auf den folgenden Abend in seine Wohnung eingeladen, die sich eine Viertelstunde vor der Stadt auf dem in Derendorf gelegenen freundlichen Gute „Kollenbach“ befand. Er bewohnte das Erdgeschoß des geräumigen, von einem schönen Garten umgebenen Landhauses und seine Freundin, Gräfin von Ahlefeld, die erste Etage desselben. Die häusliche Wirthschaft Beider war äußerlich eine streng geschiedene.

Er empfing uns überaus freundlich, und drückte Jedem zum Willkomm herzlich die Hand. Er war im Schlafrock, was ihm ein cordialeres und gemüthlicheres Wesen verlieh, als er sonst zu zeigen pflegte. In dem Vorzimmer, welches wir passirten, um in sein Arbeitszimmer zu gelangen, stand auf einem kleinen runden Tische eine Art Götzenbild, ein braunes, dunkles, ungestaltetes Ungethüm und – was uns günstige Auspicien eröffnete – rund um dasselbe eine Anzahl Flaschen und Gläser. Das Arbeitszimmer selbst war ein sehr geräumiges. Theils eine reiche, wohlgehaltene Bibliothek, theils mehrere antike Statuen in Gypsabguß, darunter ein paar schöne Venus-Torsen, dann Zeichnungen, Kupferstiche, Bildnisse seiner Freunde etc. bedeckten die Wände. In der Mitte stand ein großer runder Tisch, hochbeschwert mit Büchern, Acten, Briefen; Alles ohne kleinliche Pedanterie in bester Ordnung. „Setzt Euch, Ihr Männer!“ begann er in humoristischem Tone und schob jedem mit großer Dienstbeflissenheit einen Stuhl hin. „So, und nun wollen wir, ehe wir das wichtige Werk berathen, die rechte Stimmung beschwören.“

Und behändig holte er die im Vorzimmer aufgepflanzten Flaschen und Gläser herbei. „Ein echter Rüdesheimer; stoßt an!“ Dann ließ er sich behaglich nieder und fixirte uns mit prüfendem Blick.

„Nun, was wollt Ihr von mir?“ –

Hildebrandt, sein näherer Freund, übernahm die Auseinandersetzung und bemerkte unter Anderm, man wünsche ein Festspiel, so in der Weise wie jenes, was Reinik und meine Wenigkeit für den Vater Schadow’s damals arrangirt hätten.

„So?“ betonte Immermann mit einem gewissen ernsten Nachdruck, „also in solche Fußstapfen soll ich treten? Also Ihr wollt mich zum Bänkelsänger machen?“

„Das heißt,“ fuhr Hildebrandt fort, „wir meinen nur, Du möchtest das Ganze so einrichten, daß wir das vorhandene Material, was wir noch besitzen, möglichst wieder verwenden können.“

„Ho ho!“ lachte er, „ich soll also meine Einfälle nach Euren Costumfetzen und Decorationen einrichten! Doch laßt hören, was habt Ihr denn noch?“

Und Jeder kramte aus, was er für brauchbar hielt, und Immerman schien geduldig zuzuhören. Als wir mit unserer Weisheit zu Ende waren, spielte er eine Weile den Nachdenkenden, als ob er sich den Kopf zerbräche, unsern Wünschen gerecht zu werden. Dann begann er in ernsthafter Weise die seltsamsten Projecte auszuspinnen, gegen die wir natürlich pflichtgemäß unsere Einsprache erhoben. Dies kümmerte ihn jedoch wenig, vielmehr gestaltete sich sein Plan immer abenteuerlicher. Um die Pausen zwischen den unvermeidlichen lebenden Bildern zu beseitigen, schlug er vor, eine Scheibe bauen zu lassen, deren Durchmesser die Breite der ganzen Bühne betrüge. Auf dieser sollten in ineinandergreifenden Gruppen die Hauptepochen der Kunstgeschichte dargestellt werden. Mittelst eines Räderwerks sollte die Umdrehung bewirkt werden, so daß ohne Unterbrechung Gruppe auf Gruppe vorüberschwebe. Allerdings nicht übel, aber für unsere ökonomischen Absichten wenig passend. Wir unterließen nicht, dies zu bemerken.

„Ja, Leute, wenn Ihr knickern wollt, so müßt Ihr mich nicht zu Rathe ziehen,“ erwiderte er halb ärgerlich, halb spöttisch und fuhr fort:

„Ist dann das letzte Bild vorüber, so erscheint am Schlusse der Genius der Kunst, feierlich auf Wolken niederschwebend, eine schöne weibliche Gestalt, nackt wie die Wahrheit, nur einen leichten Schleier um die Hüften, und begrüßt so den Kronprinzen.“

Erstaunt warfen wir ein, daß wir sehr daran zweifelten, eine von unsern Damen werde sich zu einem so leicht costumirten Genius hergeben.

Ein satirisches Lächeln zuckte auf seinen Lippen.

[366] „Wozu haben wir denn,“ erwiderte er ruhig, „all die adeligen Damen, besonders die Gräfinnen N. N., wenn sie das nicht einmal thun wollen? Sie wollen ja doch stets eine aparte Rolle spielen. Und den Herren Officieren wird dieser Theatercoup ganz besonders gefallen.“

Eine Weile weidete er sich an unseren verblüfften Gesichtern und sagte dann lachend:

„Nun, ich sehe schon, heute fehlt Euch und mir die Weihe, aber in zwei Mal vierundzwanzig Stunden sollt Ihr von mir ein Stück fix und fertig erhalten, das Euch hoffentlich genügen wird; wenn nicht, so macht damit, was Ihr wollt. Verderbt mir aber heute meine gute Laune nicht, denn seht, hier habe ich den ersten Band meines Münchhausens, das erste gebundene Exemplar. Bisher hat mir keine meiner Arbeiten so viel Freude gemacht, wie dieser Münchhausen.“

Schon bei früheren Gelegenheiten hatte er uns einzelne Capitel desselben vorgelesen, an die sich nun unsere Schlußunterhaltung knüpfte. – Wir schieden in heiterer Stimmung spät in der Nacht, das Schicksal des Festspiels gänzlich seiner Willkür überlassend, Es war wirklich das Einzige, was uns zu thun übrig blieb.

Seinem Versprechen gemäß lieferte er zwei Tage nachher das fertige Stück, das den Titel „Ost und West“ führte und vielfach auf die Verbindung der Rheinprovinz mit den östlichen preußischen Provinzen anspielte. Die Aufführung, welche im großen Galleriesaale der Akademie stattfand, verursachte viele Schwierigkeiten und erforderte einen großen Aufwand von mühsam herzustellenden Requisiten. Die Wirkung war nicht gerade eine schlagende, doch fesselte es durch seine tieferen Bezüglichkeiten. Desto brillanter fiel die auf dieses Vorspiel folgende Aufführung von „Wallenstein’s Lager“ aus. Es dürfte nicht leicht ein abgerundeteres Zusammenspiel und eine feinere Charakteristik der einzelnen Personen selbst von Schauspielern einer Hofbühne zu erreichen sein. Die Lebendigkeit der Dialoge und Situationen, die ungeschminkte Echtheit des Costums, die Vermeidung aller Bühnenflunkerei und nichtssagender Gestikulationen: Alles das ließ errathen, daß die Spielenden Künstler waren, die tiefere Gründe für ihr Spiel hatten, als das Herkömmliche nachzuäffen. Jedenfalls aber blieb Immermann das bei Weitem größere Verdienst. Er hatte die Regie mit einer Sorgfalt und Umsicht geübt, wie man sich kaum vorzustellen vermag, wenn man nicht selbst zugegen gewesen. Jede Bewegung, jede Position, jeder Uebergangsmoment war genau erwogen und angegeben und so – bei allem Trubel, den diese Lagerscenen erfordern – eine vollständig klare malerische Sonderrung der Gruppen erreicht worden.

Nur ein kleiner Unfall drohte einen Augenblick, den Zorn Immermarm’s, der sich hinter den Coulissen befand und mit dem Buche in der Hand jede Sylbe controllirte, auf unsere Häupter niederfahren zu lassen. Einer der höllischen Jäger nämlich ließ ein paar Worte weg, welche das Stichwort für den Folgenden abgaben. Drohend erhob Immermann die Faust gegen die Spielenden und sagte mit gedämpfter Stimme:

„Die verfluchten Kerle saufen Punsch aus dem Feldkessel und werfen mir das ganze Stück um!“

Das Eine war allerdings wahr, das Andere aber geschah nicht, vielmehr blieb Alles bis zum Ende im besten Gleise.

Noch war der Vorhang nicht ganz gefallen, als der Kronprinz auf die Bühne trat und unserem Immermann die Hand reichte:

„Lieber Immermann, ich danke Ihnen herzlich; die Aufführung war ganz meisterhaft und Ihr „Ost und West“ hat mir sehr gefallen.“

Wie heiter diese Anerkennung Immermann gestimmt hatte, zeigte sich erst recht nach Beendigung des Festes, wo wir im anstoßenden kleinen Galleriesaale, der zum Garderobezimmer gedient hatte, uns bei der gefüllten Bowle von den Strapazen des Tages erholten und über einzelne drollige Zwischenfälle unsere Glossen machten.

Noch einmal zwei Jahre später – es war am 24. August 1840 – saßen mehrere von uns plaudernd an derselben Stelle, als der jetzt leider auch schon längst verstorbene talentvolle Haach mit tiefbetrübter Miene eintrat.

„Habt Ihr schon vernommen,“ sagte er, „daß unser Löwe Immermann todkrank am Typhus darnieder liegt?“

„Immermann?“ fuhren wir bestürzt auf; „diese Riesennatur?“ – Und noch vor acht Tagen wollten ihn Mehrere gesund und rüstig gesehen haben.

„Es mag sein letzter Ausgang gewesen sein,“ entgegnete Haach. „Gestern zeigte man ihm die Gefahr seines Zustandes an und rieth ihm zu ordnen, was er noch zu ordnen wünsche. Da soll er sich im Bette emporgerichtet und mit aller Kraft seiner Stimme gesagt haben: „Es ist nicht wahr – ich bin so krank nicht – ich will durchaus noch nicht sterben – ruft mir noch einen Arzt!“ – Gleich nachher sei er aber kraftlos zusammengesunken, und seitdem soll auch die letzte Hoffnung geschwunden sein.“

Am folgenden Tage war Immermann nicht mehr. – Betäubt von dem entsetzlichen, plötzlichen Schlage brachen wir weniger in Worte der Trauer als in den übereinstimmenden Ausruf aus: „Ein schreckliches, grausames Verhängniß!“ – Denn kurz vorher waren seine schönsten Wünsche in Erfüllung gegangen; er hatte die allgemeinste Anerkennung gefunden, lebte seit einem Jahre in glücklicher Ehe, und am Tage seines Erkrankens hatte ihn seine junge Frau mit einem Töchterchen beschenkt.

L. Clasen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Federderlesens