Der Kärrner zu Stollberg
In der letzten Zeit vor dem 30jährigen Kriege lebte zu Stollberg eine Wittwe mit ihrer Tochter in einem kleinen Häuschen am Ende des Städtchens, welches ihr ihr Mann als einziges Erbe hinterlassen hatte. Dem Hause gegenüber wohnte ein junger Mann, der seinen Unterhalt damit fand, auf den Dörfern mit verschiedenen Waaren herumzuziehen, die er auf einem kleinen Wagen, welchen sein Hund zog, mit sich führte. Nun war derselbe schon längst der schönen Tochter der Wittwe heimlich gut gewesen und auch diese hatte ihn stets gern gesehen; da traf es sich, daß gerade am heiligen Christabend er ihr sein Herz aufschloß und sie fragte, ob sie sein Weib werden wolle. Natürlich ließ sich das Mädchen nicht lange bitten. Beide theilten der alten Mutter die frohe Neuigkeit mit und feierten so recht von Herzenslust den heiligen Abend. Allein plötzlich sprang der Kärrner auf und erklärte, er könne nicht länger bleiben, er müsse noch in das benachbarte, 1½ Stunde von dem Städtchen gelegene, Wittendorf (das später durch den Krieg zur wüsten Mark ward), um dorthin bestellte Waaren zu schaffen. Zwar bat ihn seine Braut, nur diesen Abend zu bleiben, es sei ihr so ängstlich zu Muthe, allein der Kärrner lachte sie aus und meinte, es sei ja Mondenschein, er habe den Weg schon so viele Male bei schlechterem Wetter und im Finstern gemacht, er werde ihn also auch heute nicht verfehlen. Kurz, er ließ sich nicht halten, sein Mädchen aber setzte sich traurig an den Spinnrocken und versuchte sich die Zeit mit Spinnen zu vertreiben. Aber in ihrer Herzensangst kamen ihr häßliche Bilder vor, die Spindel und das Garn schienen ihr blutig zu sein, und [514] es war ihr, als spinne sie ihr Leichenhemd. Sie nahm also das Gesangbuch und die Bibel zur Hand, allein Alles half nichts, es wollte keine Ruhe in ihr ängstlich schlagendes Herz einziehen. Endlich hörte sie die Glocke zur Frühmette lauten, sie eilte heraus, um zu sehen, ob ihr Bräutigam zurückgekehrt sei, allein weder jetzt noch nach dem Schlusse der Mette ließ er sich sehen. Endlich hatte sie keine Ruhe mehr, sie bat einen ihr freundlich gesinnten Nachbar, sie nach dem erwähnten Dorfe zu begleiten, um dort zu hören, ob ihrem Geliebten etwas zugestoßen sei. Als sie aber dort ankamen, hörten sie, derselbe sei zwar dagewesen, aber schon seit Mitternacht wieder fortgefahren und konnte also nicht mehr zweifeln, daß ihm ein Unglück begegnet sei. Auf dem Rückwege verfolgten sie nun die Spur, welche der Kärrner mit seinem Wagen hinterlassen hatte, und dieselbe führte sie auch deutlich nach einer morastigen, aber grundlosen Stelle eines den Stollbergern unter dem Namen des Walkteiches bekannten Weihers, wo sie auf einmal aufhörte. Jetzt konnte die Arme nicht mehr an dem Schicksale ihres Bräutigams zweifeln, sie kehrte verzweifelnd in das Städtchen zurück und sprach im halben Wahnsinn zu ihrer alten Mutter, in drei Monaten werde sie ihr Anton zur Trauung abholen, bis dahin müsse sie sich ihr Hochzeitskleid spinnen. So spann sie denn emsig bis zum Osterfeste und als die Mitternacht des Vorabends desselben gekommen war, da dünkte es ihr, es poche Jemand dreimal an’s Fenster. Sie öffnete es und es schien ihr ihr Bräutigam draußen zu stehen, zwar mit todtenbleichem, aber himmlisch freundlichem Gesichte; er lud einen Myrthenkranz und Cypressenranken von seinem Wagen ab und verschwand. Kaum hatte sie das Gesicht ihrer bekümmerten Mutter erzählt, als sie auch schwer erkrankte, und es waren nicht 24 Stunden verronnen, da war das Mädchen entschlafen. Seit dieser Zeit sagte man aber, daß sich der Geist des Kärrners mit seinem Wagen und Hunde in den Gassen von Stollberg allnächtlich sehen lasse, und wo er vor einem Hause anhält und Kränze abladet, da wird eins aus demselben drei Tage [515] nachher begraben, und wenn Jemand in der Stadt auf den Tod liegt, da sagt man: „dort hat der Kärrner abgeladen,“ das Sumpfloch aber, worin er sein Grab fand, heißt noch heute das Kärrnerloch.