Der Kindermarkt in Deutschland
Der Kindermarkt in Deutschland
Das war wohl ein trauriger Anblick, kürzlich in Friedrichshafen in Deutschland, als der schon hundert Jahre alte Kinderarbeitsmarkt wieder einmal begann. Drei- oder vierhundert Jungen und Mädchen gab es zu sehen, keines älter als vierzehn Jahre, zweckmäßig in aller Öffentlichkeit ausgestellt, um mit dem Höchstbieter in siebenmonatige Knechtschaft geschickt zu werden.
Tief erniedrigend muss das für diese kleinen Menschen gewesen sein, von stiernackigen Bauern begutachtet, gekniffen und herumgeschubst zu werden, und sich vor aller Welt anhören zu müssen, wie über ihre Vorzüge und Nachteile gesprochen wird, als wären sie ein Haufen Kälber oder Hühner.
Die weniger begehrenswerten der Gruppe wurden billig und als Schnäppchen verkauft – wahrscheinlich an die unwissenderen, geizigeren und habsüchtigeren der Grenzbauern. Sobald sie einmal auf diese Knechtschaft auf Zeit verpflichtet sind, gibt es kein Gesetz mehr, das sie schützt. Auf Weisung können sie von ihren Herren „zum Vieh hüten, zur Hausarbeit, zum Stallputzen, zur Kinderbetreuung, zur Viehfütterung oder für Besorgungen“ eingesetzt werden. Sie werden zu Haushalts- und Hofarbeitssklaven, sollen keines der Privilegien von Kindheit und Freiheit genießen dürfen. Sie werden zum Besitz ihrer faktischen Eigentümer, gekauft, per Vertrag gebunden und quittiert. Und die Eltern erhalten für dieses Geschäft eine Geldsumme von 12,50 bis 20 US-Dollar.
In Amerika sind wir sensibler in derartigen Angelegenheiten. Wir verkaufen unsere Kinder nicht offen in die Sklaverei. Es gibt keinen öffentlichen Markt wie für Blumen, Vieh oder Gemüse. Schon der bloße Gedanke daran empört uns.
Wer allerdings die Kinder aus der Fabrik strömen sieht, wie sie ihre kleinen Abendbrotdosen nach Hause tragen, mit traurigen, bleichen und eingefallenen Gesichtern – der muss sich fragen, wer sie wohl in diesen Dienst verkauft hat? Ihre kümmerlichen Körper haben sich in menschliche Maschinen verwandelt. Sie sind nur viele kleine Zahnräder im unbarmherzigen Rad der Industrie.
Sie lernen überhaupt nichts in den Kaufhäusern und Fabriken. Es wird nicht einmal von ihnen erwartet, dass sie Fertigkeiten entwickeln. Ihre kleinen Leben sind stumpfer Routine gewidmet, dem endlosen Drehen, Schleifen und Hämmern der modernen Werkhalle. Sie genießen nicht einmal die frische Luft und die Bewegungsfreiheit der Kinder auf den bayerischen und Tiroler Bauernhöfen. Ihr Tages- und Jahresablauf wird von der Fabriksirene und der Stechuhr gesteuert.
Als kleine Rädchen im industriellen Räderwerk[1] haben sie keine Möglichkeit, ein Gewerbe oder ein Handwerk zu erlernen. Ihre Arbeitsbedingungen sind allzu oft entmutigend. Jungen Mädchen wird erlaubt, in den Werkhallen mit erwachsenen Männern zusammenzuarbeiten. Ihnen wird nicht einmal das „Existenzminimum“ bezahlt, aber man gibt ihnen zu verstehen, dass die Abende ihnen selbst gehören. Ihr Verstand findet in den eintönigen Arbeitsstunden keine Beschäftigung und verkümmert. Die kitschigen Attraktionen der Groschentheater und Vergnügungshallen bilden die einzige Erholung, die sie kennen.
Ohio hat, spät genug, ein wirksames Kinderarbeitsgesetz erlassen. Durch diese Maßnahme können Kinder im schulpflichtigen Alter nicht mehr in Geschäften und Fabriken ausgebeutet werden. Der Staat muss ihnen zunächst eine Chance geben, und sie vor habgierigen Eltern wie vor skrupellosen Arbeitgebern schützen.
Aber viel zu wenige Bundesstaaten haben solche Gesetze erlassen. Präsident Roosevelt wies kürzlich deutlich auf die Notwendigkeit eines Kinderarbeitsgesetzes auf Bundesebene hin. Der District of Columbia, der direkt der Gesetzgebung des Kongresses untersteht und ein modellhaftes Gemeinwesen sein sollte, missachtet die Kinderrechte besonders schamlos. Solange es solche Bedingungen gibt, steht uns eine Erschütterung angesichts des Friedrichshafener Arbeitsmarktes kaum an, denn wir betreiben – wenn auch nicht so öffentlich – ganz ähnliche Einrichtungen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Original: „slaves to the wheel“, wörtlich etwa „von einem anderen Rad abhängiges Rad“ (etwa über ein Zahnrad oder einen Keilriemen, in der technischen Bedeutung ähnlich dem heute gebräuchlichen „Master“ und „Slave“ bei Servern oder Festplatten), Wortspiel mit „slave“ in der Ursprungsbedeutung „Sklave“