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Der Kommabacillus

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Textdaten
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Autor: Valerius
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Titel: Der Kommabacillus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 598–599
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Kommabacillus.

(Ein Nachtrag zu dem Artikel „Die Cholera-Gefahr“ in Nr. 30.)

Wir glauben den Wunsch vieler unserer Leser zu erfüllen, wenn wir ihnen heute den vielbesprochenen und vielgefürchteten Kommabacillus in getreuer Abbildung vorführen. Als wir vor einigen Wochen an dieser Stelle eine kurze Schilderung dieses neuentdeckten gefährlichen Feindes der Menschheit zu geben versuchten, waren jene Abbildungen nicht zu beschaffen. Erst vor Kurzem hat sie Dr. Koch in der „Berliner klinischen Wochenschrift“, dem Hauptorgane der deutschen Aerzte, veröffentlicht.

Fig. 1.0 Kommabacillen auf feuchter Leinwand.
Vergrößerung 600 Mal.

Der Laie, der diese Zeichnungen zum ersten Male sieht, wird wohl schwerlich glauben wollen, daß jene gekrümmten Striche, die im wirren Durcheinander auf der ersten Figur gruppirt sind, organisirte, mit eigenartiger Bewegung ausgestattete Wesen darstellen. Und doch sind es reine Kommabacillen, und das Bild, welches wir vor uns haben (Fig. 1), ist die 600malige Vergrößerung eines Schleimflöckchens, das einer auf feuchter Leinewand ausgebreiteten Choleradejection nach zwei Tagen entnommen wurde. Wir sehen unter ihnen (bei a) auch S-förmige Gebilde, die aus zwei an einander hängenden Individuen bestehen. Die zweite Figur zeigt uns Kommabacillen in der Schleimhaut des erkrankten Darmes. Eine der kleinen schlauchförmigen Drüsen (a) ist schräg durchschnitten, und wir sehen, daß die Bacillen in ihr Inneres (bei b) gelangt und in die Umgebung der Drüse (c) eingedrungen sind. Die wichtigsten Erscheinungen, die sich auf das Leben und die Verbreitung dieses Organismus beziehen, haben wir bereits in unserem Artikel „Die Choleragefahr“ hervorgehoben. Als interessanten Nachtrag zu jener Schilderung geben wir heute noch die Beantwortung der Frage, auf welche Weise diese im menschlichen Darme entstehenden Bacterienvegetationen einen Menschen tödten können.

Fig. 2.0 Kommabacillen in der Schleimhaut des Darmes.
Vergrößerung 600 Mal.

Um dies zu erklären, wollen wir unsere Leser zunächst an die allgemein bekannte Erscheinung der Gährung erinnern. Jedermann weiß heute, daß zahlreiche mikroskopische Organismen in den Nährlösungen, in denen sie leben und sich fortpflanzen, gewisse eigenartige Substanzen erzeugen, die als Producte ihres Stoffwechsels angesehen werden müssen. So zersetzt z. B. die Hefe die Zuckerlösung, in welche man sie hinein gethan, in Alkohol, den berauschenden Bestandtheil unserer Biere und Weine, und in die schäumende Kohlensäure; so ist bekanntlich auch der Essig das Product mikroskopischer Wesen, die wir unter dem Namen „Essigbacterien“ kennen. Auch die Kommabacillen erzeugen im Darme einen Stoff, der giftig wirkt, der von dem Körper aufgesogen wird und die schweren allgemeinen Erscheinungen heftiger Cholera-Anfälle bedingt. Entwickeln sich die Kommabacillen rasch und in großen Mengen im menschlichen Darme, sodaß man die Entleerungen und den Darminhalt der Kranken mit denselben gefüllt findet, dann werden auch große Mengen Gift entwickelt, welche tödlich auf unseren Organismus wirken, dann verläuft der Cholera-Anfall rasch und mit tödlichem Ausgange. Oft wird diese Vergiftung von dem Kranken überstanden und alsdann tritt Genesung ein oder auch, wenn bereits größere Zerstörungen der Darmschleimhaut vorhanden sind, erfolgt der Tod unter typhösen Erscheinungen erst im späteren Verlaufe der Krankheit.

Wir schließen unsere Mittheilungen über die epochemachende Entdeckung Koch’s mit einer von ihm entworfenen Schilderung der indischen Heimath des Kommabacillus: Im unteren Gangesdelta befindet sich ein unbewohnter Landstrich, Sundarbans genannt, der ein Areal von 7500 englischen Quadratmeilen umfaßt und sich auf der Karte durch eine scharfe Linie von dem dicht bewohnten nördlichen Theil des Delta scheidet. Hier lösen sich die großen Ströme Ganges und Brahmaputra in ein Netz von Wasserläufen auf, in denen bei Ebbe und Fluth das mit dem Flußwasser sich mischende Meerwasser hin und her wogt und zur Fluthzeit weite Strecken der Sundarbans unter Wasser setzt.

[599] Eine üppige Vegetation und ein reiches Thierleben hat sich in diesem unbewohnten Landstrich entwickelt, der für den Menschen nicht allein wegen der Ueberschwemmungen und wegen der zahlreichen Tiger unzugänglich ist, sondern hauptsächlich wegen der bösartigen Fieber gemieden wird, welche jeden befallen, der sich auch nur ganz kurze Zeit dort aufhält. Man wird sich leicht vorstellen können, wie massenhaft vegetabilische und thierische Stoffe in dem Sumpfgebiet der Sundarbans der Zersetzung unterliegen und daß hier die Gelegenheit zur Entwickelung von Mikro-Organismen geboten ist, wie kaum an einem anderen Platz auf der Erde. Ganz besonders günstig ist in dieser Beziehung das Grenzgebiet zwischen dem bewohnten und unbewohnten Theil des Delta, wo die Abfallsstoffe aus einem außerordentlich dicht bevölkerten Lande von den Flußläufen herabgeschwemmt werden und sich mit dem hin und herfluthenden, bereits mit Zersetzungsstoffen geschwängerten Brackwasser der Sundarbans mischen. Unter eigenthümlichen Verhältnissen muß sich in diesen eine ganz eigenartige Fauna und Flora von Mikro-Organismen entwickeln, der aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Cholerabacillus angehört. Von hier aus wird er in die benachbarten indischen Ansiedlungen gebracht und durch Menschen von Ort zu Ort verschleppt, bis besondere Einflüsse seine Entwickelung hemmen und das Erlöschen der Seuche in den von ihr ergriffenen Ländern zur Folge haben. Valerius.