Der Krieg um die Haube
Der Krieg um die Haube.
Das Jahr des Herrn 1521 war soweit vorgeschritten, daß der launenhafteste und wetterwendischste aller Tage, der erste April, vor der Thür stand, und wie allerorten im deutschen Lande, machte sich auch in der freien Reichsstadt Nürnberg männiglich auf einen Schalksstreich von ihm gefaßt. Vorsorglich holten die ehrsamen Bürger noch einmal den Zipfelpelz hervor und hingen ihn hinter den Kachelofen, um sich zu schützen, wenn etwa die Hagelsterne ihre vom Winter her noch vorräthigen eisigen Früchte über die ersten Frühlingskeime schütteten oder „Bäcker und Müller sich rauften“, daß die weißen Flocken stiebten; die andächtigen Frauen, welche die Frühmessen zu besuchen pflegten, hatten ein Feuerstüblein bereit gestellt, das sie bei vielleicht vorkommenden bösen Nebeln vor Leibesgebreste bewahren sollte.
Der alte Schelm machte sie alle zu Narren. Unter lachendem Sonnenschein zog er über die baierische Ebene gegen die wehrhaften Mauern heran; mit südlich warmem Hauch drehte er die Wetterfahnen auf den stolzen Thürmen von St. Sebaldus, St. Lorenzo und dem Vestnerthor herum, und kreischend stimmte die zahllose Schaar ihrer Genossen ein, Jedermann kund und zu wissen thuend, daß der Wind itzo aus einer andern Ecke pfeife.
Der gutgelaunte Gast ward freudig willkommen geheißen. In den von steinernem Blattwerk umkräuselten Erkern der Patricierhäuser schoben zarte Frauenhände die Fenster auf; und die kunstfertigen Meister öffneten die Pforten der Werkstätten, daß der Klang ihrer Hämmer hinausscholl in die klare Luft, die jungen Mägde aber holten ihre Scherben mit Hochmuth und Muthwillen, wie sie ihre Nägleinblumen benamsten, aus den Kellern und stellten sie in die hölzernen Laubengänge vor dem Haus, während die Hausfrauen auf dem Markte von den Bauern große Büschel grüner Peterla kauften, die mit Schwämmklößen auf den Mittagstisch kommen sollten, und übermüthige Junker in buntseidenen geschlitzten Wämsern wie frisch ausgekrochene Schmetterlinge um die Veilchensträuße der hübschen Gärtnermädchen flatterten; selbst der alte Pater, der im Clarenkloster die Messe gelesen, trug ein mit gelben Blüthenkätzchen bedecktes Weidenzweiglein in der Hand, das er auf dem Kirchhofe gebrochen hatte.
Nur zwei Kinder der freien Stadt wurden des Frühlingstages nicht froh, sondern rannten wie mit brennenden Köpfen und hörten und sahen nichts. Das eine dieser Stadtkinder war ein Knecht in eines ehrbaren Rathes Dienstkleid von rothem lundischem Tuche, einen Spieß in der Hand tragend, gleich einem Wanderstab; das andere die Gürtelmagd der Frau Rotmundin, einer jungen Frau aus den stolzen Geschlechtern Nürnbergs. Zum ersten Mal begegneten sich die beiden in der Sebaldus-Kirche, wo sie am Grabmale des Schutzpatrons der Stadt eine eilige Morgenandacht verrichten wollten. Mit Verdruß sah der Stadtknecht, daß die Magd das Tuch, das ihr vom Kopfe zurückgeglitten war, scheu in’s Gesicht zog, da er ihr die Tageszeit bot. Warum that das naseweise Ding so fremd? Begegnete er ihr doch täglich im Hause ihrer Herrschaft, wenn er Botschaft an den jungen Rathsherrn zu tragen hatte. Aergerlich stieg er nach der Gasse „Unter der Veste“ hinauf, aber als er in das Scheuerl’sche Haus treten wollte, stand er schon wieder ihr gegenüber; sie kam heraus – er ging hinein. Kopfschüttelnd trabte er nach St. Aegidien hinüber, da verschwand eben ihr schwarzer Mantel wie eine Fledermaus hinter der grauen Eucharius-Capelle. Auf dem Herrenmarkt schien sie Haschen mit ihm zu spielen; sobald er ein Haus betrat, verließ sie dasselbe, und wenn er in das Geheimstüblein des Herrn stapfte, schlich sie aus dem Gemach der Frau hervor. Sonderbar! Während er breitspurig auf der stolzen steinernen Brücke die Pegnitz überschritt, mochte sie sich durch das Heiligegeisthospital gestohlen haben; denn vor dem hohen Portal der Kirche des zweiten Schutzheiligen der Stadt prallten sie abermals zusammen.
„Heiliger Lorenz, behüt mich vor Versuchung!“ seufzte der Knecht. „Ich glaub halt, die Dirn hat’s auf mich abgesehen.“
Und die Magd griff nach dem Rosenkranz, der ihr am Gürtel hing. „Jesus, Maria und Joseph! Kann man den Kerl nit los werden? Schützt mich vor dem alten Fratz!“
Aber die Heiligen hatten taube Ohren. Denn als er in der Spitzbogenpforte des Nassauerhofes seinen Spieß aufstieß, klapperten über ihm ihre flinken Füße auf der Schneckentreppe, und als Beide zur Rückkehr vorsichtig den abgelegenen Henkersteg wählten, trafen sie abermals auf der Pegnitz zusammen, worauf Jedes ein Kreuz schlug und davon stob. Unter den Buden des Tandelmarktes wurden sie endlich einander los.
Während diese wundersamen Begegnungen zwischen Knecht und Magd sich abspielten, saß in dem Erker eines stattlichen Hauses, der Frauenkirche gegenüber, die Herrin der Magd. Es war ein schönes junges Weib, von Gestalt so rund und zierlich, von Gesicht so frisch und rothwangig und mit so holdseliger Schalkheit gesegnet, daß ihr wohl kein Adamssohn widerstehen mochte. Ihre dunkelblauen Augen funkelten und lachten, während sie durch die buntgemalten Fenster hinausschauten. Aber sie sahen nicht, wie die Sonnenstrahlen auf dem in gothischen Bogen sich aufschwingenden Giebel der Frauenkirche spielten und die Bildsäule der Himmelskönigin mit einem lebendigen Glorienschein umgaben, daß sie lieblich anzuschauen [490] war, wie vor zweihundert Jahren, da der berühmte Sebald Schonhofer sie dort erhöhte; sie achtete nicht des Getümmels auf dem Herrenmarkt, wo die Fischweiber vor ihrem Schaff saßen, die Bäuerinnen Milch und Butter feil hielten und die Zeidler aus dem Reichswald, dem der alte Kaiser Karl der Vierte den Ehrennamen „Unseres Reiches Bienengarten“ verliehen hatte, den Lebküchlern so große Honighäfen verhandelten, daß man hätte meinen können, man sei im Lande Gosen, wo Milch und Honig fleußt. Sie wandte nicht das Haupt, als unter dem Schall einer riesenhaften Trommel die Stadtsöldner in Krebs und Pickelhaube, den Spieß über die Schulter gelegt, nach ihrem Wachtposten am Frauenthor hinabtrabten, auch nicht, als eine Schaar Wallfahrer mit Fähnlein und Kerzen unter Gesang die Straße nach St. Sebald hinaufzog; sie schien nur mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt zu sein. Manchmal strich ihre runde Hand leise, wie liebkosend, über den Fenstersitz neben ihr, der, reich geschnitzt und mit einem Polster aus gepreßtem Goldleder belegt, eigentlich der Deckel einer kleinen Lade war; dann fühlte sie in die an goldenem Kettchen hängende Tasche, in der es wie Papier knisterte.
Da öffnete sich die Thür. Die junge Frau fuhr, wie auf verbotenem Wege ertappt, aus ihren Träumen empor und zog das Händchen aus der Tasche – ihr Eheherr trat bei ihr ein.
„Welch wichtigen Dingen sinnt die Frau Rotmundin nach?“ fragte er, indem er auf sein Weibchen zueilte und den Arm um sie schlang.
„Ich schaue den Werkleuten zu.“ antwortete sie, „die da drüben am Haller’schen Hans den Umbau beginnen. Der Wilhalm gedenkt es einzurichten, wie er es in der Welt draußen gesehen hat.“
Sie deutete hinüber nach dem hohen Gebäude, das über der Spitzbogenpforte ein steinernes Wappen trug und an dessen dicken Mauern Arbeiter mit Meißel und Hammer thätig waren.
„Bin begierig zu erfahren, wie es ausschauen wird.“
„Mein holdes Herzgespann hat von jeher für alles Neue eine kleine Schwachheit gehabt,“ erwiderte lachend Herr Rotmund und ließ sich auf der Fensterlade nieder.
Das Herzgespann mochte gerade vor einer rothen Glasscheibe sitzen; denn ihre milchweiße Haut erschien jetzt purpurn gefärbt.
„Wollet Ihr Euch nicht auf den Armsessel setzen, wie es dem Herrn des Hauses gebührt?“ fragte sie eifrig. „Das Lädlein möchte zu gebrechlich sein für solch großen Herrn.“
Herr Rotmund legte prüfend die Hand an das Polster.
„Warum wirst Du so blaß?“ fragte er erschrocken.
„Ich?“ lachte sie. „Der blaue Mantel der Delila in der Fensterscheibe giebt nur das winterliche Licht. Bin ich noch immer blaß?“
Und sie neigte das Gesicht mit den Schelmengrübchen in Wangen und Kinn so dicht zu dem Antlitz ihres Eheherrn, daß sich dieser nicht versagen konnte, sie beim Kopf zu nehmen und auf ihren Rosenmund zu küssen.
„In dem gläsernen Häuslein! Vor den Augen der ganzen Stadt!“ schmollte sie, und das feine Näschen hoch hebend, zog sie sich beleidigt in das tiefe Gemach zurück.
Herr Rotmund eilte ihr nach, und während sie sich von ihm unter tausend Schmeicheleien versöhnen ließ, wurde des gebrechlichen Lädleins vergessen – die kluge Frau hatte ihren Zweck erreicht.
„Was wollte der Städtknecht schon wieder zu so früher Zeit?“ fragte sie und blinzelte durch die krausen dunklen Wimpern nach ihm hin.
„Er sagte eine Rathssitzung für heute Nachmittag an,“ antwortete Herr Rotmund und machte ein unbefangenes Gesicht. „Und wo läuft Deine Gürtelmagd herum? Sie sollte mir eine Hemdkrause stärken und glätten, war aber nicht zu finden.“
„Ich habe sie entsendet, aus daß sie mir ein paar Tische voll Frauen für heute Nachmittag ladet,“ entschuldigte hastig die Rotmundin.
Kommen auch die Imhofischen?“ fragte der Rotmund.
Sie nickte.
„Ist bös Wetter bei ihnen eingezogen,“ erzählte er, „seit der Haller wieder da ist. Weißt? Er ist der erkieste Eidam für die Elsbeth. Die Sippen haben früher Verspruch mit einander gehalten. Und nun läßt er sich nimmer bei ihnen sehen. Ist doch schon seit einigen Wochen heim, und heute begegnete er zufällig dem Imhof zum ersten Mal in der Zechstube. Der schaute aus, als müsse er eine Spinne verschlucken, aber der Haller achtete sein gar nit; er strich davon, wie eine welsche Zibetkatze. Ich kann ihn nimmer leiden.“
„O, leiden mag ich ihn wohl,“ sagte die Rotmundin mit einer weichen Stimme. „Er ist stattlich geworden, seit er in der Fremde war. Seine braunen Augen blicken zwar meist zornig oder geringschätzig, als sei ihm allhier nichts mehr gut genug, aber wie freudig blitzen sie auf, so er von seinen Reisen berichtet. Und sein trutziger Mund mit dem verzwirbelten Schnauzbart darüber, der hoffärtig in die Luft sticht, weiß zierlich die Worte zu setzen, wenn er erzählt, wie die Frauen im schönen Augsburg sich itzo kleiden dürfen.“
Sie seufzte tief. Dann fuhr sie fort:
„Ach mein! daß die schöne Zeit vorbei ist, da auch ich in die Welt hinauslugen durfte! Nun bin ich ein eingesperrtes Weiblein.“
„Sei froh, daß Du ein Weiblein bist,“ fuhr der Rotmund heraus, „und nicht nach mir schmachten mußt, wie die Elsbeth nach dem Haller!“
„Wer weiß, ob ich schmachten müßt, wenn ich die Elsbeth wär’,“ neckte sie.
Er drohte ihr mit dem Finger. Dann meinte er nachdenklich:
„Hab’ schon manchmal gesonnen, wie wunderlich es mit der Elsbeth zugeht. Sie ist doch jung und schön. Aber nimmer kann ich es mir für ein Mannsbild als eine Wonne denken, sie zum Herzgespiel zu haben. Wie mag es nur kommen?“
Die Rotmundin senkte die Wimpern. Sie wußte, was der Elsbeth fehlte. Sie konnte nicht schmollen, trotzen, einen Mann torquiren mit Nichtbeachten und Schweigen und ihn wieder aus dem Elend in den Himmel erheben durch Seufzen, zärtliche Blicke und süß Getändel. Und die Rotmundin meinte, daß dies die höchste Kunst sei, die eine Frau erlernen müsse. Aber sie hütete sich es zu verrathen.
„Da kommt meine Gürtelmagd zurück,“ sprach sie ausstehend. „Und horch! schlägt es nicht schon zwölf Uhr? Richtig! auf der Frauenkirche beginnt das Männleinlaufen.“
Die große Uhr am Giebel der Kirche schlug die Mittagsstunde und trieb aus Kupfer geschmiedete Pfeifer und Trommler und die sieben Kurfürsten des Reiches auf ein steinernes Chörlein hinaus, allwo der Kaiser Karl der Vierte, der einstige Schützer und Förderer der Stadt, thronte, vor dem sie sich verneigten. Mit dem zwölften Schlage schnarrte gravitätisch der Herold als der letzte im Zuge in das Uhrgehäuse zurück, und zugleich drehte sich Herr Rotmund wie ein Kreisel in das Speisezimmer, wohin ihn sein Frauchen gedrängt hatte, auf daß der gebratene Auerhahn, den die Köchin mit einem gehämmerten Sode auftrug, nicht kalt werde.
„Wir speisen heute zu so vornehm später Stunde wie der König von Frankreich,“ schäkerte sie. Bevor sie ihm aber folgte, zog sie die Thür noch einmal zu und trat zu ihrer Magd.
„Kommen sie?“
„Alle,“ erwiderte die Magd.
„Es hat doch kein fremdes Ohr unser Geheimniß erlauscht?“ fragte die Gebieterin gespannt.
„Keines!“ versicherte die Dienerin.
„Die herbe Ursel wird doch nichts von unserem Fürhaben erfahren?“ meinte die Rotmundin besorgt.
Die Magd schüttelte pfiffig den Kopf.
„Ich bin deshalb nit über den Panierberg gegangen, sondern durch die Hinterpforten in die Geschlechterhäuser, welche von dem Erbhaus der gestrengen Jungfrau aus gesehen werden können.“
„Das war brav,“ lobte die Frau. „Du darfst Dir zur Belohnung mein Brusttuch mit der geknüpften Borte nehmen. Trage es sonder Furcht! Ich zahle die Strafe, so die Kleiderordnung auf die Hoffahrt setzt. Die hochmögenden Herren dürfen sich schon daran gewöhnen, daß ihnen Trotz geboten wird. – Nun hole mir vom Lebküchler Honigkuchenwecklein, gefüllt mit süßen Feigen und Mandeln! Dann nimm die silberne Kanne dort vom Kandelbrett und laß sie Dir im Keller mit Malvoisier füllen! Richte mein Gemach, dieweil wir zu Mittag essen!“ – –
Die abwärts steigende Sonne warf lange Streiflichter über das braune Holzgetäfel des Frauengemachs, als die Gäste sich versammelten.
Die ersten, die da kamen, waren die Imhofischen, eine würdige Matrone mit ihrer erblühenden Tochter. Sie nahten mit leisem [491] Rasseln und Klirren, wie arme Gefangene. Doch waren die Ketten von Gold und Silber und legten sich um Hals und Schultern. Auch hatten sie schwere Mühe, mit ihren schleppenden Damaströcken über die hohe Schwelle zu gelangen, aber sie vollbrachten das Stücklein ohne Unfall. Auf dem Haupte trugen sie beide, wie die Rotmundin, jenen Kopfschmuck der Geschlechterinnen, welcher „Sturz“ genannt wurde; es war ein dichtes, weißes Gewebe, das über die Stirn herabhing und sich um das Gesicht schlang. Nur die Augen schauten aus dem Spalt heraus – bekümmert, von sorgenvollen Falten umgeben die der Mutter; still und wie in sich versunken die blauen, von langen blonden Wimpern umsäumten Augen der Tochter. Nach der Begrüßung lüfteten sie die Schleier.
Die lebhafte Rotmundin hatte allezeit eine ärgerliche Anwandlung, wenn sie Elsbeth’s rosiges, aber allzu unbewegtes Antlitz erblickte, und wie immer, suchte sie auch heute nach einem Mittel, das kühle Blut der jungen Patricierin endlich einmal in Wallung zu bringen.
„Setzet Euch in das Chörlein!“ sprach sie zu ihr mit süßem Blick. „Da habt Ihr ein artiges Gegenüber an dem Herrn Wilhalm Haller. Was wäre lieblicher in dieser schönen Welt, als ein Augenspiel zwischen einer holdseligen Jungfrau und einem feinen Junker?“
„Solches würde sich für eine tugendsame Jungfrau nimmer geziemen,“ antwortete Elsbeth mit einer Stimme, die ruhig und antheillos klang, und dabei nahm sie wohl den ihr zugewiesenen Platz ein, saß aber so steif dem Hause gegenüber, als sei sie eine schöne Weihnachtsdocke.
Die Mutter dagegen seufzte und sagte zu der Rotmundin:
„Ihr seid allzeit guten Muthes, liebe Muhme, und scheint Euch leicht in die neuen, schlimmen Sitten zu fügen.“
„Schlimm sind sie halt nit, sondern fürtrefflich,“ antwortete die Rotmundin.
„Fürtrefflich?“ rief die Imhofin empört. „Könnt Ihr es gut heißen, wie der Wilhalm Haller gegen uns einher fährt? Wenn das sein Vater – der allmächtige Gott möge seine arme Seele pflegen immer und ewiglich! Amen! – erlebt hätt’! Der hat immer gemeint: ‚Die Elsbeth halt’ ich hoch, wird einmal eine brave Hausehre werden.‘ Und der Wilhalm war einverstanden. Wenn er auch nimmer um sie herum gegirrt hat gleich einem verliebten Tauber, sondern sich zurückhielt, wie es wohlanständig ist, so hat er ihr doch, bevor er im vorigen Jahre auf Reisen ging, alle Huld erwiesen. Beim Messerertanz machte er ihr Platz unter dem Volk, daß sie die künstlichen Gänge, so die Messerschmiede mit den Schwertern aufführten, genau beschauen konnte, und leuchtete ihr dann sittsam mit der Fackel heim.“
„Und hat er ihr auch aus der Ferne Liebesboten gesendet? Sind Brieflein zwischen dem Paare hin und her geflogen?“ fragte die Rotmundin.
„Einmal kam Botschaft von ihm, da er in Venezia war,“ berichtete die Frau Imhofin. „Unter den Waarenballen und Rechnungen, die er an seinen alten Buchhalter schickte, war ein Brieflein, darin er der Elsbeth zu ihrem Namenstage Glück wünschte und von dem neuen Firlefanz, den er dort gesehen hatte, schier verzückt erzählte. Auch die Elsbeth hat darauf ein Schreiben an ihn abgesendet. Es war wohlgestalt in Anrede und Danksagung. Sie hat darin aufgezählt, wie sie gewachsen sei in mancherhand Geschicklichkeit, wie viele Facinetlein sie ausgenäht und wie sie die Pastete zu backen erlernt habe, die er so gern ißt. Der Imhof hat den Brief dann durchgesehen, und sie hat ihn abgeschrieben fein säuberlich, Frau Bas!“
Die Rotmundin wandte sich an Elsbeth.
„Und habt Ihr dem wohlgestalten Brief auch ein zärtlich Wörtlein beigefügt, das Euer Herr Vater nit erst durchgesehen und in eine künstliche Form gepreßt hat? Oder wenigstens ein Vergißmeinnicht in den Schnörkelzug der Unterschrift?“
„Ihr scherzt,“ antwortete Elsbeth ruhig. „Welche ehrbare Geschlechterin würde so leichtfertige Geckerei üben?“
„O du Abbild der Einfalt!“ dachte die Rotmundin.
„Nein,“ sagte die Mutter, „es war ein Schreiben, an dem der strengste Merker unserer Meistersinger keinen Fehl hätte finden können. Dennoch hat der Wilhalm seitdem geschwiegen, auch jetzt noch mit keinem Schritt unser Haus betreten.“
„Ich kann mir fürstellen,“ dachte die Rotmundin, „daß ihn nimmer verlangt, den langweiligen Tugendspiegel anzuschauen.“
„Ach, das Mannsvolk ist doch eine wahre Schickung für uns Weiber,“ klagte die alte Imhofin. „Wenn sie uns mögen, müssen wir ihnen unterthan sein, und wenn sie uns nit mögen – o je! dann erst! Wenn i nur wüßt’, ob dem Haller – die allerseligste Jungfrau mög’ es verhüten! – der Verspruch leid wäre. Wenn i nur wüßt’!“
Sie seufzte tief auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn mit einem Marderfellchen, das, mit rothem Safian gefüttert, mit goldenen Krallen und Zaum versehen, an einer kostbaren Gürtelschnur hing.
„Wie könnt Ihr nur also reden, Frau Mutter!“ sagte Elsbeth fast vorwurfsvoll. „Ich kenne den Wilhalm; brav ist er, und sein Wort wird er halten. Derohalb aber, daß er so lange Zeit versäumt und Euch so in Bekümmerniß versetzt hat, wollen wir ihm Vorhalt thun, sobald er kommt.“
„Vorhalt?“ lachte die Rotmundin und sah sie fast mitleidig an. „Ihr schaut drein, als säßet Ihr auf dem Richterstuhl, den Haller zu vernehmen gleich einem armen Sünder. Setzt Euch ihm lieber in’s Herz! Von da aus regiert sich’s leichter.“
„Wenn er nur überhaupt kommt!“ seufzte die Mutter. „Denkt nur, was uns geschehen ist! Den Tag nach seiner Ankunft fügten es die heiligen Nothhelfer, daß wir uns in der Hirschelgasse vor dem türkischen Hause der Tucher begegneten. Wir wollten die junge Tucherin im Kindbett besuchen, und der Wilhalm kam vom alten Herrn, der ihn nach Venedig und Augsburg gar wohl empfohlen hat. Ich dachte, er würde uns freudig begrüßen, aber er wandte das Haupt hinweg und ging an uns vorüber. Er machte ein Gesicht – Gott verzeih’ mir die Sünd’! – als sei ihm eine Kröte über den Weg gelaufen.“
Die Rotmundin hatte aufmerksam zugehört. „Trugt Ihr vielleicht die Stürze aus den Köpfen?“ fragte sie spitz.
Die Imhofin starrte sie verwundert an. „Würden wir ohne sie ausgehen? Was denkt Ihr von uns?“
„Daß Euch recht geschehen ist,“ entgegnete scharf die Rotmundin. „Wenn eine Mutter ihrer Tochter einen Kopfputz aufsetzt, aus dem sie herausschaut wie aus einem geplatzten Kürbis, mag sie sich nicht wundern, wenn selbige gleich einem Unhold geflohen wird. Doch tröstet Euch, Frau Bas! Auch Euch wird heute eine frohe Botschaft verkündet werden. Jetzt laßt uns die Frau Schultheißin begrüßen!“
Die stattliche Frau schritt stolz über die Zimmerstufe. Hinter ihr ging ihr Page und trug ihr auf beiden Armen die schwere Damastschleppe nach. Dann zog er sich in den Hausflur zurück, wo die Diener von der Barbaraköchin mit Meth bewirthet wurden. Neue Gäste kamen, die Pfinzingin und Tucherin, die Behaimin und Holzschuherin, und wie alle die großen Patricier hießen.
Nach einer kurzen Weile saßen sie plaudernd um die Tische und naschten von den Leckereien, welche die Gürtelmagd bot. Die jüngeren schäkerten im Erker, unter welchem den Jungfrauen zur Augenweide bald ein Männleinlaufen anderer Art entstand, als das auf der Frauenkirche. Eitle Junker drehten sich in kurzen Röcken, deren seidene Aermel so lang über die Kniee herabhingen, daß die Beatrix Schreyer meinte, sie glichen den Ohren des Helfantthieres, das auf dem letzten Markte in einer Schaubude zu sehen war; übermüthige Chorherren sprangen in goldgestickten Schuhen, riesige Barette auf den Köpfen, zierlich über die Schrittsteine, und auch der junge Mönch zog den Geißelstrick fest über der seidenen Kutte, um seine schlanke Taille zu zeigen.
Da erhob sich ein Krach gegenüber; die geschäftigen Maurer und Zimmerleute stießen ein Stück Fensterwand im Haller’schen Hause ein.
„Heilige Jungfrau, bitt’ für uns!“ schrie es im Chörlein auf, während die Frauenknechte drunten vor dem stiebenden Kalk die Flucht ergriffen.
„Schaut!“ rief die alte Imhofin, „jetzt haben sie den heiligen Florian auf die Gasse gestürzt, der mit seinem Sprüchlein: ‚Schütz’ mein Haus, zünd’ ein andres an!‘ seit Jahrhunderten das Gebäu vor Feuersnoth bewahrt hat. Gedenkt der Wilham das Haus seiner Väter auf den Kopf zu stellen? Den Heiligen wirft er hinaus, aber beim Meister Vischer wird ein Brunnen für ihn gegossen, aus dem ein schamloses Weibsbild steigt.“
„Es ist die Frau Venus,“ berichtigte die Tucherin.
„Ein Name ist kein Gewand,“ verwies sie die Imhofin.
„Er will sein Haus herrichten, wie es jetzt im Land Italia bräuchlich ist,“ erklärte die Tucherin, „mit schnurgeraden Fensterreihen, weiter Eingangspforte und breiten Treppen.“ [492] „Das mag für das Land Italia sich schicken,“ haderte die Frau Imhofin, „aber bei uns wird’s ein Zugloch werden, und der Haller wird die Gicht bekommen. Das hat er dann von seiner Unrast.“
Während die anderen Gäste mit leisen Ellenbogenstößen sich zu verstehen gaben, daß sie wohl wußten, um welcher Ursache willen die Imhofin dem Haller aufsäßig war, blieb Elsbeth stumm. Sie hatte keinen Schrei ausgestoßen wie ihre Gespielinnen. Nur verwundert, als traue sie ihren Augen nicht, blickte sie nach dem Hause hinüber, das jetzt der junge Haller im dunklen, mit Marder verbrämtem Wams verließ.
Einen forschenden Blick warf er zu ihr herauf. Er wollte wohl aus ihrem Antlitz lesen, ob sie Sorge hegte, des versprochenen Bräutigams verlustig zu gehen. Statt dessen stand ein schier albernes Staunen darauf geschrieben. So mußte er deutlicher werden. Er wandte, ohne zu grüßen, seine Augen ab und bot Herrn Rotmund die Tageszeit, der seine Steintreppe herabstieg. Dann schritten sie selbander über den Herrenmarkt.
Die Rotmundin schaute ihnen nach. „Wenn der Franzel,“ sagte sie, „sich doch auch kleiden wollte wie der Haller! Sieht er in seinem grünen mit roth gepufften Wams nicht aus wie ein bunter Sittig neben einem edlen braunen Falken?“
„Ihr verunglimpft den Haller,“ meinte Elsbeth, „wenn Ihr ihn einem so wilden Vogel vergleicht, der nur mit Hunger zu zähmen ist.“
„Ein tüchtiger Mann liebt es,“ erwiderte die Rotmundin, „wenn die Schnabelweide, die er begehrt, schwer zu erringen ist. Je höher sie hängt, desto werther wird sie ihm.“
Jetzt hatten die beiden Männer den Weg nach dem Rathhause eingeschlagen. Da rief die Rotmundin ihrer Gürtelmagd zu: „Stelle jetzt die Leckerlein zur Ruhe! Geh’ vor die Thür und hab’ Obacht, daß uns Niemand belauscht!“
Dann erhob sie sich und begann feierlich zu den aufhorchenden Frauen zu sprechen:
„Liebe Muhmen und Basen, Freundinnen und Gevatterinnen! Es ist Euch bewußt, in welch kläglichem Zustande sich das hiesige Frauenvolk befindet. Während überall dasselbe sich schmücken darf nach seinem Gefallen, werden wir allhier seit unvordenklichen Zeiten verunziert mit einem Kopfputz, so ‚Sturz‘ genannt wird. Als Tochter einem der Geschlechter angehören, heißt so viel, wie zum Unglück geboren sein; denn also huckt sich das Scheusal auf ihr Haupt und läßt nur die Augen herausschauen, damit sie an den Leidensschwestern sehen mögen, welch ungefügen Anblick der Sturz der schönsten Frau verleiht. In dieser Sorge hab’ ich mich gen Augsburg gewandt, wo die Frauen allen Weibsbildern des heiligen römischen Reiches deutscher Nation voranstehen in Zierd und Anmuth. Und heut’ hab’ ich die Frucht meines muthigen Unterfangens geerntet. Ich hab’ Euch berufen, auf daß Ihr Euren Antheil daran erhaltet. Wohlbedacht hab’ ich die grämlichen Alten daheim gelassen und nur die Frauen gewählt, die gleich mir erkannt haben, daß eine edle Seele lieber in einem hübschen Gehäuse, denn in einem abschreckenden wohnen mag. Liebe Elsbeth, erhebt Euch vom Fensterlädlein! Ihr hütet, gleich einem Lintwurm, unseren größten Schatz und einzigen Trost.“
Die Rotmundin klappte den Sitz auf und enthob der Lade ein wunderbares Gebilde. Sie las die getrockneten Zweige des wohlriechenden Krautes Botris davon ab, welches vor Motten schützen sollte, und stellte es auf den blank gebohnten Tisch.
Das Gebilde trug die Gestalt eines spitzen Thürmleins, war aus schwerem schwarzem Goldstuck gefertigt, mit Perlen gestickt, und von seiner höchsten Spitze, aus welcher edle Steine und rothes Gold gleißten, schwebte ein langes Schleiergewebe herab. Es war die neueste Augsburger Haube.
„Sie kostet mich zwanzig Gülden,“ rühmte die Rotmundin, „ohne die sechshundert Perlen und ebenso viele Goldknöpfe, mit denen der Schleier verziert ist, und ohne die großen Perlen, die den Rand des Häubleins einfassen. Auch die Kleinodien im Mützendeckel habe ich dazu geliefert aus meiner Schmucklade. Seht, die Karfunkelsteine stellen die neue Blume dar, die man nach der Sonne benamset.“
[505] Athemlos drängten sich die Fronen heran.
„So schön habe ich mir die Haube nicht gedacht,“ flüsterte es ringsumher.
„Gelt?“ lachte die Rotmundin. „Wohlan, wir setzen auch solche Hauben aus.“
„Das wird nimmer erlaubt vom Rath,“ seufzte Felicitas Holzschuherin.
„Das wollen wir wohl sehen,“ dräute die Rotmundin. „Hört erst, was meine Frau Bas, die Langmantelin in Augsburg, schreibt!“
Sie zog ein Papier aus der Gürteltasche und las:
„Gelobt sei Gott und die heilige Jungfrau Maria, seine Mutter, daß sie mich von der Sorge erlösten, die ich für Dich getragen habe! Bin schier bös aus Dich gewesen, liebe Rotmundin, daß Du mich durch den geheimen Boten und den ungebärdigen Brief so erschreckt hast, bis ich herausbuchstabiert habe, daß Dir nichts fehlt als eine hübsche Haube. Gleichwohl kann ich den Nürnberger Frauensbildern nicht verübeln, daß sie der unholdseligen Stürze entledigt sein möchten; denn auch wir Augsburgerinnen haben uns vordem durch dieselben hochbeschwert gefühlt, bis Kaiser Maximilian, dem Gott eine gnädige Urständ verleih, uns davon befreit hat. Nicht umsonst hat er sich den Bürgermeister von Augsburg genannt. Er ist wie ein wahrhafter Vater der Stadt seinen Töchtern zu Hülfe gekommen und hat vorgegeben beim Rath, daß wir die Scheuchen ablegen durften. Vielleicht senden Euch die Heiligen auch einen Fürsprech, wenn Ihr sie fein darum bittet. Stellet Euren Herren einmal mit Sanftmuth vor, daß es zu ihrem eignen Besten ist, wenn die Weiber und Jungfrauen anmuthig anzuschauen sind! Die Heiligen mögen nach davor behüten, daß ich die Schlangin werde, welche die Evastöchter des hochberühmten Nürnberg mit einer verbotenen Frucht versucht; jedennoch schicke ich Dir die neueste Augsburger Haube. Gehab dich wohl und schreibe mir, wenn auch die anderen Frauen aus den Geschlechtern Begehren tragen sollten nach dem anmuthigen Hauptschmuck. Meine freundlichen Dienste sind Euch allezeit zuvor!“
„Eure Frau Bas ist eine gelehrte Frau, daß sie so schreiben kann,“ meinte die alte Imhofin kopfschüttelnd. „Wenn i nur wüßt, ob es gut ist, daß die Weiber itzo statt der Spindel die Feder führen. Hätte mich auch von Euch eines Andern versehen, Frau Rotmundin.“
Aber die Rotmundin entgegnete scharf:
„Wer in der neuen Welt leben will, muß sich in die neuen Menschen schicken. Gedenkt Ihr Eure Tochter mit Spindel und Sturz auszustatten, so wählt den alten Kriegsschreiber zum Schwiegersohn, der noch immer Schuhe trägt, deren Spitzen bis an die Kniee herauf reichen! Oder sie wird sitzen bleiben wie die herbe Ursel.“
Die alte Imhoffen verstummte über den Kriegsschreiber, dem sie selbst ihrer Zeit einen Korb gegeben hatte.
Die anderen Frauen blickten unverwandt auf die neue Haube und riefen:
„Was sollen wir thun, Frau Rotmundin? Wir gehen für das wunderfeine Häublein durch’s Feuer.“
„Da wir keinen Kaiser Maxel zum Bürgermeister haben,“ erklärte die Rotmundin, „so müssen wir selbst Sturm laufen gegen einen ehrbaren Rath. Bitten müssen unsre Sturmleitern sein, Keifen unsre Feldschlangen; der heiße Wasserschwall unsrer Thränen muß sie begießen oder ein kaltes Sturzbad ihnen klar machen, daß auch wir ein Herz haben, welches sich nicht jede Freude abschneiden läßt; denn so in Lieb und Güt, wie meine Augsburger Bas denkt, wird’s nimmer abgehen. Sie kennt die harten Nürnberger Köpfe nit, meint halt, alle Männer seien wie die ihrigen, die in Welschland feine Sitte gelernt haben. Dann müssen wir eine Bittschrift an den Rath schicken, dieweil sonst die Herren die Ausflucht machen, das gemeine Wesen wisse nichts von der Sache.“
„Wer soll uns die abfassen? Die Schreiber werden sich hüten, in dieses Wespennest zu stören. Mein Herr hält sie in scharfer Zucht,“ meinte nachdenklich die Schultheißin.
„Wir sind das Wespennest, und der Rath mag sich hüten, uns zu verstören,“ verkündete, trotzig mit dem Fuße aufklappend, die Rotmundin, „und wir brauchen keine furchtsamen Schreiberlein. Hier habe ich die Bittschrift aufgesetzt; ich fürchte mich weder vor meinem Herrn noch vor dem Euren. Ihr braucht sie nur zu unterschreiben.“
Sie breitete einen Bogen, der mit kräftigen Buchstaben bemalt war, aus, und Eine nach der Andern trat heran und setzte ihren Namen darunter. Einzelne malten auch nur drei Kreuze hin, zu denen die Rotmundin die Erklärung fügte.
Elsbeth machte große erstaunte Augen zu alledem. Jetzt reichte die Rotmundin auch ihr den Gänsekiel. Aber sie barg die Hand in den Falten ihres rosinfarbenen Rockes und sprach:
„Warum soll ich mir selbst die Schmach anthun, daß ich [506] den Rath bitte, mich des Geschmucks zu berauben, den meine Mutter und Großmutter als eine Ehrenkrone hochgehalten haben?“
„Weil Ihr nit Eure Großmutter seid,“ antwortete ärgerlich die Rotmundin. „Wollt Ihr allein mit dem Scheusal auf dem Haupte dasitzen, während wir schöne Häublein tragen? Hütet Euch, daß Ihr nicht die alberne Els genannt und der herben Ursel zugesellt werdet, die auch noch schön sein könnte, wenn sie sich nicht so altfränkisch kleidete! Sie hält sich stattlich, wie die Markgräfin von Brandenburg, wenn sie von der Cadolzburg hereinreitet. Ihre Augen sind schön, und ihre Haut ist glatt, wiewohl sie sich schon dem Schwabenalter nähert. Aber sie hat doch keinen Ehegesponsen bekommen und mag leicht eine alte Jungfer werden. So wird auch vor Euch den Männern grauen, zuerst einem solchen, der gern davon erzählt, wie die Frauen in Hispania, Welschland und Frankreich meisterlich verstehen, die Männer zu berücken.“
Die alte Imhofin schlug ein Kreuz:
„Die heilige Jungfrau behüt’ uns vor solchen Teufelskünsten!“
Elsbeth’s Brauen hatten sich gesenkt. Sie schaute zum ersten Mal nicht träumerisch aus, sondern unwillig, wie Eine, die unsanft aus süßem Schlummer geweckt ward.
Die Rotmundin lächelte und bot ihr auf’s Neue die Feder. Elsbeth aber schritt stumm zur Thür.
„Wo wollt Ihr hin?“ fragte die Rotmundin.
Sie schwieg. Da rief die alte Imhofin:
„Elsbeth, maule nicht! Du bist kein Kind mehr; Du bist eine erwachsene Jungfrau.“
„Bin mir dessen wohl bewußt,“ antwortete Elsbeth. „Und darum will ich nimmer dabei sein, wenn Frauen sich verschwören gegen ihre eigene Ehre und prängisch sein wollen, gleich welschen Teufelinnen.“ Schon hielt sie den blitzenden Messinggriff der Thür in der Hand.
Da trat ihr noch einmal die Rotmundin in den Weg.
„Wollt Ihr Euch etwa zur herben Ursel begeben und ihr unsren Handel erzählen, damit sie Schultheiß und Rath in allem Götzendienst stärke, den sie mit der alten Zeit treiben, und unser armes Häublein zur Stadt hinaus hetze? Erinnert Euch, es war eine geheime Berathung heute, wenn wir Euch auch nicht erst das Wort abgenommen haben zu schweigen!“
Die Jungfrau sah sie verächtlich an.
„Ich bin die Elsbeth Imhofin,“ antwortete sie, „und keine schwatzhaftige Stadtfraubas.“
„Auch die Dummheit ist zu was gut,“ dachte die Rotmundin.
Die alte Imhofin raffte ihren schweren Rock empor und folgte der Tochter.
„Wir wollen halt gehen, Frau Rotmundin,“ seufzte sie, „daß wir einmal über den Entschluß schlafen.“ Und als sie das Gemach verlassen hatten, fuhr sie fort: „Wenn i nur wüßt, wie man’s hindern thät, daß zwischen der Rotmundin und uns aus Eintracht Zwietracht wird!“
Elsbeth richtete sich schroff auf.
„Was kümmert uns, wie die Frau von uns denkt, deren Sinn unstät ist wie ein Wandelstern?“ sprach sie. „Wir haben Recht und Gesetz auf unserer Seite; das sind die sichersten Gefreunde.“
„Laßt sie laufen!“ rief die Rotmundin, als Elsbeth die Thür hart hinter sich zugedrückt hatte. „Sie ist wie ein stätischer Gaul.“
Die Frauen wandten sich schnell wieder dem Häublein zu.
„Möchte es wohl einmal aufsetzen!“ rief die eine.
„Ich auch! Ich auch!“ erschallte es im Kreise.
Die Stürze flogen herab, und die neue Haube begann die Rundreise von Kopf zu Kopf.
„Wie muß man sie rücken? Steil auf den Scheitel?“
„Nein, ein wenig nach hinten!“
„Den Schleier vor das Gesicht?“
„Heilige Jungfrau, Ihr setzt sie verkehrt auf. Der Schleier muß über den Rücken herab fliegen. Hier ist mein Handspiegel.“
„Eia, wie wunderfein!“
„Nun ich! Nun ich!“
So summte es durch einander.
Da riß plötzlich die Gürtelmagd die Thür auf.
„Der Herr ist wieder daheim.“
Als ob der Habicht über ein Hühnervolk gekommen sei, so flüchteten die Frauen wieder unter ihre Stürze und schauten dann klagend aus dem Spalt einander an.
Die Rotmundin barg den neuen Kopfschmuck in der Lade. Dann trat sie vor dieselbe und rief:
„Die Augsburger Haube oder ein Zetergeschrei! Das ist unser Losungswort.“
Die Stürze ringsum nickten so kräftiglich, als seien sie schon dem Sturze nahe, und mit feierlichem Handschlag nahmen die Frauen Abschied.
Als sie fort waren, trat Herr Rotmund bei seiner Frau ein. Sie kam ihm lächelnd entgegen und schmiegte sich an ihn wie ein buckelndes Kätzlein.
„Hat mein Herr fleißig regiert? Gewiß könnt Ihr nun bald sagen: ‚Nürnberg vor Augsburg!‘“
„Woher weißt Du davon?“ fragte er vergnügt. „Ist es denn kein Geheimniß mehr, weshalb heute die geheime Rathssitzung war? Wenn Du’s denn schon weißt, will ich’s nur sagen: Wir bekommen auch Fürstenbesuch wie die protzigen Augsburger. Der Bruder des Kaisers Carolus, Erzherzog Ferdinand, kommt gen Nürnberg und wird unser Gast sein.“
Das rosige Antlitz der Frau Rotmundin leuchtete auf.
„Der junge Erzherzog kommt?“ rief sie frohlockend.
„Mit vielen Fürsten, Bischöfen und großem Gefolge,“ antwortete zufrieden ihr Eheherr, „wohl zweihundert Helme stark. Auch seinen berühmten Hofnarren bringt er mit.“
Die Rotmundin nahm eine wichtige Miene an.
„Da wird sich der Rath den Kopf zerbrechen müssen, auf daß Nürnberg nit gegen Augsburg zurückbleibt, welches an Fürstenbesuch gewöhnt ist wie an das tägliche Brod.“
Herr Rotmund hob stolz das Haupt.
„Das macht unsrer freien Reichsstadt noch lange kein Kopfzerbrechen. Wir wollen seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit zeigen, wie es um unsere Macht und Herrlichkeit bestellt ist. Alle Bürger werden ihm in Wehr und Waffen entgegenziehen, zur Augenweide und zum Exempel für Jedermann, der etwas wissen will. Ich habe mich schon mit einigen ehrbaren Gesellen berathen; wir wollen uns beim Einholen auf husarisch kleiden, am linken Arm das Tartschlein, den Spieß mit einem Fähnlein in der rechten Hand. Der Schneider, der mir den Rock dazu machen soll, ist schon bestellt.“
„Und wir halten einen Geschlechtertanz,“ rief Frau Rotmundin, „denn solch junges Blut, wie der Erzherzog ist, tanzt gewiß gern. Und dazu bekomme ich eine neue Haube,“ sie streichelte ihrem Eheherrn die Wange.
Herr Rotmund sah verlegen nach der andern Seite.
„Du hast Stürze in großer Anzahl, willst Du aber einen neuen haben?“
Sie zog in bedrohlicher Weise das Nastuch aus der Gürteltasche.
„Dir bestellst Du einen bunten Rock, Tartschlein und Fähnlein, und mir willst Du eine Dornenkrone aufsetzen?“
„Führe keine vermessenen Reden!“ warnte ihr Eheherr salbungsvoll. „Der Sturz ist die Auszeichnung für die Geschlechterinnen; er ist das Symbolum der Ehrbarkeit und Würde, und an der guten alten Sitte darf nicht gerüttelt werden. Sind die Zeiten doch so schwer genug. Der Stuhl des heiligen Vaters wankt unter den Angriffen des Wittenberger Mönches; die Fürsten sind uneins; der gemeine Mann ist aufstutzig. Statt die Stützen und Stäbe, welche unsre weisen Vorväter vorsorglich errichtet haben, mit eigener Hand niederzureißen, sollten wir in uns gehen und Buße thun. – Wo willst Du hin?“
„Deine gehorsame Magd will Buße thun, wie Du gesagt hast,“ entgegnete die Frau, einen grünlich schimmernden Blick ihm zuwerfend, während sie Rosenkranz und Gebetbuch aus dem Schrein nahm. „In St. Sebald hört Pater Aloysius noch Beichte. Jetzt in der Dämmerung ist’s am andächtigsten. Er hat eine sanfte Stimme; sein Haar duftet wie Zibet, und seine schöne Hand, die er uns zum Kuß reicht, schimmert weiß im braunen Beichtstuhl.“
„Laß mich aus mit dem Pater Aloysius!“ rief Rotmund, sich verzweifelnd in die Haare fahrend, daß die kleinen silbernen Spieße, mit denen seine Locken durchstochen waren, zu Berge standen. „Alles verdrehte Weibsvolk ist versessen auf ihn.“
[507] „So will ich morgen mit dem Frühesten zu dem Pater Cyprianus in die Predigerkirche gehen,“ schlug Frau Rotmundin vor. „Er sieht recht stattlich aus in seiner weißen Dominicanerkutte und wird mir gewiß Trost zusprechen, wenn ich ihm mein Leid über Herrn Rotmund klage.“
„Untersteh Dich nicht!“ drohte ihr Mann erschrocken.
„Oder zu den Barfüßern? Oder in das Schottenkloster?“ fragte sie mit unschuldigen Augen.
„Die Mönche sind insgesammt böse Würmer,“ sprach Herr Rotmund mit gepreßter Stimme.
„Armes Männlein,“ beklagte ihn sein Ehegespons und streichelte den gesträubten blonden Bart glatt, „was hast Du für morsche Stützen und Stäbe von Deinen ehrwürdigen Vorvätern ererbt! Die Stürze sind nicht mehr werth wie die Mönche.“
Herr Rotmund öffnete den Mund; sie schloß ihn mit ihrer weichen Grübchenhand.
„Sei gut, Franzel! Laß mich die neue Haube nach der Augsburger Art aufsetzen! Du bekommst auch morgen Spargel in Wein gesotten mit Butter und Essig. Von unserer Meierei draußen in Gostenhof hat der Gärtner einen Kober voll geschickt.“
Er seufzte tief.
„Und wenn ich Dir auch die Erlaubniß geben wollte, es ist ja gar kein solcher leichtfertiger Tand allhier zu haben.“
„Was das betrifft,“ lachte Frau Rotmundin und lief nach der Fensterlade, „ein Häuble hab' ich schon.“
Triumphirend schwenkte sie den flimmernden flatternden Hauptschmuck ihrem Eheherrn unter der Nase.
Herr Rotmund starrte entsetzt darauf hin.
„Thue sofort das schamlose Ding von Dir!“ sagte er zornroth und suchte ihr den Putz aus den Händen zu nehmen.
Aber tapfer, wie der Fähnrich seine Fahne, vertheidigte die Frau ihre Haube. Sie warf ihr Gebände ab, drückte sich das schimmernde Spitzdächlein über die lichtbraunen Locken, faßte zierlich den Schleier und zog ihn in anmuthigem Bogen über die Schulter unter das Kinn. Dann trat sie vor ihren Herrn und lächelte ihn mit ihren Schelmengrübchen an.
„Bin ich nit hübsch?“ fragte sie.
Herrn Rotmund gelang es nur mit großer Gewalt die Augen von ihr zu wenden.
„Und wenn ich auch wollte, nur der gesammte Rath hat darüber zu entscheiden,“ stammelte er.
„So versprich mir, daß Du helfen willst, unsere Sache durchführen!“ bat sie.
Herr Rotmund sah verstört umher.
„Da ist der Schreyer und der Pfinzing und der Holzschuher –“
„Die werden schon mürbe werden.“ tröstete sie.
„Aber was wird die herbe Ursel sagen?“ murmelte er.
„Ist Dir die böse Haut lieber als Dein armes Weib?“ fragte sie wehmüthig.
„Nein – ja – nein; es geht nicht,“ stöhnte Herr Rotmund in Verzweiflung.
Ein lauter Schrei antwortete ihm; die Rotmundin schwankte. Ihr Eheherr wollte ihr zu Hülfe kommen; aber sie spreizte die Finger gegen ihn, als kämen Krällchen aus den weichen Sammethändchen hervor.
Die Gürtelmagd stürzte herein, und nun sank die Rotmundin weinend zusammen.
„Es ist mein Tod. Bringe mich zu Bett. Nein, aufstehen kann ich nit. Nein, Herr Rotmund soll mich nit anfassen, nimmer, nimmer! Ruf’ die Barbaraköchin!“
Die beiden Mägde trugen sie in die Schlafkammer, die kleine Leiter hinauf, welche an die mit Pfühlen hochgefüllte Bettstatt gelehnt war, und legten sie auf ihr Lager.
„Zieht die Vorhänge zu!“ wimmerte sie. „Ich kann den Rotmund nimmer sehen.“
Der arme Ehemann lief um das schwarz und roth bemalte, reich vergoldete Bettgehäuse herum, das die Gürtelmagd mit den bunt gewirkten Vorhängen an beiden Seiten schloß. Auch sie schob die Unterlippe vorwurfsvoll bis unter das Stumpfnäschen.
Rotmund versuchte zwar durch die gothischen Fensterchen zu spähen, welche am Kopfende in der Holzwand der Bettstatt angebracht waren, aber drinnen war es so dunkel wie in seiner Seele.
„O weh mir armen Weibe!“ jammerte es heraus. „Da gehen die steinherzigen Scharhanse hin und bestellen sich güldne und scharlachne Kleider, und wir sollen sitzen wie der Kauz im Fröschthurm. Ach, ich Aermste! Warum hab’ ich nit auf den Herrn Haller gewartet, bis er von Venezia heim kam? Der hätt’ mich gewiß gern gefreit, und da dürft’ ich auch ein Geschmuck auf dem Kopfe tragen und fröhlich sein.“
Bei den letzten Worten stand Herr Rotmund wie vom Donner gerührt. Dann stürmte er hinaus und warf die Thür krachend zu, daß das ganze Gemach erbebte, und die kostbaren Emailschalen, die in Gold gefaßten Krystallbecher auf dem Kandelbrett in’s Wanken kamen.
Als die Schaustücke und auch die erschrockne Gürtelmagd ihr Gleichgewicht wieder gefunden hatten, öffneten sich die Bettvorhänge, und der Lockenkopf der Rotmundin lugte heraus.
„Nun geh gleich in die Apotheke, hole Baldrian und laß von der Barbaraköchin ein Tränkle daraus bereiten! Untersteh Dich aber nit, den Sud hereinzubringen! Meine Nase kann ihn nicht ertragen. Wenn’s nur im Hans recht darnach riecht!“
Als nach kurzer Weile die treue Dienerin wiederkam, erzählte sie, in der Apotheke sei ein Gedränge gewesen von den Gürtelmägden aus allen Geschlechterhäusern, die nach Cardobenedictenwasser, Theriak und ähnlichen hochangesehenen Mitteln gerufen hätten, und wären alle in großer Bestürzung gewesen, als sei ein Sterbslauf ausgebrochen. Und da sie sich klagend heimbegeben hätten, sei noch von der Burg ein Knecht gestürzt gekommen, um den Bader zu rufen, daß er dem Schultheiß die Ader schlage.
„Das geschieht den steifen Wockenstöcken schon recht,“ lachte die Rotmundin. „Wohlan, Ihr Herren! Die Fehde hat begonnen. Leib und Leben setze ich ein für unser Panier, die herzallerliebste Haube. – Nimm das Schriftstück aus dem Tischkasten im Chörlein und trage es morgen mit dem Frühesten auf das Rathhaus. Es soll unter den wohlweisen Rath fahren, wie der Schuß der scharfen Metz von Nürnberg unter verschlafene Söldner. – Dem Wilhalm Haller aber will ich die allererlesenste Gunst erweisen, daß der Elsbeth und dem Rotmund vor mir grauen soll. Nun, gute Nacht! Ich habe eine sanfte Ruh wohl verdient.“
Sie legte sich auf ihr rosiges Ohr und schlief flugs und fröhlich ein. – – –
Als sich am andern Morgen der Rath versammelte, gab es unter den Stadtknechten verwundertes Kopfschütteln. Es waren doch nur festliche Anordnungen heute zu treffen für den Besuch des Erzherzogs, und nur hoher Gnadenbezeigungen des fürstlichen Gastes durfte die Stadt sich gewärtigen, und doch kamen die hochmögenden Herren mit eitel verstörten Gesichtern, drückten sich die Hände so bekümmert und theilnahmsvoll, wie es sonst nur bei Leichenbegängnissen üblich war, und selbst der Schultheiß, der Herr Ritter von Obernitz, seufzte tief auf, während er seinen Degen im Vorzimmer ablegte.
Einzig Herr Wilhalm Haller, der Junggesell, sah ruhig aus, so man den hoffärtigen und unzufriedenen Zug nicht rechnete, der seit seiner Reife über seinen dunklen Augenbrauen brütete.
Als sich die Herren um die grün behangene Tafel reihten, blieben alle Blicke an einem Schreiben hängen, welches auf derselben niedergelegt war. Mit Schrecken erkannte Herr Rotmund auf demselben die dicken Striche und Haken, welche seine Frau Eheliebste dem Papier einzuverleiben pflegte.
Auf einen Wink des Schultheißen erbrach und las Wilhalm Haller die Bitschrift, und in seiner Stimme klang derselbe Trotz und Groll wie aus dem Gesuch der Frauen, in welchem sie um Entledigung der Stürze und um die Erlaubniß baten, die Augsburger Haube tragen zu dürfen. Gleich Steinbildern saßen die Väter der Stadt um den Tisch. Aber als der junge Rathsherr an die Unterschriften kam, gab es verlegenes Rücken und Räuspern. Da fehlte kaum eine Ehehälfte, kaum ein naseweises Töchterlein der ehrenfesten Männer; da war keiner, der nicht wenigstens ein artiges Bäschen unter den Bittstellerinnen hatte. Wilhalm Haller aber rief jeden Namen so nachdrücklich und laut aus, als verkünde er die Sieger beim Ringleinstechen.
„So scheint doch den Nürnberger Frauen endlich ein Licht aufzugehen,“ sprach er, als er zu Ende war.
„Werfet nit Alle in einen Topf!“ knurrte Imhof. Meine Eheliebste hat sich nit unterschrieben und meine Tochter das Haus verlassen, in dem ihr solche Zumuthung gestellt worden ist.“ [508] Wilhalm’s Augenbrauen zogen sich zusammen. Er bemerkte das Beifallsgemurmel nicht, das dieses kräftige Wort an der Rathsherrentafel hervorrief; denn während er das Schreiben zusammen faltete, dachte er nur daran, wie er die Elsbeth ihren Trotz bezahlen lassen wollte.
„In Augsburg und andern großen Städten,“ entgegnete er, „tragen die Frauensbilder schon lange keine Stürze mehr.“
„Unsre Frauen sind keine hoffärtigen Augsburgerinnen,“ widersprach gereizt Herr Imhof.
„Ihr würdet nicht also reden, wenn Ihr sie kenntet,“ antwortete Wilhalm von oben herab. „Sie sind mit Gebärden so wohl abgerichtet, daß ihre Hoffart wie Demuth erscheint.“
Die beiden Männer schauten sich feindselig an.
Auch der Rotmund warf dem Haller einen grollenden Blick zu.
„Wenn doch Schwefel und Pech auf das prängische Augsburg regnete!“ rief er. „Es ist ganz vom Hoffartsteufel besessen, und der scheint seine Krallen jetzt auch nach unsrem ehrenfesten Nürnberg auszustrecken. Wollt Ihr sein Fürsprecher sein? Habt Ihr etwa die verwünschte Haube mitgebracht, mit der mich mein Weib seit gestern Abend quält? Ist hoch wie der Perlachthurm in der Maximilianstraße zu Augsburg, und ein Schleier hängt daran wie ein Wimpel.“
„Mitgebracht hab’ ich sie nicht,“ antwortete Wilhalm, „aber so wie Ihr sie beschreibt, sieht die neueste Augsburger Haube aus. Ja, die Frau Rotmundin ist immer den Leuten hier voraus gewesen.“
Dem Rotmund gebrach das Wort vor innerer Wuth.
Die anderen Herren riefen:
„Das ist die Haube, von der auch wir seit gestern so viel zu leiden haben.“
„Mein Weib liegt darob im Fieber.“
„Das meine weint unaufhörlich.“
„Sie sind versessen darauf und weder mit Güte nach mit Strenge davon abzubringen.“
So klang es durch einander, und Jeder seufzte endlich tief auf.
Da rief Wilhalm:
„Dem ist leicht abzuhelfen, Ihr Herren. Faßt einen günstigen Bescheid.“
Aber der Schultheiß richtete sein Haupt auf und kreuzte die Füße, wie es üblich für einen Herrn war, der zu Gericht saß.
„Nein,“ sagte er, „und wenn es uns auch das Herz abdrücken möchte, Ehre und Zucht wollen wir nicht sinken lassen. Fällt eine Schranke, so werden bald alle zertrümmert sein. Mit der Kleiderordnung würde die Ordnung der Stände aufhören. Wie sollte ein Gemeinwesen bestehen, in welchem man den Juden nicht mehr am gelben Ringkragen, die leichtfertige Dirne am grünen Schleiersaum erkennt, in welchem das Schellengeklingel des Narren Euch nicht vor seiner Pritsche warnt und der Sturz dem gemeinen Volk nicht anzeigt, daß eine Patricierin naht, der es gebührlich den Weg zu räumen hat? Möchtet Ihr in einer solchen Welt leben?“
„Nein,“ murmelten die Rathsherren.
[521] Der Schultheiß aber fuhr fort:
„Und womit haben die Frauen, welche an der guten alten Sitte festhalten, verdient, daß ihre würdige Kopfbedeckung herabgesetzt wird wie verschlagnes Geld? Ganz zu geschweigen von der Gefahr, welche unsre Frauen laufen, wenn sie sich so mit entblößtem Antlitz den fremden Gästen zeigen! Müssen sie nicht die Zielscheibe werden für die Späße des Hofnarren Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit?“
„Des Hofnarren, Herr Schultheiß? Auch das ist ein veraltetes Wort,“ verbesserte Wilhalm verdrüßlich. „Der Narr großer Herren heißt jetzt: der lustige Rath.“
„O tolle Zeit!“ seufzte der Schultheiß. „Der Narr wird Rath genannt, und die, welche zu Rathsherren berufen sind, sollen für Narren gehalten werden. Aber so weit sind wir noch nicht in Nürnberg. Schreibt, Herr Rotmund, daß ein wohlweiser Rath der freien Reichsstadt mit schwerem Mißfallen den Fürwitz der Frauen wahrgenommen hat, dieselben zur Ehrbarkeit und Zucht ermahnt, auch ernstlich verwarnt, ferner Rotten zu machen, und ihre Bitte abschlägig bescheidet! Von Rechtswegen!“
Da ermannte sich ein ehrbarer Rath und ging zur Tagesordnung über, welche den bevorstehenden Besuch des Erzherzogs betraf. Und nachdem beschlossen war, daß man Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit als römischer kaiserlicher Majestät Statthalter im heiligen deutschen Reich mit besondrer Ehrerbietung entgegenreiten und Hochdieselbe ganz tapfer und ehrlich empfangen wolle, begaben sich die Herren in die Vorzimmer, wo eine bunte Schaar ihrer harrte, welche von den Stadtknechten zusammenberufen war, um Befehle zu empfangen. Da erhielt der Zeugmeister Weisung, seine Büchsen in Stand zu setzen, auf daß ihr eherner Mund dem Erzherzoge kräftigen Gruß zu donnern vermöge; die Stadtpfeifer wurden ermahnt, den hohen Gast lieblich anzublasen; den Fischhändlern ward kund, wie viel Schaff gute Fische sie für die Tafel des Erzherzogs, den Meiern aus den städtischen Vorwerken, wie viel Hafer für seine Rosse sie zu liefern hätten, und bei den berühmten Goldschmieden wurden als Gastgeschenk vergoldete Becher und eine Credenz erkiest.
„Und nun werde ich mich auf die Veste begeben,“ sagte der Rathsbaumeister, Herr Paumgartner, „um dieselbe zu einem schicklichen Losament für Seine fürstliche Gnade herzurichten. Und werde ich die Reimlein noch einmal durchlesen, in welche unser Meister Hans Sachs allen nothdürftigen Hausrath gebracht hat, den Müttern und Vätern, so eine Ausstattung beschaffen müssen, zu Nutz und Frommen. Wofür wäre in Nürnberg nicht gesorgt? Es geht nichts über unsre hochberühmte Stadt,“ schloß er, sich stolz aufrichtend.
„Wollt nicht allzu fest auf diesen Ruhm bauen!“ widersprach ihm Wilhalm. „Mancher ist uns widerwärtig, und ich habe vernommen, daß solche, die unsrer Stadt die Ehre des fürstlichen Besuches nicht gönnen, die Burg für einen baufälligen Säustall verschreien.“
Darob entsetzte sich ein ehrbarer Rath, und Herr Obernitz rief:
„Haben die schwatzhaftigen Neidharte unsre Stadt in ein übles Geschrei gebracht, so wollen wir ihnen das Maul verstopfen. Und meine ich, daß man soll den großen Reichsadler, der seine Fittiche über die Decke des Prunkgemaches auf der Burg breitet, frisch vergolden, damit männiglich erkenne, es ist eine Behausung für einen königlichen Vogel und nicht für ein ekles Rüsselthier. Dennoch mahne ich Euch, nicht allzu hoch und allzu üppig zu rüsten, auf daß nicht die Geschlechter und ehrsamen Bürger in überflüssige Unkosten geführt werden. Was kümmert unsre freie Stadt das Gekläff welscher Hofschwänzler?“
Mannlich und stolz reckten die Rathsherren die Köpfe aus ihren feingestickten Hemdkrausen empor. Aber als Herr Haller die neue Erfindung des Meisters Peter Hele, das lebendige Nürnberger Ei, welches die Zeit verkündet, aus der Tasche zog und sagte, es sei weit über Mittag, man müsse sich heim begeben, da knickten die stattlichen Gestalten wieder zusammen, und auch dem Stadtschultheißen klang die Stimme gepreßt, da er die Sitzung aufhob. Der Rotmund meinte, er wolle zu seinem husarischen Aufzug noch die Genossen werben; der Ebner, er werde sofort seinen Rundgang antreten, die Kaufleute zu dem Reiterzug zu entbieten. Selbst den Imhof schien es nicht nach Hause zu ziehen. Er erklärte, er wolle noch heute die Stadtknechte zu den Handwerkern entsenden und ihnen kund thun lassen, daß sie vor dem hohen Gaste unter den langen Spieß treten sollten.
Wilhalm Haller ging allein nach Hause. In ihm kochte der Groll darüber, daß eine verständige Neuerung von den Vätern der Stadt abgewiesen worden war. Wie oft hatte er in der Welt draußen hören müssen, daß man alles das, was recht hinter der Zeit und neuen, freien Sitte zurück war, nach seiner nürnbergischen Heimath altfränkisch nannte! Er knirschte heimlich mit den Zähnen, wenn er daran dachte, wie erstaunt der Erzherzog, wie spöttisch die fremden Herren dreinschauen würden, wenn sie einritten in das altfränkische Nürnberg, das ihnen erscheinen [522] mußte wie dem Wanderer die versunkne Stadt, welche in jedem Jahrhundert nur einmal auftaucht. Und er sollte alsdann mit der verstocktesten Geschlechterin am Arme umherstolziren, mit der Elsbeth Imhofin? Nein, die war für ihn, den aufgeklärten Mann, keine Gesponsin – es sei denn, daß sie ihren starren Sinn breche. Und gleich auf dem Flecke sollte sich der Handel entscheiden. Sie sollte sich seinem Willen beugen – das kam ihr um so mehr zu, als der liebe Gott ihr kein allzu helles Lichtlein im Kopfe entzündet hatte – oder er wollte ihrer ledig sein, daß das Gedenken an sie nimmer seinen fröhlichen Muth darnieder schlagen konnte.
Da war ja schon das gothische Thürmchen, welches das Imhofische Haus auszeichnete.
Mit trotzigen Schritten und stolz erhobnem Haupte trat er ein. Eine kühle Luft wehte ihm aus dem weiten Hausflur entgegen. Er kannte hier jeden Winkel und wußte, welcher der dunklen Gänge, in die er blickte, nach dem Wurzgärtlein, und welche nach dem Contor und den Speichern führten.
Die Thür der Küche war offen, und Elsbeth stand drinnen. In sein grollendes Gemüth schlich ein heimisches Gefühl, da er sie an der Anrichte hantiren und dem Gesinde das Mittagsbrod zutheilen sah, so gerecht und ruhig, wie es seine gute Mutter selig auch geübt hatte. Sie trug das Gebände, den Goldlatz und das Schürzenfleck wie jene, und an ihrer Seite hing ein mächtiges Schlüsselbund. Jetzt wandte sie ihm die Augen zu.
Er erwartete, daß sie ein wenig erschrecken werde bei seinem Anblicke. Aber sie erröthete nicht und erblaßte nicht. Er grüßte sie mit der neuen spanischen Reverenz, indem er die Spitze des rechten Fußes rückwärts gleiten ließ und das Knie beugte, während er mit der linken Hand den Hut so tief abnahm, daß die Feder die Fliesen streifte, aber sie schaute seiner kunstvollen Verneigung zu wie dem Seilfahrer, der sich beim Schützenfest zu zeigen pflegte, und als er geendet hatte, sagte sie trocken. „Grüß’ Gott!“ ohne in ihrer Verrichtung sich stören zu lassen.
Dagegen nahte ihm eilig die alte Imhofin.
„Je, Wilhalm, grüß’ Euch Gott, mein lieber Bub’!“ rief sie. „Kommt Ihr endlich? Waren Eures Besuches kaum mehr gewärtig. Folgt mir in das Wohngemach!“
Wilhelm schaute die Elsbeth an. Sie sprach:
„Sobald ich die Speis’ vertheilt habe, komm’ ich auch. Der Hirsebrei möchte sich sonst zu sehr verkühlen.“
Da schritt er zornig der Mutter nach durch die spitzbogige Thür in das Gemach.
Hier war noch Alles wie sonst. Es herrschte noch dasselbe Zwielicht; die kunstvoll geschmiedeten starken Eisengitter vor den in Blei gefaßten runden Fensterscheiben warfen wie sonst ihre Schatten auf den Gypsfußboden, der das ihm wohlbekannte Sternmuster von eingelegten bunten Steinen zeigte. In der Fensternische lag noch Wockenstab und Spindel, und es roch auch noch so wie früher nach Gelbveiglein, die Elsbeth in jedem Frühjahr in’s Fenster stellte. Dereinst athmete er den Duft gern ein; jetzt schien er ihm den freien Athem zu benehmen. Die Imhofin lud ihn auch auf den alten Ehrenstuhl mit den Leopardenköpfen an den Armlehnen und den Greifenklauen an den Füßen zum Sitzen ein und sprach gütevolle Worte zu ihm, die er nicht vernahm, da er die Augen ungeduldig nach der Thür richtete.
Als sich diese endlich öffnete und Elsbeth, jetzt ohne Küchenschurz, hereintrat, rief er sie in hochfahrendem Tone an:
„Habt Ihr Euren Hirsebrei endlich ausgetheilt, der Euch so über Alles wichtig dünkte?“
Elsbeth hielt die Wimpern gesenkt. Sie hing das Schlüsselbund an seinen Ort in den Wandschrank. Dann kam sie langsam näher und antwortete:
„Es muß jedes Ding in der Reih bleiben, so ein Hauswesen bestehen soll.“
„Aber wenn einer der Gefreunde nach langer Reise heimkehrt,“ rief er unmuthig, „und Euch besucht, so ist er nicht das Ding, das untenan tritt, sondern er steht obenan. Und eine edle Jungfrau, welche weiß, was sich ziemt, muß ihn vor Allem willkommen heißen.“
Sie hing den Kopf, während er sie schalt. Dann sagte sie:
„Ihr habt Euch auch Zeit genommen und manches Unnütze vollbracht, ehe Ihr an uns gedacht habt.“
„Was wäre denn unnütz, das ich vollbracht habe?“ fragte er scharf.
„Daß Ihr den heiligen Florian vom Haus herabgeworfen habt,“ erwiderte sie.
„Er war im Weg; ich gedenke statt seiner ein Fenster anzubringen, welches die Treppe erhellt, daß es wenigstens in meinem Hause Licht werde,“ erklärte Haller.
„Aber,“ sagte die Mutter, warum habt Ihr den alten guten Kachelofen aus Eurer Unterstube auf den Kehrichthaufen in der Schütt fahren lassen? Eure liebwerthe Frau Mutter – Gott tröst’ sie! – hat so manche Aepfel und Birn aus selbigem gebraten.“
Wilhalm schürzte die Lippen.
„Das bunte Gehäuse mit seinen widerwärtigen Schildereien hatte keinen Raum mehr bei mir.“
„Es waren alle biblischen Historien darauf abconterfeit,“ sagte die alte Imhofin vorwurfsvoll.
„Ja,“ entgegnete Wilhalm spöttisch, „allzeit holte Kain zum tödtlichen Schlage gegen den Bruder aus, zückte Abraham das Opfermesser nach dem Sohne, wurde Moses in einem gebrechlichen Kästlein ausgesetzt. Es war ein Wunder, daß man an dem Platz je Ruhe gefunden hatte. Ich lasse einen neuen errichten; der hat Säulchen, wie ein Tempel, eine Mauerkrone und eine Farbe wie schwarzer Marmelstein.“
„Und,“ fuhr die Mutter fort, „warum habt Ihr eine schamlose Venusin statt des ehrbaren Ziehbrunnens aufgerichtet?“
Wilhalm hob das Haupt.
„Weil sie die Göttin der Schönheit ist bei dem Volke, das alles Herrliche geschaffen hat, und vor dem wir uns in Demuth beugen.“
„Wie heißt das Volk, und wo lebt es?“ fragte die Imhofin erstaunt.
„Es sind die Griechen, und ihre Macht ist längst dahin,“ belehrte Haller herablassend.
„Ein elendes Volk, das untergegangen ist!“ sagte verächtlich Elsbeth, die wie ein Steinbild dasaß. „Vielleicht kommt einmal die Zeit, wo die thörichten Menschen wieder nach dem suchen, was Ihr jetzt auf die Schütt fahrt. Warum aber stürzt Ihr Alles auf einmal um?“
„Weil mir Alles widerwärtig ist, was mich an die alte Zeit erinnert,“ rief er ungestüm.
Da war es, als fahre Elsbeth zusammen.
Aber die alte Imhofin schlug die Hände in einander und rief:
„Wollt Ihr Alles lockern, was feststand? Ihr thut übel daran!“
„Und Ihr,“ rief er, empört über ihren tadelnden Ton, „thut übel, daß Ihr als Euer Recht festhalten wollt, was doch hinfällig geworden ist. Jetzt haben Euch noch einmal die kurzsichtigen Väter der Stadt Euren Sturz gerettet. Aber es wird die Zeit kommen, da auch Euer Sturz stürzen und Euer starres Herz sich beugen wird vor einem neuen Recht, das mit dem alten Plunder aufräumt.“
„Wollt Ihr damit sagen, daß auch das Recht wandelbar sei?“ fragte die alte Imhofin entsetzt.
„Ein Recht verjährt,“ antwortete er barsch.
Die Frau bekreuzte sich und wollte eben zu heftiger Widerrede den Mund öffnen.
Da erhob sich Elsbeth.
„Gemach!“ sprach sie. Und mit leiser Stimme, die ein wenig unsicher klang, fuhr sie gegen den Haller gewendet fort: „Ich merke, wo Ihr hinaus wollt. Der Verspruch ist Euch leid, der zwischen Eurer und meiner Sippe gehalten wurde. Warum sagt Ihr es nicht offen? Fürchtet Ihr Euch vor dem Wortbruch?“
„Wortbruch?“ rief Wilhalm und fuhr empor. Und eine so hochgewachsene Jungfrau sie war, er sah sie doch von oben an. „Ich habe mein Wort nicht gegeben; ich brauche es nicht zu brechen. Mein seliger Vater hat die Heirath zwischen Euch und mir mit Eurem Herrn Vater verabredet, und ich habe damals, ein halbes Kind, das ich war, nicht widersprochen. Ich wußte noch nicht, daß zur Brautschaft etwas Anderes gehöre, als die bräuchliche Mitgift. Aber draußen in der Welt habe ich vernommen von einem neuen Recht. Da hieß es, daß, wer ein Weib sich erkiesen wolle, wohl thue, wenn er sein Herz dabei frage. Und über Vater und Mutter solle dasselbige das erste Wort haben.“
[523] „Das wandelbare Ding,“ sagte Elsbeth verächtlich, „sollte mehr Recht haben, als die Eltern, die mit Bedacht wählen?“
„Ich glaube, Ihr würdet auch einen wunderlichen alten Kröpel oder geizigen Wittwer zum Manne nehmen, so Eure Eltern Euch dazu bestimmten,“ höhnte Wilhalm.
Elsbeth war erschrocken über den Einwurf. Aber da sie seinen Zorn sah, wünschte sie – sie wußte nicht, warum – ihn noch mehr aufzubringen und sprach:
„So meine Eltern solches geheischt hätten, würde ich ihnen gehorsamt haben.“
Da wurde er ganz wild.
„Ich sehe wohl, daß Ihr gar nicht wißt, was zärtliche Leidenschaft ist.“
„Zärtliche Leidenschaft?“ fuhr Elsbeth auf, jetzt jäh erröthend. „Nimmer würde sich eine ehrsame Jungfrau so weit vergessen, daß sie ein solch unwürdiges Gefühl hegte. Derlei Leichtfertigkeiten stellen die Maler für und die Schreiber, die Verse schmieden,“ fügte sie wegwerfend hinzu.
„Ihr wollt Euch über die Maler und Poeten stellen?“ rief er voll zorniger Verachtung. „Ihr, die Ihr nur mit Kochtopf und Kunkel bewandert seid, über einen Tizian, einen Petrarca? Hättet Ihr geschaut, wie der Maler gleich einem Fürsten lebt, seine Tochter von Schönheit strahlt wie eine Perle in güldener Fassung! Hättet Ihr einmal in mondheller Nacht auf schwarzer Gondel die Straßen Venezias durchschifft und vernommen, wie die Gondeliere sich die zärtlichen Strophen des Poeten zusingen, dieweil unter dem Baldachin des Fahrzeuges die goldmossirten Gewänder der Frauen blitzen! Dann würdet Ihr wissen, daß es noch etwas Höheres giebt, als Eure steil aufgerichteten Gesetzestafeln über das, was sich schickt und ziemt, und Eure Fertigkeit im Backen und Brauen.“
Sie hatte aufgehorcht. Aber nicht sein bebender Ton, nicht das Neue, was er erzählte, fesselte sie. Nur der Ruhm der welschen Weiber, nur die Mißachtung ihrer selbst drang ihr in’s Ohr und tief in’s Herz. Sie sah ihn forschend an. Er blickte widerwillig auf sie herab.
Da trat sie zurück. Und jetzt lief ein Zucken über ihre Lippen, und ein ernster Blick traf ihn, als sie sprach:
„Ihr seid frei.“
Die alte Imhofin wollte begütigen, aber Elsbeth schritt zum Fenster, Wilhalm nach der Thür. Sie nahm den Wocken in die Hand und ließ die Spindel tanzen.
Wie säuberlich verstand sie den Faden weiter zu spinnen, und wie schroff hatte sie das Verlöbniß gelöst!
Wilhalm verließ das Haus. Er lachte höhnisch auf. Nun war er frei, wie sein Wunsch gewesen. Und die Elsbeth selbst hatte ihm Valet gegeben. Sie hatte sich um ihn gebracht. Mochte sie es tragen! Ihn focht es nicht weiter an.
Aber mit welchem Blicke sie ihn gemessen hatte, als sie ihn frei gab! Als ob sie sich erdreistete, eine unehrerbietige Meinung von ihm zu hegen! Einen Augenblick wallte das Blut seiner fünfundzwanzig Jahre in ihm auf. Er ballte die Faust. Dann aber hob er sein Haupt wieder stolz empor. Er stand ja mit seiner Lebenserfahrung und Weltweisheit hoch über dem, was der Kopf einer Nürnberger Geschlechterin denken konnte, die so trocken, schlicht, hausbacken und derb war wie – er suchte nach einem recht schlimmen Vergleich, aber es fiel ihm kein anderer ein, als: wie das liebe Brod.
Unterdessen waren die Rathsherren von ihrem Rundgang durch die Stadt wieder beim Rathhause angelangt, aber sie beeilten sich noch nicht heim zu kommen, sondern standen betreten umher.
„Ich hab’ einen jämmerlichen Hunger,“ klagte Herr Rotmund; „aber mit dem Spargel wird’s nun nichts.“
„Ich habe seit gestern Mittag keine rechtschaffne Speise in den Magen bekommen,“ gestand der Stadtschultheiß.
„Und wer weiß, wer weiß, was uns heute bevorsteht!“ riefen die Uebrigen sorgenvoll.
„Laßt uns in unsre Trinkstube gehen!“ schlug Herr Imhof vor. „Der Wein vom Rheinfall ist gut dort, und ich weiß, daß gestern eingesalzne Biberschwänze und frische Osterlinge angekommen sind.“
Da zogen Alle in die Zechstube.
Guter Rath kommt nicht allein über Nacht, sondern auch nach einer tüchtigen Mahlzeit.
„Ich werde etwas Schönes einkaufen,“ meinte Herr Rotmund pfiffig, als er satt war. „Ein tapfres Geschenk macht allzeit frohen Muth.“
„Das läßt sich hören,“ riefen die andern Hochweisen, und sie zerstreuten sich in die reichgefüllten Buden und Läden der Stadt.
Am Abend standen die Mägde, mit ihren großen hölzernen Kannen in der Hand, um den Schönen Brunnen, der mit seiner Spitzsäule in den dämmernden Himmel ragte, und zu dem gleichförmigen Rauschen des Wassers klang das Geklatsch über die Aufnahme, welche die tapfren Geschenke bei den Frauen gefunden hatten.
Da war in dem einen Haus ein Kessel von dem neuerfundnen Messing, das wie Gold gleißte und noch in hohem Preise stand, die Treppe hinabgerollt, daß das Ingesinde gemeint hatte, der Türke mit seiner Janitscharenmusik sei hereingebrochen. In einem andern war eine zierliche erzene Bildsäule des heiligen Sebaldus aus der Rothgießerei Peter Vischer’s angelangt, jedoch sogleich wieder als Geschenk an den Pater Aloysius abgeschickt worden. Die Barbaraköchin aber erzählte:
„Bei uns war's am schlimmsten. Als die Frau ein Paar Armbänder anlegte, so ihr der Herr verehrt hatte, verfiel sie in ein großes Geschrei; denn die Smaragden erschienen ihr verblaßt, welches Zeichen allzeit die Nähe von Gift andeutet. Sie rief immerdar, der Sturz hätte sie vergiftet, bis Herr Rotmund Reißaus nahm.“
Mit dem berühmten klaren Wasser wurde der Klatsch über den versuchten Sturz des Sturzes in alle Häuser getragen und verbreitete sich in immer weitren Kreisen, bis er neben dem Gerede von dem bevorstehenden fürstlichen Besuch alle Köpfe und Zungen beschäftigte. In der Trinkstube der Geschlechter wurde bei feurigem Ungarwein nicht eifriger über den Unwillen der Frauen gegen die ehrwürdige Kopfbedeckung gesprochen, als in der Baderstube, wo der Handwerksgesell sich den Bart scheeren ließ, der ehrbare Meister schröpfte, um bei dem großen Ereigniß des Einzugs gegen Wallung und Blutschlag gesichert zu sein. Bis in das Siechhaus drang die Mär und stiftete ein altes Weib an, daß es eines Morgens die Sonne statt mit Nebelschleiern mit einem Sturz verhüllt aufgehen sah, welches schreckliche Zeichen und Wunder am frühen Morgen in allen Backhäusern mit dem frischen, nach Fenchel duftenden Brod zugleich aufgetischt wurde.
Als abermals die Gürtelmagd der Rotmundin einen Rundgang bei den Patricierinnen anhub, sahen ihr die Leute scheu nach wie dem Krieg verkündenden Heerwurm. Der Stadtknecht, der ihr begegnete, schlug ein Kreuz und murmelte in seinen grauen Bart: „Der Regenpfeifer zeigt bös Wetter an für meine hochmögenden Herren;“ und diesen selbst war zu Muthe, als werde eine Knallbüchse in’s Haus getragen, die unvermuthet losprasseln und ihre Papierpfropfen ihnen unter die Nase platzen könne.
Die Frauen aber empfingen die Magd feierlich bei verschlossenen Thüren, und sie sprach:
„Frau Rotmundin redet durch mich; das Losungswort ist nunmehr: Seine fürstliche Durchläuchtigkeit muß helfen, es koste, was es wolle!“
Dann gab es noch langes Flüstern und Raunen. Die Augen der Frauen lachten darnach wunderbarlich aufgeklärt aus den Stürzen, und der Name der Rotmundin ward mit Preis genannt. Die Stirnen der Männer falteten sich immer düstrer. Unheimlich dünkte sie das Geflüster wie das Knistern der Kohlen unter der Asche, unheimlicher fast noch die Gleichgültigkeit ihrer Eheliebsten gegen ihre Schneider. – –
Nur in das Hans der herben Ursel, das sich am Panierberg mit seinem abgestuften Giebel stolz über seine Umgebung erhob, war noch keine Nachricht von dem dräuenden Umsturz gedrungen. Wer hätte sie auch hineintragen sollen?
Selten zog ein Besuch die Glocke an der rundbogigen Pforte, über welcher ein lebensgroßes Gemälde die Himmelskönigin im purpurnen und blauen Gewande mit goldnem Heiligenschein zeigte. Manchmal schritt der Schultheiß, der versippt mit der Besitzerin war, durch den gewölbten Hausflur, die steinerne Wendelstiege hinauf, oder ein andrer Greis aus den Geschlechtern, ein Freund ihres verstorbnen Vaters, auch wohl der alte Beichtvater gingen durch die hallenden Gänge, die nur bevölkert waren von fremdartigem ausgestopftem Gethier, das vor langen Jahren der Vater der Hausherrin von seinen Reisen aus fernen Landen heimgebracht hatte.
[524] Die Zeitgenossen der Erbtochter des Patricierhauses waren allgemach weggeblieben. Gar mancher Rathsherr konnte es dem noch immer stattlichen Mädchen nicht vergessen, daß sie einst den Ehering verschmäht hatte, den er ihr geboten, als sie noch jünger und schöner war als jetzt, und auch die Frauen ließen ab von ihr. Sie fühlten wohl heraus, daß die Ursula kein Begehren trug, von ihren Leiden und Freuden zu vernehmen; ihre Kleinen aber, die sie manchmal mitführten, hingen sich schreiend in die Falten ihrer Gewänder, wenn sie dem düstren, grauen Hause nahten, das so kalt und stolz aus seinen Bogenfenstern schaute, wie die mächtigen braunen Augen seiner Besitzerin aus der Verhüllung des Sturzes.
Das Gesinde der Ursel lebte so eingezogen wie die Herrin. Die Mägde fanden nicht Ursache beim Wasserholen zu plaudern; denn im rings von steinernen Laubengängen umschlossnen Hofe rauschte ein Brunnen unter einer Blumenesche, die der schon lange zu seinen Vätern versammelte letzte Hausherr als schwankes Bäumlein aus dem Lande Italia mitgebracht hatte. Sein weißhaariger Knecht aber, der noch den Dienst versah, sprach allewege nicht.
Es dämmerte schon stark, aber das Haus war noch unerleuchtet. Nur durch das stark vergitterte Lugfensterlein im weiten Flur drang ein matter Schimmer der ewigen Lampe, die vor einem altersgeschwärzten Crucifix brannte.
An einem Fenster im ersten Stock saß die herbe Ursel auf der geschnitzten Eichenholzbank. Den Arm, dessen edle Form der eng anliegende Aermel zeigte, auf die Steinbrüstung gestützt und das schöne Haupt auf die noch jugendlich volle Hand gelehnt, schaute sie über die Giebel und Thurmspitzen hinaus dahin, wo das matte Abendroth am stahlblauen Himmel verglomm. Wie manches Jahr hatte sie nun hier allein gesessen, seit der Letzte seines Stammes, ihr Vater, draußen auf dem Johanniskirchhof den ewigen Schlaf schlief! Wie sie aus dem Gedächtniß ihrer Jugendgefährten geschwunden war, so hatte auch sie fast vergessen, daß es noch glückliche Familienkreise, heitre Feste, gute Freunde und Genossen auf Erden gab. Sie hatte Niemand mehr, dem sie am Weihnachtsabend den Lichterbaum anzündete, der mit ihr zum Hochamt nach St. Sebaldus hinüberwandelte oder beim Fasching ihr den Arm im Gedränge bot. Nur ihre Leibmagd begleitete sie mit Kerzen und Gebetbuch, wenn sie am Allerseelentag den Weg nach dem Johanniskirchhof hinausschritt, den die kunstfertige Hand Adam Krafft’s vom Pilatushaus aus auf sieben Stationen mit Steinbildern und am Eingang des Friedhofs mit einer Kreuzigung geschmückt hatte. Während sie sich niederwarf an den Passionsbildern, dachte sie, daß jedes Leben ein Leidensweg sei, und jeder Tod eine Erlösung. Und wenn ein warmer Juni- Abend sie einmal hinauslockte zum Johannisfeuer, dann ging der Knecht mit einem Knebelspieß voraus, sorgend, daß sie nicht gestoßen wurde, und die einzige Beachtung, die sie fand, war hier und da ein fremd gewordener Gruß früherer Freunde, ein scheues Flüstern der herangewachsnen Jugend, die sie nur dem herben Namen nach kannte. Und so mußte es bleiben, bis man sie unter der wappengeschmückten Grabplatte der Familiengruft zur Ruhe legte. Ihre Augen schauten starr hinaus in die hereindämmernde Nacht, und sie dachte, daß sie noch nicht vierzig Jahre zählte und daß ihr Geschlecht mit hohen Jahren vom Herrn – gesegnet wurde.
Einst war es freilich anders gewesen, damals, als sie noch die schöne Ursula, nicht die herbe hieß. Sie selbst wandelte zwar auch damals schon gemessen ihren Lebensweg, aber ein andrer leichter Schritt umschwärmte sie auf zierlichen Schnabelschuhen, und ob sie auch verweisend das Haupt hob, wenn an der Spitze dieser Kunstwerke ein verpöntes Schellchen klingelte, der Uebermuth zwang doch ihrem stolzen Munde ein Lächeln ab. Damals hallte in den gewölbten Gemächern neben ihrer tiefen, ernsten Stimme ein lustiger Klang, der wie frischer Vogelsang durch das alte Haus schallte, und in ihrem Mieder von Goldstoff steckten im Lenz allzeit die ersten Veilchen, die in der Nürnberger Flur sproßten. Sie lächelte zwar ob der Grasblümchen; denn in ihrem Gewächshaus dufteten Orangen, glühten Liebesäpfel. Aber wenn die feine weiße Hand sie bot und die blauen lachenden Augen so innig baten, da griff sie zu und hegte die duftenden Blumen, so lange ein Hauch von Leben in ihnen war. Er hatte ja auch nicht viel mehr zu geben. Seine Mutter war eine Muhme ihres Vaters gewesen, wurde aber in der Familie nicht sonderlich geachtet, da sie, das Kind eines verarmten Nebenzweiges, nach ihrer Herzensneigung einen geschickten Kupferstecher geheirathet hatte. Beide Eltern waren ihm früh verstorben, und Ursula’s Vater nahm den armen Vetter in die Hinterstube seines weitläufigen Hauses auf, damit er eine Heimath hatte, während er die Klosterschule der Franziskaner besuchte, und sein kleines Erbe übrig blieb für das Leben auf der Hochschule. Denn er wollte oben hinaus, wollte Doctor beider Rechte werden; dann durfte er Wappen und Siegel führen wie die alten Geschlechter, und die stolze Muhme hatte nicht viel mehr vor ihm voraus.
Es war freilich kein leichtes Werk, den Springinsfeld zu meistern. Als Kind schon zeigte sich Keiner eifriger im alten Nürnberger Spiel des Bleblingsstechens, was gleichbedeutend mit „blaue Augen schlagen“ ist. Wenn die jungen Gesellen an einander kamen im beliebten Faustkampfe, so wirbelten gewiß des Vetters Fäuste flott mit. Seine Mitschüler, die nichts in ihre Köpfe bringen konnten als die Ueberzeugung, daß sie als Rathsherrensöhne auch wieder Rathsherren werden müßten, fanden am Niclaus-Tage kleine Trichter zum Einfüllen der Gelehrsamkeit auf ihren Plätzen. Es wurde ein Gelächter und ein Aergerniß in der ganzen Stadt und zum Sprüchworte der Umgegend; die Söhne und die Väter wütheten und riefen: „Das ist der Schalksnarr gewesen.“
Ein ander Mal, als die Dominicanermönche vor ihrem Kloster, wie gebräuchlich war in der Fastenzeit, ein Faß aufstellten und daraus predigten, um die Lust des Volkes am Absonderlichen zu reizen und große Spenden in ihren Opferstock zu sammeln, da war nächtlicher Weile der Boden ausgeschnitten worden, und der Pater fiel durch. Das Volk lachte, die Mönche schrieen: „Das hat der Hansnarr gethan.“
Alle zeigten mit Fingern auf ihn, aber er blieb in keinem Schelmenstreich stecken, sodaß bald die Rede von ihm ging, er werde gewiß ein guter Rechtsgelehrter, der die wächserne Nase tüchtig zu drehen verstünde, mit welcher einer profanen Meinung nach Frau Justitia versehen ist.
Mit seinen Jahren wuchsen in ihm Lustigkeit und Muthwillen. Beim Schönbartlaufen zur Fastnacht trug er stets die lächerlichste Larve vor dem Gesichte. Unerschöpflich, wie die Raketen aus seinem mit Immergrün umwundenen Feuerkolben blitzten seine Witze und Schelmenstreiche nach allen Seiten. Sein Pritschenschlag verschonte die vornehmsten Patricier nicht, und die stolzesten Frauen wußte er durch Mittheilung ihrer tiefsten Geheimnisse in Schrecken zu setzen, bis das ganze vermummte und verluppte Nürnberg hinter ihm her war und schrie: „Fangt den vermaledeiten Narren!“ Da war er verschwunden, als ob er eine Tarnkappe aufgesetzt hätte. Selbst die strengen Rathsherren, die zu Gericht über den ausgeführten Schabernack saßen, trugen plötzlich Täflein auf den Rücken, darauf stand: „Die Nürnberger henken Keinen, sie hätten ihn denn zuvor,“ und stiegen damit würdig einher, bis das allgemeine Geschrei sie belehrte.
Sein Mühmchen aber machte er auf artigere Weise zum Fastnachtsnarren, indem er im verschneiten Hofe den Schlag des Finken nachahmte, von dem er ihr gesagt hatte, derselbe laute: Bin ich nicht ein schöner Bräutigam? Und als Ursula verwundert über den vorzeitigen Frühlingsgast auf den steinernen Laubengang hinauslief, saß er in den noch dürren Zweigen der Blumenesche vor seinem Kammerfenster; ein Regen von künstlichen mit Rosenwasser gefüllten Eiern prasselte auf sie hernieder, und lachend schmetterte er ihr noch einmal den lustigen Ruf entgegen.
Fortuna schien ihm hold. Auch bei dem Schützenfeste, welches die Gilde der Stadt auf der Zollernwiese gab, bei welchem die Glücksgöttin mit einem purpurnen Segel über dem Festplatze thronte und sich von jedem Lüftchen herumbringen ließ, zeigte sie ihm ihre schöne Seite. Er gewann mit einem guten Bogenschusse rothen Sammet zu einem Gewand und in einem Glückshafen bei dem ersten Wurf einen mit silbernen Schellchen behangnen Gürtel.
Aber auch von Fortuna gilt das Wort:
„Frauenlieb’ ist fahrende Hab’,
Heute ich lieb’ dich, morgen schab ab!“
[537] Als der Vetter „Schalksnarr“ das nächste Mal von Leipzig, dessen Hochschule viele fränkische Schüler zählte, gen Nürnberg kam, schmückte er sich mit den Gaben der launischen Göttin und hielt dann Einzug im Patricierhause. Ursula war nicht daheim. Sie wohnte der Einweihung des Grabdenkmals bei, das die Schreyer’sche Familie an der Sebalduskirche von dem berühmten Steinmetzen Adam Krafft hatte errichten lassen. Die würdige Feier hatte Alle in gehobne Stimmung versetzt und dem Standesgefühle Ursula’s volle Befriedigung gewährt.
Mit stolzen Schritten trat sie in das Gemach, wo der Vetter, ihrer harrend, auf und ab gewandelt war. Sie meinte, das Aufleuchten der blauen Augen, den lachenden Mund mit den elfenbeinweißen Zahnreihen noch vor sich zu sehen. Was hatte sie damals nur so herbe gestimmt? War es das dreiste Wesen des gelahrten Schülers, das den Hochmuth der herangewachsnen Patriciertochter kränkte? oder waren es die verhaßten Schellen oder sein Scherzwort über den Sturz:
„Warum setzt Ihr ein solches Eulennest auf, holdselige Muhme? Warum tragt Ihr einen Maulkorb?“
Es war ihm nicht so schwer zu verargen; denn er hatte wohl auf den Willkommenkuß gerechnet und erschaute nun nichts als ihre Augen.
Aber Ursula verstand den Spaß falsch. Sie richtete sich auf und erwiderte herbe:
„Weil ich aus reinem Patricierblut stamme, trage ich den Sturz, wie der Narr die Schellen trägt. Jedem das Seine!“
Als sie die dunkle Röthe sah, die bis unter seine schwarzen Locken stieg, wurde sie blaß. Aber er vermochte ihre Bewegung nicht zu erschauen. Der Sturz ließ nur die großen Augen frei, denen der Schreck über das eigne Wort und dessen Wirkung ein starres Ansehen gab.
Er that einen Schritt nach der Thür. Noch einmal blickte er sie fragend an. Noch war’s Zeit. Aber die Brust war ihr wie zugeschnürt. Nur ihre Lippen öffneten sich; der Sturz verhüllte den schwachen Versuch.
Er ging.
Nach einer Stunde verließ er das Gemach ihres Vaters; die Hausglocke schallte; von diesem Fenster aus hatte sie ihm nachgesehen, wie er von dannen schritt, um nie wiederzukehren.
Er hatte erklärt, daß er nach Bologna gehe, um weiter zu studiren, und erst zurückkommen werde, wenn Ursula sich vor ihm beugen müsse. Es war dem stolzen Patricier nicht schwer geworden, ihn ziehen zu lassen. Ursula kam nun in die Jahre, wo sie heirathen sollte, und der vertraute Verkehr mit dem unebenbürtigen Vetter konnte dem nur im Wege sein. Um ihn einigermaßen zu entschädigen für die Hülfe, die er ihm früher für seine Niederlassung als Rechtsverständiger in Nürnberg verheißen hatte, schickte ihm der alte Herr Briefe mit Empfehlungen, Geld und ein Pferd nach der Herberge, in welche er trotzig übergesiedelt war. Die Diener kamen mit allen Wohlthaten und der Nachricht zurück, der junge Mann sei in’s Elend gegangen.
Ursula harrte damals täglich auf eine Botschaft von ihm; er hatte ja bei jedem Zwist zwischen ihnen den ersten Schritt zur Versöhnung gethan. Aber die Zeit verging – er ließ nichts von sich hören. Als ihr Vater starb, meinte sie, er müsse ein theilnehmendes Zeichen an sie gelangen lassen – es blieb aus.
Nun waren schon zwanzig Jahre seitdem hingeschlichen, die fremden Blumen im Treibhaus eingegangen, die leuchtenden Schmetterlinge in den Glaskästen, über die sie sich so oft mit ihm bewundernd gebeugt hatte, verblichen; Ursula war die herbe Jungfrau geworden. Sie trug auf dem Haupte den Sturz, im Kniestück ihres schwarzen Sammetrockes das eingestickte Wappen und konnte mit gutem Fug und Recht dereinst unter der schweren Steinplatte der Familiengruft ihre Ruhestatt suchen.
Wenn es nur keine Zeit gegeben hätte, wo die Knospen an der Blumenesche sich wie braune Perlenschnüre reihten, wo Veilchenduft die Luft erfüllte und der Schlag des Finken aus den Zweigen tönte! Heut hatte er wieder geschmettert: Bin ich nicht ein schöner Bräutigam?
„Friedel!“ flüsterte sie schmerzlich.
Die kunstvoll mit Eisen beschlagne Thür öffnete sich; die Dienerschaft trat ein. Es war die Stunde, wo die herbe Hausherrin Abrechnung hielt und Befehle für den kommenden Tag gab. Die Hausmagd stellte zwei silberne Leuchter mit gelben Wachskerzen auf den Tisch. Der alte Knecht brachte einen Gruß vom Stadtschultheißen; dieser thäte der gestrengen Jungfrau kund, daß der Erzherzog Ferdinand binnen Kurzem gen Nürnberg auf Besuch kommen werde mit vielen Fürsten, Bischöfen und Dienern, und ließe fragen, ob sie sich mit Kleidern und Stürzen dazu schicken wolle.
Die runde Köchin lachte und sagte:
„In den Fleischbänken ging vorhin die Red, es sollten die Stürze abgeschafft werden.“
Und die Leibmagd erzählte:
[538] „Die Welt geht halt aus dem Leim. Der fremde Fürst bringt einen Hofnarren mit; der wird gar Rath genannt.“
Da richtete sich die Gestrenge auf, daß das mit Juwelen besetzte Kreuz an der güldnen Halskette klirrte.
„Der Narr ist zum lustigen Rath geworden, und die Stürze sollen den Weg alles Fleisches gehen? Wie lautete doch das Wort, das mein Vater, Gott tröst’ ihn! sprach, so er einen Urteilsspruch fällte? ‚Dessen genössen sie billig!‘ So war’s.“
Die Mägde und der Knecht sahen sich verblüfft an. Hatte die Gestrenge in der Dunkelheit vielleicht geschlafen und sprach noch im Traume?
Die ganze Stadt summte wie ein Bienenvolk, das sich zum Schwärmen rüstet. Der Besuch des Erzherzogs hielt Alle in Athem: Die Plattner schmiedeten Krebse; die Panzermacher machten Panzer; die Schneider saßen auf ihren Tischen und schwitzten über geschäubten Röcklein; die Fahnenschmiede schlugen lange roth und weiß getheilte Tücher an die vergoldeten Stangen, und im Bauhof hielt Herr Paumgartner Musterung über die Pferde der Stadt. Die Rathsherren aber wußten nicht, wo sie anfangen und wo sie aufhören sollten.
Am übelsten erging es dem Imhof; denn bei aller Arbeit hatte er noch seinen schweren häuslichen Kummer. Was war der Zwist, der wegen der Haube in den andern Geschlechterhäusern tobte, gegen die Noth, die hinter dem gothischen Thürmchen brütete?
Denn eine Noth durfte er es wohl nennen, daß sein Kind, nachdem es tapfer den Verspruch mit dem Gecken, dem Haller, gelöst hatte, so ganz verändert sich zeigte. Die Elsbeth war sonst so sicher, gemächlich und mit sich zufrieden gewesen, wie es der Tochter aus einem der reichen Nürnberger Geschlechter zukam. Und nun? Es schnürte ihm das Herz zu, wenn er früh aus seinem Geheimstüblein heraus trat und sie stumm und starr durch das Haus schreiten sah, mit dem Schlüsselbund läutend, wie zu einer stillen Messe. Sie schaffte und hantirte den ganzen Tag; sie klagte nie, aber sie hing den Kopf, als sinne sie über etwas Unbegreifliches nach, und wenn er sie anredete, fuhr sie auf, wie aus schwerem Traum.
Kam er, müde gehetzt, vom Rathhaus und allen Vorbereitungen zum Einzug des Erzherzogs nach Haus und begehrte sein Haupt auf den Pfühl zu legen, dann klagte ihm sein Ehegemahl in die Ohren:
„Wenn i nur wüßt’, was wir anfangen sollen! Die ganze Stadt kennt die verabredete Heirath, und in den Häusern der Geschlechter denkt deshalb kein Junggeselle an unsre Elsbeth, erst recht nit, da der Haller sie sitzen gelassen. Und Töchter sind kein Lagerobst. Wenn i nur wüßt’!“
Unter so bewandten Umständen war es dem Imhof nicht zu verargen, daß er ein Wirrsal in den ihm übertragnen Geschäften stiftete. Er vergaß das Gewerk der Fingerhüter zum Festzuge aufzufordern. Die nahmen es übel, machten einen Aufruhr und stürmten aus das Rathhaus, begehrend, auch vor seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit unter den langen Spieß zu treten. Der Imhof half sich, wie uralter Brauch ist, indem er die Schuld des Versehens auf seine Diener, die Stadtknechte, schob. Dann aber stürmte er nach Hause, und als sein Weib ihm thränenden Auges entgegenkam und wieder seufzte:
„Wenn i nur halt wüßt, wo wir einen andern Eidam herschaffen thäten,“ schrie er sie an:
„Mag die Elsbeth den Kriegsschreiber heirathen, damit dem Geklag nur ein End gemacht wird! Der nimmt sie gleich.“
Da erlosch die blühende Farbe der Elsbeth. Sie wurde bleich. Den Wocken legte sie aus der Hand und ließ die Spindel nicht mehr tanzen, sondern schlich still in ihr Gemach. Dort saß sie im Winkel, und die fleißigen Hände ruhten müßig im Schooß. Sie dachte nach.
Ach, das Sinnen ist auch eine Arbeit wie das Spinnen, und sie war nicht geübt darin. Bisher hatte sie alle ihre Gedanken zu den häuslichen Verrichtungen gesammelt. Gesponnen, gewebt, genäht, gekocht und gebacken mußte den lieben langen Tag werden, als sei das die Hauptsache im Leben. Und wozu hatte sie nun die Hände gerührt und Alles erlernt, was eine Hausfrau wissen mußte? Um dem Kriegsschreiber damit seine alten Tage zu versüßen, dem alten Kröpel, der so knickebeinig in seinen Schnabelschuhen stand, die sich bis an die Kniee emporbogen?
Sie stutzte. War sie auch prängisch wie die Rotmundin?
Nein, die Schnabelschuhe störten sie nicht. Einen Andern konnte sie sich darin denken, und er wurde ihr nicht widerwärtig dadurch, aber der war stattlich gewachsen, trug einen braunen Schnauzbart über den vollen Lippen und schaute sie aus braunen, zornigen Augen an.
Da war es ihr, als ob ein Schleier zerrisse, der bis dahin ihre Seele umhüllte, wie der Sturz ihr Angesicht. Jetzt wußte sie es: es war ihr doch nicht das Wichtigste gewesen, die Hühnerpastete gut zu backen. Wenn sie auch ihre zwo Aeuglein fest auf Salbei und Peterla gerichtet und eifrig daran gedacht hatte, Ingwer, Pfeffer und Zimmetrinde abzuwiegen, den Wein zuzumessen und mit Saffran dem Gemengsel eine gäle Farbe zu geben – das Bild des schönen Junkers, für den sie dereinst eine solche Pastete backen sollte, hatte doch über allen Gewürzen geschwebt, süßer und lieblicher als Zimmetrinde und Näglein.
Und war es wirklich nur der Eltern Wille gewesen, dem sie hatte gehorsamen wollen? Warum konnte sie nicht daran denken, dem alten Kriegsschreiber den Leckerbissen zu bereiten als sein trautes Ehegespons?
Und urplötzlich ging ihr ein Verständniß auf für Haller’s Wort über das neue Recht des Herzens. Sie hielt das zwar für eine schwere Anfechtung, aber das Herz pochte dennoch für und für in seiner dunklen Kammer auf sein Recht.
In ihre Noth hinein klang das Geläut der Messe. Hülflos, trostbedürftig griff sie nach ihrem Gebetbüchlein und ging nach der Frauenkirche.
Sie lag in ihrem Betstuhl, das Gesicht in die Hände vergraben, und betete mit Inbrunst, bis die Messe vorüber war. Da hörte sie plötzlich ein Trippeln und Rauschen um sich, und als sie aufschaute, sah sie, wie der alte Pater Christophorus, der sonst nur berufen war, die im Fasching wüst gewordenen Köpfe zu waschen und zu salben, die Kanzel bestieg und gar grimmig auf die Gänge zwischen den Kirchenstühlen herabschaute, durch welche eben die Geschlechterinnen, van der Rotmundin geführt, sich entfernten. Nur Elsbeth und einige andächtige Mütterlein blieben zurück und hörten es mit an, wie er zornig auf den Predigtstuhl paukte und donnerte:
„Die Zeichen mehren sich, daß der jüngste Tag vor der Thür ist,“ sagte er. „Der Versucher geht um mit einer neuen Falle, die er klüglich unter dem Namen der Augsburger Haube versteckt. Ganz eine Schand ist’s, daß die Frauen dieses Nest, das aller Hoffart, Tücke und Eitelkeit voll ist, sich auf das Haupt setzen wollen. Denn es steigt nur deshalb hoch empor wie der St. Lorenzothurm, daß das kleinste Weib dem größten Mann gleich erscheine, was doch gegen alle göttliche Ordnung ist. Mit Perlen und Gold ist es umstarrt gleich einem Heiligenschein, und wissen wir doch, wie selten die Heiligen unter den gedankenlosen Evastöchtern sind. Auch einen Schleier hat’s, aber nicht um züchtig damit das Antlitz zu verhüllen, sondern um prängisch damit zu wedeln wie der Teufel mit seinem verfluchten Schweif. Hütet Euch! Satanas ist von Anbeginn nie so grimmig und zornig gewesen als itzo, wo das Ende der Welt bevorsteht.“
Nun ging es freilich dem guten Pater wie den meisten Bußpredigern: Die, für welche die Rüge bestimmt war, hatten sich heim begeben. Aber Einer that seine Predigt doch gut – der Elsbeth Imhofin. Sie richtete sich auf an dem Bewußtsein ihrer größren Tugendhaftigkeit. Sie hatte Recht gehabt – der Pater sagte es ja auch.
Hochgehobnen Hauptes verließ sie die Kirche. „Wenn nur der Wilhalm die Predigt gehört hätte!“ dachte sie und wagte einen Blick zu seinem Haus hinüber. Aber was sich ihr zeigte, ließ sie erstarrt still stehen mitten aus dem Herrenmarkt.
Dort auf der dicken Mauer der aufgerissnen Wand seines Hauses stand Wilhalm und schaute ganz erpicht hinüber nach dem Rotmundischen Haus, wo die Frau aus ihrem Chörlein sich bog. Elsbeth’s Herz zog sich schier zusammen. Wie war er doch so ganz anders denn der Kriegsschreiber! Wie war er schön anzuschauen! Das leicht gebräunte Antlitz vom dunklen Haar umrahmt, die kräftige Gestalt anmuthig der holden Nachbarin zugeneigt, die nach Augsburgischer Manier im Haus nur ein feines Schleiertuch um das Haupt geschlungen trug und leichtfertig vor Aller Augen im langen seidnen Schlafrock sich zeigte! O, die gottlose Spinne, die nur darauf sann, wie man die Männer berückte und vom Tugendpfad ablenkte! [539] Und – heilige Jungfrau! – was hielten Beide in den Händen? Eine fein geflochtne Schnur hatten sie über die Straße gezogen, und sie ließen dieselbe bald im Bogen herabsinken, bald zogen sie sie an und plauderten und lachten dann zusammen. War das auch eine der schönen neuen Sitten, daß sich Eheweiber mit ledigen Gesellen Brieflein über die Straße zogen? Zu was sonst konnte die Vorrichtung dienen?
Elsbeth schrak zusammen; ein Blick Wilhalm’s war zu ihr hingestreift. Aber er sah sogleich wieder weg, preßte die Lippen zusammen und machte so recht ihr zum Aerger, in der Lücke wie in einer Nische stehend, seine neue spanische Reverenz vor der Rotmundin, und diese neigte sich gegen ihn, indem sie die Hände über der Brust kreuzte. Elsbeth hatte nicht geglaubt, als sie neulich so kalt seinen Gruß aufnahm, daß man sich also über eine spanische Reverenz erbittern könne.
Und nun mußte sie zwischen Beiden durchschreiten, unter dem lachenden Antlitz der Rotmundin hinweg, die ihr so traut zunickte wie je. „Wenn mich doch die Erde verschlänge!“ wünschte sie und krampfte die Finger um den Rosenkranz. Aber wie männiglich bekannt, verfährt die Erde also nur mit denen, welchen es eine schwere Trübsal ist, verschlungen zu werden. Elsbeth mußte den Schmerzensweg gehen, und als sie das leise silberne Lachen der Rotmundin sich nachklingen hörte, flüsterte sie:
„Mein’ Sach’ ist verloren.“
Mit brechenden Knieen wandelte sie fürbaß. Was half es ihr nun, daß der grimmige Pater Christophorus ihrer Meinung war? – Da stand sie am gothischen Thürmchen. Die Heiligen seien gepriesen! Die Mutter war nicht beihanden. Elsbeth gelangte unangesprochen in ihr Gemach.
Sie legte das Gebetbuch auf den Betstuhl in der Ecke, schnappte das mächtige Thürschloß ab und sank auf die Polsterbank, die rings um das Stüblein lief. Das Haupt an die Tapezerei, mit der die Wände behangen waren, gelehnt, blieb sie lange bewegungslos. Im Vergleich mit ihren starren Zügen schaute die Maria Magdalena, die in den Wandbehang gewebt war, ganz getröstet aus, trotz ihres thränenüberströmten, in den Staub gebeugten Antlitzes.
Endlich erhob sie sich, entnahm dem mit Metallbeschlägen verzierten Schrein, in welchem sie ihre Bücher verwahrte, ihr Stammbuch und ließ sich unter dem Fenster nieder, das, hoch oben angebracht, nur ein gedämpftes Licht in das Gemach fallen ließ. Rasch wandte sie die Blätter um, die mit bunt gemalten Wappen, Namen und Wahlsprüchen bedeckt waren, bis sie an das eine kam, das sie suchte.
„Mein Herz in mir theil ich mit dir;
Brech ich’s an dir, räch’s Gott an mir!
Vergeß ich dein, so vergess’ Gott mein –
Das soll unser beider Verbindniß sein.“
So stand zu lesen. Zwar fehlte die Namensunterschrift, aber wer anders, als der bestimmte Bräutigam hätte sich so in das Stammbuch der Geschlechterin einschreiben dürfen? Die Elsbeth starrte darauf hin. Das sollte nun nicht mehr gelten? Wie war das möglich? Weil sie nichts von „zärtlicher Leidenschaft“ wußte?
Schier verzagt fragte sie sich, ob ihr Abscheu gegen den alten Kriegsschreiber nicht vielleicht auch ein Verlangen nach „zärtlicher Leidenschaft“ statt nach christlichem Ehebund sei. Da seien die Heiligen für!
Nein! die Elsbeth trug kein Verlangen nach Zärtlichkeit. Sie haßte nur noch: den Rotmund, der so blind war gegen sein treuloses Weib, die Rotmundin, diese Wurzel alles Uebels, und den Haller! Wie sie den haßte, verabscheute und verachtete! Wenn ja noch ein Gefühl in ihr für ihn sprach, so wollte sie es ersticken und erdrücken, mit glühender Zange es ausreißen und im feurigen Ofen verbrennen.
Und mit dem Stammbuchblatt wollte sie den Anfang machen. Aber da schaute die Geschrift mit den steilen Buchstaben sie so trotzig an, daß sie an Wilhalm’s Augen denken mußte, und statt des Wortes war ein rosenrothes Herz gemalt, wie junge Leute thaten. Sie vollbrachte ihr Fürhaben nicht. Sie stellte das Stammbuch wieder an seinen Platz neben den Folioband des Teuerdank und sann weiter.
Stunden vergingen. Der Abend dämmerte. Von Zeit zu Zeit klopfte die Mutter an, aber es ward nicht aufgethan. Die bewegten Zeitläufte störten die regelmäßige Hausordnung, sodaß Herr Imhof nichts gewahrte von dem Verschwinden des Töchterleins.
Es war schon dunkel, als Elsbeth vor ihrer Thür stöhnen hörte: „Heiliger Lorenzo, bitt für mich! Du hast es auf dem Rost nicht heißer gehabt denn eine Mutter, deren Tochter an einem Gebreste des Herzens leidet.“
Da öffnete sie endlich die Thür und ging mit der Mutter nach dem Wohngemach hinüber. Eine feine Röthe lag unter ihren Augen; sonst war sie blaß.
Aber sie sprach mit fester Stimme:
„Meine lieben Eltern, wollet Euch nicht fürder um mich sorgen! Zwar vermag ich nicht, wie Ihr es heischet, den alten Kriegsschreiber zum Manne zu nehmen, noch trag’ ich Verlangen nach einem andern Ehegesponsen. Auch will ich nicht dereinst, wenn Euch der allmächtige Gott abberufen hat, in ein Hinterstüblein ziehen, wie es mein Loos sein würde. Denn wenn mein Bruder mich auch lieb hat und fleißig grüßen läßt, so oft er aus Ulm schreibt, so wird er doch ein jung Weib heimbringen, und eine alternde Schwäherin ist solchem nie willkommen. Darum habe ich beschlossen und will es mir von Niemand wehren lassen, eine Klosterjungfrau zu werden.“
„Heiliges Kreuz! Donnerwetter!“ schrie Herr Imhof, „laßt mich aus mit Eurem vermaledeiten Gered! Könnt Ihr Weibsvolk je und je etwas Anderes schaffen als Euch uns quer in den Weg stellen, wenn’s gerade um Gottes willen fürbaß gehen soll? Freit! Geht in ein Kloster! Schert Euch zum Gutzgauch! Meinethalb! Aber das sag ich Euch: Vorher führt Ihr Euch beim Einzug Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit auf, wie es Patricierinnen von Nürnberg zukommt! Wenn wir vorüber ziehen, weht Ihr dem Erzherzog mit Euren Facinetlein zu! Auf dem Geschlechtertanz zieht Ihr die goldstucknen Röcke an und springt mit, jede nach Alter und Leibesbeschaffenheit – oder Ihr sollt den Imhof kennen lernen!“
Er ging zu Bett, und diesmal hatte er Ruhe vor seinem flüsternden Ehegemahl. Das weinte still in das dick aufgebauschte Kissen.
Die Elsbeth lag schlaflos in ihrer mächtigen Bettstatt. Sie schaute zu, wie der blasse Mond langsam über den Himmelsbogen hinzog, und zählte die Stunden, die von den Thürmen schallten, weithin vernehmbar in der schlafenden Stadt. Das Himmelslicht sank hinab; grauer Dämmerschein drang durch die runden Scheibchen, und ein leises Zwitschern wurde vor dem Fenster vernehmbar. Elsbeth erhob sich und schob es auf. Die frische Morgenluft wehte sie an und kühlte ihre heißen Schläfen.
Und siehe! Da war das Schwalbenpärchen wieder angelangt von seiner weiten Reise und in das alte vertraute Nest eingezogen. Die hatten doch auch fremde Länder gesehen und kehrten gern wieder bei ihr ein. Wo sie sich ansiedeln, soll es eine Braut geben, sagt das Volk.
„Ach, ihr wißt die neuste Mär von Nürnberg nit: der Wilhalm ist der Elsbeth untreu geworden,“ flüsterte sie. „Und ich habe ihn mir doch so sehr gewunschen.“
Sie schlug die Hände vor die Augen und weinte, als ob es ihr das Herz abstoßen wollte. – – –
Herr Rotmund war indessen nicht so blind gewesen, wie Elsbeth vermuthete. Er hatte das Seil gar wohl gesehen, das vom Chörlein nach Haller’s Haus lief, und er erbebte. Hatte sein reizendes Weib mit dem Nachbar ein Liebesspiel angesponnen? Als er näher trat, ließ seine Ehehälfte die Schnur hinabfallen, und drunten stand die Gürtelmagd und wickelte sie auf. Frau Rotmundin aber würdigte ihn keiner Erklärung.
Er bezwang sich, trat an’s Fenster und fragte Herrn Haller nach dem Zweck der hänfenen Verbindungsbrücke. Der aber sagte leichthin, es solle ein Schmuck auf neue Manier werden. Herr Rotmund griff unwillkürlich nach seinem Haupt, auf dem er schon den neuen Schmuck zu verspüren glaubte.
„Wollt Ihr die zerschundne Wand, die klaffende Lücke damit verbergen?“ fragte er grinsend vor Wuth.
„Ich schmücke mein Haus mit Teppichen, wie es im Lande Italia Brauch ist,“ erwiderte Haller, „und die Lücke soll ein Gemälde füllen.“
Er zog sich zurück.
Herr Rotmund eilte in sein Haus. Er lockte wie ein zärtlicher Tauber, aber sein Weib war verschwunden.
Jeder hilft sich in seinem Liebesleid, so gut er kann. Die altfränkische Elsbeth hatte das Kloster zu ihrer Trösteinsamkeit [540] erkiest und barg derweilen hinter Schloß und Riegel ihren Schmerz. Herr Rotmund hinwieder gedachte seine Zuflucht zu Schuster und Schneider zu nehmen. Er sah an seiner stattlichen Gestalt herab; sie vermochte sich gar wohl mit Wilhalm’s Länge zu messen, und wenn nur erst der scharlachne Rock mit den weißen Atlaspuffen ihn zierte, mußten seinem Weibe die Augen aufgehen. Stracks schritt er zur Ausführung seines Fürhabens und begab sich zuerst in die Werkstatt von Hans Sachs.
„Macht mir die Stiefel so hoch es angeht!“ sagte er zu dem sangeskundigen Meister, „das giebt ein mannhaftes Ansehen. Und daß mir die Quästlein lustig fliegen beim Reiten und beim Schreiten die Rädlein kräftig schnurren!“
Er richtete sich stolz auf.
Aber Hans Sachs lächelte unmerklich in seinen lockigen Bart hinein. Mit dem Seherblick des Dichters errieth er, was hinter der glatten Stirn des Rathsherrn für Gedanken sich bewegten: daß der hübsche Mann dräuend ausschauen wollte, damit sich sein aufstutziges Weiblein vor ihm fürchtete.
„Reich mir einmal den Schuh der Frau Rotmundin her!“ rief er einem Lehrling zu. „Nein, nicht den mit dem Röslein darauf. Der ist für die Elsbeth Imhofin bestimmt. Frau Rotmundin wählte nit ein solch alltägliches Symbolum. Auch nicht den großen mit dem gestickten Namenszug; er gehört der Stadtschultheißin. – Das ist er. Was meint Ihr, Herr Rotmund, wird er Eurer Eheliebsten gefallen?“
Er hielt ihm den Schuh hin. Er war der schmalste von allen und hatte die höchsten Hacken. Oben darauf war eine güldne Flamme gestickt; die sah so spitz und zierlich aus, daß sie Herrn Rotmund an das Zünglein seiner schönen Frau gemahnte.
Er wurde kleinmüthig und meinte:
„Wollet selbst mit meinem Ehegemahl Rücksprache nehmen! Ich wage kein Wort in einer so heiklen Sache zu sprechen. Ihr wißt, Meister, die Stürze! O! das ist ein Kreuz!“
Er drückte sich zur Thür hinaus, und hinter ihm erhob sich ein Gelächter, in das selbst der kleinste Schusterjunge einstimmte, der die Pechpfannen hin- und herschleppte.
Dann nahm der Meister den Pfriemen wieder zur Hand und sang dazu:
„Wenn um die Haub’ ein Krieg entbrennt,
Das Weibsvolk auf das Rathhaus rennt,
Schultheiß und Rath den Kopf sich hält,
Dann unter der Haub’ das Beste fehlt.
Nehmt’s schwankweis auf! Kein Schad’ erwachs
Der Stadt daraus! Dies wünscht Hans Sachs.“
Die Gesellen sangen’s nach, und die Leute blieben draußen stehen und suchten die neuen Reime aufzufangen und sangen sie weiter.
Auch die Rotmundin hörte das Liedlein, als sie mit ihrer vertrauten Magd vorüberschritt, und sie murmelte:
„Spottet nur! Wir wollen Euch schon zeigen, daß unter der Haub’ das Beste nicht fehlt: ein Sinn klug wie die Schlange und ein Gesichtlein sanft wie die Taube.“
Sie schritt nach der Gasse, in der Veit Stoß wohnte. Der künstliche Bildschnitzer saß in seiner Werkstatt und genoß bei Meth und Nüssen die Feierstunde. Als er das Rauschen eines schweren seidenen Gewandes über die Steinfliesen vernahm, sprang er auf und knöpfte den mit Pelz und Quasten verbrämten Hausrock zu. Seine schwarzen Augen hafteten fragend an dem verhüllenden Sturz.
Frau Rotmundin lüftete den dichten Schleier und lächelte, als es in den dunklen Augensternen des Bildschnitzers bei ihrem Anblick feurig aufleuchtete.
„Was habt Ihr zu gebieten, hohe Frau?“ fragte er in gebrochnem Deutsch, das den Polen verrieth.
„Nur zu bitten hat die Frau Rotmundin den berühmten Meister,“ sagte sie süß und machte ein hübsches Neigerl. „Aber es muß Geheimniß bleiben zwischen Euch und mir.“
Meister Veit drückte seine Finger betheuernd auf die schwarzbärtigen Lippen.
„Ich will mit meinem Nachbar, Herrn Haller, ein Feston in welscher Manier über die Straße machen, wenn der Ferdinandus einzieht. In der Mitte soll der kaiserliche Adler schweben und einen Kranz halten. Aber wo soll ich den Vogel finden? Der Schreiner schnitzt höchstens einen Storch, aber nicht den Herrn der gefiederten Heerschaaren. Das kann nur der Meister Stoß. Thätet Ihr wohl einer unberühmten kleinen Frau die Liebe?“
„Alles, was Ihr wollt, schönste Frau!“ sagte der Meister und klappte ritterlich mit den rothen Absätzen zusammen.
„Aber Herr Rotmund darf es nicht wissen, beileibe nit,“ sagte sie furchtsam. „Der will nichts Neues.“
„Ah!“ machte lächelnd Veit. „Strebt Ihr auch nach der neuen Haube? Wozu begehrt Ihr andern Schmuck als den natürlichen, den Euch Gott so herrlich verliehen hat?“ Er warf einen glühenden Blick auf die weiße Stirn, über die eine volle lichtbraune Locke sich schob.
Sie hielt seinen Augen lächelnd still. „Haare hat selbst die Bettelmagd,“ schmollte sie lieblich, „aber eine Haube kann nicht Jede haben.“
„Einen Bettlerschmuck nennt Ihr dieses herrliche Gelock!“ brauste Veit Stoß auf. „Schaut meine Jungfrau Maria an im Rosenkranz von St. Lorenzo! Nur die eignen langen Haarwellen umfließen sie.“
„Fern sei es von mir, mein schwaches Fleisch neben die erhabne Himmelskönigin zu stellen!“ wehrte die Rotmundin ab. „Aber die allerseligste Jungfrau verschmäht doch auch nicht, zum Oeftern den strahlenden Heiligenschein zu tragen. Und wie reich ist der mit Perlen und Edelgestein besetzt!“ stellte sie ihm, zutraulich in seine Augen blickend, vor. „Seid gut, Meister Veit, und laßt uns armen Frauen die kleine Freud’! Und ich bekomme meinen Adler – nit wahr? Und Ihr sagt’s nimmer dem Rotmund, daß ich da gewesen bin – nit wahr? Das ist Geheimniß zwischen uns – gelt?“
Sie blinkte ihm so bedeutungsvoll zu, daß Meister Stoß einwilligend sich geneigt und sie wieder zur Thür geleitet hatte, ohne recht zu wissen, was er that. Und seine Blicke folgten ihr, wie sie zierlich über die Schrittsteine wandelte, ihren Schanz sorgfältig vor dem Staub und Schmutz der Straße hütend, bis sie hinter den hölzernen Laubengängen verschwunden war.
[553] Kaum hatte sich die Rotmundin entfernt, so kam in Meister Stoß der Künstler wieder zu seinem Recht. „Wozu strebt man nun nach dem wahrhaft Schönen?“ fragte er sich zornig. „Geht das Sinnen und Trachten der Menschen nicht immer dahin, zu verunstalten, was unser Herrgott schön gemacht hat? Da zieren sie einmal mit Schnäbeln und Ohren, die an den Kopf gehören, ihre Fußbekleidung, und ein andermal begehren sie, ihren Haarschmuck unter einem Thurm zu begraben. Aber ich will sie mit der Nase auf die wahrhaftige Schönheit stoßen.“
Er faßte einen fast vollendeten Engel scharf in’s Auge. Hoch bäumten sich die Locken desselben über dem reizenden Gesicht; die Flügel waren gefaltet wie bei einer ruhenden Taube; die Hände hob er anmuthig empor und schien so Ruhe zu erbitten, wie es seiner Bestimmung als Schmuck eines Kanzelfußes entsprach; ein langes Gewand flatterte ihm bis zu den Füßen herab, deren feine Zehenspitzen unter den knittrigen Falten des Saumes hervorsahen.
Meister Stoß begann mit emsiger Hand an dem Antlitz zu schnitzen und kicherte in sich hinein, als auf Wangen und Kinn sich Grübchen vertieften. – – –
Während so Jedermann bemüht war, Neues zu schaffen, hatte Wilhalm Haller sich bisher nur mit Einreißen beschäftigt. In seinem Hause wurde das Unterste zu oberst gekehrt. Alles Alte mußte ihm aus den Augen gebracht werden, und er war sichtlich darauf aus, von seinem Thun möglichst viel Gerede in der Stadt zu erregen. Besonders wenn die Elsbeth ihm einmal begegnet war, vom Sturz verhüllt und die Augen tief gesenkt, daß sie ihn nicht anzuschauen brauchte, schickte er gewiß am selbigen Tage ein altes schönes Stück Hausrath in die Verbannung auf den dunklen Hausboden.
Aber der Tag des Einzugs rückte näher, und auch er mußte für die Verhüllung und Ausschmückung seines zerklüfteten Hauses sorgen. Er begab sich nach der Cistelgasse und trat dort in Albrecht Dürer’s Haus ein. Beinahe wäre er wieder hinausgekehrt worden; denn Frau Agnes Dürerin, die heute ihren scharfen Tag hatte, wirthschaftete mit dem Besen umher und keifte mit einem Lehrjungen, der beim Reinigen der Malermuscheln die Hausdiele beschmutzt hatte.
„Das ist auch eine Frau, der nichts höher steht als Besen und Kochtopf,“ dachte Wilhalm verächtlich und folgte dem vorausschleichenden Lehrling in die Werkstatt des Malers.
Hier herrschte eifrige Arbeit. Der Meister mit dem sanften Gesicht und dem langen Haar stand vor einer großen aufgespannten Leinwand und malte an einem Madonnenbilde. Vor ihm saß auf einem Thronsessel ein Weib, das einen kleinen Buben im Hemd auf dem Arm hielt; der schwenkte ein Fähnlein in seiner dicken Hand und stellte den Heiland dar.
Es waren auch noch mehr Gäste da. Der Erzgießer, Meister Peter Vischer, wandte dem Eintretenden sein Antlitz zu, von dem ein langer Bart herabfloß, und bei dem Zeichenbrette des einen der Schüler, die an den großen Fenstern saßen, stand ein Mann, dem ein Kräuterbündel aus dem Zwillichwams hing. Der junge Patricier wurde mit Ehrerbietung begrüßt.
Er benahm sich, wie er es im Lande Italia gelernt hatte, drückte dem Meister die Hand, stand voll Bewunderung vor der thronenden heiligen Jungfrau Dürer’s, betrachtete den Entwurf zur Krönung der Maria, die das Domcapitel in Erfurt bei Peter Vischer bestellt hatte, und über welchen dieser mit Dürer sich berieth, und prüfte den Engelkranz, den des Malers Schüler Altdorfer malte. Dann nahm er auf dem dargebotnen Lehnstuhl Platz.
„Ich wünsche,“ sagte er, „ein Bild gemalt zu haben, so die Lücke in meinem Haus künstlich verhüllt. Es soll darauf der Götterbote Mercurius also dargestellt sein, wie er der Stadt Nürnberg die Botschaft bringt von dem Nahen seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit, und die Göttin Fama, wie sie sein Lob posaunend in ein Horn stößt, auf daß den fremden Gästen klar werde, auch in Nürnberg lebe Kenntniß der griechischen und römischen Abgötter und nicht Jedermann allhier verschließe sich starrköpfig den Segnungen neuer fürnehmer Bräuche.“
Er sprach trotzig und herausfordernd, wie jetzt immer. War ihm doch allzeit kampflustig zu Muthe!
Aber es wunderte sich Niemand darüber. Der Streit um den Sturz war allgemein bekannt, und über die Gesichter aller Anwesenden glitt ein Lächeln, welches bewies, daß seine Andeutung darauf bezogen worden war.
„Die armen Weiblein!“ flüsterte es hinter den Staffeleien der Schüler.
Albrecht Dürer rückte sein schwarzes Barett zurück, schüttelte den Kopf und sprach:
„Warum erheben die Frauen ihre Stimme, um an die Stelle einer häßlichen Hülle eine andre unschöne Form zu setzen?“
„Du damischer Ding!“ ertönte aus dem Flur herauf die Stimme der Rechenmeisterin, wie Herr Albrecht sein Ehegespons nannte. Dann stolperte ein zweiter Lehrling mit einem Oelkrug, aus dem er etwas verschüttet hatte, über die Schwelle.
[554] „Ja, warum erheben die Frauen ihre Stimmen?“ lächelte Altdorfer. „Dieweil die meisten mehr einem Drachen denn einer heiligen Jungfrau gleichen.“
Die Andern lachten, aber Herr Albrecht nickte und erwiderte:
„Du hast Recht, mein Sohn.“ Und dabei malte er an dem Madonnenbilde auf seiner Staffelei einen feinen Pinselstrich, wodurch der Blick ihrer blauen Augen noch sanfter wurde.
[WS 1]Da öffnete sich die Thür, und die Dürerin schaute selbst herein.
„Es sind zwei Frauen draußen,“ rief sie, „in Sturz und Brokatrock, die mit Euch reden wollen. Ihr habt doch keine Bilder hier, die ihren Augen anstößig sein möchten? Denn ich meine, es sind die Imhofischen.“
„Laß sie eintreten!“ sagte Herr Albrecht mild.
Aber Wilhalm war aufgesprungen; seine Augenbrauen hatten sich finster zusammengezogen.
„Wenn auch Eure Bilder sie nicht verscheuchen so ist ihnen vielleicht mein Anblick widerwärtig. Laßt mich hinter die Leinwand schlüpfen!“
Kaum hatte er sich verborgen, da traten die Frauen ein.
Herr Albrecht nahm das Barett vor ihnen ab. Sie neigten das Haupt zum Gegengruß, und Elsbeth sprach:
„Wir kommen, um eine Bestellung bei Euch zu machen, Herr Dürer. Wollt Ihr mich abconterfeien? Ich möcht, daß ein Bild von mir in dem Gange aufgehängt werde, wo die Imhofinnen alle von der Wand blicken, bevor ich aus dem Hause scheide; denn ich gedenke in ein Kloster zu gehen.“
Da war es, als wenn leise Einer mit dem Absatz aufträte, wie in schwer bezähmter Ungeduld.
Herr Dürer war es nicht; der sah in Elsbeth’s Augen und fragte:
„Ihr sollt in’s Kloster gehen?“
„Es zwingt sie Keiner,“ fiel die alte Imhofin ein. „Sie folgt ihrem eignen Entschluß. Und sie wird auch nicht früher in dasselbe eintreten, bis sie bei den Festen, so uns bevorstehen, noch einmal weltliche Luft gekostet hat.“
„Wie wollt Ihr gemalt sein?“ wandte Dürer sich an Elsbeth.
„In Sturz und Kirchenrock!“
„Im Sturz?“ fragte Herr Dürer verwundert, und es ging ein Gemurmel durch die Reihen der Schüler, das ein Echo hinter der Leinwand hervorrief.
„Warum wollt Ihr Euch also verunstalten?“ fragte der Meister und forschte durch den Schleier, ob er vielleicht dahinter ein abstoßendes Antlitz entdecke.
„Aber Meister!“ seufzte die alte Imhofin kummervoll. „Stimmt Ihr vielleicht auch für die Augsburgische Haube?“
Dürer schüttelte den Kopf.
„Die aufstutzige Haube strebt ebenso gegen die Gesetze der Schönheit wie Euer Sturz. Wollet Ihr nicht das Schleiertuch wählen? Es verwahrt das Haupt auf natürliche Weise und verleiht ein madonnenhaftes Ansehen.“
Elsbeth's Augen blickten finster.
„So kleidet sich keine ehrsame Jungfrau,“ sagte sie.
„Hätte der Antwort gewärtig sein können,“ meinte Dürer. „Wir Maler sind übel daran in dieser guten Stadt. Ihre Thore sind so fest, ihre Mauern so hoch, daß das Neue nicht herein, das Alte nicht hinaus kann. Woher sollen wir da schöne Vorbilder nehmen? Der Tizian hat’s doch leichter. Der sieht die Frauen im Schmuck lichter Schleier und mit Perlenschnüren im Haar.“
„O schweigt von den welschen Frauen!“ rief Elsbeth entrüstet. „Sie sind aller Eitelkeit voll.“
„Weiß nit, warum den Frauen versagt sein soll, ihr Haupt nach eigenem Gefallen zu schmücken,“ bemerkte der junge Mann mit dem Kräuterbündel, der dem zeichnenden Schüler neben ihm allerhand Blattwerk und Blumen als Muster hinlegte. „Wäre es Sünde, sich herauszuputzen, alsdann würde unser Herrgott den Pflänzlein nicht so mancherhand wunderlichen Schmuck angehangen haben.“
„Der Herr Hieronymus Bock vertheidigt den Putz,“ sagte David Kandel, der Zeichner, „und trägt doch selbst das Zwillichwams und den Bundschuh des Bauern, statt des schwarzen Rockes der gelehrten Herren.“
„Also ziemt es sich für den Wurzelgräber,“ lächelte der Botaniker, welcher unter dem Namen Tragus später zu hohem Ruhme kam.
„Wenn Ihr gelehrt seid,“ fragte Elsbeth fast rauh, „wie könnt Ihr eine solche Schwachheit entschuldigen?“
Hieronymus Bock sah sie freundlich an.
„Nennt Ihr die Freude am Schönen eine Schwachheit? Ich habe oft darüber nachgesonnen, wenn ich auf meiner arbeitsseligen Pflanzenfahrt durch das rauhe Wasgau streifte, wie doch Alles, was Menschenhände machen, so wunderbarlich vorgebildet ist in der Natur. Trägt nit die Goldwurz, die in den hohen Wäldern wächst, ein Gebände, wie der schlimme Türke es um sein Haupt schlingt? Nennen wir nit die Wolfswurz auch Eisenhütlein, weil sie eine blaue Haube hat, gleich unsren Rittern beim Turnei? Setzt der Fliegenschwamm nit einen rothen Hut auf, wie die Cardinäle in Rom? Zieht der Rittersporn nit Schnabelschuhe an? Und der Goldstern, den da mein lieber Gesell so einfältig schlecht und wahrhaftig hinzeichnet, gleicht er nit den feinen Goldröslein, mit welchen die holdseligen Frauen ihre Mieder verzieren? Wenn der allmächtige Gott so große Freude an der Zier hat, warum sollen’s nit die jungen Mägde auch haben, die er schuf, so recht sich und uns allen zur Augenweide?“
„Darf die Jugend nicht auch anmuthig seine“ pflichtete Dürer bei. „Wenn wir ein absonderlich schönes Weibsbild sehen, so malen wir es als liebe Gottesmutter. Wir schaffen die Englein schön und die Teufel häßlich.“
Elsbeth wußte nicht, was sie entgegnen sollte. Auch die künstlichen Meister hier sprachen Alle wie der Haller, und selbst der gelehrte Herr stimmte ihm zu. Traurig sinnend schlug sie die Augen empor; ihre Seele war weit weg bei dem Streite mit dem ungetreuen Verlobten.
„Euren Augen nach müßtet Ihr eine schöne heilige Jungfrau geben,“ sprach Meister Dürer und legte ihr den Buben mit dem Fähnlein in den Arm.
Sie beugte sich freundlich zu ihm nieder. Er sah sie erst starr an; dann jauchzte er auf und faßte in die Schleier des Sturzes. Sie sanken herab.
Und da rollte plötzlich über Hals und Schultern bis zu den Knieen schweres Goldhaar nieder. Sie stand erschrocken, und Frau Imhof zog die Stirn kraus in ernstem Tadel.
Aber die Schüler fuhren von ihren Sitzen auf, bildeten einen Kreis um sie herum, und ein Ausruf der Bewunderung ging durch die Werkstatt. Auch der junge Altdorfer verließ seine emsig durch die Luft rudernde Engelschaar, an der er malte, und drängte sich Allen voran. Schier verzückt schaute er auf die goldnen Wellen, und dann blieb sein Auge mit dem seltsamen durchdringenden Blick, den nur die Maler haben, an dem purpurnen Munde haften, der herbe wie in unterdrücktem Schmerz an den Winkeln leicht sich senkte.
Elsbeth wandte sich verlegen von ihm hinweg. Zugleich polterte es hinter der Leinwand, und – plötzlich trat Wilhalm mit zornigem Gesicht zwischen Altdorfer und sie.
Ueber ihr Antlitz zuckte eine hohe Gluth.
„Warum verbergt Ihr uns, daß Ihr Gäste habt, Herr Dürer?“ fragte Elsbeth diesen vorwurfsvoll, indem sie das Kind vom Arme ließ.
Und während Alle sie sprachlos anstarrten, bemühte sie sich, ihr Haar wieder zu bergen, aber es war zu stark und lang. Die Mutter trug Handschuhe und über diesen noch Ringe, sodaß sie sich ungeschickt im Helfen erwies. Elsbeth vermachte das Gebände nur lose um den Kopf zu schlingen.
Der Wilhalm aber vergaß diesmal seine spanische Reverenz, weil er sie immer anschauen mußte.
„Wenn i nur wüßt’,“ rief die Imhofin, „wo Ihr gesteckt habt, daß wir Euch nicht gewahrten!“
„O, mit solchen Praktiken,“ sprach Elsbeth bitter, „ist Herr Haller wohl vertraut. Heimlich Spiel, so Niemand erfahren darf, versteht er meisterlich.“
„Eure Zunge ist scharf,“ antwortete Wilhalm. „Ein sanftes Wort möchte einer Jungfrau bester anstehen. Ich verbarg mich, weil ich wohl weiß, daß Ihr mir nicht gern begegnet, und ich kam hervor, um Euch zu sagen“ – er stockte, weil sie ihn stolz anschaute; dann fuhr er trotzig fort: – „daß Ihr eine Thörin seid, so Ihr noch fürder den Sturz tragt.“
„Fast möcht’ ich Euch Recht geben,“ sagte die Imhofin. „Wenn i nur wüßt’, ob es anging! Gern schlöss’ auch ich mich der Rotmundischen Rotte an.“ [555] „Laßt mich’s vermitteln!“ erbot Wilhalm sich eifrig.
Da richtete sich Elsbeth jäh auf.
„Nimmermehr! Leichtfertige Frauen mögen sich putzen! Mein Gewand ist die Zucht, mein Mantel die Ehre; ich verlange keine andere Zier.“ Sie neigte das Haupt und schritt zur Thür.
Haller zog die Augenbrauen zusammen. Er vertrat ihr den Weg.
„Laßt mich Euch geleiten!“ sprach er. „Es ist dunkel geworden, und der Gedrang in den Straßen ist jetzt groß.“
„Mich schützt der Sturz besser denn Ihr,“ erwiderte Elsbeth mit gedämpfter Stimme. „Wie wolltet Ihr Andern die Ehre wahren, da Ihr doch die eigne hintansetzt um einer verbotnen zärtlichen Leidenschaft willen.“
Haller horchte auf. Dann flüsterte er:
„Ihr thut mir Unrecht.“
Sie sah ihn über die Schulter an.
„Ihr verschmäht auch die Lüge nicht.“
„Treibt’s nicht zu weit,“ fuhr er auf, „daß nicht die Stunde kommen möge, wo Ihr in bittrer Reue den Wilhalm Haller zu Eurem Beistand herbeisehnt!“
„Wenn Ihr nur dann beihanden seid,“ hauchte sie in düstrem Spott, „und Euch nicht etwa versteckt wie heut’!“
Er ballte die Faust und wandte ihr zornig den Rücken. Die Frauen schritten hinaus. Die Künstler aber blickten dem schönen Mädchen bewundernd nach.
„Sie glich einer Himmelskönigin im Strahlenkranz,“ sprach Peter Vischer.
„Und um den Mund,“ rief Altdorfer, „lag es wie eine stille Klage.“
„Ihre zwo Aeuglein,“ sagte Hieronymus Bock, „schauten aus wie die Blüthen des Kräutleins Wegewart, von dem ein Märlein sagt, es sei eine verwunschne Jungfrau, die ihres Geliebten am Kreuzweg harre. In jedem Jahrhundert einmal verwandelt sie sich, um auszuspähen, ob der Ungetreue noch nit heimkehrt.“
Der Dürer aber sprach sinnend:
„Nicht als Heilige und nicht als verwünschte Jungfrau möchte ich sie malen und beileibe nicht als Nonne, sondern als eine tapfre schöne Hausehre mit dem Schlüsselbund an der Seite.“
Da stürmte Wilham ohne Gruß zur Thür hinaus und rannte in das Menschengetümmel auf den Straßen hinein, als müsse er etwas Entflohenes einholen.
Aber verschmähtes Glück hat flüchtige Sohlen; ein ganzes Menschenleben reicht oft nicht aus, es wieder einzufangen. Der Wilhalm gewahrte nirgends die einstige goldhaarige Braut.
Hingegen rannte er einen Perlenmacher über den Haufen, daß die Schachteln und Beutel durch einander rollten. Der Mann schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und verkündete zeternd, daß nunmehro der Einzug nicht von Statten gehen könne, dieweil er nicht mehr vermöge, den schwarzen Atlasrock der Schultheißen gänzlich mit Perlen zu besticken. Wilhalm brachte den Mann mit einer Hand voll Weißgroschen zur Ruhe. Etwas abgekühlt schritt er ruhiger fürbaß.
Also sie hatte ihn in einem unehrbaren Verdacht? Sie glaubte, er, der Wilhalm Haller, habe ein frevles Liebesspiel mit einer Ehefrau eingefädelt? So gering schätzte sie ihn? Und sie wollte in ein Kloster gehen, aber vorher noch weltliche Luft kosten? Er lachte höhnisch. Das kannte er. Das Kloster sollte der letzte Nothbehelf sein. Zuvor gedachten die Eltern zu versuchen, ob sie nicht einen Herrn aus dem Gefolge des Erzherzogs für ihre schöne Tochter fischten.
Ja, schön ausschauen konnte sie. Diese Gerechtigkeit ließ er ihr widerfahren und gestand sich offenherzig ein, daß er das früher nie vermuthet hatte. Aber sie sah sonst auch nie so aus. Was mußte nur in sie gefahren sein, daß sie so verwandelt erschien? O, wenn sie den fremden Gästen entgegentrat wie heut ihm, dann widerstand ihr Keiner. Dann kam sie vielleicht nach Venezia und verdunkelte mit ihren goldnen Haarwecken die röthlich schimmernden Flechten der schönen Tochter des Tizian.
Schon wieder stürmte er dahin. Ein „Auweh!“ erscholl, und ein Schneiderjunge lag unter einem Haufen von seidnen und sammetnen Puffen in der Gasse.
„O das kunstvoll verhauene Wams! Was hat es für Mühe gemacht! Rock und Hose auf einer Seite ganz grün, auf der andern weiß, gelb und roth getheilt! Was wird Herr Imhof sagen?“
Wilhalm erschrak. Mußte ihn sein Schicksal immer den Imhof’s feindselig gegenüber stellen? Er half mit eignen Händen das Gewandzeug wieder in den Korb packen, und es fiel ihm in seiner Sorge nicht einmal ein, die Nase über die veraltete getheilte Tracht zu rümpfen.
Dann wandelte er weiter. Was war es doch gewesen, woran er eben gedacht hatte, und was ihm die Brust einklemmte, daß er nicht frei athmen konnte? Richtig! Die Elsbeth als Ehegemahl eines welschen Herrn, von Tizian gemalt und berühmt vor aller Welt ihrer Schönheit halber. Nein, da war es doch besser, das Goldhaar fiel unter der Scheere; sie barg im Nonnenschleier ihr Antlitz und weinte sich die Wegwartenäuglein in einsamer Zelle roth, daß sie dem Wilhalm so schwer Unrecht gethan hatte durch ihren Verdacht. Dann war es freilich zu spät für sie, wenn sie etwa noch eine zärtliche Leidenschaft für den einstigen Bräutigam faßte, den sie so hart von sich gestoßen hatte. Aber besser späte Einsicht als gar keine!
Er seufzte tief auf, und es war ein herber frischer Duft, den er dabei in seine beklommene Brust einsog.
Die ganze Stadt duftete wie ein Maienwald; überall saßen die Leute unter den Laubengängen und wanden Kränze; Karren mit Fichten und Birken fuhren durch die Straßen. Das deutsche Volk kennt nichts Schöneres als seine uralte Heimath, den Wald. Wenn es freudig bewegt ist, trägt es ihn herein in die festen Städte und haust für eine kurze fröhliche Zeit unter den geliebten grünen Bäumen. Auch aus Wilhalm’s Seele wich bei dem Duft der heimathlichen Wälder das Gedenken an welsches Gepränge. Die spinnende Dämmerung, der weiche Abendwind stimmten ihn sanfter. Das Gewissen regte sich in ihm.
Hatte er nicht auch ihrer ledig sein wollen? O nein, er wußte es jetzt ganz genau: nur umbilden wollte er sie, damit sie sei, wie er es von seiner Ehefrau wünschte. Aber hatte er nicht ihren Verdacht absichtlich genährt? Ja, um zu prüfen, ob er ihr wirklich so gleichgültig sei.
Vielleicht kam doch in der Zukunft das Stündlein, da er ihr das Alles sagen konnte. Das Mißverständniß, die Rotmundin betreffend, mußte sich bald lösen. Der Einzug brachte alles an den Tag, auch die Ursache der hänfnen Verbindungsbrücke. Dann aber – dann?
Wie ihm das Herz klopfte! Welche Bilder vor ihm aufstiegen! Vor allem ein trauliches Heim mit einer tapfren Hausehre, wie der Dürer sagte, die ihre Schönheit züchtig für den Eheherrn hütete.
Da stand er vor seinem Hause, das ihn zerklüftet und zerborsten angähnte. Seufzend ließ er die Ballen und Kisten, die er aus Italien geschickt hatte, auspacken und die Mauern und Lücken mit so prächtigen Tapezereien behängen, daß bald ganz Nürnberg davon sprach. Man sagte auch auf Märkten und Gassen, daß der Altdorfer für das Gemälde, welches doch nur für den einzigen Tag dienen sollte, weit über die geforderte Summe hinaus von dem Haller bezahlt worden war.
Von außen war sein Haus schön anzuschauen wie die Paläste in Welschland, aber innen sah es um so trostloser aus. Als er die alten Schreine, Tische und Bänke von Fußboden und Wand, wo sie früherem Brauch gemäß befestigt waren, hatte abreißen und aus den Gemächern schaffen lassen, als seine aus Italien mitgebrachten Geräthe ausgepackt worden waren, hatte das Ingesinde alles durch einander gesetzt. Neben der riesigen mit geschnitzten Engelsköpfchen verzierten Brauttruhe seiner Mutter selig standen auf hohen, schlanken Beinen ein Marmortischchen; auf der alten braunen Eichenholztafel prangten kostbare Majolikaschalen, und an dem urväterlichen Schrein, der mit Rosen bemalt war, lehnte ein herrliches Gemälde von Tizian.
Ja, es herrschte eine große Unordnung im Haller’schen Hause; das zeigte sich auch am Vorabend des Einzugs, als Herr Wilhalm die Rüstung auspacken wollte, die er aus Mailand mitgebracht hatte, und den Panzer des Pferdes, auf dem der Amazonenkrieg aus funkelndem Erz und edlem Metall abgebildet war – die Kiste war nirgends zu finden und fand sich erst nach langem Suchen im Holzstadel. Während Wilhalm schier in Verzweiflung treppauf, treppab rannte, fielen ihm Elsbeth’s Worte ein: „Es muß jedes Ding in der Reih bleiben, so ein Hauswesen [556] bestehen soll.“ Ja, wenn sie jetzt da wäre und mit ihrem Schlüsselbund jede Sache an den ihr gebührenden Platz läutete! Er gedachte auch daran, daß er sie einst hausbacken, trocken, derb und schlicht genannt hatte, wie das liebe Brod. Sie war auch so: man schätzte sie erst, wenn sie fehlte. – – –
Durch das in sanften Wellenlinien sich dehnende Land, welches Nürnberg umgiebt, ringelte sich am andern Morgen ein glänzender Zug gleich einer schillernden Schlange heran. Trompeter ritten voraus und bliesen für und für auf ihren blinkenden Instrumenten, von denen Fähnchen in den spanischen Farben, roth und gelb, herabflatterten. Dann folgten hoch zu Roß Fürsten in hermelinbesetzten Mänteln und Würdenträger der Kirche. Zur Seite hielten sich Edelknaben, in die Farben ihrer Herren gekleidet, und den Nachtrab bildeten bärtige Reisige, Falkoniere mit Jagdvögeln, Diener auf schlechten Gäulen und roth geschirrte mit Gepäck beladene Maulthiere.
Einen Schritt den vornehmen Herren voraus ritt auf einem braunen Hengst ein schlanker Jüngling in eng anliegender schwarzer spanischer Tracht. Unter seinem spitzen Hut kräuselten sich dunkle Locken, und ein flaumiges Bärtlein zierte die vollen Lippen; in der Hand trug er ein weißes Stäblein. Es war der Erzherzog Ferdinand.
Dicht hinter ihm folgte auf einem Fuchs ein hoch gewachsener Mann mit graulockigem Bart, dessen traurige Augen gar seltsam abstachen gegen sein lustiges Kleid, das mit scharlachnen und gelben Zungen benäht war.
„Ein wonniglicher Tag!“ rief ein junger Domherr, dem die brokatne Kappe bis auf den Sattel hing. „Der blaue Himmel lacht, die grüne Au glitzert von Thautropfen, und die Lerchen jubiliren wie die bestellte Cantorei des Feldes.“
„Es ist ein Wunder,“ erwiderte spöttisch der Mann mit dem graulockigen Bart. „Eigentlich soll es unflätig Wetter geben, wenn die Geistlichkeit ausrückt, sagt das Volk.“
Der dicke Herzog von Baiern lachte laut. Dann richtete er sich auf seinem standhaften Pferde aus und sprach:
„Nit nur der Tag, auch das Land ist halt schön, und sollte selbiges von Rechtswegen zu unsrem Baiernlande gehören, dieweil es ein ebenso gesegnet Stück Erde ist. Schaut nur, wie weithin sich die Hopfengärten strecken! Gleichen sie nit, mannlich und wehrhaft wie sie sind, lanzenstarrenden Söldnerschaaren?“
„Sind ein rechtes Symbolum für Euch,“ lachte der Graubärtige. „Denn das Gebräu, so mit dem Hopfen gewürzet wird, ist Euer liebstes Gewaffen, mit dem Ihr Euch gegenseitig gern unter den Tisch strecket.“
Die Herren lachten. Der dicke Herzog aber antwortete:
„Ihr lacht meiner, scheint’s, weil wir Baiern tapfren Trunk und gute Mahlzeit nimmer verachten. Aber was kommt beim Kasteien heraus? Schaut hinüber nach dem Hungerlande, dem Sachsen! Beim heiligen Joseph, dem Nährvater Christi, sie kämen dort nit auf so rebellische ketzerische Gedanken, wenn sie was Rechts im Leibe hätten.“
Der Graubärtige nickte und sagte:
„Hörte neulich einen gelahrten Mann, der aus dem Sachsenlande kam, sagen, Eure Köpfe hätten für ketzerische Gedanken nicht Raum, weil sie eines andern stets voll wären.“
„Den, wenn i wüßt!“ brauste der Herzog auf, aber ein Blick des Erzherzogs wies ihn zur Ruhe.
Näher und näher kamen sie der Stadt; weit dehnten sich die hohen Ringmauern mit den von Zinnen gekrönten Thoren aus; höher und höher stiegen die Spitzen von St. Lorenzo und St. Sebaldus empor, umgeben von einem Wald von Kirchthürmen, überragt von der wehrhaften Veste.
„Welch herrliche Stadt!“ rief der Erzherzog.
„Was ist's weiter!“ spottete der Graubärtige und rieb sich wie von der Sonne geblendet die Augen. „Es ist eine Handvoll Thurmsamen aufgegangen.“
„Kannst Du mir das Handelsschild nennen, wo man ihn kauft, lustiger Rath?“ fragte ihn der Pfalzgraf Ott Heinz. „Möchte mir auch eine Düte voll solchen Samens mitnehmen. Es würde meinem Schloß in Heidelberg stattlich stehen.“
„Das alte Schild,“ erwiderte der Andere, „das die Thürme sprießen ließ, hat sein Geschäft einstellen müssen Es hieß: ,Zum frommen Glauben‘.“
„Es wird wieder aufblühen,“ sagte der Erzbischof von Mainz. „Der Mönch von Wittenberg ist in Worms unterlegen. Selbst der Kurfürst Friedrich von Sachsen, der allzeit die Hand über ihn hielt, hat gesagt: ,Der Martinus muß in's Elend.‘“
„Und er hat hinzugefügt: ‚doch steht der Ausgang bei Gott,‘“ erwiderte der lustige Rath. „Der Sachse läßt stets eine Hinterpforte offen; deshalb heißt er auch der Weise.“ Und leise fügte er hinzu: „Es kommt Mancher aus dem Elend zurück, von dem es Niemand mehr gedacht hat.“
In diesem Augenblick war der Zug dem Thürmer sichtbar geworden. Auf sein Zeichen schlugen die Glocken von St. Lorenzo an; nah und fern stimmten die andern ein. Wie ein Meer von Tönen wallten die majestätischen Klänge heran.
Da zuckte es wunderbar über das Gesicht des Narren und er nahm seine Kappe ab. Keiner der Herren bemerkte es.
[569] Staub wirbelte auf, und die Nürnberger sprengten heran. Sie waren schön anzusehen, mit Arm- und Beinschienen, Harnisch und Stahlhaube gerüstet, in köstlichen Kleidern von Sammet und Seide, mit atlasnen Borten vergittert, mit Fransen verbrämt. Die Rosse prunkten im Erzpanzer mit stählernen Stirnen. Und hinter jeglichem Herrn ritt ein Gefolge von Knechten in seinen Farben und ein Bube mit der Fahne.
Nun stiegen die zur Begrüßung Erwählten von ihren Pferden und gingen dem Erzherzog entgegen, der seine Handschuhe auszog und ihnen die Hände reichte.
Der Blick des lustigen Rathes glitt durch ihre Reihen. An den Zügen der älteren Herren blieb er haften; es lag etwas wie scheue Sorge in seinem Gesichte. Als aber aller Augen gleichgültig über ihn hinglitten, athmete er auf. Er lächelte, da er vernahm, wie dem hochmögenden Herrn Muffel die Stimme bebte, als er in langer Rede die Einladung in die Stadt sprach.
„Gleicht die Durchläuchtigkeit nicht dem Maxel, seinem Großvater?“ flüsterte es hinter ihm.
Er wandte sich um. War das nicht der Wilibald Pirkheimer, der Rath des in Gott ruhenden Kaisers Maximilian? Aber wer war der Greis neben ihm, der mit Rührung auf den Erzherzog blickte?
Er nickte dem Fragenden zu und antwortete:
„Die gebogene Nase, das freundliche Auge hat er von ihm, und auch die starke Lippe.“
An dem Tone erkannte der lustige Rath den Probst Pfinzing, der mit dem verstorbenen Kaiser den Teuerdank gedichtet hatte. Er hatte ihn vor Augen als einen noch rüstigen Mann. Wie schnell die Menschen doch alt werden!
Dicht neben sich hörte er flüstern:
„Der soll lustiger Rath sein? Schaut ja aus wie eine arme Seele, die irre geht.“
Er raffte sich auf.
Jetzt schmetterten die Trompeten; die Nürnberger Reiterschaar schwenkte rasselnd ab und gab den Weg frei.
Da war das Feldgeschütz aufgefahren. Ein Commando erschallte: die Nachtigallen und Singerinnen, wie die größten Geschütze genannt wurden, die Nothschlangen und Falkonetlein donnerten dem fürstlichen Gast ihren Gruß entgegen. Und dahinter stand die wehrhafte Bürgerschaft der freien Stadt in gevierter Schlachtordnung mit gesenktem Spieß, einen ungeheuren Würfel bildend.
Der Erzherzog winkte überall hin dankend mit der Hand.
Der Narr spähte zu den Feldgeschützen hinüber. Nein! Hinter dem berühmten Basilisk stand nicht mehr der alte Konz. Ein junger Büchsenmeister trug den weißen Wappenrock, der mit gemaltem Andreas-Kreuz und Feuereisen geziert war, und hielt die brennende Lunte.
Aber der Thurm des Frauenthores vor ihm war noch der alte trotzige, wenn auch jetzt ein Büschel Fahnen lustig von seinen Zinnen herabwallte. Wehmüthig schaute der Narr zu ihm hinauf. Das Herz wurde ihm weit, und er flüsterte: „Daheim in Altnürnberg.“
Da stockte der Zug. Der lustige Rath schaute um sich. Er sah, wie die Bürger, die, vor dem Erzherzog einziehend, Spalier bilden sollten, sich zu einem Knäuel verwickelten; er hörte, wie die Lebküchler und Spielzeugmacher um den Vorrang stritten und welche Mühe der kriegskundige Tylmann von Prem hatte, ehe er den ungefügen Haufen wieder in eine richtige Ziehordnung brachte. Der lustige Rath fühlte, wie das Herz sich ihm wieder eng zusammenzog, und als endlich die ehrsamen Meister in ihren funkelnagelneuen geschlitzten und gepufften Wämsern gassenbreit fürbaß wankten, sprach er in beißendem Spott für sich:
„Der Kastengeist ist auch noch derselbe wie ehedem daheim in Altnürnberg.“
Zinken, Posaunen, Kesseltrommeln spielten und übertönten das Getrappel der Hufe auf dem Balkenwerk der Zugbrücke, die über den tiefen Graben führte.
Durch eine hohe Ehrenpforte, die zwei Thürme krönten, schaute der Erzherzog in die festliche Stadt hinein, und es war ihm nicht zu verdenken, daß er einen Augenblick sein Rößlein anhielt, um sich an dem Bilde zu ergötzen. Eng wand sich die Straße dahin; ein vorspringender Erker, mit grünen Tannenkränzen behangen, ein geharnischtes unter spitzem Dach hervortretendes Ritterbild mit einer grünen Maie in der Hand schien sie hier und da gänzlich zu versperren. Doch so weit das Auge reichte, bildeten an beiden Seiten Gilden mit ihren Fahnen, Bürger mit Eisenhelm und Stachelpiken ein lebendiges Spalier für die einziehenden Gäste. Der Erzherzog aber wandte das Haupt über die Diensteifrigen hinweg nach den mit grünen Zweigen besteckten Laubengängen, wo sich die Häubchen der Bürgermädchen neben einander drängten, und hinauf nach den mit Blumengewinden geschmückten Fenstern der hohen Patricierhäuser, in denen bis unter die abgestuften Giebel glitzernde Mieder, wehende Schleier sichtbar waren.
„Giebt’s viele schöne Frauen in Nürnberg?“ fragte er den Probst Pfinzing.
[570] „Vor allen Dingen wird’s viele Stürze geben,“ antwortete der lustige Rath dazwischen.
Der Dichter nickte lachend.
„Ist das Pflaster so halsbrechend?“ meinten die Einreitenden.
Der Narr antwortete nicht. Sein Auge flog die Straße entlang. Es war gut, daß sein Füchslein so sicher schritt; denn die zitternde Hand des Reiters hätte es wohl nimmer zu lenken vermocht. Einmal nestelte er an seinem Wams, als sei es ihm zu eng. Ein andermal nickte er einem Franziskanermönch zu, der alt und gebückt und doch neugierig am Wege stand, aber der schaute schier verdrüßlich drein, als er die Würde des Grüßenden erfragt hatte.
„Wer wohnt in dem braunen Haus, das so schmal und windschief sich in die Gassenecke drückt?“ fragte der lustige Rath fast athemlos.
„In der alten Baracke? Kleine Leute; wer kennt sie?“
„Und wo ist der Thurm hin, der sonst hier an der Pegnitz stand? Im obern Stock war eine Tandelbude, wo es die schönsten Berluppungen gab.“
„Ist bei einem Sturm über den Haufen geschossen.“
Der Erzherzog schaute indessen eifrig um sich.
Jetzt kamen sie an das Imhofische Eckthürmchen. Die alte Imhofin lag im Fenster und winkte, wie ihr befohlen war, mit dem Facinetlein. Von all den Erlebnissen aus dem Gleichgewicht gebracht, hatte sie den Schleier des Sturzes nur lose geschlungen, so daß sich ihr würdiges Gesicht darin zeigte, wie in einem Hasenring hängend. Die Blicke der Herren glitten über sie hinweg zu der schlanken Mädchengestalt, die im Hintergrund stand.
Dem Wilhalm Haller aber wurde es heiß unter seiner Rüstung von blauem mit Gold eingelegtem Stahl, als er die begehrlichen Blicke der Gäste gewahrte, und er war froh, als nur Elsbeth’s blaue Augen aus dem Sturz herniederschauten. Er war in diesem Augenblicke dem altfränkischen Kopfputz von Herzen dankbar.
Die Imhofin sprach:
„Wenn i nur wüßt’, warum der Wilhalm jetzt allzeit mit den Augen herauf witscht. Ich denk’, er mag Dich nimmer.“
Elsbeth blieb die Antwort schuldig und zog sich vor den dreisten Blicken der Fremden noch mehr zurück.
Ueber den Herrenmarkt ging der Zug. Der Erzherzog blickte überrascht auf. Gerade über ihm schwebte ein sieghafter Adler mit einem Lorbeerkranz in den Klauen. Er hing an einer Schnur aus grünen Tannenzweigen, in welche abconterfeite Granatäpfel, Pomeranzen, Melonen, Feigen und Kürbisse gebunden waren.
Und da, wo das eine Ende an dem Fenster eines Chörleins befestigt war, zeigte sich, nachdem man bisher nur Frauenköpfe mit Stürzen gesehen, zum ersten Mal ein liebliches Frauenantlitz, vom Schleier nur leicht umweht, so daß man eine weiße Stirn, ein feines Näschen, rosige Wangen und, wenn der Frühlingswind ein wenig keck war, auch das schelmische Tüpflein im Kinn erschauen konnte.
„Wer wohnt in dem Hause mit dem welschen Feston?“ fragte der Erzherzog leise seinen lustigen Rath.
„Es ist das Rotmundische,“ entgegnete der wie aus einem Traum auffahrend.
Der Erzherzog lächelte.
„Rotmund? Auch der Name ist schön“ Und er blickte noch einmal hinauf. Aber im selben Augenblicke winkte der husarisch gekleidete Herr Rotmund grüßend mit seinem Fähnlein. Da verschwand Alles im Sturz; nur zwei Augen funkelten heraus wie die eines lauernden Kätzleins.
Schmetternde Fanfaren tönten von Rathhaus herab. Vor St. Sebaldus stimmte die Schuljugend das Te deum laudanus an; der Erzherzog neigte sich tief vor der offnen Kirche, und unter Sang und Klang, lustigem Spiel und lautem Zuruf des Volkes bewegte der Zug sich zur Veste hinan.
Nur der lustige Rath blieb zurück, während die Gäste durch das Thor einritten. Er hatte das Haupt hinüber nach dem Panierberg gewandt. Dort stieg über niedrigen Dächern ein dunkler Giebel empor, dessen Stufen sich scharf vom Himmel abhoben, als führten sie geradewegs in die lichte Bläue hinein. Seine Augen blickten so abwesend dorthin, als, sei er seelenallein.
„Bleibt in der Reihe, Narr!“ rief ein junger welscher Bischof. Feine Röthe schoß in die Stirn des Graukopfs. Er drückte die Faust zusammen, dann lachte er grell auf.
„Seid ohne Sorgen! Die Narrheit verläuft sich nicht weit von Euch weg,“ sagte er.
Aber er rührte sich nicht. Unbeweglich hielt er noch vor der Burg, als schon der Nachtrab verschwunden war und das Volk sich allmählich verlief. Ihm war zum Sterben weh.
Da sagte neben ihm eine klare Stimme, der man anhörte, daß sie beim Donner der Geschütze zu commandiren gewohnt war:
„Hätten wir solche Waffen in Preußen gehabt, wir würden uns wohl die doppelzüngigen Polen vom Halse geschafft haben.“
Der lustige Rath wandte sich um.
Bei den Hakenschützen, die am Eingang Wachtdienst thaten, hielt der Markgraf Albrecht von Brandenburg, der Hochmeister des deutschen Ordens. Er prüfte die Büchse mit dem neuen Radschloß.
„Es ist eine gefährlichere Waffe als unsere alte Armbrust,“ warnte der Söldner.
Der Markgraf erhob sich stolz auf seinem Pferde, in dessen Satteldecke der rothe Adler gestickt war.
„Gefährlich ist alles Neue, das eine große Kraft in sich trägt. Aber wer ein Recht auf die Zukunft haben will, muß bei Allem im Vordertreffen seiner Zeit stehen und in seinen Dienst nehmen, was neu und kräftig emporkeimt, sei es eine Empfindung wie diese tödtliche Waffe, oder sei es,“ fuhr er mit gedämpfter Stimme, zum lustigen Rath gewendet, fort, „ein neuer Glaube.“
Ein einverständnißvoller Blick wurde zwischen beiden getauscht. Dann athmete der Narr tief auf, als wälze er eine Centnerlast von seiner Seele, und antwortete mit tiefernster Stimme:
„Den neuen Glauben zwingt Ihr nicht in Euren Dienst. Er ist kommen als ein Befreier zu den Gebundenen und Armen, ihre Fesseln zu erleichtern, und die Fürsten und Gebieter werden sich selbst zu seinen streitbaren Dienern machen.“
Dann folgte auch er dem Markgrafen in die Burg. – –
Als der Abend dämmerte, spähte Frau Rotmundin aus ihrem Chörlein die Straße entlang, ob ihr Eheherr noch immer nicht vom Bankett auf der Burg heimkomme. Endlich tauchten Fackeln und Laternen auf, wankende Gestalten geleitend.
„Unsre Herren sind allzumal wohl bezecht,“ kicherte sie. „Selbst der Haller hat seine würdevolle Haltung aufgegeben. Er schwankt gleiche inem Irrwisch hin und her. Horch! Was singt er für ein Liedlein?“
Sie legte die Hand an’s Ohr.
„Schein uns, du liebe Sonne, gieb nun einen hellen Schein,
Schein uns zwei Lieb zusammen, ei, die gern bei einander sein!“
klang Wilhalm’s Stimme herauf. Er sah dabei die Straße entlang nach der Gegend des Imhofischen Hauses.
„Wirst Du zahm, brauner Falke?“ flüsterte die Rotmundin. „Die Els muß sich doch meine Lehren hinter die Ohren geschrieben haben.“
„Nun Herr Rotmund?“ lachte sie ihrem vorsichtig über die Schwelle schreitenden Eheherrn entgegen. „Seid Ihr brav gewesen? Ihr steigt einher wie der Storch im Lattich.“
Der Rotmund war ob des Empfanges sehr erfreut.
„Gute Botschaft!“ rief er mit schwerer Zunge und desto lauterer Stimme. „Uebermorgen ist ein Geschlechtertanz auf dem Rathhaus. Seine fürstliche Durchläuchtigkeit wünscht solches, und was sie wünscht, geschieht unweigerlich,“ schloß er fast drohend.
„Ich meine, Ihr seid Bürger einer freien Reichsstadt und braucht nicht zu gehorchen,“ sagte sie nachlässig.
„Liebes Weib, das verstehst' Du nicht,“ entgegnete er hochfahrend. „Der Kaiser ist über uns Allen, und die Durchläuchtigkeit ist sein Bruder. Aber ängstige Dich nicht vor ihm! Ich will Dir mit Rath und That beistehen, wenn Du zum ersten Mal solch fürnehmem Herrn begegnest.“ Sie lachte hell auf:
„Sorgt Euch nicht! Vor solch schönem fürstlichem Herrn fürchtet sich kein Weib.“ Herr Rotmund stutzte:
„Ach was! Er hat die habsburgische Schlarpel,“ sagte er wegwerfend und ahmte die starke Unterlippe des Erzherzogs nach.
„Die Schlarpel gefällt mir gerade,“ stritt sie trotzig.
Das schoß dem Rotmund vor den Kopf.
„Es braucht Dir nichts und Niemand zu gefallen außer Deinem Eheherrn,“ sagte er grimmig.
„Wie wollt Ihr's verhindern?“ lachte sie. „Eia der ritterliche Herr! Eia das goldbraune Rößlein!“ Neckisch gaukelte sie auf und ab.
Herr Rotmund wollte sie umfassen, stolperte und setzte sich [571] auf die standhafte Ofenbank; es gelang ihm nicht, sich wieder zu erheben. Bald schnarchte er, wie wenn zehn Lastwagen rasselten. Frau Rotmundin aber stand vor ihm und warf spöttisch ihren hübschen Mund auf. Der scharlachne, vielfach geschlitzte und gepuffte Rock trug die Spuren der Kalkwände, an die er sich gestützt hatte, und die husarischen Stiefel hatten einen Sporn und eine Quaste im Sturm und Drang des Tages eingebüßt.
„Ich weiß nit,“ murmelte sie, „was mit dem Franzel itzunder ist. Entweder ist er aufstutzig wie ein Bock, oder er liegt und schnarcht. Wenn ihn nur nicht der Tropf noch rührt!“ Sie rief mit einem Pfeifchen ihre Magd herbei. „Der Hinz und der Kunz sollen den Herrn Rotmund aus sein Faulbett tragen. – Hast Du zur großen Messe morgen in der Frauenkirche den häßlichsten Sturz ausgesucht?“
Die Gürtelmagd nickte bedenklich.
„Ja, Frau Rotmundin, es ist ein wahres Scheusal.“
Schon recht, Kathrin! Wir wollen ruhig schlafen und uns was Gutes träumen lassen.“ – – –
Am andern Morgen war in der Frauenkirche zur Messe versammelt, was nur Platz darin finden konnte, und der Erzherzog wohnte der Feier mit seinem Gefolge bei. Das Gotteshaus schaute festlich aus, prächtig zubereitet mit Teppichen, Blumen und Kerzen; die Kantorei stimmte einen Lobgesang an, und die Stadtpfeifer pfiffen; fast ununterbrochen schwangen die Ministranten ihre Weihrauchbecken, die bunten seidnen Gewänder der Geistlichen rauschten, während sie eilfertig knixend den Hochaltar umschritten; rasches Schellen ertönte dazwischen.
Der lustige Rath, der an einem der hohen Pfeiler lehnte, flüsterte leise in sich hinein:
„Sputet Euch nur! Bruder Martin überholt Euch doch.“
In den kurzen Pausen, die zwischen den Theilen der Messe lagen, flog das Auge des jungen Fürsten über die Frauenstühle dahin, aber es kehrte stets, wie verletzt, zu dem mit schönen bunten Initialen verzierten Gebetbuche zurück. Auch den Rathsherren stieg das Blut zu Häupten wenn sie auf ihre verhüllten Ehehälften blickten. So abschreckend war ihnen ihr Kopfschmuck noch nie erschienen; schier dräuend schauten sie auf dem schmalen Spalt heraus, wie die Streiter beim Gottesgericht aus dem zugeschraubten Visir.
Als die Messe zu Ende war, erhob sich der Erzherzog; er blickte unwillig die Kirche entlang, aus welcher die Frauen mit ihren unförmlichen Hauben wie eitel Nebelgespenster abzogen.
Auch der Stadtschultheiß bemerkte die Falte aus seiner Stirn und fragte in tiefster Unterthänigkeit, ob die Cantorei nicht schön gesungen, die Stadtpfeifer nicht brav gepfiffen hätten.
Der Erzherzog neigte anerkennend das Haupt.
„Aber wir haben keine Frauen gesehen,“ sagte er dann und warf schmollend das Schlarpel auf.
Während er zum Hochaltar schritt, zu welchem eben die Geistlichkeit die goldne Truhe geleitete, in der die Reichskleinodien bewahrt wurden, durchlief des erlauchten Gastes Rede den Kreis der Rathsherren; sie steckten erschrocken die Köpfe zusammen.
Aber Herr Rotmund meinte trotzig:
„Soll es unsren Frauen ergehen wie den prängischen Augsburgerinnen nach dem Reichstage, allwo sie mit den fürstlichen Herren Liebäugeln, Händedrücken und Fußtreten so lange geübt haben, bis sie in das allgemeine Geschrei gekommen sind?“
Der Pfinzing lachte.
„Der Ferdinandus ist ganz wie der Maxel,“ sagte er, und sie folgten dem jungen Fürsten nach.
Sie kamen gerade noch recht, um das Knie vor den Heiligthümern zu beugen. Der Nagel, der Spahn, die Lanze vom Kreuz des Herrn, ein Stück von der Krippe Christi, die Glieder der Ketten, mit denen Petrus, Paulus, Johannes einst gefesselt waren – all diese heiligen Dinge wurden dem Behältniß entnommen, dann Schwert, Scepter und Kleider Karl’s des Großen und zuletzt des Reiches Krone.
Alle Häupter neigten sich vor ihr; nur der Narr starte regungslos darauf hin.
„Sie könnte setzt auf dem Haupt des Sachsen ruhen,“ sprach er, und es klang Bitterkeit in seiner Stimme. „Ob wohl die rothen Strümpfe dann auch so geruhig täglich aus die Falkenbeize ritten?“ Er warf einen Blick nach dem Cardinal und Erzbischof.
„Er hat sich selbst zu schwach befunden,“ bemerkte geringschätzig der Markgraf Albrecht von Preußen.
„Vielleicht hat er das alte Sprüchwort umgekehrt,“ lachte der Narr, „und gedacht: besser keine Kopfbedeckung als ein Wespennest auf dem Haupt.“
Der Hohenzoller richtete sich auf:
„Ich wollte den Wespen schon ein Weisel sein, und die Krone wollte ich festhalten, daß sie Keiner mir vom Haupte zu reißen wagte; sie sollte strahlen vor allen Kronen der Erde.“
Der Erzherzog hörte nicht. Er schaute zwischen den Kniebeugungen durch die hohen Fenster nach dem Chörlein hinüber, in das sich die Rotmundin gelegt hatte. Der Sturz saß jetzt wieder ganz leicht auf dem hellbraunen Gelock, und der junge Fürst meinte, bis hierher ihre Perlenzähnchen blitzen zu sehen.
Er verweilte nicht länger, als nöthig war, bei den Heiligthümern. Doch gelangte er nur mühsam zu seinem Roß; denn vor der Kirchthür drängte sich ein dichter Volkshaufen um einen Mönch, der auf einem Stein stand, und da die Herren vorüber schritten, hörten sie ihn schreien:
„Versäumet nicht Eure Seligkeit! So lange die Welt steht, werdet Ihr nie wieder um so gering Geld Vergebung Eurer Sünden finden. Eurer Andacht und der hohen Festtage wegen sollt Ihr die Ablaßbriefe nicht so theuer erkaufen denn anher, und die Armen sollen selbige ohne Geld erhalten um Gotteswillen und aus des Herrn Papstes eignen Befehl.“
„Die heiligen Diebe haben von den Marktweibern erlernt, die faulen Eier umsonst zuzugeben,“ sprach der Narr.
„Treibt die Ketzerei nicht zu weit,“ dräute der Erzbischof.
Aber der Erzherzog sagte ungeduldig:
„Unser lustiger Rath soll reden, was er will.“
Der hohe Herr wünschte jeglichem Streit zuvorzukommen; denn er hatte jetzt vollauf zu thun. Zuerst mußte er sich mit aller spanischen Grandezza auf seinen braunen Hengst schwingen, dann ihn steigen lassen unter dem Chörlein, und als das stattliche Thier auf den Hinterfüßen stand, kam das Hauptstück: er warf einen Blick zu Frau Rotmundin hinauf, so feurig, daß der heilige Florian, der Schützer vor Feuersgefahr, jetzt am Chörlein sehr vonnöthen gewesen wäre.
Aber wenn die Durchläuchtigkeit glaubte, daß die Rotmundin etwas so Anmuthiges noch nie gesehen habe, irrte sie sich. Frau Rotmundin war so in Augsburg gewesen. Als das wohlgestalte spanische Roß stieg, führte sie ihr Balsambüchslein an ihr Näslein und machte eine erschrockene Gebehrde. Und da der Erzherzog das Pferd nun zügelte und mit trostreichem Lächeln hinauf sah, athmete sie merkbar auf und drückte ihre Hand auf das Herz.
Es war eine auserlesene feine Komödie, bei welcher Herr Rotmund beinahe blutigen Schweiß schwitzte. – –
Schon webte die Dämmerung des Frühlingsabends in den Straßen, als die kunstfertigen Meister von Nürnberg ihre Läden schlossen und plaudernd unter die Laubengänge traten. Sie schauten neugierig nach, wenn auf den Schrittsteinen ein Diener in den Farben der fremden Gäste seinem Herrn mit dem Windlichte voranleuchtete, bis beide, Herr und Diener, in einem Patricierhause oder in einer der vielen Trinkstuben verschwanden, aus denen der Glanz der Wachskerzen hell auf die Straße herausstrahlte.
„Da kommt der Herr von Salamanca, ein finster blickender Mann,“ rief ein Meister. „Sein schwarzes Haar ist ihm wie eine Lanzenspitze in die Stirn gewachsen.“
„Für den hat mir heute der lustige Rath meine neueste Erfindung abgekauft, so ich Blasebalg genannt habe,“ sagte der Windkünstler Lobsinger. „Ich habe ihn gemacht, das Feuer damit anzublasen. Er hat zwo Flüglein als Handgriffe und einen Schnabel. Auf dem Rücken hab’ ich ihm das Wort geschrieben: ,Alles was Odem hat, lobe den Herrn!‘ Der Narr hat gemeint: ,Es ist alles Wind: Lieb’, Treu und Hoffnung. Der Wind ist ein Hauch, der verweht, und auch das Leben.‘ Dann gab er das Instrumentlein dem Herrn aus Hispania und sprach: ‚Möchte wohl bei den Autodafés anzuwenden sein, das bös Feuer anzublasen.‘“
„Mir hat der lustige Rath eine Brille in Leder gefaßt abgekauft, wie ich solche erfand,“ kicherte ein Anderer. „Er hat sie dem Rotmund verehrt und dabei gesprochen: ‚Eines von den tausend Augen des Argus, wohl geschaffen, ein schön Weib zu bewachen‘.“
„Bei mir hat er einen lebzeltnen Reiter erstanden mit Schwert und Lanze,“ erzählte ein Pfefferküchler. „Er hielt ihn dem Markgrafen Albrecht von Brandenburg hin und meinte: ,Ein [572] Reiter, so standhaft wie die Söldnerschaaren der Reichsstände, auf die Ihr droben in Thorn gewartet habt.‘ Und damit brach er ihn mitten entzwei.“
„Ja, er reißt über Alles seine Possen und darf sich jede Neckerei erlauben,“ nickten die Meister. „Der Erzherzog schützt und hegt ihn. Muß ein wahres Herzenslabsal sein, einen Mann um sich zu haben, der Alles auf die leichte Achsel nimmt.“
[585] Die kunstfertigen Meister unter den Laubengängen bemerkten nicht, daß während ihres Gesprächs ein hoher grauer Schatten vorüberglitt, einen Augenblick das Haupt nach ihnen wandte und dann lautlos weiter wandelte, bis er unter dem Portal der Sabaldus-Kirche verschwand.
Der Küster war eben dabei, die Kirche zu schließen. Er brummte, als ein grau verhüllter Mann noch Einlaß begehrte. Aber der Fremde hielt ihm einen Goldgulden hin, der im Lichte des Laternleins hell blinkte, und sprach:
„In den Himmel könnte ich heute um wenige Weißgroschen kommen und biete Euch Gold, wenn Ihr mich nur in die Kirche einlaßt. Wollt Ihr mir den Eintritt verwehren?“
Da ließ der Küster das Goldstück in seine Hand gleiten und schritt ihm voraus, und er hörte, wie sein Begleiter einen tiefen, zitternden Seufzer ausstieß, da er den Raum betrat, der von Weihrauchduft schier erfüllt war.
„Stürmt nit so fürbaß!“ mahnte er. „Ihr stoßt an das Sebaldus-Grab, so sich hier erhebt.“ Und er begann zu erklären: „Seht es Euch an! Es ruht auf Schnecken –“
„Dieweil es allzeit in Nürnberg langsam fürbaß gegangen ist mit dem milden Christenthum,“ sagte der Andere und ging vorbei. Er glitt hastig um die Pfeiler, deren Gipfel schon in Nacht gehüllt war.
„Was wollt Ihr dort in dem abgelegenen Seitenschiff?“ fragte der Küster nacheilend. „Da ist nimmer ein Kunstwerk zu sehen, und Ihr werdet über die Grabsteine stolpern.“
„Es ist wahr, Eure ewige Lampe giebt einen trüben Schein,“ nickte der Fremde. „Wenn Ihr nicht bald gutes Oel aufgießt, wird sie verlöschen. Aber ich finde mich auch ohne sie. Ich kenne den rechten Weg.“
„Es sind allda nur Gedächtnißtafeln von alten Nürnberger Geschlechtern,“ meinte der Küster.
Die Blicke des Fremden irrten über die verblichnen Tafeln. Dann blieben sie an einer derselben haften, und er deutete stumm darauf.
„Die sind ausgestorben,“ erklärte der Küster. Der Fremde zuckte zusammen, jener aber fuhr fort: „Nur eine halbverblühete Jungfrau lebt noch in ihrem Haus am Panierberg. Hat manchen Freier abgewiesen und heißt in Nürnberg nur die herbe Ursel. Sie pflegt keinerlei Umgang mit andern Weibsen, lebt einsam und wird sehr gefürchtet ob ihrer Strenge.“
Der Fremde wandte das Antlitz ab.
„Wollt Ihr die Grablegung von Herrn Dürer sehen?“ fragte der Küster.
Jener schüttelte das Haupt.
„Ich weiß,“ sagte er, fürbaß wandelnd, „wie einem Begrabnen zu Muthe ist, der keine Auferstehung feiern darf.“
Der Küster öffnete eine Pforte.
„Hier geht’s durch die Brautthür.“
Da sah der Andere mit einem seltsamen Blick zu den klugen Jungfrauen auf, die in den Nischen unter gothischen Spitzdächlein standen und ihre brennenden Lampen emporhielten, mit denen sie den Bräutigam erwarteten. Dann stieg er mit unstäten Schritten die Stufen hinab, aber plötzlich tastete er nach einer Stütze. Eine verwitterte Steintafel, die an der Kirchenmauer lehnte, bot sie ihm.
„Nehmt Euch in Acht! der Stein ist hinfällig,“ warnte der Küster. „Er muß gar alt sein. Soll den verlornen Sohn fürstellen, der heimkehrt. Aber kaum könnt Ihr die Umrisse noch erkennen – so abgenutzt hat Wetter und Wind das Bild. Niemand beachtet es mehr. Nur die herbe Ursel betet allhier täglich, wenn sie zur Messe geht.“
Der Fremde beugte das Haupt tiefer und tiefer, und da er sich wieder aufrichtete, sagte der Küster, sein Laternchen hoch hebend:
„Heiliger Sebaldus, wie seht Ihr bleich aus! Kehrt gewiß von mühseliger Pilgerschaft heim und habt keinen Trost funden. Wäre Euch auch gesund, wenn Ihr einen lustigen Rath bei Euch hättet wie Seine fürstliche Durchläuchtigkeit. Der lachte Euch die schweren Steine vom Herzen.“
Unter dem langen graulockigen Bart des Fremden irrte ein bittres Lächeln hin. Aber er schwieg, nickte zum Abschied und ging wieder davon in die Nacht hinaus.
Lautlos glitt er durch die Straßen, in denen zu Ehren des hohen Gastes Feuerpfannen flackernd den Weg erleuchteten. Da lag das kleine windschiefe Haus, „die alte Baracke“, in der er geboren war. Das Giebelfenster hatte die Stube erleuchtet, in der er als Kind, die Schürze der Mutter als Mantel über die Schulter gebunden, den Rathsherrn spielte; seine Mutter hörte lächelnd zu, wenn er Recht sprach zwischen dem getreuen Haushund und der grauen Katze, und sein Vater meinte, seine stattliche Haltung könne Herr Wohlgemuth sich zum Muster nehmen bei den Conterfeis der reichen Patricier, und beide riefen dann den Schutz aller Heiligen für ihn an.
[586] Was war aus den frommen Wünschen geworden?
Es hatte sich nirgends ein Plätzchen für ihn gefunden. Er konnte nicht schweigen und nicht dulden. Ans Bologna wurde er verwiesen, als er in der Fastnacht einen Rock aus Ablaßbriefen trug. Aus Pisa, wo er seine Studien fortsetzen wollte, mußte er bei Nacht und Nebel flüchten, weil er ein Spottgedicht auf Mönche und Nonnen gemacht hatte. – Sein kleines Erbtheil war aufgezehrt. Er zog über die Alpen zurück. In Tirol kam er in einen Schwarm fröhlicher Herren, die sich mit Falkenbeize, schönen Frauen und rothem Veltliner ergötzten. Seine übermüthige Lustigkeit gefiel den Ausgelassenen. Sie nahmen ihn mit nach Innsbruck.
Dort lernte er seinen jetzigen Herrn kennen. Aber dort war es auch, wo ihn die Zügellosigkeit seiner Zunge zu Fall brachte. An der Tafel trieb er es so weit mit beißenden Spottreden, bis die hohen Prälaten wüthend verlangten, daß er dem Ketzerrichter überliefert werde. Da rettete ihn der junge Erzherzog, der ihn gern um sich hatte.
War es eine Rettung zu nennen?
Der nächtliche Wandrer fühlte nach den Schlag, mit dem sein hochstrebender Sinn in den Staub geworfen wurde, als der junge Fürst der Tafelrunde erklärte:
„Der Mann ist mein lustiger Rath.“
Mit dem einen Wort ward ihm klar, wofür er den Menschen galt. Für einen Narren! die Freiheit, die man ihm gestattete, war die Narrenfreiheit.
Ja, so war es – so war sein Leben, und all das überdenkend, eilte er jetzt rastlos vorwärts durch die Straßen Nürnbergs, als könne er den quälenden Gedanken entfliehen. Jetzt stand er in dem St. Rochus-Kirchhof, wo seine Eltern schliefen. Hastig zog er den grauen Mantel über der Brust zusammen; er schämte sich hier seiner bunten Dienstkleider. Aber wie er auch emsig suchte, er fand die Stätte nicht, da die Seinen ruhten.
„Wo Ihr auch schlaft, Gott schenk Euch eine fröhliche Urstand,“ sprach er endlich leise über das Gräberfeld.
Lieblicher Duft stieg zu ihm auf, und als er sich bückte, sah er zu seinen Füßen den Rasen mit Veilchen durchflochten. Der Narr pflückte einen Veilchenstrauß, ein halbes Lächeln um die feinen Lippen, feuchten Schimmer im Auge. Dann schritt er zurück.
Am Panierberg stand er lange still vor dem Haus, das ihm in den Jünglingsjahren eine Heimath war. Das Mondlicht beleuchtete hell das steile Schieferdach. Nichts glänzte mehr an dem alten Gebäude; selbst der geharnischte Ritter, der auf der höchsten Spitze den Wetterhahn hielt, sah geschwärzt aus. Aber ungebeugt trug das Haus seinen Scheitel wie seine Insassin den Sturz.
Als er einst diese Stätte seiner Jugend grollend verließ, da hatte er sich gelobt, Ursula solle das Haupt noch demuthsvoll vor ihm neigen. Er wollte die Vorurtheile zerbrechen, die Mauer niederreißen, welche die Menschen wider göttliche Ordnung gegen einander aufgerichtet haben; ein Mann, hochangesehen wie ein Rathsherr, wollte er werden aus eigner Kraft. Sie sollte es bereuen, ihn einen Narren genannt zu haben. Und nun hatten sie Beide Recht gehabt.
„Als Narrenrath kehre ich zurück,“ flüsterte er mit dem zur Gewohnheit gewordnen spöttischen Lachen, während seine Stirn dunkel glühte.
Ja, wäre er ein Andrer gewesen! Das Gute und Wahre hatte er gewollt, aber er hatte den falschen Weg eingeschlagen. Jetzt sah er es klärlich. Mit der Pritsche wird kein großer Sieg erkämpft – dazu bedarf es des schneidenden Schwertes; mit Spott und Hohn wird der Wahrheit nicht Bahn gebrochen – dazu braucht es wuchtigen Ernst.
Was half dem lustigen Rath die späte Erkenntniß? Wenn die Wahrheit in herbem Wort sich einmal über seine Lippen drängte, lachten die Leute erst recht. Auch der Ernst ward bei ihm für eine Posse genommen.
So konnte er nur im Verborgnen wirken. Es vermuthete Keiner, daß unter dem Narrenkleid einer jener Streiter für die neue Lehre sich barg, die Dunkelmänner genannt wurden, weil ihren Namen Niemand kannte, und die mit Flugblättern und Briefen gegen die Tyrannei der Mönche kämpften. So suchte er zu helfen an dem Werk des großen Mannes, der aus der Hütte des Mansfeldischen Bergmannes hervorging. Nur Weniges zwar konnte er leisten, aber das Wenige war sein einziger Halt im Leben.
Noch immer stand er vor dem alten Hause am Panierberg, und nun wollte er gehen. Doch als zwinge ihn eine unsichere Macht – er wandte sich noch einmal zurück und bückte sich zur Schwelle nieder – was begann der seltsame Mann – –? Dann stieg er zur Burg hinauf. – –
Am andern Morgen brachte die Köchin der herben Ursel einen Veilchenstrauß, den sie aus der Thürschwelle gefunden hatte. Sie stieß ein Lachen dabei aus über die Blumenspende, aber es erstarb ihr sofort; denn die Hausherrin legte die Hand über die Augen und weinte. –
Als die Sonne dieses Tages in Gold unterging, zogen die Patricier zum Geschlechtertanz nach dem Rathhaus. Auf dem Platz davor lies das Volk zusammen und übte eifrig sein altes Recht aus, Gewandung und Prunk nach dem Werthe abzuschätzen. Es billigte die brokatne Schleppe der Schultheißin, unter deren Last fast der kleine Page erlag; es begrüßte mit lautem Ah! die Rotmundin, die in einem goldstucknen mit Granatäpfeln durchwebten Gewand anlangte, und als die herbe Ursel aus ihrer von Maulthieren getragnen Sänfte stieg, flüsterte es tadelnd:
„Sie trägt wieder den schwarzen Sammetrock und nit einmal ihr wunderbarliches Geschmeide von Edelsteinen. Welche Zier bleibt für uns, wenn eine reiche Geschlechterin sich einen Veilchenstrauß vor die Brust steckt?“
Am Eingange zum Saale standen die Junker und ließen die Gäste durch ihre Reihen ziehen. Auch Wilhalm Haller war unter ihnen. Aber er hatte für keine Frau Augen, selbst für die Rotmundin nicht. Er schaute unverwandt den Kommenden entgegen, bis die Imhofischen erschienen, und es fuhr ihm wie ein Stich durch das Herz, als endlich hinter der Mutter die schlanke Gestalt Elsbeth’s im violenfarbnen Damastrock in den Saal trat. Ihr Gesicht war nicht verhüllt wie das einer Klosterjungfrau. Der Wilhalm, der sonst so heftig gegen den Sturz geeifert hatte, sah mit Schrecken, wie das Gebände so weit zurückgeschoben war, daß ihr herrliches Goldhaar sichtbar wurde, und auch den stillen Mund gewahrte er, um den es lag wie eine stumme Klage. Er hatte ihr gern über ihre freiere Tracht ein spöttisches Wort gesagt, aber sie stand unter den Frauen, welche unter dem Wandgemälde Albrecht Dürer’s, das eine Spielmannsgruppe darstellt, sich an einander reihten, und er mußte an der Pforte des Saales auf den Erzherzog harren.
Da begann zwischen Beiden das, was die Elsbeth einst als nicht geziemend für eine Geschlechterin gehalten hatte: ein Augenspiel. Er sah sie melancholisch und mit ernstem Vorwurf an – sie blickte abweisend zu ihm hinüber, und es war ihnen Beiden süß und weh dabei zu Muthe.
Endlich erschallte Hufschlag. Seine fürstliche Durchläuchtigkeit langte mit Gefolge an. Der Schultheiß und die vornehmsten Herren des kleinen Rathes empfingen ihn an der Pforte und geleiteten ihn durch das Stiegenhaus, das Wappner in lichten Harnischen besetzt hielten Sie pflanzten den Spieß, da er vorüberschritt, und als er den Saal betrat, ertönte eine Trompetenfanfare vom Pfeiferstuhl, in welche Querflöte, Zinke und Pommer, Laute, Harfe und Geige mit Macht einfielen.
Der Erzherzog lächelte gnädig, und seine Augen flogen mit freudiger Spannung nach den Frauen hinüber.
Durch die von Veit Hirschvogel gemalten Fenster fielen die Strahlen der untergehenden Sonne; sie spielten auf den silberweißen, pomeranzenfarbigen und karmoisinenen Gewändern der Frauen, weiche diese zierlich emporrafften, auf daß die hellfarbigen seidnen Unterkleider sichtbar würden.
Und da sie sich jetzt tief mit gesenkten Köpfen neigten, sprach der Erzherzog:
„Sie gleichen Matthiolenblumen, Näglein und Gilgen, über die der Gott Zephyros hinweht.“
Da erhoben sich die gebeugten Köpfe, und der Erzherzog schrak zusammen.
„Soll das Vexiren nimmer ein Ende nehmen? Führt man uns auch hier in ein Ziergärtlein, wo alle Blumen unter unholden Kappen verborgen sind?“
Er warf einen zornigen Blick hinüber. Aber da schauten ihn unzählige schöne Augen vom hellsten Himmelblau bis zum tiefsten Schwarz mit so stehender, sehnender Inbrunst an, daß sein Herz weich wurde.
Und sein Grimm schmolz vollends dahin, als eine schmeichelnde Stimme leise neben ihm sagte: [587] „Seine fürstliche Durchläuchtigkeit schaut in seinem schwarzen Wams“ neben den andern Herren in ihren gepufften Gewändern aus wie eine schlanke Edeltanne neben breiten Aepfel- und Birnbäumen. Gelt, Herr Rotmund?“
Der Erzherzog blickte sich rasch um.
Aber schneller als er, war Herr Rotmund vor sein Weib getreten: er trug als bestellter Tanzordner einen so langen rothseidnen Rock, daß er sie gänzlich verhüllte, wie ein Vorhang ein kostbares Gemälde.
„Sei nit zu keck!“ flüsterte er ihr zu. „Es ist so eine Sünd’ und Schand’, daß jetzt auf unsren Tänzen Alles paarweise läuft wie in der Arche Noah. Früher hättet Ihr fünf Pfund Heller Strafe dafür zahlen müssen. Und unterfang Dich nit etwa heut, Dich zu verdrehen, wie die Augsburgerinnen thun.“
Sie machte unschuldige Augen und glitt wieder vor ihn hin.
„Was ist’s weiter, sich mit dem Arm zu umschlingen und im Kreise zu drehen und zu schleifen? Man muß sich halt nur nichts dabei denken. Und wenn Seine fürstliche Durchläuchtigkeit sich mit mir verdrehen will, muß ich es unweigerlich thun. Hast es selbst gesagt.“
Herr Rotmund drohte mit seinem weißen Stabe, den er als Tanzordner führte. Aber er hatte keine Zeit mehr; denn der Erzherzog gab das Zeichen zum Beginn und reichte der Schultheißin die Hand.
Die damals im zierlichen Tanzschritt nach der Weise des von einem Nürnberger Kind gedichteten und in Töne gesetzten Minneliedes sich wiegten, dachten nicht, daß ein Jahrhundert später die neue ketzerische Gemeinde sich mit derselben Melodie Trost in das bedrückte Gemüth singen würde, indem sie die Worte unterlegte: Befiehl du deine Wege.
Nach vollbrachtem Ehrentanz führte der Erzherzog die Schultheißin zurück auf ihren Platz, und seine Augen suchten nun gespannt unter der Frauenschaar. Jetzt leuchteten seine Blicke auf; er hatte die Rotmundin hinter ihrem Manne hervorlugen sehen. Mit raschen Schritten eilte er auf sie zu, um sie zum Tanz aufzufordern. Der Rotmund aber schritt diesmal grimmig mit dem Imhof, dem andern Tanzordner, dem Reigen voran.
Düster schaute auch Wilhalm drein, da er bemerkte, daß viele der fremden Gäste die Elsbeth Imhofin anstarrten. Und als jetzt der welsche Bischof sich ihr näherte, um sie zum Tanze aufzuziehen, trat er rasch an sie heran.
„Ihr habt zwar eine geringe Meinung von mir,“ sprach er mit grollender Stimme, „aber zu einem Reigen werdet Ihr Euch mir nicht versagen; denn ich habe gesehen, daß Ihr sogar mit dem ohnnützen Fuchsschwänzer, dem Domherrn, getanzt habt.“
Sie war erröthet. Stumm streifte sie die Handschuhe ab, wie das beim Tanzen üblich war, und reichte ihm ihre Fingerspitzen. Aber Wilhalm nahm mit festem Griff ihre Hand. Sie war eiskalt. Er sah Elsbeth von der Seite forschend an – da senkte sie die langen Wimpern.
So schritten sie in der Reihe den Tanzordnern nach. Was jene übten, mußten Alle thun. Herr Imhof sah sich um, und da er den Wilhalm neben der Elsbeth erblickte, wie in früheren gesegneten Jahren, machte er ein Gesicht wie ein schlauer Fuchs.
„Herzen wir uns einmal!“ flüsterte er Herrn Rotmund zu. „Es ist guter alter Brauch.“
Herr Rotmund aber hatte von der andern Seite nach seinem Ehegemahl ausgelugt, das süß lächelnd aus dem Sturz den sie führenden Erzherzog anstrahlte.
„Um aller Heiligen willen flehe ich Euch an: laßt nur heute das Herzen sein!“ erwiderte er fast laut.
„Ach was,“ sagte Herr Imhof, „die guten Alten wußten, was sie thaten, als sie es einführten.“ Und er drückte Herrn Rotmund in seine Arme. Auf der Stelle herzte sich der ganze Reigen.
Herrn Rotmund wurde es schwarz vor den Augen. Er sah nicht, wie zart der junge Fürst den Arm um sein Ehegemahl schlang und ihre Hand leise an sein Herz drückte.
Auch Wilhalm wollte die Elsbeth umschlingen. Sie aber riß sich los und trat aus dem Reigen. Er eilte ihr nach.
„Meint Ihr mir entfliehen zu können?“ rief er.
„Ich lasse mich nicht herzen auf Befehl und nur zum Spiel,“ entgegnete sie empört.
„Aber es ist mein Tanzrecht,“ brauste er auf.
„Rechte verjähren,“ antwortete sie kalt.
Er entsann sich seines Wortes wohl, aber auch ihrer früheren Reden.
„Ihr wollt ja in allen Dingen Euren Eltern gehorsamen,“ sprach er und trat ihr wieder näher. „Und Euer Herr Vater hat angeordnet, daß wir uns herzen sollen – Ihr seht es ja.“
Sie wich abermals zurück.
„Und Ihr meintet, die erste Stimme solle das Herz haben vor Vater und Mutter.“
„Ja, das Herz soll auch das erste Recht haben und behalten,“ rief er, „und mein Herz ersehnt nichts weiter, als Euch an sich zu drücken.“ Er streckte die Arme aus.
Da richtete Elsbeth sich stolz auf.
„Meint Ihr,“ fragte sie mit bebender Stimme, „eine Jungfrau lasse sich hin und her schieben, wie Ihr Einen alten Ofen jetzt hinauswerft und dann wieder hereinholt? Mich verlangt nicht nach den neuen Rechten, von denen Ihr redet. Mögen welsche Teufelinnen und solche, die sie sich zum Muster nehmen und Gaukelkünste üben, ihrer genießen! Uebet mit ihnen Geckerei, wie Euer wandelbarer Sinn Euch heißt! Wir aber wollen unsre Würde wahren.“
Damit schritt sie an ihm vorüber nach den Bänken hin, die in dem erhöhten Theile des Saales aufgestellt waren. Wilhalm aber war bleich geworden und kürte sich eine andre Tänzerin.
Das kleine Zwischenspiel ging in dem bunten Gewühl unbemerkt vorüber; Jeglicher hatte genug mit sich zu thun.
Als es dunkelte, erstrahlten in den Festräumen an die hundert große und kleine Lichter: die Tanzordner nahmen Wachsfackeln und führten damit den Reigen an. Selbst alte Herren, denen breite Pelzkragen die gebeugten Nacken deckten, sprangen den Ringelreihen so eifrig mit, wie die leichtfüßigen Junker, und die jungen Kaufleute tanzten um die Wette mit den geschmeidigen Prälaten den kecken polnischen Reidawac.
„Den Todtentanz! Laßt uns den Todtentanz aufführen!“ riefen die Junker vom husarischen Aufzuge.
„Wer soll den Todten vorstellen?“ fragte der Tanzordner, Herr Imhof.
„Welchem Andern als Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit gebührte diese Ehre?“ entgegneten die Frauen.
Aber der hohe Herr stutzte ob des grausen Namens. Er fürchtete auch, daß es auf einen Schabernack hinauslaufen möchte, und wollte erst sehen, wie es dem Todten erginge.
Pfalzgraf Ottheinz kannte bereits die Obliegenheiten des Todten und begab sich mit einer Eile, die dem jungen Fürsten schier verwunderlich erschien, auf die Purpurkissen, die in der Mitte des Saales aufgebaut und mit einem kostbaren Gobelinteppich bedeckt wurden. Behaglich streckte sich der ritterliche Herr, schloß die Augen, und nur an dem wie zwei Fragezeichen gekrümmten Bart konnte man erschauen, daß der Mund vergnüglich darunter lächelte.
Auf ein Zeichen hob die Musik das wehmütige Lied an, das Kaiser Max auf seinen Abschied von Innsbruck gedichtet und in Töne gesetzt hatte und dessen Weise mit den Worten auf uns gekommen ist: Nun ruhen alle Wälder. Paarweise zog die ganze Gesellschaft mit traurigen Gebärden um den Katafalk.
Nur der Narr, der mit untergeschlagnen Armen am Pfeiferstuhl lehnte, stand abseits. Er spähte gespannt nach den Zügen der vorüberschreitenden Frauen.
Da vernahm sein feines Ohr, wie die Schultheißin, die mit einem jungen Domherrn ging, sprach:
„Bittet uns von den Stürzen los! Sonst zeig’ ich Euch an wegen zu weit ausgeschnittner Schuhe.“
Dann hörte er die Frau Imhofin den Domprobst von Würzburg klagen:
„Wenn i nur wüßt, ob es nit doch besser wär’, wenn wir der Stürze ledig würden. Die Frage leg’ ich Eurer Andächtigket im Vertrauen vor.“
Hier flüsterte die Behaimin hinter ihrem Fächer aus Pfauenfedern dem jungen römischen Beichtvater des Erzherzogs, seinem Genossen bei allen lustigen Streichen, zu:
„Möchte wohl auch den Dichter Ovidius mir von Euch erklären lassen, hab’ aber nimmer Muth und Freud’ zu einem Ding, so lang ich den Sturz schleppen muß.“
Die schlanke Tucherin lachte den Erzbischof von Mainz an und versprach ihm ein Pilgrimhaus, wenn er ein Wörtle für sie [588] einlegen wollte, und die Holzschuherin, die neben dem welschen Bischof schritt, versicherte:
„Und wenn Ihr uns helft, will ich halt gern meinen venetianischen Perlenschmuck Euch übergeben, daß Ihr ihn in Eurer Capelle der heiligen Jungfrau als Opfer darbietet.“
Der schöne Mann ließ einen sanften Blick auf das schimmernde Geschmeide gleiten und neigte sich, als sei er ein dienstthuender Kämmerling bei der ackerseligsten Jungfrau und überbringe im Voraus deren Dank.
Der Narr traute seinen Sinnen nicht.
„Was räth der Narr in Sachen der Stürze?“ fragte ihn lachend der Bischof von Bamberg.
„Daß es dem Sturz geht wie der päpstlichen Tiara, von welcher der Kurfürst von Sachsen geträumt hat, ein Augustinermönch bringe sie zum Wanken, indem er mit einer Schwanenfeder daran rühre,“ war die Antwort.
„Eure Witze schmecken herb wie Schlehenwein,“ meinte der Bischof.
„Was würde nicht herbe im Laufe der Zeit?“ erwiderte der Narr und hob seinen Becher, dessen Füßchen silberne Schellen bildeten.
Bei dem Wort und Klang wandte sich eine hohe Frauengestalt, die an der Hand des Schultheißen schritt. Ihre schwarzen Augen sahen starr in die scharfen blauen Augen des Narren. Ein paar Athemzüge lang hafteten die Blicke Beider in einander, trotz des Entsetzens, das aus ihnen sprach, unfähig, sich loszureißen. Dann schlossen sich plötzlich die schwarzen Augen, und die hohe Frauengestalt sank lautlos zusammen.
Die Nächsten eilten zu Hülfe. Der Schultheiß richtete sie auf, die Imhofin, der Ritter Tylemann von Prem, ihr Nachbar am Panierberg, stützten sie. Sie wurde hinausgetragen.
„Die herbe Ursel ist in eine Schwäche verfallen,“ raunte es durch den Saal. Der Tanz stockte. Es hätte nicht mehr Verwunderung erregen können, wenn die Botschaft gekommen wäre, den Lorenzothurm habe eine Unmacht angewandelt.
„Was ist Euch? Habt Ihr Euch darob so erschreckte?“ fragte der welsche Bischof den Narren, der leichenblaß geworden war, während der Becher, aus seiner Hand fallend, klingelnd am Boden rollte.
Der lustige Rath fuhr empor. Er lachte mit weißen Lippen.
„Mein altes Leiden! Das Herz steht mir einmal still. Es ist nicht die Mühe werth, darüber zu reden.“
Die Wogen der Tanzfreude flutheten auch über diesen Unfall dahin und ließen ihn verschwinden wie einen Kiesel im See.
Denn jetzt kam der wichtigste Theil des Tanzes. Die Männer traten zurück, und die Frauen bildeten einen besondren Reigen um den Todten, und eine nach der andern küßte ihn zum Abschied.
Auch Elsbeth wandelte in der Reihe mit einem wehleidigen Gesicht und dachte: Wäre doch die Lust erst ausgestanden. Wie aus weiter Ferne vernahm sie die Tanzweisen; der Lichterglanz schien ihr trübe; die lachenden Gesichter waren ihr unbegreiflich. Nur jetzt, da sie dem ruhenden Pfalzgrafen sich näherte, war es ihr, als zwinge sie Jemand aufzuschauen. Da sah sie sich gegenüber den Wilhalm mit einem Weinglas in der Hand. Er blickte sie streng an, und auf seiner Stirn stand eine tiefe Zornesfalte gleich einem dräuenden Kometstern. Und als sie sich zum Antlitz des Pfalzgrafen bückte, zerdrückte er das kostbare, mit Goldperlen verzierte venetianische Glas, daß der rothe Rosatzer herumspritzte. Erschrocken wich Elsbeth zurück.
Niemand achtete darauf. Alle blickten nach der jungen Durchläuchtigkeit, deren Augen immer größer wurden bei dem feinen Tanzspiel, und als auch die Frau Rotmundin ihre Lippen nach dem schwarzen Schnauzbart stützte, erklärte er hastig seinem Beichtvater:
„Das Spiel verstehen wir auch. Wir wollen geruhen, den Todten vorzustellen.“
[601] Der Vertraute nahte dem Reigen der Frauen und that des Erzherzogs Willen kund.
Frau Rotmundin aber hob mahnend die Hand gegen ihre Gefährtinnen und sprach leise zu dem Botschafter:
„Der Erzherzog will den ‚Todten‘ vorstellen? Es ist eine zu große Plag’, im Sturz sich zum Kusse niederzubeugen; zweimal bringt man’s halt an einem Abend nit fertig. Wenn wir aber dieser scheusäligen Kopfputze entledigt sind, wollen wir mit Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit einen Todtentanz tanzen, wie er in Nürnberg nimmer gesehen ward.“
Der Bischof schaute der Sprecherin in die funkelnden Augen, und da Priester und Frauen sich immer leicht verstanden haben, so begriff auch seine Andächtigkeit, neigte sich lächelnd und überbrachte dem Erzherzog die Nachricht. Ein Augenblitz des Fürsten zuckte hinüber zur Frau Rotmundin; er beugte das Haupt und legte betheuernd die Hand auf’s Herz. Dann befahl er, den Kehrab aufzublasen.
Trompeten und Kesselpauken hoben an, und nun flog Alles dahin wie eine Windsbraut, an der Spitze beflügelten Schrittes Seine fürstliche Durchläuchtigkeit, die zierlich wie ein Bachstelzchen trippelnde Frau Rotmundin fest an der kleinen Hand haltend; in der Mitte die arme Elsbeth mit dem Kriegsschreiber, der lustig seine Schnabelschuhe schwenkte. Der Wilhelm tanzte gar nicht, und der Letzte im Reigen war Herr Rotmund. Denn da er sehen wollte, was seine Frau trieb, war er aus der Reihe gerathen und von den lachenden Tänzern nicht wieder eingelassen worden.
Da ging er mit einigen husarischen Freunden an den Schänktisch und nahm sich vor, den großen Humpen auszutrinken, um seine Frau auch zu ärgern. Sie aber ließ sich unbesorgt von Hinz und Kunz nach Hause leuchten.
Und von der Zeit an ging in Nürnberg die Rede, auch Herr Rotmund sei einmal in dem Rollwäglein nach Hause gefahren worden, das bestellt war, in der Nacht die Betrunkenen aufzulesen und heim zu schaffen. – – –
Als an diesem Tage nach dem Fest der Rath mit noch verschlafnen Augen zusammentrat, erhob sich plötzlich ein lautes Pferdegetrappel vor dem Rathhause. Gleich darauf ließ sich Seine fürstliche Durchläuchtigkeit melden, und durch die Spitzbogenpforte der Rathsstube schritt er, geleitet von dem ganzen Gefolge von Fürsten, Prälaten und Herren – nur der Narr fehlte.
„Wir nahen als Bittender,“ sprach der Erzherzog.
Der Schultheiß neigte sich und fragte ehrerbietigst:
„Eure fürstliche Durchläuchtigkeit wünschen Gnade zu üben, Verurtheilte loszusprechen wie es Brauch bei fürstlichem Besuch.“
„Nein, wir wollen der Themis nicht in den Arm fallen,“ erwiderte der Erzherzog, „und doch wünschen wir, arme Gefangene zu lösen. Wir sind gekommen, für Eure holdseligen Frauen zu bitten, daß Ihr sie der Stürze entlediget. Wir versehen uns von Euch keiner Weigerung.“
Der Stadtschultheiß stand wie vom Donner gerührt; die Rathsherren schwiegen. Nur der Rotmund ermannte sich und sprach mit einer Stimme, in der ein heimlicher Groll durchklang:
„Durchläuchtiger Fürst und Herr! Unsre willig unterthänigen Dienste sind Euch mit Fleiß voran bereit. Aber –“
Der Erzherzog sah über den Mann der Rotmundin mit hochmüthigem Blicke hinweg. Der Pfalzgraf Ottheinz aber unterbrach ihn:
„Ihr seid wahrlich dahinten geblieben. Hättet Ihr doch die Prinzessin Maria gesehen, die erhabne Schwester Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit! Die hat ein Spiel mit ihren Damen aufgeführt, wo Alle Göttinnen waren und Röcklein nicht viel bis über die Kniee trugen. Man nennt die neue Kleidung à la Nymphale.“
„Ihr seid auch unbillig,“ fuhr der junge Domherr stürmisch heraus, mit dem die Schultheißin geschäkert hatte, „und verdient nicht, so holde Frauen in die Arme schließen zu dürfen.“
Er stieß einen so tiefen Seufzer aus, daß die andern Herren vom Gefolge lächelten.
„Schweigt!“ rief der Stadtschultheiß zornig, „Ihr seid schon mehrmals wegen Hoffart und weiten Aermeln von Eurem Capitel bestraft worden, des Brettspiels und andrer Ueppigkeiten, so Ihr getrieben, gar nicht zu gedenken. Ihr habt nicht mitzureden.“
„Wo es gilt, für unterdrückte Frauen ein Wort einzulegen, hat jeder Mann Recht und Pflicht mitzureden,“ sagte der welsche Bischof. „Hütet Euch, daß Ihr den Bogen nicht zu straff spannt! Euren Frauen möchte der Geduldsfaden reißen.“
Der Holzschuher sah ihn ergrimmt an.
„Sie werden ihn schon wieder anknüpfen, wenn wir die unnützen Hände klopfen, die ihnen beim Zerreißen aller Bande behülflich sind.“
„Aber die häßliche Verluppung ist ein Flecken in unsrem Jahrhundert, in welchem die Göttin der Schönheit eine Wiedergeburt feiert,“ sprach der Beichtvater aus Rom.
[602] „Nach einer heidnischen Abgöttin braucht eine Geschlechterin sich nimmer zu richten,“ erwiderte Herr Behaim erbost.
„Was welsche Klüglinge für Recht erachten, kümmert uns nicht,“ setzte Herr Imhof hinzu.
„Aber es sollte Euch kümmern,“ antwortete der Domprobst von Würzburg mit Anerkennung, „was Euer Ehegemahl dazu meint, die doch ein ehrbar Weib ist; sie ist der neuen Haube nicht abgeneigt.“
„Ihre Ehr’ ist meine Sach’, nit die Eure,“ fuhr der Imhof heraus, den sein treues Weib schon von der Morgensuppe an mit dem gutwilligen Domprobst geplagt hatte.
Der Herzog Wilhelm von Baiern lachte:
„Haben Eure Frauen so garstige Gesichtlein, daß Ihr Euch schämt, sie uns zu zeigen?“
„Nein“ schrieen die Rathsherren, blutroth vor Zorn. „Aber die Gesichter sind für uns da – nit für Euch!“
„Plumpe Neidharte seid Ihr,“ eiferten die Gäste.
„Frauenknechte Ihr!“ tönte es von der Rathsherrentafel verächtlich zurück.
Die Herren standen einander gegenüber, Zornesadern auf der Stirn, und heimlich backte sich hier und da eine Faust.
Da hob der Erzherzog das dunkle Haupt und winkte:
„Disputiret und streitet nicht, Ihr Herren!“ rief er. „Wir kamen in diese Stadt nicht zur Fehde, sondern ihr Favor und Gnade zu erweisen. Und wir gedenken den Frieden nicht zu brechen. Aber scheiden wollen wir noch zur Stunde aus diesen Mauern; denn wir mögen denen, die uns vertrauend anblickten, nicht wieder unter die Augen treten, ohne eine kleine Gegengabe für so viel Holdseligkeit.“
Da knickte ein ehrbarer Rath zusammen. Was würden alle die Feinde der Stadt sagen, wenn die fürstliche Durchläuchtigkeit Hals über Kopf davon ritte?
Zu kurzer Berathung zogen die Herren sich zurück.
Dann trat der Schultheiß an die Tafel und sprach:
„Kund und zu wissen sei Jedermänniglich, daß vom heutigen Tage ab ein ehrbarer Rath der freien Reichsstadt beschlossen hat, die Stürze sollen abgeschafft sein für jetzt und ewige Zeiten Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit zu Ehren.“
Die Augen des Erzherzogs leuchteten auf. Er dankte und lud sich selbst für morgen Abend zu einem Tanze bei den Geschlechtern ein. Dann zogen die Gäste vergnügt ab und auch die Rathsherren athmeten erleichtert auf.
Nur der Wilhalm sprach mit lauter Stimme, daß es der Imhof hören mußte:
„Meinethalb mögen sie aufsetzen, was sie wollen, die Augsburger Haube oder die Augsburger Gogelhopfform. Ich werd’ es nimmer erschauen. Ich geh’ wieder auf Reisen, wahrscheinlich in das Land Aethiopia, wo die großen Löwen hausen.“
Er sah mit Befriedigung Herrn Imhof’s verblüfftes Gesicht und stapfte trotzig davon, die Hand auf den Degengriff gestützt, daß die Spitze hinter ihm drohend empor ragte.
Und es ereignete sich, daß plötzlich auch alle andern Rathsherren verschwunden waren; denn jeglicher wollte der Erste sein, der seinem Weibe die frohe Mär verkündete. – – –
Die Frau Rotmundin lachte.
„Was hat Euch nun alle Eure Gelahrtheit und Euer altes Recht geholfen? Ihr müßt Euch doch unter unsre Füßle beugen. Dankt allen Heiligen dafür, daß Ihr wieder Frieden habt!“
Der Rotmund lachte auch und wollte den Arm um sie legen. Aber sie wehrte ihm und sprach:
„Nein, Franzel, den ersten Kuß nach dem wüsten Frauenkrieg geb’ ich der fürstlichen Durchläuchtigkeit, die mir das Scheusal vom Hals geschafft hat. Ja, funkere nur mit den Augen! Du hättest es auch so gut haben können. Warum ist der Herr Rotmund ein Dümmerle gewesen?“
Herr Rotmund schüttelte beide Fäuste.
„Der Gänswürger, der –“
„Ja, er ist ein grand diable gegen das Frauenvolk,“ unterbrach sie ihn, vergnügt über das neue Wort, das sie gelernt hatte. Dann langte sie ihr Hackebrett aus dem Winkel und begann mit den gebogenen Metallstäben ein Stücklein zu hämmern.
Herrn Rotmund blieb nichts andres übrig als zu gehen.
Aber es ist auf dieser unvollkommenen Erde gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. An jede Freude hängt das Schicksal, gleich einem Stein, ein Mißgeschick. Gerade da die Rotmundin die nun erlaubte Haube aus ihrem Versteck nahm, stürzte Kathrin in die Stube, schloß die Thür, schaute mit verstörten Augen um sich und rief:
„Das Unglück! Der Polack, der Veit Stoß, hat der Frau ihr Gesichtel gestohlen.“
„Was schnakt der Grasaff? rief Frau Rotmundin und gab ihr eine Kopfnuß.
„Der Phragner, der neben ihm wohnt, hat’s mir gesagt,“ meinte das Mädchen. „Die Frau steht als Holzbild halt da – ich kann’s gar nit sagen, wie!“ Sie wandte verschämt das Gesicht ab.
Die Rotmundin starrte sie mit weit geöffneten Augen an.
„Das könnte an sein Leben gehen,“ flüsterte sie und sank auf einen Schemel. „Ist das Holzbild nit rechtschaffen gekleidet?“
„Na,“ sagte die Magd, „bei Leibe nit! Der Engel hat einen langen Rock an von der Kehle bis zum Fußzeh, aber auf dem Kopfe keine Haube, kein Tüchel, und Ihr meintet doch selbst: die Haube ist die Hauptsach. Was soll der Herr sagen, daß die Frau in des Bildschnitzers Haus steht und hat nichts aufgesetzt?“
Der Rotmundin wurde es schwül.
„Kann ich nicht den Herrn Wilhalm Haller sprechen? Lauf und rufe ihn, ohne daß Herr Rotmund es merkt!“
„Dort kommt er eben nach Haus,“ berichtete die Gürtelmagd, die auf die Straße lugte.
„So gieb mir den dunklen Mantel und noch einmal den Sturz! Ich merke schon, das Ungethüm ist doch zu Mancherlei gut, und ich werde es nimmer ganz von mir thun.“
Sie hüllte sich ein, schlüpfte fort und ereilte den Haller noch an seiner Pforte. Er wandte sich um, da er laut hinter sich schluchzen hörte. Und die Rotmundin rief:
„Habt Ihr schon mein Unglück gehört? Wißt Ihr, daß der Rotmund die Elsbeth Imhofin zur Ehe nehmen wird?“
Wilhalm fuhr zusammen.
„Was redet Ihr für unsinniges Zeug, Frau Rotmundin?“ fragte er athemlos.
„Ach, ich seh, Ihr wißt noch nichts,“ klagte sie zerschmettert. Ja, mit mir ist’s aus. Ich steh beim Stoß; der hat einen Engel aus mir gemacht, und der gemeine Haufen ist um mich herum und darf mich anfassen. Wenn das der Herr Rotmund erfährt – das vergiebt er mir nimmer. Dann steckt er mich in ein Kloster, und unser heiliger Vater in Rom giebt ihm Dispens, und dann nimmt er die Elsbeth zum Weibe; denn sie ist jetzt fast schön. Vielleicht hat sie auch schon eine zärtliche Leidenschaft für ihn, und das hat ihr so gut gethan; schaut sie doch aus wie eine Rose, die ihr Bälgelein gesprengt hat.“
Sie warf durch die vorgehaltnen Hände einen lauernden Blick auf den Freund, und sie sah, daß der Haller auf ihre Rede anbiß, wie an Rothfisch aus der Pegnitz auf den Angelhaken.
Er ballte die Faust.
„Ihr wollt eine zärtliche Leidenschaft in ihren Augen gelesen haben und für Euren Eheherren?“
Sie nickte.
„Das Stücklein wollen wir ihnen vergällen,“ knirschte er und eilte davon.
Die Rotmundin sah ihn den Weg zum Veit Stoß einschlagen und lachte, indem sie flüsterte:
„Er ist eifersüchtig wie ein Pfau, der seinen eignen Schatten neben seiner Henne im Bach erblickt und darob vor Wuth sich ersäuft.“
Dann schlüpfte sie getröstet nach Haus. Sie war überzeugt, der Haller kam ihr zu Hülfe.
In Veit’s Werkstatt drängte sich das Volk.
„Wie sie leibt und lebt!“
„Und nicht das kleinste Läppchen auf dem Haupt!“
„Der muß die eiserne Jungfrau umarmen.“
„Schiebt Euren Schnitzer in den Ofen , daß er zu Asche verbrennt! Das tilgt vielleicht den Zorn der Hochmögenden,“ so rief es durch einander.
„Ich soll mein eignes Kind verbrennen?“ fuhr Meister Veit auf und stellte sich schützend vor den Engel.
Da schritt Wilhalm durch die Thür. Die Menschenmenge theilte sich ehrfurchtsvoll vor ihm und ließ den Weg zum angefochtnen Engel frei. Sie sahen, daß er ein zorniges Antlitz hatte, und meinten nun müsse das Unheil losbrechen. [603] Aber zum allgemeinen Erstaunen sprach Wilhalm, als er das Kunstgebilde betrachtet hatte, bewundernd:
„Welch herrliches Gelock! Wie ausdrucksvoll ist die beschwichtigende Haltung der Hände! Und richtig, Eure Eigenart zeigt sich auch allhier: der Engel hat sein Gewand ein bisle zerknittert. Ihr habt ein Prachtstück geschnitzt, Meister Stoß.“
Die guten Freunde und getreuen Nachbarn umringten ihn. „Und findet Ihr keine Aehnlichkeit?“
„Ach Gott, wenn nur das nit wär!“
„Dafür wird er strenge Pön erleiden müssen, meint Ihr nit auch, Herr Haller?“ so fragten die Leute um ihn herum und sahen ihn mit hoffnungsvoller Angst an.
„Ich habe unter den Engeln – den Heiligen sei es geklagt – keine Bekanntschaft und finde deshalb auch keine Aehnlichkeit,“ entgegnete Wilhalm mit kühler Vornehmheit. „Doch laßt mich jetzt mit dem Meister allein, gute Leute! Ich habe einen eiligen Auftrag für ihn.“
Enttäuscht zog sich das Volk zurück.
Jetzt hielt sich Veit Stoß nicht länger.
„Ihr meint keine Aehnlichkeit zu finden?“ rief er mit blitzenden Augen. „Das läßt sich ein so künstlicher Meister, wie ich bin, nimmer bieten.“
Wilhalm legte beruhigend die mit goldgesticktem Handschuh bekleidete Hand auf die Schulter des erregten Künstlers.
„Ich meine, daß schon um kleinerer Freiheit willen Nürnberger mit ihrem Leib aus der Stadt fahren mußten.“
„Ich sollte aus der Stadt verwiesen werden und habe doch nichts gewollt, als den Frauen zeigen, was wahrhaft schön ist?“ rief Veit Stoß niedergeschmettert.
„Und Ihr steht vor der Verweisung. Euer Engel wird verketzert, und morgen Abend tragen alle Frauen die Augsburger Haube. Gar Mancher,“ fuhr er seufzend fort, „der Neues und Bessres einführen wollte, mußte es mit seinem Glück bezahlen, und Andre haben den Genuß davon. Das ist so Lauf der Welt. Aber ich meine, daß es unersetzlicher Verlust wäre, wenn der Veit Stoß Nürnberg meiden müßte. Ich biete Euch an, daß Ihr mir den Engel verkauft. Ich habe oft Geschenke nach fremden Städten zu machen, und so geht Euch der wohlverdiente Lohn und Ruhm nicht verloren sonder Gefahr für Eure Sicherheit. Meine Leute harren draußen mit einer Truhe, darin das Bild verpackt werden soll. Verwahrt es gut, und die Summe, die Ihr daran verdient habt, laßt Euch bei meinem alten Cassenführer auszahlen! – Dem Engel für unsre Kirche macht nicht so tiefe Schelmengrübchen!“ schloß er lächelnd; er drückte dem Künstler die Hand und ging.
Der neugierige Haufen sah darauf die Leute Haller’s mit einer großen Kiste in die Werkstatt ziehen, und während sie draußen auf die Stadtknechte hofften, verschwand das Schelmengesicht unter Heu und Stroh. – – –
An demselben Abende schritt Elsbeth durch die dämmernden Straßen. Sie kam aus dem Clarenkloster, wo sie den Nachmittag in stillem Gebet, in ernster Zwiesprache und Berathung mit der gelahrten Aebtissin Charitas Pirkheimer verbracht hatte. Voll Sehnsucht nach Festigung ihres Entschlusses, eine Klosterfrau zu werden, war sie hingegangen; sie hatte die Ueberzeugung gehegt, die höchste Billigung bei der hochwürdigen Frau zu finden, und die Hoffnung, daß alle Unrast dort zur Ruhe gehen und sie, von himmlischem Frieden erfüllt, die heilige Stätte verlassen werde, um dann sonder Anfechtung des Tages zu harren, der sie für immer in die heiligen Mauern führen sollte. Aber wie anders war nun, da sie heimging, ihr Gemüth gestimmt! Was hatte sie im Kloster alles schauen, was gar aus dem Munde der Aebtissin hören müssen! All das ging ihr nun auf dem Heimwege, eines nach dem Andern, durch den Sinn; sie lebte es mit Schrecken noch einmal durch: gleich beim Eintritt in das düstre Gebäude war ihr getroster Muth darnieder gesunken. Ein Eiseshauch war ihr entgegen geweht, es hatte geschienen, als wende die Sonne ihr Antlitz ab; ein so dämmriges Zwielicht hatte in den Gängen geherrscht, nur hier und da bleich ein Marterbild aus tiefer Nische geschimmert. Der Frühlingswind, der sie draußen frei umspielt – hier hatte er wie ein Gefangener um die Ecken gewimmert und eine trübselige Zwiesprache mit dem Holzwurm gehalten, der in dem alten Gebälk so unheimlich tickte.
Sie war zuerst in das kleine dumpfe Vorzeichen zur Capelle geschritten und hatte sich dort vor dem gegeißelten Christus niedergeworfen, an dessen armem Leibe das Blut in Strömen herabrinnt. Sie war auf einem Grabstein niedergekniet. Weihrauchwolken waren zur Thür hereingeströmt und hatten sich mit dumpfem Modergeruch gemacht. Es hatte sie durchschauert, und nachdem sie in den Opferstock eine Gabe geworfen, war sie nach der Zelle der Aebtissin gegangen.
Der klagende Gesang der Nonnen war aus der Capelle ihr nachgetönt.
Die Aebtissin hatte sie ruhig angehört und dann mit ihrer ernsten Stimme gefragt:
„Und lässest Du nichts zurück, wonach Dein Herz sich sehnen kann, wenn Du bei uns eintrittst?“
Elsbeth hatte die Augen niedergeschlagen; die Thränen waren darin emporgestiegen.
Da hatte Charitas Pirkheimer sanft mit einem Seufzer, der weither zu kommen schien, wie aus einer frühren Zeit, gesprochen:
„Junge Leute ficht die Liebe an, Muthwillen und weltliche Begier. Das muß erst von Dir abgefallen sein, ehe Du eine Braut Christi werden kannst; denn der unruhigen Seelen sind viele jetzt in den Klöstern. Die Nonnen müssen mit starker Hand niedergehalten werden. Sie murren thörichter Weise von einem neuen Recht, sagen, das kaiserliche alte, das verkündet: ,Wer eine Nonne zu Weibe nimmt, hat das Leben verwirkt und das Schwert verdient,‘ müsse abgeschafft werden. Und die Ehe sei nicht ein Gräuel – wie sie es doch wirklich ist – sondern eine Einsetzung Gottes, der ein Männlein und Fräulein zusammengefügt habe; Christus habe das bestätigt durch seine hohe Gegenwärtigkeit bei einer Hochzeit. Ja, so sprechen die irregeführten Bräute des Herrn. Manches Eisengitter am Fenster ist schon durchfeilt gefunden worden, und die Bußzellen werden nimmer leer. Bedenke, daß die Klosterfrau, wie es recht und billig ist, für das Gedenken an einen Mann den Geißelstrick kosten muß!“
Das hatte Elsbeth im Kloster erlebt, und so hatte die Aebtissin zu ihr gesprochen. Noch klangen die Worte der gestrengen Frau Elsbeth in den Ohren.
Die Sonne neigte sich über all ihren traurigen Betrachtungen; es war ein gedankenvoller Heimweg.
Ein rosiges Licht strahlte noch von Westen her, und die warme Luft umfing sie wie mit weichen Armen; durch die Straßen zog das Volk oder saß unter den Laubengängen lachend und plaudernd. Elsbeth litt große Pein. Die Welt war so schön. Warum mußte es ungetreue, wandelbare Mannsbilder darin geben?
Lärm und wüstes Geschrei unterbrach ihre heimliche Klage. Es drang aus einem Haus, dessen Fenster und Pforte hell erleuchtet waren, und dessen Schild mit der Traube die Zechstube anzeigte. Sie wollte rasch vorüber eilen, aber lallende Stimmen riefen sie vom Fenster an, und in der nächsten Minute schon ward sie von einem Schwarm herausströmender fürnehmer Herren umringt.
„Potz Marter!“ rief der Eine mit weinheiserer Stimme und rothem Gesicht. „Trägt sie nicht einen Sturz? Wißt Ihr denn nicht, schönste Maid, daß Seine Durchläuchtigkeit die Scheusale abgeschafft hat? Wir wollen Euch allsogleich davon befreien.“
Und er faßte nach ihrem Gebände.
„Ja, stürzt den Sturz!“ riefen die Andern.
Der Kreis schloß sich eng um sie. Sie sah lauter verwegne Gestalten um sich, Männer mit aufgerissnen Wämsern, die Federn an den Hüten zerdrückt, Becher, Würfel, Gold in den Händen.
Die Angst schnürte ihr schier das Herz zu, und nur den einen Seufzer stieß sie aus:
„O Wilhalm, wärt Ihr jetzt zur Stelle!“
Da stand er neben ihr, als habe ein Engel Gottes ihn hergeführt.
„Halt an!“ rief seine frische zornige Stimme. „Ich will Euch lehren, wie man einer Geschlechterin begegnet, Ihr Schubiake!“ Und vor Elsbeth springend, riß er seine spanische Klinge aus der Scheide. Im Nu hatten auch die Gegner ihre Waffen gezogen.
„Daß Dich Gottes Element schände, altfränkischer Krämer!“ rief der Eine.
„Wir wollen Dich mitten durchhauen wie eine Rübe!“ schrie ein Andrer.
Elsbeth sah, daß Viele gegen den Einen waren, und während sie angstvoll zu ihm aufschaute, der ruhig dastand, faltete sie die [604] Hände und that ein heimliches Gelübde, so die heilige Jungfrau ihr beistünde.
Und die Hohe sah gnädig auf ihre Noth herab.
Noch ehe ein Stoß geführt ward, nahten die Scharwächter, die ihren abendlichen Umzug durch die Straßen hielten. Sie umringten die Streitenden, und ihr Führer heischte mit barscher Stimme Auskunft, warum die Klingen gezogen seien, worauf schwere Pön stehe.
„Ich schütze mit meinem Degen eine ehrsame Jungfrau, so nicht mehr in unsrer Stadt ihrer Ehre sicher zu sein scheint, und ich bin der Wilhalm Haller,“ sprach trutzig der junge Patricier.
„Ihr sollt ungehudelt bleiben, Herr Haller,“ antwortete der Scharwächter; „geht Eures Weges!“
Aber dieser gehorsamte nicht. Er steckte die Degenspitze auf die Erde und reckte seine schöne gerade Nase in die Luft:
„Wenn ich auch mit Euch fertig bin, mit diesen Herren hab’ ich noch ein Wörtle zu reden,“ sagte er und deutete auf seine Widersacher.
Aber der Herzog von Baiern nahte begütigend.
„Seid nit so wild! Euch und Eure tugendsame Jungfrau hat Niemand kränken wollen. Die Herren kannten Euch nicht.“
„Sie sahen doch den Sturz!“ dräute Wilhalm.
Der Herzog schüttelte lachend den Kopf.
„Leute, die so angehumpt sind, fürchten sich selbst vor dem Teufel nicht, geschweige vor einem Sturz. Sie können halt nit viel vertragen; denn sie zechen erst seit acht Stündlein. Laßt den kleinen Handel geschlichtet sein, auf daß dem Erzherzog nichts davon zu Ohren kommt!“
Wilhalm sah finster drein. Aber Elsbeth hob flehend die Hände gegen ihn auf; da ließ er sich erweichen und zog mit ihr von dannen.
Die Scharwächter aber verfuhren nach dem alten Wort, welches das Recht ein Netz nennt, darin die kleinen Fliegen hängen bleiben, während die großen Hummeln durchwischen. Den geckenhaften Domherrn ließen sie laufen; vor dem Herzog von Baiern, der überlaut gelacht hatte, pflanzten sie den Spieß auf, aber einen Ritter von einem benachbarten armseligen Burgstall, der im Spiel unnatürliches Glück gehabt hatte, belegten sie mit dem Ehrentitel eines Landstörzers und setzten ihn in den Fröschthurm.
Elsbeth schritt stumm neben dem Haller her, bis sie an das Imhofische Haus kamen. Da blieb sie stehen.
„Nehmt meinen Dank, edler Junker,“ sagte sie mit zitternder Stimme, „daß Ihr mir so tapfer beigestanden habt!“
Und sie bot ihm schüchtern die Hand.
Er aber sagte gereizt:
„Ein Andrer würde Euch als Schützer lieber gewesen sein – gelt? Ihr mußtet schon fürlieb nehmen.“
Elsbeth schrak zusammen. Wußte der Haller schon von dem Heirathsplan mit dem Kriegsschreiber? Dann sprach sie in schmerzlichem Tone:
„Bald werde ich nur noch auf den Einen meine Hoffnung setzen, der uns in Ewigkeit treu bleibt.“
Wilhalm horchte auf. Damit konnte sie den Rotmund nicht meinen. Er schaute in ihre Augen; die sahen so weh und so wahrhaftig zu ihm auf, daß ihm eine Ahnung kam, wie er nach der Pfeife der Frau Rotmundin getanzt hatte, ohne es zu wissen. Aber so sehr ihn auch die Entdeckung freute, er nahm sich doch zusammen, daß er dem blonden Trotzkopf gegenüber Recht behalte.
„Es ist mir lieb,“ sagte er, „daß, ehe Ihr Euch dem himmlischen Bräutigam vermählt, ich Euch zeigen konnte, wie ich Eure Ehre wohl zu schützen vermöge.“
Sie schlug die Augen nieder.
„Ihr fahrt hart gegen mich einher! Aber wenn Ihr meine bösen Worte nicht vergessen habt, dann gedenkt auch, daß Ihr Ursache dazu gabt. Triebt Ihr nicht Kurzweil mit einer Ehefrau, zogt an einem Seil mit ihr, man weiß nicht was, und machtet eine spanische Reverenz ohne alle Ursach?“
Sie hatte sich in Eifer geredet und war dabei tief erröthet.
Wilhalm richtete sich beleidigt auf.
„An der Schnur hängt dort der kaiserliche Adler, und den Feston habe ich mit der Frau Rotmundin verabredet, die eine so ehrbare Frau ist wie ich ein rechtschaffner Junggesell. Eine spanische Reverenz aber,“ fuhr er mit Nachdruck fort, „kann ebenso gut manchmal eine Strafe sein für eine Jungfrau, die zuschaut, wie eine Huldigung für die Frau, welcher sie dargebracht wird.“
Elsbeth blickte tief beschämt nach dem Adler hin, der am Ende der dämmrigen Straße in der Abendluft sich schaukelte, und doch war ihr dabei, als fiele ihr ein Stein vom Herzen. Schüchtern lugte sie den Wilhalm an.
„Mußtet Ihr denn auch noch strafen? Habt Ihr mich nicht schon hart genug gescholten damals, an jenem Tage“ – die Stimme schwand ihr.
„Es ist das Recht des Mannes,“ antwortete Wilhalm fest, „seinen Willen kund zu thun und die Frau zu erziehen; das Weib aber hat sich zu fügen. So hat es Gott selbst gewollt, da er sprach: Er soll Dein Herr sein. Wenn die Frau sich auch hoffärtig erhebt, es wird immer der Augenblick kommen, wo sie des starken Mannes als Schutz und Schirm bedürftig ist. Wohl ihr, wenn sie dessen inne wird, bevor es zu spät ist!“
Sie senkte demüthig das Haupt, und er schaute mit Wohlgefühl auf sie herab. An den Rotmund – das sagte er sich mit Frohlocken – dachte die Elsbeth nicht, und er hütete sich seinen Verdacht einzugestehen; denn es behagte ihm sehr, den großen Mann zu spielen, der erst zürnte und schalt und dann mit nachsichtiger Güte das schwache Weib beglückte, das der zärtlichen Leidenschaft für ihn trotz alles Sträubens verfallen war bis zur Eifersucht wegen einer spanischen Reverenz.
„Und nun gehabt Euch wohl,“ sprach er in gütevollem Tone. „Beherzigt meine Worte, und möge der gehabte Schrecken nicht als Alb in der Nacht sich Euch aufhucken, sondern ein liebliches Traumbild zu Euch niederschweben!“
„Geruhsame Nacht!“ sprach auch sie.
Er verneigte sich auf Augsburgische Manier demüthig hoffärtig. Dann wartete er noch, bis auf ihr Klopfen aufgethan wurde; darauf schritt er gehobnen Hauptes davon.
Aus Elsbeth’s Seele aber war die Erinnerung an das Kloster gänzlich entschwunden – andere Dinge erfüllten ihren Sinn.
Als sie in’s Haus trat, löste sie den Sturz und rief die Magd:
„Schaffe ihn mir aus den Augen, auf den Kehrichthaufen oder in den Lumpensack! Ich habe ihn in einem Gelübde verschworen. Er hat mich nit geschützt, mit meinem brävsten Freund entzweit und ist mir allweg ganz zuwider.“
[634] Als der zweite Geschlechtertanz gehalten werden sollte, da regte es sich lebhaft in den Frauengemächern; denn mit dem Sturz war von den Geschlechterinnen die unheimliche Gleichgültigkeit gegen ihre Schönheit gewichen. Nun lohnte es die Mühe, sich zu schmücken.
Am geschäftigsten ging es bei der Rotmundin zu. Sie saß am Putztisch. Die Barbaraköchin brachte im silbernen Gießbecken das aus Wein, Schlüsselblumen, Diptamwurzel und Limoniensaft bereitete Schönheitswasser. Auf der blank gebohnten Platte standen Serpentinnäpfchen mit einem feinen Mehl aus Senfkörnern, die Hände damit abzureiben, und daran reihten sich in zierlicher Ordnung Töpfchen voll feiner Schminkfarbe aus Natterwurz und Fläschchen und Büchschen, welche köstliche Wohlgerüche enthielten.
In den zarten Fingern hielt Frau Rotmundin ein Handspieglein, dessen kostbare, aus Elfenbein geschnitzte Fassung die Erstürmung einer von Frauen besetzten Minneburg darstellte, welche mit Rosen beschossen und mit Rosen verteidigt wurde. Sie war fest entschlossen, ihre krausen Augenwimpern nicht von dem Spieglein zu erheben, es habe ihr denn zuvor gesagt, daß sie die Schönste im ganzen Lande sei.
Und siehe! Endlich that das Spieglein den gewünschten Ausspruch. – –
Mit zaghaft klopfendem Herzen stand Elsbeth Imhofin vor ihrer Gewandtruhe. Auch sie hatte den Entschluß gefaßt, heute holdselig zu sein. Die Aufgabe erschien ihr schwer zu lösen; wird sie dieselbige auszuführen vermögen, oder wird sie ihr mißrathen, wie ihr die erste Pastete mißrieth? Auch quälte sie immer die Sorge, daß sie eine Sünde begehe, indem sie den Sinn auf eiteln Putz wende. „Ist die Freude an der Schönheit eine Schwachheit? Darf die Tugend nit auch anmuthig sein?“ sprach sie leise vor sich hin, um die strenge Stimme in sich zur Ruhe zu bringen, die nach dem Sturz verlangte und sie darob schalt, daß ihr das pomesinfarbige Kleid und das nägleinbraune nimmer gut genug erschienen.
Ach nein! Nicht der freundliche Wurzelgräber und nicht der sanfte Maler hatten sie umgestimmt; dem Wilhalm Haller allein zu Liebe wollte sie sich putzen. Und damit konnte sie sich auch vor ihrem Gewissen entschuldigen. Denn auf eine göttliche Anordnung stützte er sich, wenn er es Mannesrecht nannte, sein Weib sich zu erziehen nach seinem Willen, und wenn er nun verlangte, daß sie den Weg zu seinem Herzen durch die Augen nehme, so mußte sie diesen Weg wandeln ohne Widerrede. Es war ja auch noch ein guter Zweck dabei, wenn sie ihn den welschen Teufelinnen abwendig machte.
Und wieder klopfte ihr Herz angstvoll. Sie wußte nicht, was in der Welt eigentlich schön genannt wurde. Nur aus den alten Märchen stammte ihre Weisheit, und da sahen die sieghaftesten Kleider wie Sonne, Mond und Sterne aus. Solche besaß sie freilich nicht. Rathlos und kummervoll kramte sie in ihrer Truhe. Und es ging wie immer: das Beste fand sich zu unterst. Das war ein lichtblauer Rock und darauf lag, wie Sonnenstrahlen auf dem Himmelsgewölbe, ein Netz, aus Goldfäden gewebt. Das hatte sie seiner Wunderlichkeit wegen einst einem Händler aus Venedig abgekauft und nie gedacht, es selbst zu tragen.
Und nun schlug ihr das Herz vor Freude, als sie es ersah. Sie schmückte sich mit dem himmelfarbnen Kleide, und ihr Goldhaar barg sie im Netze. Dann nahm sie den Spiegel zur Hand und schaute zaghaft hinein. Sie legte ihn schnell wieder bei Seite. Ihre Wangen aber färbten sich höher; ihre Augen strahlten, und jubelnd zog durch ihre Seele das Sprüchlein aus dem alten Märchen: Hinter mir Nacht, vor mir Tag! – –
Und ähnlich wie im Rotmundischen und Imhofischen ging es in allen anderen Geschlechterhäusern zu. Die Frauen waren mit Putz und Tand beschäftigt, und die Männer lachten und freuten sich, daß ihre Frauen so hübsch waren in der neuen Tracht.
Nur Eine schmückte sich nicht: die herbe Ursel; nur Einer lachte nicht: der lustige Rath.
Das alte Geschlechterhaus am Panierberg lag in Dunkel gehüllt. Die Herrin hatte seit ihrer Unmacht seine Schwelle nicht überschritten, und der theilnehmende Nachbar war mit kaltem Danke an der Stubenthür abgewiesen worden. Sie konnte sich Niemand zeigen, wie sie unruhig hin und her ging, angstvoll die Hände wand, bei jedem Laut aufhorchend, ob der altbekannte Schritt nicht auf der Treppe erklang.
Die Stunden schlichen hin – er kam nicht.
Nun tönte wieder die Tanzmusik vom Rathhaus herüber. Diese Weisen begleiteten die Späße, mit denen er die Gäste belustigte, er, der Narr, ihr Friedel.
Das Herz drohte ihr zu zerspringen.
[635] Sie griff nach ihrem Gebetbuch. Aber ihr Blick blieb auf dem in Elfenbein geschnitzten Einband haften. Er zeigte eine Auferstehung der Todten: den zu Gericht sitzenden Gottvater, Posaunen blasende Engel und die Erde, die ihre Todten wieder gab. Da stiegen sie heraus, die Armen, aus den flachen Erdwellen, demüthig arbeiteten sie sich empor im Leichenhemd, aber an den Grabhäusern, wo die Rathsherren schliefen, standen Engel und öffneten, dienstbereit wie Knechte, die Pforte, und herfür gingen die stolzen Patrizier in nadelspitzen Schnabelschuhen, Pelzschauben und Gogel.
Ursula schleuderte das Buch von sich. O, was hatte der alte Meister für geschickte Hände gehabt und für einen ungeschickten Kopf, daß er sich die ewige Seligkeit also fürstellte! Sollte die, so einem vornehmen Geschlecht entsprossen war, in alle Ewigkeit verflucht sein, abgesondert von denen zu bleiben, die keinen großen Namen trugen?
Der Athem fehlte ihr; es litt sie nicht mehr in der engen Stube. Sie konnte nicht einmal beten hier. Sie hüllte sich in Sturz und Mantel, um nach St. Sebaldus hinüber zu gehen, nach dem einsamen Winkel, wohin sie seit Jahren mit ihrem schwer bedrückten Herzen geflüchtet war, wo das Bild des verlornen Sohnes stand. Mit brechenden Knieen schlich sie durch die von den Hängelampen nur schwach erleuchteten Gänge. Die Glasaugen der ausgestopften Vögel sahen ihr gespenstisch nach. Unter ihren verblichnen Federn hatte einst auch ein warmes Herz geklopft, und nun standen sie von Motten zerfressen auf dürrem Holz, der Stunde harrend, wo die letzte Faser in Staub zerfiel.
Auf der Schwelle zögerte ihr Schritt. Dahin hatte seine liebe Hand den Veilchenstrauß für sie gelegt, ein Zeichen, daß er ihrer gedachte. Ihr Blick glitt flehend zu dem Marienbilde empor, das die Mauer ihres Hauses schmückte. Aber entmuthigt sank er wieder herab. Das war nicht die Schmerzensreiche mit den sieben Schwertern in der Brust, an die sie sich hätte wenden mögen. Das war die stolze gekrönte Himmelskönigin. Was hätte auch die demüthige Magd im Hause des Hochmuths zu schaffen gehabt?
Sie schritt der Kirche zu durch das nach dem Rathhaus strömende Volk, welches trotz der späten Stunde von der dröhnenden Musik wach erhalten wurde. Aus dem grellen Schein, den die am Portal lodernden Pechpfannen warfen, trat sie in den stillen Kirchhof. Da war das Schreyer’sche Grabmal, das an jenem traurigsten Morgen ihres Lebens geweiht worden war. Viele von denen, die damals mit ihr hier auf den Knieen gelegen, schliefen den ewigen Schlaf; die Andren tanzten dort drüben einen fröhlichen Reigen. Sie allein war ausgezählt. Sie war nicht todt, und sie lebte auch nicht.
Vor den Heiligenbildern brannte hier und da ein Lämpchen, von flehenden Händen gestiftet. Nur in dem Winkel, wo sie Trost suchte, lagerten tiefe Schatten. Sie vermochte das alte Bild nicht mehr zu erkennen. Ihr Blick glitt langsam an den Pfeilern empor. Droben strahlte Stern an Stern. Der Wind, der die Kerzen und Lampen löschte, vermochte dort oben nichts auszublasen. Sie hob die Arme. Langsam und laut sprach sie in die flüsternde Nachtluft hinein:
„Herr des Himmels und der Erde! Vergieb, daß ich arme Magd mich ohne Fürsprache der Heiligen an Dich wende! Es geht aber anjetzo die Red, wir dürften uns nit fürchten, Du hörtest alle Deine Kinder an. Und der gerade Weg ist mir allezeit der liebste gewesen. So höre mich also! Du hast jeder Creatur eine frohe Stunde gegeben: die Rose darf blühen, die Lerche singend in den Himmel fliegen; selbst das Mücklein freut sich spielend im Sonnenlicht. Nur ich bin in Nacht gewandelt zeitlebens – das weißt Du – und nur Du allein. Und bin ich nicht auch Dein Geschöpf wie die Andren? Hast Du den Frauen den Wunsch ihres lustigen Sinnes nach einer nichtigen Haube erfüllt, so kannst Du rechtschaffner Weise nicht Nein sagen, wenn ich Dich bitte: Zeig mir den Weg, auf den ich mir ihn, der das Glück und die Freude meines störrischen Herzens war, rette aus Narrenthum und Schellengeklingel! Erhöre mich!“
Sie schaute inbrünstig empor.
Da löste sich neben ihr ein hoher grauer Schatten aus dem Winkel und trat heran.
„Wen erflehst Du für Dich, Ursula?“ sprach eine bebende Stimme.
Ihr stockte der Athem. Dann brach es jubelnd über ihre Lippen:
„Friedel! Gott sei gepriesen, der mich erhörte!“
„Ja,“ sagte der lustige Rath ernst, „er hat es gnädig gefügt, daß wir uns versöhnt die Hände reichen dürfen, bevor wir für immer scheiden.“
„Scheiden für immer, da wir uns eben erst gefunden?“ flüsterte Ursula mit bebenden Lippen. „Kannst Du mir nicht verzeihen? Sieh, hier hebe ich meine Hände zu Dir auf und bitte: Vergieb mir meine Schuld, wie Du willst, daß Dir vergeben werde!“
Er zog ihre Hände sanft herab.
„Ich habe Dir lange vergeben. Das Schicksal hat Deinen strengen Urtheilsspruch bestätigt. Ich habe die Schellen getragen in bittrem Ernst. Aber die Stunde ist gekommen, da ich die Schmach von mir werfen muß. Ich bin heimlich von der Burg entwichen und auf dem Wege in.die Welt hinaus. Nur einmal wollte ich das Bild vom verlornen Sohn noch sehen, von dem man mir sagte, daß Du gern davor betest.“
„Du willst abermals gehen?“ rief Ursula verzweifelnd. „Und ich soll allein sein immerdar?“
„Was bleibt uns sonst übrig?“ fragte er bitter. „Die Kluft zwischen dem Hofnarren, der jederzeit auf den mit Eselsohren verzierten Stuhl gewiesen werden konnte, und der Patriciertochter ist zu tief.“
„Welche Kluft überbrückt die Liebe nicht?“ rief sie. „Verbirg’ Dich, bis der Erzherzog fort ist. Die geschornen Locken müssen wachsen; der Bart muß fallen, daß das liebe Friedelgesicht wieder zum Vorschein kommt. Dann trittst Du herfür als weitgereister, vielerfahrener Mann. Wer könnte dann den lustigen Rath in Dir ahnen? Und wer sollte Dir die Ehre weigern,“ fuhr sie, stolz sich aufrichtend, fort, „wenn Du an meiner Hand Dich zeigst, mit unsrem Wappen, und den Platz einnimmst, auf dem Du seit nahezu zwanzig Jahren stehen solltest? Die Patricier selbst werden Dir die Rathsherrnstelle antragen.“
Er trat einen Schritt zurück.
„Seit wann zieht die Frau den Mann zu sich empor? Ich will nicht mit einem Wappen stolziren, das ich mir nicht selbst errang; ich will nicht weise Narrheit, die Menschheit zu knebeln, auf dem Rathhaus ausbrüten, lieber närrische Weisheit auch fürder verkündigen, und ich will nicht unter Euren schweren Steinplatten begraben sein, sondern unter einem grünen Baum und blauen Veilchen ruhen, daß der Finke über mir sein Lied schmettern kann.“
„So laß mich Dir folgen auf den Armenkirchhof!“ sprach Ursula leise.
Ueber sein Gesicht flog ein heller Schein; aber er bezwang sich. Sein Blick fiel ernst auf sie nieder, als er sprach:
„Du gefällst Dir im Großmüthigsein heute wie damals. Du bist dieselbe geblieben; ich aber bin nicht mehr der junge Friedel, dessen einziges Ziel der Besitz eines geliebten Weibes war. Da mein Weg in Finsterniß führte, ist mir ein Licht aufgestrahlt und zum Leitstern geworden. Es ist die neue Zeit, die mächtig heraufsteigt. Meine Seele hat sich dem Mönch von Wittenberg zugewendet, und ich will eher Leib und Leben und selbst Dich verlieren, ehe ich ihn wieder aufgebe, der das göttliche Wort so hell und klar in sich trägt und mit so großem Sieg und Triumph aus freimüthigem und unerschrocknem Geist verkündet.“
Die Geschlechterin neigte demüthig das mit dem Sturz geschmückte Haupt vor dem Mann mit der Narrenkappe.
„Dein Gott sei mein Gott! Auch ich habe heut’ in der schwersten Stunde meines Lebens Zuflucht bei ihm gesucht ohne Fürsprache der Heiligen, und er hat mich erhört.“
Da schloß er sie in seine Arme. Dann richtete er sich auf und sprach:
„Nun lebe Wohl, Ursula, bis wir frei und offen vereint vor unsre Vaterstadt hintreten können!“
„Aber wie willst Du Dich flüchten?“ fragte sie angstvoll, „und wohin Deinen Schritt wenden?“
Er lächelte.
„Ich kenne von meinen wilden Knabenjahren her jedes Eckchen, jeden Steg in Nürnberg. Ein altes Pförtlein in der Stadtmauer ist heut’ wie vor zwanzig Jahren fest verschlossen, aber die Angeln sind so rostig wie damals. Ich will den bekannten Weg noch einmal gehen. Bin ich erst draußen, so finde [636] ich überall Herberge; denn der Bund Derer, die der neuen Lehre anhängen, ist größer, als Du weißt. Ein gelahrter Kräutersucher, der ihr auch zugethan ist, begegnete mir, da ich nach dem Weg in’s Weite spähte, und wies mir eine Schenke an der Heerstraße, wo unsre Gesinnungsgenossen nächtigen. Alsdann will ich zu erkunden suchen, wo Doctor Luther weilt. Von einem fahrenden Schüler hörte ich, daß er nicht in’s Elend gegangen ist, sondern wohlbehütet auf einer Burg in Thüringen lebt. Zu ihm will ich wallfahrten. Vielleicht sagt mir der große Mann, wie ihm ein Schalksnarr dienen kann.“
„So geh’!“ sprach Ursula. „Und laß Dich auch belehren von Deinem großen Meister, wie man ein schönes Hab’ und Gut so anwendet, daß es vielen armen Herzen nützt, die noch gefangen liegen in eisernen Ketten! Dann aber kehre wieder, nimm Alles, was ich habe, und thue damit, wie er will! Die Ursula aber behalte für Dich und verlaß sie nie wieder! Sie hat Nichts und Niemand auf der Welt lieb als Dich allein.“
Er drückte sie fest an sein Herz. Mitsammen gingen sie durch die abgelegnen nächtlich stillen Gäßchen nach der Stadtmauer. Sie ließ sich nicht zurückweisen; sie wollte ihn erst geborgen wissen und entgegnete auf seine besorgten Einreden:
„Die herbe Ursel hat Friede in Nürnberg.“
Sie standen am aufgesperrten Pförtlein. Da nahm Friedel die Narrenkappe vom Haupt.
„Ich thue sie von mir. Meinst Du, daß ein Sturz schwerer wiegt als sie?“
Und Ursula verstand ihn. Sie nahm den Sturz ab und schleuderte ihn in den Stadtgraben hinab.
„Hebe dich von mir, Ungethüm! Mögen Eule und Fledermaus in dir nisten.“
Da warf der Narr seine Kappe nach und sprach:
„Und in dir ein Spottvogel!“
Sie nahmen Abschied.
Bald stand er draußen und blickte auf die Ringmauern und Thorthürme wie vor wenigen Tagen. Aber diesmal war es ein glückliches ernstes Lächeln, mit dem er flüsterte: „Daheim in Altnürnberg!“
Eine Weile darauf stand in ihrem Haus mit strahlendem Antlitz die herbe Ursula vor dem Ingesinde, das jetzt erst vom Rathhaus zurückgekehrt war, und sprach:
„Nehmt den Beutel mit Gold und geht in die Spitäler, in das Waisenhaus und zu den Leprosen! Bringt jedem einen Theil und sagt, sie sollen Gott mit mir danken! Denn es ist mir Kunde geworden, daß der verlorne Sohn dieses Hauses heimkehren wird.“
Dann faltete sie die Hände zu stummem Gebet und schaute mit weinenden Augen zum Himmel empor, an dem glänzend der Morgenstern aufstieg. –
[646] Drüben im Rathhaus wüthete die Tanzfreude.
Allen voran übte die Rotmundin die feinen Künste, die sie in Augsburg gelernt hatte. Sie lenkte und renkte und bog sich, glitt sanft und leise mit zerbrochnen Tritten dahin oder schwenzelirte keck einher, wie das Alles zum Gepräng hoffärtiger Frauen gehörte.
Der junge Erzherzog versuchte jeden Tanzschritt einmal mit der hübschen Evastochter: den Hoppelreihen, das Verdrehen und Umbschweifen, das man später Walzer nannte, und er fragte sie jedesmal:
„Wann kommt der Todtentanz?“
„Wenn die Glocke Mitternacht schlägt!“ antwortete sie mit süßer Stimme.
Und auch dieser schöne Augenblick kam und verging.
Der Ferdinandus lag still auf dem Pfühl. Zinken und Hörner tönten; die schellenumhangene Handtrommel rasselte, und er blinzelte durch die Wimpern.
Der Letzten eine beugte sich die Rotmundin zu ihm nieder, und während sie den von Gold und Perlen flimmernden Schleier mit der Gebärde der Klage an ihre Augen führte, flüsterte sie dem still Liegenden zu:
„Ihr seid ein braver Herr gewesen, habt mir armem Weibe geholfen, daß ich nun meinem Eheherrn wieder in alter Lieb und Treu anhängen kann. Deß zum Dank geb ich Euch den Kuß mit auf die weite Reise.“
Sie drückte einen langen Kuß auf das vielbesprochne Schlarpel.
Das Gesicht des Erzherzogs wurde sehr roth, und Herr Rotmund leichenblaß.
Herr Wilhalm war heute großartiger denn je. Er saß den fremden Herren gegenüber auf hohem Pferd, damit sie nicht abermals aus Rand und Band kämen, und er ließ die Elsbeth warten, auf daß er sein Ansehen bei ihr erhöhte und ihr die gute Lehre beibrachte: eine Frau hat nichts von dem Manne zu fordern, sondern alles von seiner Liebe und Gunst geduldig zu erharren.
Und die Elsbeth war eine fleißige Schülerin; sie sah nur schüchtern zu ihm hinüber und maulte nicht, als ein Reigen nach dem andern vorüber ging, und Herr Haller, ohne sich zu rühren, an der Wand stand gleich dem trutzigen Rolandsbild draußen am Rathhaus.
Als aber der Kuß des Todtentanzes abermals drohte, machte er seinen Prüfungen ein Ende, schritt zu ihr hinüber und bot ihr die Hand zum einleitenden Rundgang. Da sich dann der Ringelreihen der Frauen ausschied, den Erzherzog zu umkreisen, führte er die Elsbeth stracks davon in eine der tiefen Fensternischen.
Einen Augenblick standen beide athemlos neben einander.
„Ihr habt Euch des Sturzes entledigt,“ sprach er endlich, auf das Goldnetz zeigend, in dem ihr schönes Haar gefangen lag.
„Ich habe gestern in der Stunde der Gefahr gelobt, den Sturz abzulegen,“ antwortete Elsbeth mit niedergeschlagnen Augen.
„So seid Ihr doch auch wandelbaren Sinnes und habt Euch dem Neuen zugewendet,“ rügte er würdevoll.
Sie schlug die Wimpern zu ihm auf, und jetzt sah er weg; denn wie sie ihn mit ihren zwo Wegwartenäuglein anschaute, da strahlte etwas darin, das drang ihm tiefer in’s Herz als das, was aus den Augen der schönen welschen Frauen ihn angeflimmert hatte.
„Wandelbaren Sinnes?“ fragte sie und schüttelte den Kopf, „nein, nur das Gehäuse wandelt sich, der Kern aber wird allzeit derselbe bleiben. Wir schaffen neue Truhen in das Gemach, aber es wird immer derselbe Linnenschatz darin sein; wir setzen andre Oefen, aber dasselbe Feuer wird darin brennen, und auf der Bank dahinter werden die Kinder sich dieselben Märlein erzählen; wir schmücken uns mit einer neuen Haube, und es sehen Euch dieselben Augen darunter an; wir thun den Goldlatz von uns, und gegen das neue Mieder schlägt dasselbe alte Herz. Ach Wilhalm! Wir können Euch nimmer berücken wie die Frauen aus Venezia, die, unter einer heißen Sonne erblüht, heiß fühlen und berauschen wie die Blüthe des Baumes, daran die gelben Limonien wachsen. Unsre Liebe brennt in einer stillen Flamme, aber wie die ewige Lampe für und für. Hauchet Ihr sie an, so duckt sie sich, als wolle sie verlöschen; dann wieder leuchtet sie sacht weiter, und darum giebt man uns das Lob, daß wir treu sind.“
Da schmolz dahin, was an Geckerei und Firlefanz und beleidigter Manneswürde noch in ihm war. Er war nur noch der frische junge Gesell, der sein Herz klopfen hörte und der mit einer bebenden Stimme fragte:
„Elsbeth, wollen auch wir uns Treue halten?“
Sie drückte die Hände vor das Antlitz.
Wilhalm aber zog sie jubelnd an sein Herz. Ihm war so wohl, als habe er Maienwein getrunken, und er flüsterte übermüthig:
„Nun mußt Du Dich doch herzen lassen auf Befehl; denn Dein Herz ist Festordner geworden und schwingt den weißen Stab mit magischer Gewalt, der Du nimmer zu widerstehen vermagst.“
[647] „Du aber? Du?“ flüsterte sie und sah ihm halb lächelnd, halb ängstlich in die Augen.
„Ich? O, i kenn mi halt nimmer aus,“ antwortete er auf gut Nürnbergisch und drückte seine Lippen auf ihren stillen Mund. Und er, der bisher nur den langsamen polnischen Tanz, in dem man gravitätisch dahin wandelte, seiner Würde angemessen gehalten hatte, sprang nun fröhlich mit seiner Elsbeth im letzten Hupfauf.
Dann sagten Alle der fürstlichen Durchläuchtigkeit Valet.
Der Morgen graute schon; die schaulustigen Bürger waren endlich schlafen gegangen, und tiefe Ruhe waltete in der Stadt. Nur aus den Armenhäusern drang frommer Gesang; es waren die Danklieder, welche die herbe Ursel bestellt hatte.
Noch andre Herzen stimmten selig ein: der Rotmund, der endlich seinen Kuß bekam, der Wilhalm, der sich fröhlich in seinem zerrütteten Gemach auf’s Lager warf und feines Läuten im Traum hörte, wie von einem Schlüsselbund.
Und die Elsbeth? Lange noch, nachdem längst ihre Eltern, von dem gehabten Kummer getröstet, ausschliefen, stand sie an ihrem Fenster und schaute in die aufsteigende Morgenröthe. Ihre Nachbarinnen, die Schwalben, erwachten, zirpten und riefen einander zu, und weil sie Niemand hatte, dem sie ihr Herz ausschütten konnte, sprach sie zu den geflügelten Hausgenossen:
„Ihr Schwälblein seid mir das liebste von allem Gethier, das da fleugt. Ihr steuert frei durch die blaue Luft, daß man meint, Eure Fahrt habe kein Ziel. Dann seid Ihr doch glücklich, wenn Ihr Euch im steinernen Nestlein zusammenfindet. So war es auch mit der Sehnsucht in unsren Herzen. Wir wußten nicht, woher sie kam und wohin sie begehrte, bis sie sich nun zur Ruhe setzt in einem traulichen Heimwesen.“ – –
Am andern Morgen ging’s überall still her. Die geschwärmt hatten, schliefen dem Tag die Augen aus. Die Knechte der fremden Gäste packten ein.
Aber allmählich entstand ein Laufen, ein Suchen und Rufen auf der Burg. Der Erzherzog hatte seinen lustigen Rath zu sich befohlen, und der war nimmer zu finden. Erst hielt man es für einen Schalksstreich vom Narren, daß er sich versteckte. Man suchte ihn von der Spitze des Heidenthurmes bis hinab in das Verließ und die Folterkammer. Der Narr blieb verschwunden.
Pfalzgraf Ottheinz meinte:
„Der liebe Gott hat ihn zu sich genommen, hat auch einmal seinen Spaß mit ihm haben wollen.“
Der Erzbischof von Mainz aber sagte: „Der Teufel hat ihn geholt; er stak so voll Ketzerei wie ein alter Pelz voll Motten.“
Endlich hatte ein Stadtsöldner seine Kappe unten im Graben gefunden, innig vereint mit einem Sturz, und brachte beides auf der Spitze seines Spießes getragen.
Jetzt argwöhnte auch der Stadtschultheiß einen Teufelsspuk.
„Er ist der Böse selbst gewesen und gekommen, uns den Sturz zu entführen, und zu Spott und Hohn hat er uns seine Kappe mit dem ehrwürdigen Schmuck vereint zurückgelassen.“
Aber der Erzherzog zürnte ob dieser losen Reden. Er wollte seinen lustigen Rath wieder haben. Aus der Verwunderung wurde Verdruß, aus dem Verdruß Zorn.
Sein Gefolge saß reisefertig unter der Burglinde, die sich zum fünfhundertsten Male gelaubt hatte, und schwang zum Zeitvertreib die großen Krausen, wie man die gerippten Krüge nannte. Es wurde kein Befehl zum Abmarsch gegeben. Ja, der hohe Herr stampfte endlich zornig mit dem Fuße auf und erklärte, er weiche nicht von dannen, bevor ihm Nürnberg seinen lustigen Rath wieder geschafft habe. Durch alle Straßen rannten Boten; der ehrbare Rath rieb sich den Schlaf aus den Augen und versammelte sich, um Hülfe zu schaffen. Der Narr wurde wie ein verlornes Kleinod ausgeschellt.
Schon klang das Mittagsläuten von allen Thürmen, und noch standen die Rosse und Maulthiere im Schloßhofe, saßen die Herren und Knechte beim Frühtrunk.
Da nahte ein stattlicher Zug. Herr Wilhalm Haller schritt voran; vier Knechte trugen einen Schrein ihm nach. Er begehrte Gehör bei Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit.
Ungnädig nahm der Fürst ihn auf.
Aber Wilhalm sah getrost in das finstre Gesicht des hohen Herrn. Er wußte, wie man einem jungen Herzen beikommt.
So sprach er denn die Betrübniß der Stadt aus über den Verlust des Narren und bot in tiefster Unterthänigkeit einen kleinen Ersatz aus der Hand eines kunstfertigen Bürgers.
Auf einen Wink öffnete sich die Thür; zwei Diener trugen ein holdseliges Engelsbild herein, setzten es nieder und gingen.
Ferdinandus schaute auf.
Da stand sie vor ihm, von dichten Locken umwallt, in züchtige Gewänder bis zur kleinen Fußspitze herab gehüllt. Beschwichtigend hielt sie die feinen Hände empor, und die blauen Augen lachten ihn strahlend an.
Seine fürstliche Durchläuchtigkeit konnte nicht widerstehen. Er neigte das Haupt, man wußte nicht, ob vor dem Huldbilde oder zum Dank gegen Herrn Haller, und sprach dann:
„Wir sind content und wohlzufrieden. Der Engel soll an dem Kanzelfuß unsrer Hauscapelle aufgestellt werden. Alle Heiligen seien gepriesen, daß wir mit so gutem Gewissen ihn an dem heiligen Orte bergen können!“
Dann gab er Befehl zum Aufbruch. – – –
Als in diesem Jahr Fortuna mit ihrem rothen Segel über dem Schützenfeste waltete, wandelte Ursula als Ehegemahl ihres Vetters an seinem Arm durch das Gedränge.
„Es ist der Herr, der überall für die neue Lehre spricht,“ flüsterte das Volk, ihm nachschauend. „Ein stattlicher Mann! Er schaut mild aus, aber ernst, als möchte er nimmer lachen.“
„Desto holdseliger ist sie,“ sagten Andre. „Warum man sie nur die herbe Ursel genannt hat?“
Auch die Rotmundischen schauten dem Paare nach. Mit ihnen war der Wilhalm Haller gekommen, die Elsbeth am Arm, zum letzten Mal als Bräutigam, da andern Tages die Hochzeit sein sollte.
„Was trägt die Ursula für ein Birettlein mit gerade aufsteigender Feder über dem Perlennetz?“ fragte die hübsche Frau den Wilhalm Haller.
„Ein Wiener Putz!“ antwortete dieser. „Ihr Ehewirth ist gut bekannt in Wien; wird ihn haben kommen lassen.“
Frau Rotmundin lächelte ihren Mann an.
„Ich weiß nit, mein Häuble gefällt mir nimmer. Warum ich nur halt meinem lieben Ehegespons deshalb so schwere Tage gemacht habe? Ich will’s nit wieder thun. Aber Du mußt mir auch solch ein Birettlein kommen lassen, Herr Rotmund! Gelt?“
Herr Rotmund seufzte und nickte.
Wilhalm drückte die Hand Elsbeth’s fest an sein Herz und flüsterte:
„Ach Elsbeth, mir gefällt von allen Zierden die Haube am besten, unter die Du morgen kommst.“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: „Da