Der Kriegsschauplatz im Sudan

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Titel: Der Kriegsschauplatz im Sudan
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 171-172
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[171] Der Kriegsschauplatz im Sudan. Wiederum hat der Islam eine jener kriegerischen Erhebungen gezeugt, deren Gang so oft in der Geschichte durch Ströme von Blut, verwüstete Länder und niedergebrannte Städte bezeichnet wurde. Schon Mohammed soll prophezeit haben, daß im 13. Jahrhundert der mohammedanischen Zeitrechnung ein „Mahdi“ oder „Mahadi“, das heißt „der von Gott auf den rechten Weg Geleitete“ erscheinen, den Islam wiederbeleben und die arabische Herrschaft wiederherstellen werde.

Diese Prpphezeiung lebte in der Ueberlieferung der Gläubigen fort, und in der That fand sich ein Mann, der, als der Tag der Prophezeiung der 1. Moharrem d. J. 1300 mohammedanischer Aera oder der 12. November 1882 n. Chr. Geburt gekommen war, sich als den lange erwarteten Messias bezeichnete. Einst ein schlichter Schiffszimmermann in Chartum, der Hauptstadt des ägyptischem Sudans, ist er heute als „Mahdi“, der „falsche Prophet“ in aller Welt Munde, und er strahlt sogar im Glanze des kriegerischen Ruhmes, der seit je die Schaaren der Wüstensöhne blendete. Dieser Prophet hat in der That mit unzulänglichen Kriegsmitteln ägyptische und englische Generäle geschlagen und einen Aufstand entfacht, den das stolze Albion bis jetzt weder mit Pulver noch mit dem mächtigeren Gold zu dämpfen vermochte.

Wir werden in nächster Zeit unsern Lesern in Wort und Bild[1] die Geschichte dieses Aufstandes und die eigenthümlichen Verhältnisse jenes Landes vorführen, des Sudans, in welchem die Schale des Unrechts die der Gerechtigkeit überwiegt, in welchem die Brandschatzung und Unterdrückung der Bevölkerung eine stehende Regel geblieben und die Schande des Sclavenhandels offen fortwuchert. Heute bringen wir die beifolgende Karte, welche den Leser leicht in den Stand setzen wird, sich über den dortigen Kriegsschauplatz zu orientiren. Nur die eine Bemerkung möchten wir dabei vorausschicken, sich nämlich die Entfernungen und überhaupt alle Dimensionen sehr groß vorzustellen.

Das eigentliche cultivirte und bewohnte Aegypten, also das Nilthal mit dem Delta, ist bekanntlich kaum größer als Belgien, aber das sogenannte ägyptische Reich, das heißt alle Länder, welche nominell direct oder indirect, unter ägyptischer Botmäßigkeit stehen, ist an Flächeninhalt weit größer als das deutsche Kaiserreich. Ferner darf auch bei der Beurtheilung der Kriegsoperationen die ganze Beschaffenheit des Bodens nicht außer Acht gelassen werden, der, mit Ausnahme der Karawanenstraßen, sich noch fast überall im Urzustande befindet. Wasserleere Wüstenstrecken von einigen hundert Kilometern Länge sind selbst in den bebauten Gegenden nichts Seltenes, und meilenlange felsige Einöden liegen zwischen den Städten und Dörfern.

Der bedeutendste Punkt bei dem augenblicklichen Stande der Dinge im Sudan ist Chartum, am Zusammenfluß des Weißen und Blauen Nils. Diese Hauptstadt des ägyptischen Sudans ist zugleich das Centrum des gesammten ostafrikanischen Handels und die westliche Spitze des großen Dreiecks, das voraussichtlich für die weiteren Kriegsoperationen von Wichtigkeit sein wird; Berber bildet in diesem Dreieck den nördlichen und [172] Kassala den östlichen Punkt; und um hier nochmals auf die großen Entfernungen hinzuweisen, bemerken wir, daß jede der drei Seiten des Dreiecks über fünfzig geographische Meilen lang ist.

Mit Berber ist Chartum durch den Nil und mit Kassala durch eine gute, sichere und mit zahlreichen Brunnen und Cisternen versehene Karawanenstraße verbunden; auch der Telegraph geht an dieser Straße entlang bis nach Snakim und Massana, den beiden namhaftesten ägyptischen Häfen an der Westküste des Rothen Meeres.

Sinkat und Tokar sind zwei kleine befestigte Städte in der Nähe Suakims, wobei man freilich nicht an unsere europäischen Festungen denken muß; vor Sinkat erlitt Baker Pascha die schlimme Niederlage, und Tokar ist ebenfalls schon im Besitz der Rebellen.

Doch zurück nach Chartum, wo Gordon, trotz aller Zweifel und Bedenken fast der gesammten europäischen Presse, aber auch zu ihrem Erstaunen, wirklich am 18. Februar glücklich eingetroffen, wie ein Retter und Erlöser im Triumphe empfangen worden ist und unerhörter Weise den Sclavenhandel wieder gestattete. Man hoffte, daß sein Erscheinen die Lage der Dinge mit einem Schlage ändern würde, aber die neuesten Nachrichten lauten für die Engländer nicht besonders günstig.

Der Mahdi war mit seinem Heere bis Mitte Februar nur wenig über El-Obeid hinaus vorgerückt, steht also noch mindestens vierzig, wenn nicht fünfzig Meilen südlich von Chartum. El-Obeid ist die Hauptstadt der ägyptischen Provinz Kordofan, zu dessen Sultan Gordon den Mahdi bereits ernannt haben soll. Südwestlich von El-Obeid sehen wir auf unserer Karte noch Melbeis und Kashgil: zwischen beiden liegt das Schlachtfeld, wo am 3. November Hicks Pascha mit seinem ganzen Heere vernichtet wurde – das schrecklichste Ereigniß des ganzen Feldzuges. Ueber Chartum hinaus nach Norden ist bis dahin Alles ruhig geblieben, wenigstens in Bezug auf die Gesammtheit der dortigen Bevölkerung, obwohl die Sendboten des Mahdi schon bis nach Wadi-Halfa und sogar bis Assuan gegangen sind. Die große Nubische Wüste liegt glücklicher Weise dazwischen, und diese ist für ein größeres Heer geradezu unpassirbar. Sie war auch der schwierigste Theil der Eilreise Gordon’s, der die ganze über vierzig Meilen weite Strecke, von Korosko nach Abu-Hammed, mit seinen wenigen Begleitern auf Reitkameelen zurücklegen mußte. Von da gelangte er nilaufwärts über Berber nach Chartum. Die Schiffbarkeit des Nils wird nur leider durch die Stromschnellen, die sogenannten Katarakte, häufig unterbrochen. Von Assuan an, der südlichen Grenzstadt des eigentlichen Aegyptens, giebt es nordwärts keine Katarakte mehr, und der Dampferdienst von dort bis Kairo ist sehr lebhaft und regelmäßig. Die große Karawanenstraße von Chartum über Dongola durch die Nubische Wüste bis Siut ist deshalb in den letzten zehn, fünfzehn Jahren mehr und mehr verlassen, da die ganze Strecke mit den nöthigen Rasttagen immer achtzig bis hundert Tagereisen in Anspruch nahm. Nur die Sclaventransporte zogen von jeher diesen Weg, wie auch den anderen, östlich durch die Nubische Wüste von Berber bis Assuan.

Noch dürfen wir das große Sultanat Darfor, südwestlich vom Sudan und Kordofan, nicht vergessen, das erst unter dem Ex-Khediv Ismaïl im Jahre 1874 annectirt wurde. Es ist fast dreimal so groß, als das Königreich Baiern, wobei es allerdings auf einige Tausend Quadratkilometer mehr oder weniger nicht ankommt, freilich mit kaum so viel Einwohnern, als jenes. Der Sohn des abgesetzten Sultans befand sich jetzt im Gefolge Gordon’s, der ihn als Nachfolger seines Vaters und als einfach tributären Sultan wieder einsetzen soll.

Noch weit südlicher liegt die letzte ägyptische Garnison, und zwar in Gondokoro am Nil, schon ganz im äquatorialen Afrika, unter dem fünften Grade nördlicher Breite. Die dortige gegen 2000 Mann starke Besatzung steht unter dem Befehle des englischen Obersten Watson, der auf einem Regierungsdampfer über 50 Tage gebrauchte, um mit seinem Stabe dorthin zu gelangen. Gondokoro ist nicht weiter bedroht, aber als ein verlorener Posten anzusehen, von dem auch seit Ende December vorigen Jahres keine zuverlässigen Nachrichten mehr eingetroffen sind.



  1. Wir haben für diese Schilderung unsern langjährigen durch seine trefflichen Artikel über Land und Leute in Aegypten den Lesern der „Gartenlaube“ wohlbekannten Professor Adolf Ebeling gewonnen.