Der Lübecker Urthel
Um 1314 ungefähr kömmt ein fremder Mann gen Lübeck von Rom, wo er bei dem Römischen Vater, dem Papst, um Ablaß seiner Sünden angehalten. Ihm war befohlen, so und so viel Meilen Weges barfuß zu gehn; dann sollt’ er Pardon haben. Wie er nun zu Lübeck am Thor steht, fragt er die Jungs: wo eine gute Herberge? die sollten sie ihm zeigen; er wollt ihnen Trinkgeld geben. Sie sprechen ja, und zeigen ihn schalksweise in die Büttelei. Wie er da kömmt, begehrt er Herberge; der Büttel weigert sich auch nicht und spricht: er möge ablegen; von wannen er komme? Der Fremde sagt: von Roma, und daß der Papst befohlen, wenn er so und so viel Meilen Weges barfuß gangen, sollten ihm alle seine Sünden vergeben sein. Der Büttel fragt ihn: was er denn für Sünde gethan habe? Da bekennet der Fremde, daß er einen schweren Mord gethan. Der andere schweigt still, geht aber zu den Herren des Gerichts und meldet, was er von seinem Gast vernommen. Als nun die Herren auch den Fremden selbst gehört, ist Urthel und Recht darüber ergangen, also daß man ihm den Kopf weggehauen.
Welch Urthel mag nun richtiger sein: des Papstes oder der Lübschen?