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Der Lügenfreund oder der Ungläubige

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Textdaten
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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Der Lügenfreund oder der Ungläubige
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Eilftes Bändchen, Seite 1355–1388
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1830
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Φιλοψευδής ἢ Ἀπιστῶν
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[1355]
Der Lügenfreund oder der Ungläubige.
Tychiades und Philokles.

1. Tychiades. Kannst du mir nicht sagen, mein lieber Philokles, wie es doch kommt, daß nie meisten Menschen so großen Gefallen an Lügen haben: so daß es ihnen ungemeine Freude macht, die grundlosesten Dinge nicht nur selbst zu erzählen, sondern auch von Andern mit der größten Aufmerksamkeit anzuhören?

Philokles. In sehr vielen Fällen ist es die Rücksicht auf den Vortheil, welche die Menschen nöthigt, Unwahrheiten zu sagen.

Tychiades. Ich spreche hier nicht von Solchen, die im Falle sind, lügen zu müßen: diesen gebührt jedenfalls Nachsicht, bisweilen sogar Lob, wenn sie z. B. im Kriege den Feind durch falsche Nachrichten hintergehen, oder in bedrängten Lagen, um sich und Andere zu retten, zu diesem Mittelchen greifen, dergleichen Ulysses mehr als einmal gethan,

Sorgend für seine Seele zugleich und der Freunde Zurückkunft.
 (Odyss. I. 5.)

Vielmehr rede ich hier blos von Denen, welche sich ohne alle Noth, aus purer Liebhaberei, mit Lügen abgeben, und gegen diese die Wahrheit weit zurücksetzen. Da mochte ich doch wohl wissen, was diese Leute dabei für einen Nutzen zu haben glauben.

[1356] 2. Philokles. Hast du wirklich schon Welche kennen gelernt, denen eine solche Liebe zur Unwahrheit wie angeboren ist?

Tychiades. O ja, mein Freund; es gibt Deren sehr Viele.

Philokles. Da müßte man denn nur sagen, Unverstand sey die Ursache, warum sie Unwahrheiten sprechen, indem sie ja das Schlimmste dem Besten vorziehen.

Tychiades. Das ist es nicht, mein Freund. Ich könnte dir viele, sonst sehr verständige und höchst einsichtsvolle Männer nennen, die gleichwohl auf eine unbegreifliche Weise in diesem Uebel befangen, und so große Liebhaber vom Lügen sind, daß es mich wirklich verdrießt, zu sehen, wie Leute, die doch in allen übrigen Stücken so vorzüglich sind, ihre Freude daran haben können, sich selbst und Andere zu betrügen. Jene Alten z. B. kennst du ja selbst und besser als ich, den Herodot, den Knidier Ctesias, und die noch ältern Dichter, den großen Homer nicht ausgenommen: alle diese hochgepriesenen Schriftsteller haben ihre Lügen sogar in Bücher gebracht, so daß sie nicht blos ihre damaligen Zuhörer betrogen, sondern daß ihr in die schönsten Worte und Sylbenmaße gefaßter Trug sich durch fortgehende Ueberlieferung bis auf unsere Zeiten erhalten hat. Mehr als einmal war es mir, als ob ich mich für sie schämen müßte, wenn ich ihre Erzählungen von der Entmannung des Uranus las, oder von dem angeschmiedeten Prometheus, oder von der Empörung der Giganten, oder ihre tragischen Schilderungen von der Unterwelt, und wie Jupiter aus Liebesdrang zum Stier oder Schwan geworden, wie ein Weib sich in einen Vogel [1357] oder Bär verwandelt, und ihre Mährchen vom Pegasus, der Chimäre, den Gorgonen und Cyklopen, und was dergleichen ungereimte und abenteuerliche Fabeleien mehr sind, welche höchstens einigen Eindruck auf die Seelen von Kindern machen können, welche noch vor Hexen und Gespenstern[1] zittern.

3. Doch, was die Dichter thun, möchte noch hingehen: daß aber ganze Städte und Nationen öffentlich und von Staatswegen Lügen schmieden, Wer findet Dieß nicht lächerlich? wenn z. B. die Kreter das Grab Jupiter’s zu zeigen sich nicht entblöden, oder die Athener den Erichthonius aus der Erde entsprossen seyn lassen und behaupten, die ersten Menschen seyen aus dem Attischen Boden gewachsen wie die Kohlköpfe? und damit ist es ihnen noch weit mehr Ernst, als den Thebanern, wenn sie erzählen, aus den [ausgesäeten] Zähnen eines Drachen wären Männer, Sparten genannt, hervorgekeimt. Wenn nun Einer diese Sagen für das, was sie sind, für lächerliche Fabeln hält, und nach verständiger Prüfung der Meinung ist, daß es höchstens eines Coröbus und Margites[2] Sache sey, zu glauben, Triptolemus sey wirklich mit geflügelten Drachen durch die Lüfte gefahren, Pan habe sich aus Arkadien auf dem Marathonischen Schlachtfelde zur Hülfe eingestellt, Orithyia sey vom Nordwind entführt worden – so gilt ein Solcher den Leuten für unverständig und gottlos, weil er so offenkundige und unbestreitbare Thatsachen nicht glauben wolle. So groß ist die Gewalt, welche die Lüge ausübt.

[1358] 4. Philokles. Doch sollt’ ich denken, daß man den Dichtern und den Städten Das zu Gute halten könnte, mein Tychiades. Jenen ist es Bedürfniß, in ihre Werke den Reiz des Wunderbaren zu verweben, was für ihre Zuhörer immer das Anziehendste ist. Die Athener hingegen und Thebaner und Andere suchen durch Sagen dieser Art ihrem Vaterlande mehr Glanz und Ansehen zu verschaffen. Und wollte man diese ganze Masse des Fabelhaften aus Griechenland verbannen, was bliebe den armen Periegeten[3] anderes übrig, als Hungers zu sterben, da ja die Fremden die nackte Wahrheit nicht einmal umsonst anzuhören Lust hätten? Aber Leute, die ohne irgend einen solchen Beweggrund sich ein Vergnügen daraus machten, zu lügen, blos um zu lügen, diese wären allerdings in hohem Grade belachenswerth.

5. Tychiades. Ganz recht. So eben komme ich von dem hochangesehenen Eukrates her, aus dessen Munde ich des Unglaublichen und Mährchenhaften eine große Fülle vernommen habe. Ja ich machte mich aus dem Staube, noch ehe er zu Ende war: denn es war mir, als ob mich die Furien vertrieben, als ich den Mann eine solche Menge der abenteuerlichsten Ungereimtheiten herausschwatzen hörte.

Philokles. Und doch gilt dieser Eukrates für einen sehr glaubwürdigen Mann. Man sollte doch wohl nicht vermuthen, daß dieser ehrwürdige Sechziger mit seinem langen Barte, der sein Leben fast ausschließlich der Philosophie gewidmet, es ertragen könnte, wenn ein Anderer in seiner [1359] Gegenwart sich Unwahrheiten erlaubte, geschweige daß er sich selbst dergleichen beigehen lassen sollte!

Tychiades. O Freund, hättest du doch mit angehört, was er Alles vorbrachte! Wie er es bekräftigte, wie er sich betheuerte, wie er sogar die Wahrheit seiner Aussagen bei’m Leben seiner Kinder beschwor! Ich wußte in der That nicht, was ich von dem Manne denken sollte. Bald kam es mir vor, als wäre sein Kopf aus der Ordnung gekommen, bald hielt ich ihn für einen Windbeutel, dem es lange Zeit gelungen, den lächerlichen Affen, der er war, ohne daß wir’s merkten, unter einer Löwenhaut zu verbergen; so tolles Zeug ließ er von sich hören.

Philokles. Und was sagte er denn Alles, Tychiades? Ich bin doch begierig zu wissen, welcher Unsinn hinter dem stattlichen Philosophenbart versteckt lag.

6. Tychiades. Ich war schon früher gewohnt gewesen, Eukrates zu besuchen, so oft ich Muße hatte. Heute aber wollte ich zu Leontichus gehen, der, wie du weißt, mein Freund ist, und mit welchem ich nothwendig zu sprechen hatte. An seiner Thüre erfuhr ich, er wäre ausgegangen, den Eukrates, der krank liege, zu besuchen. Um nun Beides mit Einemmale abzuthun, den Leontichus zu sprechen, und nach Eukrates zu sehen, von dessen Krankseyn ich Nichts gewußt hatte, begab ich mich zu Letzterem. Dort traf ich zwar den Leontichus nicht mehr, der, wie sie sagten, kurz vor meinem Eintritt weggegangen war, dagegen viele Andere, und unter ihnen den Peripatetiker Kleodémus, den Stoiker Dinomachus und den Ion, der, wie du weißt, so große Ansprüche auf Bewunderung macht, weil Niemand so tief, [1360] wie er, in die Platonische Philosophie eingedrungen sey, und Niemand Plato’s Schriften besser als er erklären könne. Du siehst, welch große Namen ich dir nenne, Männer voll tiefer Weisheit und von vollkommener Tugend, die Häupter jeglicher Sekte, alle von einem sehr ehrwürdigen, um nicht zu sagen schauerlichen Ansehen. Außerdem war noch der Arzt Antigonus zugegen, der vermuthlich, um den Kranken zu besorgen, gerufen worden war. Der Letztere schien sich wieder um ein Gutes besser zu befinden; es war sein altes Uebel, und die Gichtmaterie hatte sich bereits wieder in die Füße zurückgezogen. Er hieß mich sogleich neben sich auf sein Ruhebette sitzen. Bei’m Eintreten hatte ich ihn mit vielem Eifer und lautem Geschrei Etwas behaupten hören; allein wie er mich sah, stimmte er sich auf einmal auf den schwächlichen Ton eines Patienten herab. Nachdem ich mich mit aller Vorsicht, um seinen Füßen nicht zu nahe zu kommen, niedergelassen hatte; fing ich mit der Entschuldigung an, daß ich von seiner Krankheit nichts gewußt hätte, und versicherte, bei der ersten Nachricht davon eilends herbeigelaufen zu seyn.

7. Die Gesellschaft hatte eben von seiner Krankheit gesprochen: Einige hatten ihre Meinung bereits gesagt, Andere waren gerade im Begriff die ihrige zu entwickeln, und der Eine dieses, der Andere jenes Mittel dagegen vorzuschlagen. „Wenn man also,“ fuhr Kleodémus fort, „den Zahn einer auf die angegebene Weise umgebrachten Spitzmaus mit der linken Hand von der Erde aufhebt, in ein Stückchen von einer frisch abgezogenen Löwenhaut einnäht, und dieses sodann um das Bein bindet, so hört der Schmerz augenblicklich auf.“ „Nicht in eine Löwenhaut, wie ich mir habe sagen lassen,“ [1361] unterbrach ihn Diomachus, „sondern in die Haut einer jungen Hirschkuh, die noch nicht getragen hat; und das ist auch wahrscheinlicher: denn der Hirsch ist ein schnelles Thier, das seine Hauptstärke in den Füßen hat. Der Löwe ist zwar stark, und das Löwenschmalz, so wie seine rechte Tatze und die langen, geraden Haare aus seinem Bart haben gar große Kräfte, wenn man sie mit dem zu jedem Stück gehörigen Spruch recht zu gebrauchen weiß: allein daß er kranke Füße heile, darf man sich nicht versprechen.“ „Ich selbst,“ versetzte Kleodémus, „war früher lange dieser Meinung, es müße eine Hirschhaut seyn, weil der Hirsch ein schnellfüßiges Thier sey. Neulich aber belehrte mich ein in solchen Dingen einsichtsvoller Mann aus Libyen eines Bessern, indem er mir begreiflich machte, daß der Löwe doch noch schneller sey als der Hirsch, weil ja dieser von jenem auf der Flucht erhascht werde.“ Alle Anwesenden gaben dem Libyer ihren Beifall.

8. Hierauf nahm ich das Wort: „Ihr glaubt also wirklich,“ fragte ich, „daß durch magische Sprüche und äußerliche Anhängsel sich Uebel kuriren lassen, die doch innerlich sind?“ Ein allgemeines Gelächter war die Antwort und gab mir zu erkennen, wie albern ich diesen Herren vorkommen mußte, da ich so allbekannte und ausgemachte Dinge, an welchen kein Vernünftiger je zweifeln könnte, nicht zu wissen schien. Nur dem Arzt Antigonus gefiel meine Frage, wie ich zu bemerken glaubte: man hatte ihn offenbar vernachläßigt; er wollte dem Eukrates nach den Regeln seiner Kunst helfen, untersagte ihm den Wein, verordnete leichte Gemüse: kurz er wollte ihn möglichst herabstimmen. Da wandte sich Kleodémus [1362] mit spöttischem Lächeln an mich und sagte: „Im Ernste, Tychiades, findest du es nicht glaublich, daß Mittel, wie die vorhin angegebenen, gegen Krankheiten dienen können?“ – „Ich einmal nicht,“ versetzte ich; „mein Gehirn müßte wohl schlecht aufgeräumt seyn, wenn ich glauben könnte, daß Dinge, die mit den innerlichen Ursachen der Krankheit in gar keinem Zusammenhange stehen, in Verbindung mit etlichen Sprüchelchen, wie ihr sagt, und sonstigen Possen dem leidenden Theile aufgebunden, einige Wirkung zu äußern und die Heilung herbeizuführen vermögen. Das kann nun einmal nicht seyn, und wenn man ein ganzes Dutzend Spitzmäuse in die Haut des Nemeischen Löwens selbst einnähte. Wie manchen Löwen habe ich vor Schmerz hinken sehen, während er doch seine Haut ganz unversehrt auf dem Leibe hatte!“

9. „Du bist in der That sehr unwissend in solchen Dingen,“ fiel Dinomachus ein; „es muß dir nie daran gelegen gewesen seyn, dich über die Heilmittel der Krankheiten zu unterrichten. Vermuthlich wirst du eben so wenig wissen wollen von der Art, wie man periodische Fieber bannen, Schlangen beschwören, Drüsengeschwüre vertreiben kann, und was dergleichen Künste mehr sind, die heutzutage jedes alte Weib auszuüben versteht. Wenn nun diese ihre Wirkung nicht verfehlen, warum willst du nicht an jenes Mittel glauben, das doch mit diesen von ganz ähnlicher Art ist?“ – „Das Eine folgt nicht aus dem Andern,“ erwiederte ich: „du willst, wie das Sprichwort sagt, einen Nagel mit einem andern austreiben. Wenn auch Heilungen erfolgen, wie du eben nanntest, so ist doch noch nicht ausgemacht, daß sie [1363] Wirkungen solcher Kräfte sind, dergleichen du annimmst. So lange du mir nicht begreiflich machen kannst, wie es möglich seyn soll, daß ein Fieber oder ein Geschwür aus Respekt vor irgend einem heiligen Namen, oder ein paar barbarischen Wörtern sich eilends flüchtig mache, so lange halte ich Alles, was du sagtest, für Alteweiberpossen.“

10. „Wenn du so sprichst,“ versetzte Dinomachus, „und nicht glaubst, daß Heilungen durch die Nennung heiliger Namen bewirkt werden können, so ist sehr wahrscheinlich, daß du überhaupt nicht an das Daseyn der Götter glaubst.“ – „Sage das nicht, mein Bester,“ fiel ich ein: „wenn es gleich Götter gibt, so können nichts desto weniger alle diese Dinge Lügen seyn. Im Gegentheile, ich verehre die Götter, und sehe die wohlthätigen Wirkungen vor Augen, welche sie durch Heilmittel und kunstgemäßes Verfahren an den Kranken hervorgebracht werden lassen. Aeskulap selbst und seine Söhne pflegten des Kranken mit Arznei und

– – legten ihm lindernde Salb’ auf,[4]

ohne Löwenfelle und Spitzmäuse ihm auf die Haut zu binden.“

11. „Laßt ihn glauben, was er will,“ sagte Ion: „ich will euch eine Geschichte erzählen, die euch in Erstaunen setzen wird. Ich war ein Knabe von ungefähr vierzehen Jahren: da kam eines Vormittags ein Mensch zu meinem Vater gelaufen und zeigte ihm an, sein Weingärtner Midas, einer von unsern stärksten und fleißigsten Knechten, sey von einer giftigen Natter gebissen worden, und sein Bein fange schon an zu faulen. Er sey im Weinberge beschäftigt gewesen, [1364] die Reben an die Pfähle zu binden, als die Bestie herbeigeschlichen, ihn in die große Zehe gebissen, und sich darauf sogleich wieder in ihre Höhle hineingemacht habe. Jetzt liege er da, und winsele und vergehe vor Schmerz. Wie der Mensch noch so erzählte, sahen wir schon den Midas von seinen Mitknechten auf einem Tragstuhl herbeigebracht werden: er war über und über geschwollen, braun und blau, sein ganzes Aussehen wie abgestorben; kaum holte er noch Athem. Da sagte ein zufällig anwesender Bekannter zu meinem Vater, dem der Unfall sehr nahe ging: „„Beruhige dich; ich will auf der Stelle einen Babylonier, einen von den sogenannten Chaldäern herbeiholen, der wird dir den Mann bald kurirt haben.““ Daß ich’s kurz mache: der Babylonier kommt und bringt unsern Midas richtig auf die Beine, nachdem er ihm mittelst eines Spruches das Gift aus dem Leibe getrieben, und ein Stückchen, das er von dem Grabstein einer verstorbenen Jungfrau abgeschlagen, an den Fuß gebunden hatte. Vielleicht findet man das eben nicht außerordentlich! wiewohl ich mit angesehen habe, wie Midas aufstand, denselben Stuhl, auf welchem man ihn herbeigetragen hatte, auf die Schulter nahm, und kräftigen Schrittes hinaus nach unserem Gute ging. So viel vermochte der Zauberspruch und das Stückchen von jenem Leichenstein!

12. Allein der Mann that noch mehr: er verrichtete ein wahrhaft göttliches Wunder. Des Morgens früh begab er sich auf unser Gut, und ging dreimal um dasselbe, indem er mit einer Fackel und mit Schwefeldampf eine Weihung des Ortes vornahm, und aus einem alten Buche sieben heilige Namen dazu vorlas. Dadurch vertrieb er, was von [1365] schädlichem Gewürm auf unserer Feldmark lebte. Denn nun kamen, als zöge man sie mit Gewalt hervor, aus ihren Löchern gekrochen, Schlangen, Nattern, Vipern, Horn- und Schießschlangen, Unken und Kröten. Nur ein einziger alter Drache, der vermuthlich aus Alterschwäche nicht mehr hervorkriechen konnte, hatte sich an die Vorladung nicht gekehrt und war zurückgeblieben. Sogleich bemerkte der Zauberer, daß nicht alle da wären. Mit einem Wink ordnete er eine der jüngsten Schlangen an den Alten ab, und gleich darauf erschien auch Dieser. Wie sie alle versammelt waren, blies sie der Babylonier an, und augenblicklich waren alle zu unserem größten Erstaunen von seinem Hauch zu Asche verbrannt.“

13. „Ei sage doch, Ion,“ fragte ich, „führte denn wohl die junge Schlange den abgelebten alten Drachen an der Hand, oder kam er mit Hülfe eines Stockes einhergehumpelt?“ – „Spotte du nur,“ fiel Kleodémus ein: „ich selbst war vor Zeiten wohl noch ungläubiger in solchen Dingen, als du, weil ich mir ihre Möglichkeit durchaus nicht vorstellen konnte: allein, als ich einmal einen Ausländer (aus dem Hyperboräerlande, wie er selbst angab) fliegen sah, da wurde ich gläubig und gab gewonnen, so sehr ich mich gesträubt hatte. Wie könnte ich auch anders, da ich mit eigenen Augen zusah, wie er sich am hellen Tage in die Lüfte erhob, auf dem Wasser einherlief, und ganz gemächlich und langsam durch’s Feuer ging?“ – „Wie?“ rief ich: „das hast du gesehen? einen Hyperboräer, der fliegen und auf dem Wasser gehen konnte?“ – „Allerdings, und zwar in bloßen Rohlederschuhen, wie sie seine Landsleute tragen. Andere [1366] Stücke, die er zeigte, will ich als zu unbedeutend gar nicht erwähnen, wie er z. B. Leute behexte, daß sie verliebt wurden, Geister citirte, verwesende Leichname in’s Leben rief, die Hekate uns leibhaftig erscheinen ließ, und den Mond auf die Erde zog.

14. Laßt euch nur erzählen, was ich ihn im Hause des Glaucias, Alexikles Sohn, verrichten sah. Dieser Glaucias, der nach dem Tode seines Vaters in den Besitz von dessen ganzem Vermögen gekommen war, hatte sich in Chrysis, die Tochter Demänets, verliebt. Ich war sein Lehrer in der Philosophie, und wenn ihn nicht jene Liebschaft zu sehr zerstreut hätte, er würde bereits die peripatetische Doktrin in ihrem ganzen Umfange inne haben. Denn er analysirte schon in seinem achtzehenten Jahre, und hatte den ganzen Kurs der Physik bis zu Ende gehört. Bei allem Dem wußte sich der junge Mensch in seiner Liebesnoth nicht zu rathen und zu helfen, und vertraute mir sein ganzes Geheimniß an. Ich führte ihm also – wie billig, da ich sein Lehrer war – den Hyperboräischen Zauberer in’s Haus, nachdem ich Diesem vier Minen [174 fl.] vorausgezahlt hatte, die zu den vorläufigen Opfern erforderlich waren. Sechszehen Minen sollte er erhalten, wenn er die Chrysis herbeigeschafft hätte. Nachdem er nun den Vollmond abgewartet hatte, um welche Zeit dergleichen Verrichtungen am besten von Statten gehen, grub er eine Grube im Hinterhofe des Hauses, und citirte um Mitternacht den Geist des Alexikles herauf, des sieben Monate zuvor verstorbenen Vaters von Glaucias. Dieser war Anfangs ungehalten über die Liebschaft des Sohnes und zürnte: endlich aber gab er doch seine Einwilligung dazu. [1367] Jetzt ließ er die Hekate emporsteigen, welche den Cerberus mit heraufbrachte; dann zog er den Mond herab, was ein wechselvolles Schauspiel ist, und bald diese, bald jene Erscheinung herbeiführt. Zuerst zeigte sich Luna in weiblicher Gestalt; hierauf wurde sie zu einer wunderschönen Kuh; nach diesem erschien sie als ein kleines Hündchen. Endlich formte der Hyperboräer aus Lehm einen kleinen Kupido und sagte zu diesem: „Geh’ und hole die Chrysis!“ Alsogleich flattert der Lehm davon, und nach wenigen Augenblicken steht Chrysis vor der Thüre und klopft. Man läßt sie ein: sie fliegt dem Glaucias, wie rasend vor Liebe, an den Hals, und bleibt bei ihm bis zum Hahnenschrei. Jetzt schwebte Luna wieder gen Himmel. Hekate sank in die Erde, alle übrigen Erscheinungen verschwanden, und die Chrysis entließen wir mit Beginn der Morgendämmerung. Wenn du Das mit angesehen hättest, Tychiades, so würdest du an den vielen wohlthätigen Kräften der Zaubersprüche nicht mehr zweifeln.“

15. „Du hast Recht,“ versetzte ich, „wenn ich es gesehen hätte, würde ich es glauben: so aber ist es mir zu verzeihen, glaube ich, wenn ich in diesen Dingen nicht so scharf sehe, wie ihr. Nur das muß ich bemerken: ich kenne diese Chrysis, von welcher du erzähltest. Sie ist eine sehr gefällige und willige Person. Ich sehe also nicht, wie es eines Boten aus Lehm geformt, eines hyperboräischen Zauberers, und sogar des Mondes bei einer Chrysis bedurfte, die man mit zwanzig Drachmen [8 fl. 40 kr.] in’s Land der Hyperboräer selbst locken könnte. Denn das ist der unwiderstehliche Zauberer für diese Dirne; und in so fern ist es mit ihr ganz anders, als mit den Gespenstern. Denn diese [1368] machen sich davon, wie ihr sagt, wenn sie Kupfer oder Silber klingen hören. Jene aber, wenn irgendwo Silber klirrt, läuft dem Klange nach. Außerdem muß ich mich über den Zauberer selbst wundern, wie er, da er ja die reichsten Frauen in sich verliebt machen, und damit ganze Talente auf einmal verdienen könnte, mit so kleinlichen Geschäften sich abgeben, und um vier Minen einem Glaucias seine Geliebte zuführen mag.“

16. „Du machst dich nur lächerlich durch diesen hartnäckigen Unglauben,“ sagte Ion. „Ich möchte dich doch wohl fragen, was du dazu sagst, daß es Leute giebt, die im Stande sind, die Besessenen zu befreien, und mittelst ihrer Sprüche die bösen Geister ihnen sichtbarlich auszutreiben? Ich brauche nicht erst an den Meister dieser Kunst, den berühmten Syrer aus Palästina zu erinnern (Alle kennen ja den merkwürdigen Mann), welcher Leute, die bei’m Anblick des Mondes umfallen, die Augen verdrehen und Schaum vor dem Munde haben, aufstehen heißt, und sie gesund und für immer frei von ihrem Uebel wieder nach Hause schickt, wofür er sich jedesmal eine schöne Summe zahlen läßt. Er stellt sich nämlich vor den zu Boden liegenden Kranken, und fragt, woher er in diesen Leib gefahren sey? Auf das spricht der Kranke selbst kein Wort: aber der böse Geist antwortet auf Griechisch oder in irgend einer ausländischen Sprache, wo er eben zu Hause ist, wie und woher er in diesen Menschen gekommen sey. Jetzt rückt der Mann mit Beschwörungen, und wenn der Geist nicht gehorchen will, mit Drohungen heraus, und treibt so den Unhold aus dem Leibe. Ich selbst sah einmal einen solchen Geist ausfahren, der ganz schwarz [1369] und rauchig aussah.“ – „Kein Wunder,“ versetzte ich, „daß du so Etwas gesehen, Ion, da dir ja auch die Ideen, welche euer Vater Plato sehen läßt, sichtbar erscheinen, die freilich für uns Blödsichtige gar zu feine Gebilde sind.“

17. „Glaubst du denn,“ fiel Eukrates ein, „Ion sey der Einzige, der solche Dinge gesehen hat? Sind nicht noch vielen anderen Leuten Geister begegnet, sowohl bei Tag als bei Nacht? Ich selbst habe nicht nur einmal, wohl hundertmal solche Erscheinungen gehabt. Anfänglich erschrak ich freilich nicht wenig: jetzt aber bin ich so daran gewöhnt, daß ich mir gar nichts mehr daraus mache, besonders seitdem mir ein gewisser Araber einen eisernen Ring aus Galgennägeln geschenkt, und mich einen Spruch gelehrt hat, der aus einer Menge heiliger Namen besteht – es wäre denn, daß du auch mir nicht glauben wolltest, Tychiades?“ – „Wie sollte ich dem Eukrates, dem Sohne Dinon’s, nicht glauben,“ versetzte ich, „dem einsichtsvollen Manne, der unbefangen genug ist, in seinem eigenen Hause seine Meinung mit aller Freimüthigkeit auszusprechen?“

18. „Was sich also mit der Bildsäule zuträgt,“ fuhr Eukrates fort, „und was alle Nächte allen Leuten in meinem Hause, jung und alt, zu erscheinen pflegt, das kannst du nicht nur von mir, sondern von jedem meiner Hausgenossen vernehmen.“ – „Mit welcher Bildsäule?“ fragte ich. – „Hast du bei’m Eintreten auf der Hausflur nicht die schöne Statue gesehen, ein Werk des berühmten Demetrius?“ – „Du meinst doch nicht etwa den Discobolus, der mit dem Körper vorgebeugt, wie im Augenblick des Wurfs, den Kopf aufwärts [1370] nach der Hand, welche den Diskus hält, gewendet, mit halbgebogenem Knie, zugleich mit dem Wurf sich aufzurichten scheint?“ – „Diesen meine ich nicht,“ sagte Eukrates: „der Discobolus, von welchem du sprichst, ist eines von Myron’s Werken; auch nicht die daneben stehende schöne Statue eines Jünglings, der sich die Siegerbinde um das Haupt windet: diese ist ein Werk von Polyklet. Aber lassen wir die Bilder, die rechts vom Eingange stehen, unter welchen sich auch ein Paar von der Hand Kritias des Nesioten befinden, die Tyrannenmörder. Wenn du aber die Bildsäule neben dem Brunnen wahrgenommen hast, den halbbekleideten ältlichen Mann mit dem Hängebauch, einem kahlen Kopfe, einem langen Barte, in dessen Haaren der Wind zu spielen scheint, und mit sehr deutlich hervortretenden Adern, kurz, der so ganz einem wirklichen Menschen gleicht, den meine ich. Ohne Zweifel ist es der alte Korinthische Feldherr Pelichus.

19. „In der That,“ sagte ich, „ich sah eine solche Statue rechts neben dem Saturn, mit Binden und welken Blumenkränzen geziert, und auf der Brust mit Goldplättchen überdeckt.“ – „Ich habe sie so vergolden lassen,“ versetzt er, „als sie mich von einem dreimaligen hitzigen Fieberanfall kurirt hatte, der mir beinahe das Leben gekostet hätte.“ – „Wie?“ fiel ich ein: „dieser wackere Pelichus war also auch ein Mediziner?“ – „Das ist er,“ antwortete Eukrates; „und spotte nur nicht, oder der Mann wird dich bald genug zu finden wissen: ich weiß, was diese Bildsäule kann, über welche du dich lustig machst. Oder glaubst du nicht, daß es eben so gut in ihrer Macht stehe, hitzige Fieber zuzuschicken, [1371] als sie im Stande ist, welche zu vertreiben?“ – „Nun so sey mir die Bildsäule eben so gnädig und barmherzig, als sie tapfer ist,“ versetzte ich. „Was ist es denn aber sonst noch, das die Leute im Hause alle von ihr gesehen haben wollen?“ – „Gleich mit Einbruch der Nacht,“ hob Eukrates an, „verläßt sie ihr Fußgestell, und wandelt rings im Haus herum, wo sie denn ohne Unterschied Allen, die um den Weg sind, zu Gesichte kommt. Bisweilen hört man sie auch singen. Sie thut Niemanden Etwas zu Leide, nur muß man ihr aus dem Wege gehen: alsdann geht sie ganz friedlich vorbei und läßt sich betrachten. Nicht selten badet sie sich und macht sich lustig im Wasser, so daß man oft die ganze Nacht hindurch ihr Geplätscher hören kann.“ – „Ei!“ fiel ich ein, „am Ende ist diese Statue nicht einmal der alte Pelichus, sondern Talos, des Minos auf Kreta Knecht, der bekannte eherne Mann, der regelmäßig um Kreta herumwandelte. Wäre aber deine Statue nicht von Erz, sondern von Holz, so sähe ich nicht, warum sie ein Werk des Demetrius seyn sollte, und nicht vielmehr eines von den künstlichen Stücken des Dädalus. Denn sie verläßt ja gleichfalls ihr Postament, wie du behauptest, und läuft davon.“

20. „Nimm dich in Acht, Tychiades!“ warnte er, „dieser Spott könnte dich einst gereuen. Ich weiß ja, wie es dem Menschen erging, der ihm einmal die Obolen, welche wir ihm alle Neumonde zum Geschenke machen, gestohlen hatte.“ – „Er hat das Aergste verdient, der gottlose Räuber!“ rief Ion. „Sage uns doch, Eukrates, wie hat er ihn heimgesucht? ich wünschte es zu hören, mag nun dieser [1372] Tychiades d’ran glauben oder nicht.“ – „Es lagen,“ sagte er, „viele Obolen zu seinen Füßen; einige silberne Geldstücke waren mit Wachs an seine Hüften geklebt, nebst etlichen silbernen Täfelchen, welche ihm als Votivgeschenk oder als Belohnung von Solchen geopfert worden waren, die er vom Fieber geheilt hatte. Damals hatte ich gerade einen Stallknecht aus Afrika, einen verruchten Burschen, in meinen Diensten. Dieser unterfing sich, alle diese Sachen Nachts zu entwenden, nachdem er den Zeitpunkt abgewartet, wo das Bild sein Fußgestell verlassen hatte. Sogleich nach seiner Rückkunft merkte Pelichus, daß er beraubt worden war; und nun hört, welche Rache er nahm, und wie er den Diebstahl des Afrikaners an’s Licht brachte. Die ganze Nacht hindurch mußte der Bursche in entsetzlicher Angst im Kreise herumlaufen, und konnte so wenig aus dem Hofe heraus, als ob er in ein Labyrinth gerathen wäre, bis der Tag anbrach, und das Gestohlene in seinen Händen entdeckt wurde. Man ergriff ihn nun, und prügelte ihn tüchtig durch. Allein er überlebte den Vorfall nicht lange, sondern nahm, wie er es verdiente, ein jämmerliches Ende. Denn jede Nacht wurde er, wie er selbst sagte, [von unsichtbarer Hand] so fürchterlich gegeißelt, daß am folgenden Morgen die Striemen an seinem ganzen Leibe zu sehen waren. Nun, Tychiades, spotte jetzt noch über Pelichus, wenn du Lust hast, und halte mich meinetwegen für einen alten Narren, der noch König Minos Zeiten gesehen.“ – „Und dennoch, Eukrates,“ versetzte ich, „so lange Erz Erz bleibt, und ein Bild, das Demetrius von Alopece verfertigt hat, kein Götterwerk, sondern ein Menschenwerk ist, so lange werde ich mich vor der [1373] Bildsäule eines Pelichus nicht fürchten, dessen Drohungen, auch wenn er noch lebte, mir nicht sonderlich bange machen würden.“

21. Jetzt nahm der Arzt Antigonus das Wort und sagte: „Auch ich habe einen Hippokrates von Erz, ungefähr eine Elle hoch, zu Hause, der jedesmal, wenn der Lampendocht ausgeht, im ganzen Hause herumpoltert, meine Büchsen umwirft, die Arzneien untereinander schüttet, die Thüre auf- und zuwirft, und das besonders, wenn wir es zu lange anstehen lassen, ihm das gewöhnliche jährliche Opfer darzubringen.“ – „Wie?“ rief ich: „also verlangt auch schon der Arzt Hippokrates, daß man ihm opfere, und wird ernstlich böse, wenn er nicht zur rechten Zeit mit vollständigen Opferschlachtungen bewirthet wird? Ich sollte doch meinen, er könnte zufrieden seyn, wenn man ihm das gewöhnliche Todtenopfer brächte, etwas Wassermeth aufgöße, oder einen Blumenkranz um den Kopf legte.“

22. „Laß dir nun erzählen,“ fing Eukrates wieder an, „was ich vor fünf Jahren gesehen habe, und wofür ich Zeugen aufstellen kann. Es war um die Herbstzeit: ich befand mich auf meinem Gute, wo meine Arbeiter mit der Weinlese beschäftigt waren. Um Mittag verließ ich dieselben, und ging, über irgend einen Gegenstand in Gedanken vertieft, in den nahegelegenen Wald spazieren. Kaum war ich in die dichtern Schatten des Gehölzes gekommen, als ich anfänglich ein Gebell von Hunden vernahm. Ich dachte nicht anders, als mein Sohn Mnason und seine jungen Freunde belustigten sich in diesem dicken Forst mit der Jagd, wie sie sonst zu thun pflegten. Allein das war es nicht: sondern [1374] auf einmal erbebt die Erde; ich höre ein Getöse, als ob es donnerte, und eine fürchterliche, weibliche Gestalt von wenigstens dreihundert Fuß Höhe schreitet gerade auf mich zu. In der linken Hand hielt sie eine Fackel, und in der rechten ein zwanzig Ellen langes Schwert. Ihr Unterleib endigte statt der Füße in zwei ungeheure Drachen, und ihr Angesicht, ihr Blick, sage ich euch, war schauerlich, ganz wie der einer Gorgone: statt des Haupthaares fielen Schlangen lockenförmig herab, und ringelten sich in mannichfaltigen Windungen um Nacken und Schultern. Noch jetzt, seht ihr, fährt mir ein Schauer über die Haut, wenn ich davon spreche.“ Mit diesen Worten zeigte er uns, wie alle Haare an seinem Arme vor Schrecken emporstarrten.

23. Ion, Dinomachus, Kleodemus, lauter Männer von gesetztem Alter, sahen ihn unverwandten Blickes und mit halb offenem Munde an, und waren einfältig genug, in der Stille ein Stoßgebet um das andere an den weiblichen Koloß, den riesenmäßigen Popanz von dreihundert Fuß Höhe, zu richten. Da dachte ich bei mir selbst, was das für Leute wären, von welchen die Jugend Unterricht in der Weisheit empfangen soll, und welche der große Haufe anstaunt, während doch nur ihr grauer Kopf und ihr langer Bart sie von kleinen Kindern unterscheidet. Denn im Uebrigen ist es sogar noch leichter, ihnen etwas weiß zu machen, als Diesen.

24. Endlich rückte Dinomachus mit der Frage heraus: „Wie groß waren denn die Hunde der Göttin, Eukrates?“ – „Größer als die Indischen Elephanten,“ versetzte Dieser, „und ebenfalls schwarz, rauhaarig, schmutzig und zottig. Ich blieb bei’m Anblick dieser Erscheinung stehen, und drehte den [1375] Stein des Ringes, den ich von dem Araber habe, gegen das Innere meiner Hand. Jetzt stampfte die Hekate mit ihrem Drachenfuße auf den Boden, und sogleich that sich eine ungeheure Kluft auf, so groß wie der Tartarus. Sie sprang hinein, und in wenigen Augenblicken war Nichts mehr von ihr zu sehen. Nun war ich keck genug, mich über den Abgrund hineinzubücken, indem ich mich an einem nebenstehenden Baume festhielt, um nicht schwindelig zu werden, und kopfüber hinunterzustürzen. Da hatte ich nun die ganze Unterwelt vor mir, den Pyriphlegethon, den [Acherontischen] See, den Cerberus; und selbst die Todten sah ich so deutlich, daß ich Einige von ihnen erkannte. Meinen Vater z. B. sah ich ganz genau: er hatte noch dasselbe Gewand an, in welchem wir ihn begraben hatten.“ – „Und was treiben denn die Seelen?“ fragte Ion. – „Je nun, sie liegen mit ihren Freunden und Anverwandten nach Familien und Stämmen gesondert auf der Asphodilwiese, und unterhalten sich mit einander.“ – „Nun soll mir noch einmal ein Epikuräer kommen, und dem heiligen Plato und seiner Seelentheorie widersprechen wollen!“ rief Ion. – „Aber sage mir, hast du nicht vielleicht den Sokrates oder Plato selbst unter den Todten bemerkt?“ – „Den Sokrates glaube ich gesehen zu haben, jedoch nicht mit Gewißheit: ich vermuthe es blos an seiner Glatze und seinem Hängebauche. Allein den Plato habe ich – um meinen guten Freunden die Wahrheit zu sagen – mit Wissen nicht zu Gesichte bekommen. Wie ich mir nun so Alles genau betrachtete, schloß sich allmählig der Schlund, und es erschienen Einige meiner Leute, die mich suchten, unter ihnen dieser Pyrrhias hier. Diese standen bereits neben mir, als [1376] sich der Abgrund noch nicht völlig geschlossen hatte. Sprich, Pyrrhias: rede ich die Wahrheit oder nicht?“ – „So wahr Jupiter lebt!“ sagte der Bursche; „ich selbst hörte das Hundegebell aus dem Abgrund herauf, und glaubte ganz deutlich den Schein der Fackel zu sehen.“ Da mußte ich lachen, wie der Zeuge so freigebig das Hundegebell und den Fackelschein uns noch in den Kauf gab.

25. Allein nun nahm Kleodémus das Wort, und sagte: „Das ist eben nichts Neues: schon manche Andere haben Dasselbe gesehen, und ich selbst hatte nur erst neulich, als ich krank war, eine ganz ähnliche Erscheinung. Antigonus, dieser hier gegenwärtige Arzt, behandelte mich. Es war der siebente Tag; ich lag im Fieber, dessen verzehrende Hitze den höchsten Grad erreicht hatte. Meine Leute hatten sich, deiner Anordnung zu Folge, Antigonus, um mich wo möglich schlafen zu lassen, aus dem Zimmer begeben und die Thüre hinter sich verschlossen. So lag ich ganz allein und wachte noch, als auf einmal ein wunderschöner Jüngling in weißem Gewande vor mein Bette tritt, mich aufstehen heißt, und mich durch eine tiefe Kluft hinunter in die Unterwelt führt, wo ich sogleich auf den ersten Blick den Tantalus, Tityus, Sisyphus und noch vieles Andere ansichtig ward, was ich jetzt nicht aufzählen will. Wie ich an den Gerichtsstuhl kam, wo sich unter Andern auch Aeakus, Charon, die Parcen und die Furien befanden, sah ich einen Mann, der mir wie ein König vorkam, und den ich für Pluto hielt, auf dem Stuhle sitzen, und hörte, wie er die Namen Derer angab, die alsogleich sterben sollten, weil sie bereits den ihnen bestimmten Termin überschritten hätten. Da faßte mich der Jüngling [1377] bei der Hand, und stellte mich vor ihn hin. Allein Pluto sprach zürnend zu meinem Führer: „„Sein Faden ist ja noch nicht zu Ende: er soll wieder zurück. Aber Demylus, den Schmied, hole herbei, der schon über seine Spindel hinauslebt.““ Wer war froher als ich? Eilends lief ich herauf, befand mich vom Augenblick an ohne Fieber, und sagte nun meinen Leuten allen voraus, Nachbar Demylus werde nächstens sterben. Wirklich hieß es, er wäre erkrankt, und kurz darauf erscholl die Todtenklage im benachbarten Hause.“

26. „Wer sollte sich hierüber wundern?“ fiel Antigonus ein; „habe ich doch einen Menschen gekannt, der zwanzig Tage, nachdem er begraben worden war, wieder in’s Leben zurückkehrte. Ich selbst habe ihn vor und nach seinem Tode ärztlich behandelt.“ – „Wie wäre das möglich,“ rief ich, „daß der Mensch während ganzer zwanzig Tage nicht in Fäulniß übergegangen, oder, wenn er noch lebte, nicht Hungers gestorben seyn sollte? Du müßtest denn nur einen zweiten Epimenides[5] in der Kur gehabt haben.“

27. Wie wir so sprachen, traten die beiden Söhne des Eukrates, die in der Ringschule gewesen waren, ein. Der Eine von ihnen war schon über das Ephebenalter hinaus, der Andere zählte ungefähr fünfzehen Jahre. Nachdem sie uns begrüßt hatten, setzten sie sich neben den Vater auf das Ruhebette, und mir ward ein Stuhl gebracht. Eukrates, dem der Anblick seiner Söhne eine neue Geschichte in’s Gedächtniß gebracht hatte, hub an, indem er seine Hand auf sie legte: „So wahr ich Freude an diesen Beiden erleben [1378] will, Tychiades, so wahr ist, was ich dir jetzt erzählen werde. Wie zärtlich ich meine selige Frau, ihre Mutter, geliebt habe, ist Allen bekannt, und ich habe es durch Alles, was ich nicht nur zu ihren Lebzeiten, sondern auch nach ihrem Tode für sie gethan habe, an den Tag gelegt, indem ich allen ihren Schmuck, und die Kleidungsstücke, an welchen sie am meisten Freude gehabt hatte, mit ihr verbrennen ließ. Es war der siebente Tag nach ihrem Tod, als ich gerade so, wie jetzt, auf diesem Ruhebette lag, und mich in meinem Kummer zu trösten suchte. Ich las nämlich ganz in der Stille für mich hin – Plato’s Schrift von der Unsterblichkeit der Seele. Da trat mit Einemmale meine Demäneta herein, wie sie leibte und lebte, und setzte sich neben mich, wo jetzt mein Eukratides sitzt.“ Mit diesen Worten zeigte er auf seinen jüngern Sohn, der schon bei dem Beginn der Erzählung vor Angst blaß geworden war, und jetzt wie ein erschrecktes Kind zusammenschauerte. „Wie ich sie erblickte,“ fuhr Eukrates fort, „fiel ich ihr um den Hals und weinte laut. Sie verbot mir aber zu schreien, und beklagte sich, daß ich, da ich doch sonst Alles ihr zu Gefallen gethan, nur Einen von ihren goldenen Pantoffeln und nicht Beide mit verbrannt hätte. Er sey hinter den Kleiderschrank gefallen, sagte sie. Deswegen also hatten wir ihn nicht finden können, und daher nur den einen verbrannt. Noch sprachen wir so mit einander, als ein vermaledeiter Kläffer von Schooshund, der unter meinem Bette lag, zu bellen anfing, und meine Gattin verschwand. Der Pantoffel ward hinter dem Schranke richtig gefunden und sofort verbrannt. Nun, Tychiades, bist du noch länger der Meinung, daß so deutliche, fast [1379] täglich uns begegnende Erscheinungen keinen Glauben verdienen?“

28. „Nein bei Gott,“ versetzte ich, „jetzt behaupte ich sogar, daß man jedem Ungläubigen, der frech genug wäre, die Wahrheit abzuläugnen, den H…n mit einem goldenen Pantoffel ausklopfen sollte.“

29. Jetzt trat der Pythagoräer Arignótus in’s Zimmer mit seinem langen Haare und seinem feierlichen Angesicht: du kennst ihn ja, den heiligen Mann, den hochgepriesenen Weisen. Wie ich den sah, athmete ich wieder frei; der wird, dachte ich, allem diesem Lügenwerk mit Einem Striche ein Ende machen, und den albernen Wunderkrämern das Maul stopfen. Daher war es mir, als ob der weise Mann mir von meinem guten Glück wie ein Gott aus den Wolken zugeschickt worden wäre. Kleodemus räumte ihm seinen Sitz ein, und als er sich niedergelassen, war seine erste Frage an Eukrates nach seinem Befinden. Auf dessen Erwiederung, daß er sich erleichtert fühle, fuhr er fort: „Ueber welchen philosophischen Gegenstand habt ihr euch unterhalten? ich hörte so etwas im Hereintreten, und vermuthe, daß der Gang eures Gesprächs sehr interessant seyn wird.“ – „Wir waren eben bemüht,“ versetzte Eukrates, „diesen diamantnen Kopf da (auf mich weisend) zu überzeugen, daß es Geister und Gespenster gäbe, und daß die Seelen der Todten auf der Erde herumwandern, und erscheinen, wem sie wollen.“ Ich erröthete aus Ehrfurcht vor Arignótus, und schlug die Augen nieder. „Vielleicht,“ sagte Dieser, „ist die Meinung des Tychiades, daß nur die Seelen Derer, welche eines gewaltsamen Todes gestorben, umgehen, z. B. die Erhängten, [1380] Geköpften, Gekreuzigten, und Wer sonst noch auf ähnliche Art aus dem Leben gegangen, nicht aber Solche, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Wenn er Das behauptet, so hat er gar nicht Unrecht.“ – „O nein,“ fiel Dinomachus ein, „er läugnet dergleichen Dinge durchaus, und meint, sie kommen uns eben so wenig zu Gesichte, als sie überhaupt existirten.“

30. „Wie?“ fragte Arignótus mit einem herben Blicke auf mich: „Du hältst Nichts der Art für möglich, da doch fast Niemand ist, der nicht schon solche Erscheinungen gehabt hätte?“ – „Ihr habt damit meine Rechtfertigung selbst ausgesprochen: weil ich der Einzige bin, der Nichts sieht, so bin ich’s auch allein, der Nichts glaubt. Würde ich sehen, so würde ich glauben, so gut als Ihr.“ – „So höre denn,“ sagte Arignótus: „wenn du einmal nach Korinth kommst, so frage nach dem Hause des Eubatides; und wenn man es dir am Kranéum zeigen wird, so gehe hinein und sage zum Thürsteher Tibius, du wünschtest die Stelle zu sehen, wo der Pythagoräer Arignótus habe aufgraben lassen, wodurch er den Geist vertrieben, und von Stunde an das Haus wieder bewohnbar gemacht habe.“

31. „Was ist das für eine Geschichte?“ fragte Eukrates. „Das Haus,“ versetzte Jener, „war einer schrecklichen Erscheinung wegen lange Zeit nicht zu bewohnen: so oft es Jemand bezog, wurde er von einem furchtbaren Gespenste, das entsetzlichen Spuck anrichtete, so sehr geängstigt, daß er es sogleich wieder verlassen mußte. Am Ende gerieth das Haus in Verfall, und das Dach wurde sehr schadhaft, weil kein Mensch mehr den Muth hatte, die Schwelle zu betreten. [1381] Als ich von der Sache hörte, nahm ich meine Bücher zur Hand – ich besitze nämlich mehrere Aegyptische Werke über diesen Gegenstand – und verfügte mich vor Mitternacht in dieses Haus, nachdem mein Wirth, der gehört hatte, daß ich meinem augenscheinlichen Verderben, wie er glaubte, entgegenzugehen gesonnen sey, mir vergeblich abgerathen und beinahe mit Gewalt mich zurückzuhalten versucht hatte. Ganz allein, blos mit einer Lampe versehen, gehe ich hinein, stelle meine Lampe im größten Zimmer des Hauses auf den Boden, lege mich dazu nieder und fange an, still für mich hin zu lesen. Jetzt erscheint der Geist, der vermuthlich glaubte, es mit einem Menschen aus der Menge zu thun zu haben, dem er, wie allen bisherigen, Angst und Schrecken einjagen könne: sein Aussehen war scheuslich, struppigt, schwarz wie die Nacht. Er trat vor mich hin, und suchte auf alle Weise mir beizukommen, und mich außer Fassung zu bringen: bald war er ein Hund, bald ein Stier, bald ein Löwe. Da rückte ich denn mit der schauerlichsten meiner Formeln heraus, rief sie ihm in Aegyptischer Sprache zu, und trieb ihn damit in die äußerste Ecke des finstern Saales, wo er im Boden verschwand. Ich merkte mir den Ort, und hatte von nun an Ruhe. Des Morgens, als schon Alle mich aufgegeben hatten, und mich, wie die andern Alle, todt zu finden glaubten, gehe ich zur allgemeinen Ueberraschung wohlbehalten heraus, und bringe dem Eubatides die angenehme Nachricht, daß nun sein Haus gesäubert sey, und daß er es hinfort ohne alle Furcht bewohnen könne. Nun hieß ich ihn und viele Andere, die aus Neugierde sich hinzugesellt hatten, mit Karsten und Schaufeln mir an den Ort [1382] folgen, wo ich den Geist verschwinden gesehen hätte, um dort nachzugraben. Es geschah, und ungefähr ein Klafter tief fanden wir ein sehr morsches, aber noch in seiner ganzen Gestalt erhaltenes Todtengerippe. Wir nahmen es heraus und begruben es förmlich; und von diesem Augenblicke an hörte das Haus auf, von Gespenstererscheinungen belästigt zu werden.“

32. Als Arignótus, der außerordentliche, von männiglich verehrte Philosoph, so gesprochen hatte, war vollends kein Einziger mehr in der ganzen Gesellschaft, der mich nicht für einen großen Thoren erklärte, wenn ich nicht glauben wollte, was sogar ein Arignótus erzählte. Dessenungeachtet ließ ich mich weder durch das lange Haar, noch auch durch das große Ansehen des Mannes einschüchtern, ihn also anzureden: „Was ist das, Arignótus? Du, noch die einzige Hoffnung der Wahrheit, auch du hast den Kopf voll trüben Dunstes und Hirngespenster? Mein Schatz ist mir zu Kohlen geworden, möchte ich mit dem Sprichwort sagen.“ – „Nun denn,“ versetzte er, „wenn du weder mir, noch dem Dinomachus und Kleodémus, ja nicht einmal dem Eukrates glauben willst, wohlan, so nenne mir den Mann, dessen entgegengesetzte Meinung in deinen Augen größeres Gewicht hat.“ – „Das ist der bewundernswürdige Abderite Demokritus,“ antwortete ich, „ein Mann, der auf das Lebhafteste überzeugt war, daß es solche Dinge gar nicht geben könne. Dieser hatte sich in ein Grabmahl außerhalb der Thore eingeschlossen, und lebte hier Tag und Nacht, blos mit Abfassung seiner Schriften beschäftigt. Einige junge Leute wollten sich einst einen Spaß mit ihm machen, und ihm Furcht [1383] einjagen. Sie hatten sich in schwarze Todtengewänder eingehüllt, und Larven vorgenommen, welche das Aussehen von Leichenschädeln hatten: so vermummt erschienen sie vor ihm und fingen an, in lebhaftem Takte um ihn herum zu tanzen. Er aber ließ sich durch die ganze Komödie so wenig aus der Fassung bringen, daß er sie nicht einmal ansah, sondern ruhig fortschrieb und endlich blos sagte: „Macht einmal den Narrenpossen ein Ende!“ So fest stand bei ihm der Glaube, daß die Seelen, wenn sie einmal die Körper verlassen haben, Nichts mehr sind.“

33. „Damit,“ fiel Eukrates ein, „sagst du weiter nichts, als daß auch Demokritus ein Thor war, wenn er wirklich so dachte. Laßt mich aber jetzt eine Geschichte erzählen, die ich nicht vom Hörensagen weiß, sondern die mir selbst begegnet ist. Bei meinem Aufenthalt in Aegypten, das ich als junger Mensch, nach dem Willen meines Vaters, bereiste, um mich auszubilden, bekam ich Lust, stromaufwärts nach Koptos zu schiffen, um die berühmte Memnonssäule[WS 1] zu hören, die Morgens mit dem ersten Sonnenstrahle einen Ton von sich gibt. Wirklich hörte ich sie, aber nicht, wie gewöhnliche Reisende sie hörten, die nur einen unartikulirten Laut vernahmen; sondern gegen mich öffnete Memnon seinen Mund, und ertheilte mir einen förmlichen Orakelspruch in sieben Versen, die ich euch hersagen könnte, wenn sie zur Sache gehörten.

34. Auf der Rückfahrt gesellte sich zufällig Einer von den Schriftgelehrten aus Memphis zu uns, ein Mann von außerordentlichen Kenntnissen, der aller Aegyptischen Weisheit kundig war. Er soll drei und zwanzig Jahre in den [1384] unterirdischen Kammern gelebt und dort von der Isis selbst Unterricht in der Zauberkunst empfangen haben.“ – „Ah! du sprichst von meinem Lehrer Pankrates,“ fiel Arignótus ein: „nicht wahr, es war ein Mann von priesterlichem Aussehen, mit geschorenem Kopfe, in weiße Linnen gekleidet, die Miene nachdenklich, die Aussprache rein Griechisch, die Statur lang, Stumpfnase, hervorstehende Lippen, dünne Beine – ?“ – „Ganz recht, es ist derselbe,“ sagte Eukrates. „Anfänglich wußte ich nicht, was er war. Als ich aber sah, daß der Mann, so oft wir Halt machten, Wunder verrichtete, z. B. auf Krokodilen ritt, und mitten unter diesen und andern Ungeheuern herumschwamm, und wie diese ganz demüthig an ihn herankamen und mit den Schwänzen wedelten, da erkannte ich wohl den heiligen Mann in ihm. Es dauerte nicht lange, so gewann ich seine Gunst, und wir wurden so vertraut, daß er mir alle seine Geheimnisse mittheilte. Am Ende überredete er mich, meine ganze Dienerschaft in Memphis zurückzulassen, und ihn ganz allein zu begleiten, weil es uns, wie er sagte, an dienstbaren Geistern nicht fehlen würde. Und so reisten wir denn zusammen.

35. So oft wir in eine Herberge kamen, nahm der Mann den Schließbengel der Thüre, oder einen Besen, oder eine hölzerne Stampfkeule, behängte sie mit Kleidern, sprach eine Zauberformel darüber, und sogleich war vor Aller Augen ein leibhaftiger Mensch daraus, der hin und her ging, Wasser trug, Lebensmittel einkaufte und zubereitete, kurz in allen Stücken uns auf’s Geschickteste bediente. Und wenn wir seiner Dienste nicht weiter bedurften, so machte Jener mit einem andern Spruche auf der Stelle wieder den Besen [1385] zum Besen, die Keule zur Keule. Ich hatte mir alle mögliche Mühe gegeben, dieses Geheimniß von ihm zu lernen; allein vergeblich. Er bewahrte es eifersüchtig, so gefällig er in jeder andern Hinsicht gegen mich war. Eines Tages aber stand ich nahe bei ihm – weil es sehr dunkel im Zimmer war, so bemerkte er mich nicht – als er seine Formel aussprach. Sie bestand nur aus drei Sylben, und so konnte ich sie mir genau merken. Er ging hierauf nach dem Markte, nachdem er zuvor der Keule befohlen hatte, was sie thun sollte.

36. Am folgenden Tage, wo er abermals etwas auf dem Markte zu schaffen hatte, nehme ich die Keule vor, lege ihr Kleider an, spreche die drei Sylben dazu und befehle ihr nun Wasser zu holen. Sogleich brachte sie einen vollen Eimer. „Gut,“ sagte ich: „es ist genug. Werde wieder zur Keule!“ Das Ding aber will nicht gehorchen, sondern schleppt immerfort Wasser herbei, bis endlich das ganze Haus im Wasser schwamm. In der Verzweiflung, und in der Angst, Pankrates möchte in Zorn gerathen, wenn er zurückkäme – was auch geschah – ergriff ich eine Axt und hieb die Keule entzwei. Jetzt nahm jede Hälfte einen Eimer und trug Wasser, und so hatte ich statt Eines zwei Diener. Endlich kam Pankrates dazu, begriff sogleich, was vorgefallen, und machte die Beiden wieder zu Hölzern, was sie vor der Bezauberung gewesen waren. Mich aber ließ er im Stich, ohne mir zu sagen, wohin er ginge; und von Stunde an sah ich ihn nie wieder.“ – „Nun also,“ fragte Dinomachus, „kannst du wohl jetzt noch aus einer Stampfkeule einen Menschen [1386] machen?“ – „Ja wohl, aus einer halben sogar. Aber ich kann sie nicht wieder in Das verwandeln, was sie zuvor war, wenn sie einmal zur Wasserträgerin geworden ist; und so wäre unvermeidlich, daß sie unser ganzes Haus unter Wasser setzte.“

37. „Wie?“ fiel ich endlich ein: „habt ihr es noch nicht satt, einander mit so albernen Wundermährchen zu unterhalten? Wenn ihr euch auch nicht vor euren grauen Haaren schämt, so verschiebt doch wenigstens um dieser jungen Menschen willen ein so ungereimtes Gespräch auf eine andere Zeit. Ersparet ihnen das Unglück, den Kopf voll beängstigenden Unsinnes zu haben, der sie Zeitlebens nicht verläßt, der macht, daß sie bei jedem Geräusche zittern, und sie mit allen möglichen abergläubischen Vorstellungen peinigt.“

38. „Schön, Tychiades,“ sagte Eukrates: „da erinnerst du mich eben recht, da du von abergläubischen Vorstellungen sprichst, dich zu fragen, was du denn zu den Orakeln sagst, und zu den göttlichen Stimmen, zu den Weissagungen gottbegeisterter Leute, und den prophetischen Worten, welche entweder aus der Tiefe herauf schallen, oder von einer Jungfrau in Versen ausgesprochen werden? Es versteht sich doch wohl, daß auch dieses Alles bei dir keinen Glauben findet? Daß ich einen geweihten Ring, mit dem Bildniß des pythischen Apollo auf dem Steine, besitze, und daß dieser Apollo mit mir spricht, dessen will ich gar nicht erwähnen, damit du nicht meinest, ich rühme mich solcher Wunderdinge aus Eitelkeit. Nur Was ich im Tempel des Amphilochus zu Mallus gehört, wo dieser Halbgott mit mir sprach, als ich [1387] vollkommen wach war, und mir in meinen Angelegenheiten guten Rath ertheilte, und Was ich damals selbst gesehen; eben so Was ich in der Folge zu Pergamus erfahren und in Patara vernommen habe, das will ich euch jetzt erzählen. Auf meiner Rückreise aus Aegypten hörte ich unterwegs, daß das Orakel zu Mallus das angesehenste und zuverläßigste sey, und daß es alle Fragen, die man dem Propheten schriftlich vorlegt, recht deutlich und Wort für Wort beantworte. Ich beschloß daher, im Vorbeifahren einen Versuch mit diesem Orakel zu machen, und den Gott über gewisse künftige Dinge zu Rathe zu ziehen.“

39. Wie der Alte so plauderte, merkte ich wohl, daß es bei ihm auf eine langweilige Litanei von Orakelsprüchen abgesehen war. Ich aber fand es nicht sehr angemessen, der Einzige zu seyn, der widersprach; zudem fühlte ich wohl, wie unangenehm ihnen die Gegenwart eines Mannes war, der bei allen ihren Lügen den ungläubigen Philosophen spielte. Ich verließ also meinen Mann mitten auf der Fahrt zwischen Aegypten und Mallus, indem ich sagte: „Ich muß jetzt gehen, den Leontichus aufzusuchen, den ich nothwendig zu sprechen habe. Wie es aber scheint, so habt ihr nicht genug an den menschlichen Dingen, sondern nehmt noch die Götter selbst zu Hülfe, damit des Fabelns kein Ende sey.“ Mit diesen Worten verließ ich sie; und nun mögen sie ihre Freiheit sich wacker zu Nutz gemacht, und mit erlogenen Geschichtchen nach Herzenslust sich bewirthet haben. Von dieser Unterhaltung komme ich nun gerade her, mein lieber Philokles. Mir ist wie Einem, der zu viel neuen Most getrunken, und [1388] nun davon aufgebläht, einer tüchtigen Ausleerung bedarf. Ich wollte viel darum geben, wenn ich irgendwo eine Arznei kaufen könnte, die mich Alles, was ich gehört, wieder vergessen machte, damit nicht die Erinnerung daran mir Schaden brächte. Denn beständig glaube ich Zeichen und Wunder, Gespenster und Höllengeister vor Augen zu haben.

40. Philokles. Ich habe das Nämliche deiner Erzählung zu verdanken, Tychiades. Sagt man doch, daß sich Wuth und Wasserscheue nicht blos bei Denen einstelle, welche von wüthenden Hunden gebissen worden sind, sondern daß, wenn ein gebissener Mensch einen Andern beiße, dieser Biß dieselbe Wirkung habe, wie der des Hundes. Eben so hast du, der bei Eukrates von so vielen Lügen gebissen worden, mir offenbar Etwas von deinem Gifte mitgetheilt: so sehr hast du mir den Kopf mit Geistern angefüllt.

Tychiades. Lassen wir uns das nicht anfechten, Freundchen! Wir haben gegen alle solche Dinge ein kräftiges Gegenmittel, die Wahrheit und unsere gesunde Vernunft. Brauchen wir diese recht, so wird uns keines dieser leeren und nichtigen Hirngespenster beunruhigen.


  1. „Vor der Mormo und der Lamia,“ den Popanzen in den Griechischen Kinderstuben.
  2. Sprichwörtliche Namen für Pinsel und Narren.
  3. D. i. Herumführer, Cicerone.
  4. Il. IV, 15.
  5. S. die Anm. zu Timon 6.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Memnoussäule