Der Landarzt
[372] Der Landarzt. (Zu dem Bilde S. 369.) Ein Bild aus dem italienischen Volksleben ist es, das der Maler uns vorführt, ein Bild, das freilich mit geringen Aenderungen auch vielfach auf die ländlichen Zustände in unserer deutschen Heimat zutreffen würde. Der Herr Doktor befindet sich auf der Landpraxis! Nach einem abseits gelegenen Bergnest ist er gerufen, aber er kann seinen ohnedies beschwerlichen Weg nicht ohne mannigfachen Aufenthalt zurücklegen. Denn während er auf seinem biederen Grautier mühsam die steilen Pfade hinanklimmt, eilen die benachbarten Bauersleute von allen Seiten herzu, um sich Rats zu erholen für alle Leiden und Körperschäden, die sich seit Wochen oder Monaten angesammelt haben. Und der gute Doktor hört mit Engelsgeduld die umständlichsten und haarsträubendsten Krankheitsgeschichten an, fühlt willig den Puls, betrachtet gedankenvoll die ihm gezeigte Zunge, giebt einen guten Rat, wo er einen weiß, einen guten Trost, wo der Rat zu Ende – und reitet weiter seines Wegs, der Wiederholung desselben Schauspiels entgegen. Und sein Honorar? Ja, du lieber Himmel! „Wo nichts ist, hat der Kaiser das Recht verloren“, sagt das Sprichwort; wie sollte da ein bescheidener Landarzt seines finden? An dem freundlichen Doktor, der ein so weiches Herz hat, lassen es die armen Leute zuerst ausgehen; von dem wissen sie, daß er nicht kommt und fordert und droht wie der Steuereinnehmer oder der Padrone, dem man den Pachtzins schuldet; daß ihr getreuer Helfer gemeinhin auch nicht viel reicher ist als sie selber, das wissen die Leute freilich nicht.