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Der Mann im Mond (Hauff)

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Autor: Wilhelm Hauff
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Titel: Der Mann im Mond
Untertitel: oder Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme
aus: W. Hauffs Werke, Bd. III, S. 1–220
Herausgeber: Max Mendheim
Auflage:
Entstehungsdatum: 1825
Erscheinungsdatum: 1891–1909
Verlag: Bibliographisches Institut
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Erscheinungsort: Leipzig und Wien
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch die Anmerkungen des Herausgebers aus diesem Band.
Text auch als E-Book (EPUB, MobiPocket) erhältlich
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[1]
Der Mann im Mond,
oder:
Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme.
Von
H. Clauren.[1]

[2] [3]
Einleitung des Herausgebers.




Der „Mann im Mond“ ist dasjenige Werk Hauffs, das bei seinem Erscheinen am meisten Staub aufwirbelte und über dessen Entstehung auch jetzt noch keine Einigung unter den Litterarhistorikern herrscht. Die einen, wie einst G. Schwab, halten den Roman in der vorliegenden Gestalt für die auf eine Verspottung Claurens angelegte spätere Umarbeitung eines harmlosen, älteren Hauffschen Werkes, dem noch die beabsichtigten und zum Zwecke einer Satire in übertriebener Weise gehäuften Claurenschen Eigentümlichkeiten fehlten; andere halten ihn für eine direkte und gewollte Nachahmung Claurens ohne vorherige Beabsichtigung einer Satire, und meinen, daß die später in der Kontrovers-Predigt zum Ausdruck gebrachte Verwerfung Claurens von Hauff nur fälschlich, zu seiner eigenen Verteidigung, in den Roman hineinverlegt werde. Die Wahrheit wird vielleicht auch diesmal in der Mitte liegen. Die erstgenannte Ansicht stützt sich vor allem auf eine Äußerung Wolfgang Menzels von 1832, die Karl Gutzkow in seinem Werke „Rückblicke auf mein Leben“ (1875, S. 67) folgendermaßen darstellt: „W. Hauff brachte mir eines Tages seinen ‚Mann im Monde‘. Es war ein Machwerk ganz à la Clauren und zwar im vollen Ernste so gemeint. ‚Schämen Sie sich denn nicht?‘ sagte ich ihm. ‚Wollen Sie denn auch dem Berliner Postrat nachahmen? … Können Sie denn nicht höher fliegen?‘ Nach einer Weile milderte ich meinen Ton und fuhr fort: ‚Kehren Sie den Spieß um, tragen Sie das Claurensche Kolorit noch stärker auf, lassen Sie dann das Buch unter Claurens Namen erscheinen, und jeder wird sagen: Sie haben eine köstliche Satire auf Clauren geschrieben.‘ Richtig, Hauff befolgte den Rat und begründete seinen Ruf mit dem ‚Mann im Monde‘.“ Ebendasselbe berichtet Menzel selbst in seiner „Deutschen Litteratur“ (1836, Bd. 4, S. 309) mit den Worten: „Er (Hauff) begann mit der Nachahmung Claurens, die er auf meinen Rat in eine Persiflage desselben umwandelte [4] und damit großes Glück machte.“ Nun legt aber Hauff in der „Kontrovers-Predigt“ so entschiedenen Nachdruck darauf, daß er das Werk von Anfang an auf eine Persiflage, eine Verhöhnung Claurens durch eine Übertreibung von dessen Manier abgesehen habe, daß jedermann geneigt sein muß, den Worten Hauffs mehr Glauben zu schenken, nämlich, daß er den Roman erst kaum begonnen hatte, als er anfing, ihn zu einer Satire auf Clauren zu gestalten.

Die zweite Ansicht, daß Hauff überhaupt nur eine bloße Nachahmung Claurens beabsichtigt habe, wird auf das Fehlen eines solchen harmlosen Originals, sowie auf die von Anfang an in Claurens Tonart gehaltene und durchgeführte Behandlung des Romans gestützt.

Doch suchen wir uns an der Hand des vorliegenden Materials selbst ein unbefangenes Urteil zu bilden. Wir haben an anderem Orte[2] gesehen, daß Hauff den ersten Teil der Satansmemoiren im Frühjahr 1825 der Franckhschen Buchhandlung in Stuttgart zum Verlag anbot, die ihn auch annahm, jedoch mit der Bemerkung, daß „ein Roman von der Art, die zur Zeit so flott gehen“, willkommener gewesen wäre.[3] Diese Äußerung kann nun in der That sehr wohl in Hauff den Gedanken wachgerufen haben, einen solchen Roman zu schreiben. Hatte er nur den passenden Stoff gefunden, so konnte ihm, dem gewandten Erzähler und guten Kenner der Claurenschen Muse, ein solcher Versuch nicht schwer fallen, zumal er schon vorher gelegentlich unbewußt in die Manier des Berliner Litteraten verfallen war: man denke nur an die Erzählung des Kellners im vierten und an die Unterhaltung der beiden jungen Mädchen im zwölften Kapitel der „Memoiren des Satan.“ Und siehe da, auch der Stoff war bereits vorhanden.

Hauff hatte nämlich während seiner Tübinger Zeit (1823) einmal eine kleine, harmlose Novelle entworfen, deren Gegenstand ein infolge eines unglücklichen Zweikampfes von finsterer Schwermut befallener junger Mann war, der durch die Liebe eines beherzten Mädchens geheilt wurde. Diese kurze Geschichte, deren wenige Seiten umfassendes Manuskript sich noch in Klaibers Händen befindet, nahm er nun wieder hervor, und zwar mit dem Gedanken, Clauren selbst zu mystifizieren, in der Weise, wie es Willibald Alexis (Wilhelm Häring) so trefflich mit Scott in seinem Roman „Walladmor“ gelungen war. Über diese Absicht muß sich Hauff jenem gegenüber selbst einmal geäußert haben, denn Wilhelm Häring schreibt am 1. Dezember 1827 im „Berliner Konversationsblatt“ [5] Nr. 238 in seinem „Freundesnachruf“: „Die erste Veranlassung zum ‚Mann im Mond‘ wollte er aus dem ‚Walladmor‘ entnommen haben.“

Zu diesem Plan, Clauren durch Nachahmung seiner Manier zu mystifizieren, wird sich nun bald der Einfall gesellt haben, ihn durch Übertreibung seiner Schwächen zu verhöhnen und damit die frivolen Liebhabereien des Publikums selbst zu bekämpfen. Hauff mag schon damals das gefühlt haben, was er später in der „Kontrovers-Predigt“ ausgesprochen hat, was aber die Vertreter der erstgenannten Ansicht auf eine Zeit beziehen wollen, wo der von ihnen angenommene ursprüngliche Roman schon fast vollendet war – nämlich: „Gegen Gift hilft nur wieder Gift. Ich dachte nach über Ursache und Wirkung jener Mimili-Manier, ich betrachtete genau die Symptome, die sie hervorbrachte und ich erfand ein Mittel, worauf ich Hoffnung setzte. Aus denselben Stoffen, sprach ich zu mir, mußt du einen Teig kneten, mußt ihn würzen mit derselben Würze, nur reichlicher überall, nur noch pikanter etc.“ – Und warum sollte er uns hier nicht der Wahrheit gemäß berichten? Warum sollten wir ihm, dem sonst so ehrlichen Manne, hier nicht trauen dürfen? Wir können also, ohne Hauff einer Unwahrheit in seiner „Kontrovers-Predigt“ zu beschuldigen, sehr wohl annehmen, daß er anfangs im Geiste einen Roman à la Clauren beabsichtigte, d. h. mit dessen leicht flüssigem Stil, mit dessen Berechnung für den weitesten Leserkreis und mit dessen frivolem Köder gespickt, daß er aber auch von Anfang an sich des sittenverderbenden Einflusses solcher Kost bewußt war und die Arbeit kurz nach ihrem Beginne durch absichtliche Übertreibung seines Musters zu einer Satire stempelte. Daher also von vornherein die Claurensche Wendungen und doch das Fehlen eines Originals ohne den satirischen Beigeschmack, daher der schon im Beginne des Romans durchscheinende Spott und dennoch früher einmal die Absicht einer wirklichen Nachahmung der Mimili-Manier.

„Der Mann im Mond“ erschien im Herbst 1825 im Franckhschen Verlag und wurde im „Wegweiser“ Nr. 83 der „Abendzeitung“ vom 15. Oktober 1825 mit folgenden Worten angekündigt:

„Bei Friedr. Franckh in Stuttgart hat soeben die Presse verlassen und ist in allen Buchhandlungen Deutschlands zu haben: ‚Der Mann im Mond, oder: Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme‘ von H. Clauren. 2 Teile. 3 Thlr. sächs.

Die unnachahmliche Manier des Verfassers ist zu bekannt, zu beliebt, als daß sie noch irgend einer Empfehlung bedürfte.

[6] Seine reizende, überraschende Situationen, seine wahre Charakterzeichnung, seine lebendige Sprache, die Herz, Gemüt und alle Sinne bezaubert – wer sollte sie nicht kennen; wir finden ihn ganz auch in diesem Buche wieder, ja wir möchten, wenn es möglich wäre, behaupten, er habe hier sich selbst übertroffen.“

Claurens Weise war zu beliebt, als daß eine solche Anpreisung nicht auch sofort eine lebhafte Nachfrage nach diesem neuesten Werke zur Folge gehabt hätte, aber natürlich auch sofort die Entrüstung des Mannes, der sich hier in seinem Interesse geschädigt sah und nun mit aller Energie gegen diesen Mißbrauch seines Schriftstellernamens und seiner Popularität vorging. Zunächst erschien in Nr. 258 der „Abendzeitung“ vom 28. Oktober 1825 folgende „Warnung vor Betrug“:

„Das bei Fr. Franckh in Stuttgart unter dem Titel der ‚Mann im Mond etc.‘ in zwei Teilen soeben erschienene Werk ist von dem durch sein Taschenbuch ‚Vergißmeinnicht‘ und andere schöngeistige Schriften, unter den Anagramm seines Namens bekannten Geh. Hofrate Carl Heun nicht verfaßt. Dies für Buchhandlungen, Leihbibliotheken und Kauflustige zur Nachricht und Warnung.“

Diese sonderbare Zeitungsnotiz stiftete nun erst recht Verwirrung unter den Lesern des Romans; ein Werk, das so ganz Clauren war und noch dazu das beste, was man bisher von diesem gelesen hatte, sollte nun doch nicht von ihm selbst stammen; man wußte wirklich nicht, was man davon halten sollte, obgleich ja eigentlich diese „Warnung“ deutlich genug war. Doch bald kam mehr Licht in dies rätselhafte Dunkel. Der Herr Geh. Hofrat Heun fühlte sich in dieser Karikatur seiner Muse doch gar zu sehr gekränkt, als daß er es bei der einfachen Erklärung, er sei nicht der Verfasser, hätte bewenden lassen können. Er verklagte daher den Verleger des „Mannes im Mond“ und warf ihm vor, seinen Namen widerrechtlich benutzt und zum Zwecke einer niedrigen Spekulation mißbraucht, ihn selbst aber dadurch wesentlich geschädigt zu haben. So lächerlich diese Anklage an und für sich war, so fand sie doch Gehör vor den schwäbischen Gerichten und wurde in einem mit großer Spitzfindigkeit geführten Prozesse, den Hauff selbst mit köstlichem Humor im zweiten Teile der Satansmemoiren schildert, zu gunsten des Berliner Hofrats entschieden. Nun immerhin, Hauff konnte diese Niederlage leicht verschmerzen, hatten doch inzwischen Publikum und der bessere und gerechtere Teil der Kritik für ihn entschieden. Doch hören wir diese selbst.

Am 9. Dezember 1825 schreibt das „Morgenblatt“ in seiner „Litterarischen Beilage“ Nr. 94 folgendes:

[7] „Ein namhafter Belletrist, durch welchen Referent die erste Nachricht von dem rätselhaften Mondbewohner erhielt, bezeichnete denselben als das Beste, was der berühmte H. Clauren bisher geschrieben. Dies Urteil ward ihm von mehreren Seiten her bestätigt, und als er das Buch selbst in die Hand nahm, fand er in der That alle die bekannten Reize Claurens, den leichten Tanzschritt seiner Prosa, die naive Koketterie seines Dialogs, das durchsichtige Negligee seiner Porträts nicht nur wieder, sondern übertroffen. Nur etwas fiel ihm auf, nämlich, daß Clauren sich selbst sollte übertroffen haben – daß Clauren in einem ihm ganz unnatürlichen Humor in eine Selbstpersiflage verfällt und am Schluß des Werkes sich als komischer Familienvater mitten unter seine salomonischen Weiber versetzt – daß ferner einige schwäbische Sprachformen im Buche stehen, die originell sind – daß endlich, wenn Clauren wirklich nicht der Verfasser sein sollte, ein anderer Sterblicher ihn so lebendig aus dem Spiegel gestohlen haben könnte.

Aus dem Labyrinth dieser Rätsel wurden wir endlich erlöst durch den offenen Zeitungsbericht des Berliner H. Clauren – und durch die Privatnachricht, daß der wahre Verfasser Dr. Wilhelm Hauff von Stuttgart sei … Da erkannte denn männiglich, daß der ‚Mann im Mond‘ nichts als die feinste Persiflage jener Manier Claurens sei …“

Diese äußere Seite des Romans schildert in ähnlicher Weise der „Mitarbeiter Nr. 119“ des Leipziger „Litterarischen Konversationsblattes“ vom 12. Dezember 1825 in Nr. 285 folgendermaßen:

„… Kaum hatte ich begonnen, von dem scherwenzelnden Hofrat Berner u. s. w. zu lesen, da kam die harmlose ‚Leipziger Zeitung‘ u. a. und warnten vor dem ‚Mann im Mond‘ als einem untergeschobenen Wechselbalge. Aber mögen sie warnen, mich machen sie nicht irre. Der ‚Mann im Mond‘, so behaupte ich, ist ein echtes und wahres Claurensches Produkt, und wer dies nicht glauben will, der lese und überzeuge sich …

Aber es ist nicht von ihm, sagen jene Anzeigen. Möglich, daß es nicht von seiner Hand ist, doch von seinem Geiste ist es, und das wird ja wohl genug für die geistreichen Verehrer dieses Geistes sein … Gestehen wir, die Ironie in dieser Adoption ist sehr ergötzlich.“

Von dieser Ironie aber haben sich, wie es scheint, auch die Herren Kritiker in ihren Besprechungen anstecken lassen, wie das die beiden vorstehenden zeigten und nicht minder eine dritte in derselben Nummer des „Litteratischen Konversationsblattes“ von 1825 erschienene, wie die letztangeführte. Der „Mitarbeiter Nr. 60“ sagt hier:

„… Vor dem Buche selbst, wir gestehen es, graute uns. Wir sind leider weder Kammerkätzchen noch Unteroffizier u. s. w., es steht also [8] zehn gegen eins, daß uns besagter ‚Mann im Mond‘ auf den ersten Anblick nicht zusagen konnte … Aber wie ward uns, wir wollten mit kritischem Auge lesen, und der Gegenstand riß uns unwiderstehlich in seine Mitte. Wir fingen an, Respekt zu bekommen vor diesem ‚Mann im Mond‘, die Novelle zart und angenehm angelegt, die wirklich interessanten Situationen nicht wie gewöhnlich bei den Haaren herbeigezogen zu finden; das Interesse wuchs von Blatt zu Blatt, wir glaubten, sein Meisterstück zu sehen. Zwar störte uns hin und wieder die beinahe geflissentliche Gemeinheit des Ausdruckes, es war uns, als sei er sonst mit mehr Natürlichkeit unsauber und marmorbusig gewesen; als wir aber weiter und weiter lasen, als die Erzählung mit wachsender Anmut zu einer Höhe fortschritt, die wir in Claurens übrigen Schriften umsonst suchten, als, wie zur Erinnerung, daß man noch im Gebiet der Vergißmeinnichten wandle, hin und wieder hageldick die beliebten Wachtstubenausdrücke erschienen, da war es uns, als ob dieser ‚Mann im Mond‘ die gelungenste Satire wäre auf alles, was Clauren heißt.

… Wenn irgend etwas diesem ‚Mann im Mond‘ zur Last fallen könnte, so ist es das, daß er unter dem erhabenen Titel sich bei den Verehrern seines Herrn Stiefpapa einschleicht … Die Claurensche Muse hat dem Herrn Papa Hörner aufgesetzt und sub titulo desselben ein Kindlein zur Welt gefördert, das der Liebe des Publikums ungleich würdiger ist als die Sprößlinge, die aus der immer lauer werdenden Ehe als echtes Gesindel hervorgehen … Im übrigen und ohne diese unsaubere Zuthat wäre die Novelle der ‚Mann im Mond‘ eine der gelungensten zu nennen, die seit geraumer Zeit unter der großen Flut von Erzählungen erschienen; gelungener auf jeden Fall, als sie Herr Clauren je schreiben kann. Wir können also diese Satire nicht anders als eine in edlem Geiste gedachte und geschriebene nennen …“

Bei solcher Anerkennung konnte Hauff seinen Zweck als erreicht ansehen. Während noch der gerichtliche Prozeß spielte, arbeitete er, wie wir wissen, an seinem „Lichtenstein“ und trat nach dessen Vollendung seine Reise nach Paris an. Hier begann er nun seinem „Mann im Mond“ noch ein ernstes Nachspiel zu geben und mit kräftigen, entschiedenen Worten seiner Entrüstung Ausdruck zu verleihen in der „Kontrovers-Predigt über H. Clauren und den Mann im Mond“, die er auf der Reise vollendete und während seines Aufenthaltes in Berlin in der „Litterarischen Mittwochsgesellschaft“ vorlesen mußte. Sie erschien dann, wie die übrigen Werke, bei Franckh in Stuttgart. Hauff selbst schreibt darüber an seinen Bruder, der einige Aussetzungen gemacht hatte: „Ich denke darüber ganz wie Du; auch ich fand immer [9] allzugut, daß besonders in den letzten Teilen von dem Ton abgewichen ist. Die Schuld davon schreibe ich nicht mir allein, sondern den Umständen zu: ich fing sie in Paris an, setzte sie in Brüssel fort, schrieb daran in Antwerpen und Gent und vollendete sie in Kassel. Muß man da nicht aus dem Ton kommen? In der litterarischen Mittwochsgesellschaft mußte ich sie an Schadows Abschiedsfest[4] vor einer ungeheuren Versammlung von Staats- und Kirchendienern, Künstlern, Dichtern und Gelehrten vorlesen. Sie fand viel Beifall, und als ich selbst bemerkte, daß der zweite Teil unkünstlerisch verschieden sei vom ersten, da schüttelte mir der alte Nicolovius[5], Präsident der kirchlichen Angelegenheiten, die Hand und machte mir das rührende Kompliment, daß mich ein edler Zorn im zweiten Teil nicht recht zum Scherz kommen lasse. Die Predigtrezension von einem Berliner Papst und Zionswächter war mir so auffallend als angenehm.“ Diese „Kontrovers-Predigt“ aber erregte noch einmal die Helden der Feder, ihre Meinung für oder wider Clauren zu äußern. Im „Bemerker“ Nr. 6 des „Gesellschafters“ vom 7. März 1827 erschien aus der Feder C. Riedmanns[6] ein Aufsatz „H. Clauren und seine Doppelgänger“, der einerseits einen ungerechten Angriff auf den „Mann im Mond“ insofern wagte, als er diesen für eine niedrige, nur auf Täuschung des Publikums und materiellen Gewinn berechnete Buchhändlerspekulation ausgab, andererseits jedoch auch eine gerechte Verteidigung gegen die übertriebenen Schmähungen auf Claurens Schriften versuchte. Riedmann sagt hier unter anderem:

„… Wo wäre in dem ‚Mann im Mond‘ der Charakter der Parodie zu finden? Wo jene scherzhafte, witzige Anwendung der Claurenschen Ideenkette? Wo ist jener witzige Spott über Claurens Schwächen und über die tief zum Verderben führende Richtung der Claurenschen Schriften, welche der Sittenprediger ihm später feierlich aufbürdet? Jeder Unbefangene fand in jener After-Claurenschen Erzählung nichts mehr und nichts weniger, als eine mitunter sehr glückliche Nachbildung der Claurenschen Manier, mit etwas steifen und überladenen Claurenschen Redensarten. Wußte aber der Doppelgänger die Satire nicht tiefer aufzufassen, so konnte sie niemand zum Lächeln bringen. Zum [10] Abschrecken war das allerliebste Mondkälbchen gar nicht geeignet. Es konnte daher auf keine Weise für den Zweck vorgearbeitet haben, welchen der Kontrovers-Prediger ex post proklamierte … Was bleibt dann übrig für die ‚Kontrovers-Predigt‘? – Die Ansicht: es ist eine Parteischrift, eine Apologie des Mondmannes und seiner bibliopolischen Existenz … Es bleibt aber doch immer ein harter Stand für Clauren. Die Gründe jenes Predigers in der Wüste sind so folgerecht, so schlagend, so wahr und Zeugen eines zwar sehr aufgeregten, aber doch gültigen Gefühls, so daß man sich unwillkürlich fortgerissen sieht, ist man nur über die ersten Vordersätze hinweg. Aber hier liegt es – hier finden sich Übertreibungen, die den Parteimann bezeichnen, hier finden sich Lücken, die das Urteil verlocken, hier wird es erkannt, daß Claurens Todesurteil sub- et obreptitie[7] erschlichen ist.“ Im folgenden wird nun Claurens Talent und Manier treffend charakterisiert, dann fährt Riedmann fort: „Das eben ist es ja, daß Claurens eifrigste Leserinnen sich selbst ganz heimlich bekennen müssen: Er hat recht, er hat unsere geheimsten Gefühle erraten, aber wir dürfen es nur nicht sagen, nicht laut werden lassen. – Ist diese Richtung fehlerhaft, so ist sie doch sehr menschlich. Mach’ Engel aus den Menschen, du Sittenprediger, und du wirst jetzt weder in Claurens noch in einer anderen Manier viele Leser finden …“

In Nr. 113 der „Blätter für litterarische Unterhaltung“ vom 15. Mai 1827 schreibt ein mit Hauff ziemlich gleichgesinnter Mitarbeiter über die „Kontrovers-Predigt“:

„Obgleich wir an diesem Schriftchen zweierlei auszustellen haben, nämlich einmal seine Form, die leicht für eine Profanation gehalten werden kann, und zweitens den Eifer, mit dem es einen Feind angreift, der in diesem Augenblick an seinem eignen Gift im Verscheiden liegt, und bei dem es kaum der Mühe verlohnt, seiner kurzen Laufbahn durch den Gnadenstoß ein[WS 1] Ende zu machen, so entwickeln diese Blätter doch die völlige Nullität, die widrige und verkehrte Form, die gehässige und jedes Anathems würdige Tendenz und die verderbliche und abscheuliche Wirkung der Claurenschen Geisteswerke so klar und anschaulich, daß wir, um dieses löblichen Zweckes willen, das Verfehlte in der Form dieser Schrift gern übersehen …“


  1. H. Clauren ist der Schriftstellername (Anagramm) des Novellisten Carl Heun. Geboren 1771 in der Lausitz, wurde er später Privatsekretär in Berlin, dann Geheimsekretär des Generaldirektoriums daselbst, darauf Assessor im Bergwerk- und Hüttenamt, dann Güterverwalter in Polen und zugleich Teilhaber an einem Buchhändlergeschäft in Leipzig; 1810 wurde er zum Hofrat ernannt und in Hardenbergs Büreau in Berlin beschäftigt, machte 1813 und 1814 die Feldzüge als Zivilbeamter mit, war 1815 auf dem Wiener Kongreß zugegen und übernahm nach seiner Rückkehr außer verschiedenen öffentlichen Stellungen auch die Redaktion der „Preußischen Staatszeitung“. Am 2. August 1854 starb Heun als Geheimer Hofrat in Berlin. Trotz seiner vielseitigen Thätigkeit fand dieser geschäftige Mann noch immer Zeit, eine lange Reihe von Erzählungen, Novellen, Lustspielen u. s. w. zusammenzuschreiben. Die Leichtigkeit des Stiles und der schlüpfrig-süßliche Inhalt der meisten seiner Werke machten ihn bald zu einem der beliebtesten und gelesensten Schriftsteller seiner Zeit.
  2. Vergl. die Einleitung zu den „Memoiren des Satan“ (Bd. 2, S. 177).
  3. Ich stütze diese Darstellung auf den Bericht Klaibers in „Nord und Süd“, 1878, V.
  4. Friedr. Wilh. Schadow (1789–1862), berühmter Historienmaler, seit 1819 Professor der Akademie zu Berlin, wurde 1826 als Direktor der Kunstakademie nach Düsseldorf berufen.
  5. Georg Heinr. Ludw. Nicolovius (1776–1839), Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat und seit 1808 Ministerialdirektor im preuß. Kultusministerium.
  6. Karl Chr. Friedr. Riedmann (1805–30), Schriftsteller, seit November 1829 Redakteur der „Mitternachtszeitung“.
  7. D. h. durch Diebstahl und Kniffe.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: eine

Kapitelübersicht

Erster Teil Zweiter Teil

Editionsrichtlinien

Die für dieses Werk maßgeblichen Richtlinien befinden sich auf der Seite W. Hauffs Werke.