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Der Meister und der Jünger

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Textdaten
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Autor: Johann Christian Lobe
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Titel: Der Meister und der Jünger
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 676–679
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen an Carl Maria von Weber
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Der Meister und der Jünger.
Erinnerung von J. C. Lobe.

Wer Du auch sein magst, lieber Leser, soviel weiß ich von Dir – es wohnen Erinnerungen in Deiner Seele, an geliebte Personen, an freudige Ereignisse, die, wenn irgend ein Anlaß sie in spätern Jahren Dir wieder auffrischt, Dich mit jener Art von Glück durchwehen, das, aus Wehmuth und Sehnsucht gewebt, dem Heimweh zu vergleichen ist. Ein solches Gefühl und solche Erinnerungen ergriffen mich, als ich unlängst das vortreffliche Portrait Carl Maria v. Weber’s erblickte, das den kürzlich erschienenen ersten Band der Biographie schmückt, mit welcher ein geistvoller Sohn dem großen Vater ein würdiges Denkmal setzt. Ich habe ihn noch gesehen von Angesicht zu Angesicht, den schon so lange dahingeschiedenen großen Tonmeister, ich habe ihn noch spielen hören, ja, einige Jahre vor seinem Tode das Glück genossen, ihn besuchen und sprechen zu dürfen. Auch einen Brief von ihm besaß ich einst. Den haben aber die gottvergessenen Autographensammler meiner Gutmüthigkeit längst, fast zeilenweise, abgeschwatzt und den Schluß desselben mit der Unterschrift zuletzt gestohlen. Wer theilt nicht gern mit, was ihm in seinem Leben vorzüglich theuer und wichtig erschienen ist? Zu den theuersten und wichtigsten Erinnerungen meines Lebens aber gehören mir die an Carl Maria von Weber.

Es war Ende Januars des Jahres 1812, als Weber mit seinem Freunde, dem berühmten Clarinettisten Bärmann, nach Weimar kam, um, von gewichtiger Seite empfohlen, am Hofe Karl August’s ein Concert zu geben. Beide Künstler wurden von der Großfürstin Maria Paulowna mit der ihr eigenen fesselnden Huld empfangen und brachten bei anmuthigster Unterhaltung und Musik, zwanglos wie im Familienkreise, mehrere Abende bei ihr zu. An einem dieser Abende, als Weber gerade mit Bärmann die für den letztern componirte Variation über ein Thema aus „Sylvana“ spielte, stand an der äußern halb geöffneten Thür des großfürstlichen Gemachs ein junger Mann von etwa achtzehn Jahren und lauschte in trunkenem Entzücken der Composition und dem Spiel der genannten Musiker.

Der junge Mann war der noch heute in Weimar lebende ausgezeichnete Orgelspieler Professor Töpfer, welchen die Großfürstin vom damaligen Capellmeister Müller ausbilden ließ. Töpfer besuchte am andern Tage ein anderer Kunstjünger, der Schreiber dieser Zeilen, und wie ward er von diesem wegen des gestrigen Hochgenusses beneidet, den zu schildern er keine Worte hatte! Weber’s Compositionen wichen ja ab von Allem, was wir von unsern sonstigen Tonmeistern kannten, sie erinnerten weder an Haydn, noch Mozart, noch Beethoven und waren doch in einem so überaus effectvollen, von den lieblichsten Melodien durchwebten Style gehalten.

Monate vergingen inzwischen. „Was ist das?“ rief mir Töpfer mit freudefunkelnden Augen entgegen, als ich im Herbste desselben Jahres wieder in das Stüblein meines Genossen eintrat und auf dessen Pianofortepulte ein in Saffian gebundenes ziemlich dickleibiges Notenheft liegen sah.

„Eine Sonate von C. M. von Weber.“

Die Großfürstin hatte Weber dringend um seine Sonate in C dur gebeten, die dieser denn auch im September nach Weimar sandte. Wie aber kam das Exemplar der Fürstin so bald in die Hände des armen Musiklehrers? Maria Paulowna hatte es dem Capellmeister, wahrscheinlich um sein Urtheil darüber zu vernehmen, zur Ansicht mit nach Hause gegeben, und von diesem war es dem Schüler auf dessen dringende Bitte auf kurze Zeit überlassen worden. Töpfer hatte die Sonate, als ich zu ihm kam, schon vollständig in seinen Fingern. Daß er mir sie gleich vorspielen mußte, versteht sich. Ach, das Leben, wie schön war es doch in dieser Periode des jugendlichen Kunstenthusiasmus! Wie schwelgten wir in dieser neuen eigenthümlichen Tonidee, die, wie man in späteren kühlern und kritischer gebildeten Jahren wohl erkannte, in ihrem architektonischen Bau der einheitlicheren Form der Beethovenschen Sonaten zwar nicht entsprach, aber durch ihre deutliche und ungemein energische Gefühlssprache uns fesselte und einer unserer bevorzugtesten Lieblinge ward. Von diesem Augenblick an trat Weber in die erste Reihe unserer Tongötter ein, und er ist es geblieben bis auf den heutigen Tag und wird es bleiben bis zu unserem letzten. Ich glaube nicht, daß uns eine seiner Noten, die überhaupt in die Öffentlichkeit gelangt, unbekannt und ungenossen geblieben ist. Aber diese Sonate, die noch ungedruckt war, wieder aus den Händen geben? Uns nach kaum gewonnener Bekanntschaft schon wieder losreißen von dem Meisterwerke? Das war unmöglich, das hätte uns in’s Herz geschnitten, unser Leben auf’s Bitterste vergällt! Ohne Zaudern, ohne die geringste moralische Regung zu empfinden, wurde ein Verbrechen, ein Diebstahl beschlossen und ausgeführt – die Sonate wurde zum Theil unter dem langen Deckmantel der Nacht abgeschrieben. Doch betrachteten und hegten wir die

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Carl Maria von Weber’s letzte Augenblicke.
Nach dem Originalgemälde von De Keyser auf Holz gezeichnet von Adolph Neumann.

[678] Copie natürlich wie einen heiligen Schatz, an dem wir uns heimlich labten, dem aber kein anderes menschliches Auge und Ohr nahen durften. –

Endlich sollte auch mir der heiße Wunsch erfüllt werden, den geliebten Meister wirklich zu sehen und spielen zu hören. Ein Hofconcert wurde angesagt, in der sogenannten langen Galerie des Schlosses. Als ich erfuhr, daß er spielen werde, bekam ich das Fieber, das Freudenfieber nämlich der Erwartung. Alle Leser kennen jenen wunderbaren Zustand der äußersten Spannung, wenn man in jedem nächsten Moment den Anblick einer hochberühmten Person zum ersten Male erwäget. Als ich ihn nun aber endlich hereintreten oder vielmehr, wenn auch nicht sehr merklich, hereinhinken sah in den Saal, fühlte ich, wie ein leises Weh sich aus mein Herz legte. Er war mir wohl als ein kleiner Mann geschildert worden, aber eine so schmächtige, so gebrechlich scheinende Gestalt mit den auffallend langen Armen, einem kürzeren und einem längeren Bein hatte ich doch nicht erwartet. Dazu das schmale, längliche, bleiche Angesicht, die eingefallenen Schläfe, gegen die eine ziemlich lange Nase etwas zu sehr hervortrat! Der Ausdruck in seinen Gesichtszügen war dagegen unverkennbar edel, geistvoll und wahrhaft vornehm. „Ach, diesem hohen Genius ist in seinem zarten irdischen Körper gleich Mozart kein langes Verweilen und Schaffen auf dieser rauhen Erde beschieden!“ Das war mein erster trauriger Gedanke beim Anblick des geliebten Meisters.

Ich wirkte in der Capelle mit. Ein Wort an den Meister zu richten, wäre mir jungem schüchternen Manne ebenso undenkbar gewesen, wie an den größten Monarchen. Aus den Augen aber ließ ich ihn den ganzen Abend nicht, wo ich sie nicht unmittelbar auf die Noten zu richten hatte. Ja, auch da selbst raffte ich mit einem raschen Ueberblick eine ganze Linie voller Noten auf und schoß mit meinen Augen während ihrer Ausführung aus dem Gedächtniß auf den Meister. So schlich ich ihm auch nach, als er vor Beginn des Es-dur Concerts durch die Notenpulte sich zu dem ersten Trompeter wand, Pfeiffer hieß der Mensch, um diesen auf eine Stelle aufmerksam zu machen, die er so und so vorzutragen nicht vergessen möge. Da antwortete ihm dieser rohe Mann, der ab und zu der Flasche mehr als gebührlich zusprach: „Das werde ich schon machen, ohne daß ich es erst von Ihnen zu lernen brauche.“

Der Meister sah ihn einen Augenblick verwundert an und ging dann, ohne ein Wort zu erwidern. Mir aber fuhr diese ungeschlachte Rede wie ein Blitz in’s Pulverfaß, und die Explosion war unaushaltbar. Kochend vor Wuth platzte ich heraus: „Sie Grobian sind nicht werth, einem solchen Manne die Schuhriemen aufzulösen, und sind ein wahrer Schandfleck unserer Capelle.“ Freilich mußte ich auf dem eiligen Abzug an mein Pult einen nachgeschickten „dummen Jungen“ mitnehmen, aber ich hatte doch dem geliebten Meister Satisfaction verschafft und hätte allenfalls für diese Freude auch eine Ohrfeige noch hingenommen.

Weber spielte an diesem Abend sein Es-dur Concert, Variationen und gab zum Schluß auf Verlangen der Großfürstin eine freie Phantasie. Ueber sein Spiel, seine Composition und Improvisation noch etwas zu sagen, was nicht schon bekannt und namentlich in seiner Biographie mehrfach ausgesprochen wäre, ist nicht wohl möglich. Seine Fertigkeit als Virtuos, obwohl damals auf der Höhe seiner Zeit stehend, ist seitdem übertroffen worden, niemals aber sind es seine geistreichen Combinationen und die Eigenthümlichkeit seiner Gedanken in seinen Phantasien. Es war eben die Weber’sche Seele, die ihren ganzen Gefühls- und Gedankenreichthum in noch nie gehörte Tonbilder ausströmte.

Auch seine Oper „Sylvana“, die mit Unrecht nur auf wenigen Bühnen gegeben worden, kam in Weimar zur Aufführung. Wie aber überall ein böser Stern über dieser Schöpfung gewaltet, so auch bei uns. Die interessanteste Partie darin ist bekanntlich die der Sylvana selbst, die nicht singt und nicht spricht, sondern nur durch Mimik, Gesten und Tanz zu wirken hat. Die Darstellung dieses jungen, reizend lieblichen Wesens übernahm aber die damals schon alternde, kleine, kugelrunde Frau von Heygendorf, die, obwohl eine ausgezeichnete Sängerin und Schauspielerin, doch zu dieser Rolle durchaus nicht paßte. Ich mag dem Andenken der sonst so ausgezeichneten Frau zu Liebe den ungünstigen Eindruck ihrer Erscheinung in dieser Rolle auf das Publicum und damit auch auf die ganze Oper nicht ausmalen. Genug, als sie zu tanzen anfing, war an eine Wirkung der Musik nicht mehr zu denken, und so wurde das Werk bei Seite gelegt. Erreicht es aber auch die andern Opern Weber’s nicht, so enthält es doch schon so viele eigenthümliche Schönheiten, daß es, in unserer Zeit mit den geeigneten Darstellern wieder auf die Bühne gebracht, sicher wenigstens bei den gebildeteren Musikfreunden ein höheres Wohlgefallen erregen würde, als viele der neufranzösischen und neuitalienischen Klingeleien. –

Weber’s spätere Werke hatten die volle Strahlenkrone des Ruhms auf des Meisters Haupt gelegt, aber mehr und mehr kränkelte er. Aus dem Bade hoffte er Stärkung und erneute Kraft schöpfen zu können. Auf seiner Reise dahin kam er durch Weimar und mußte, erschöpft, einige Tage im Gasthof „zum Erbprinzen“ verweilen. Hier nun war mir das Glück vergönnt, ihn besuchen zu dürfen. Als ich in sein Zimmer trat, lag er krank im Bett, zugedeckt bis an’s Kinn, nur das bleiche liebe Angesicht war sichtbar! Ich wollte mich, über meinen ungelegenen Besuch erschreckend, augenblicklich wieder entfernen, er lud mich aber freundlich ein, auf einem Stuhl an seinem Bett Platz zu nehmen. Die Unterhaltung, deren er mich würdigte, gab mir eine der glücklichsten Stunden meines Lebens.

Die Idee eines geistig reichen und kräftigen Menschen verleiht ihm so natürlich auch einen entsprechenden Leib dazu. Geistig kräftige, energische Gebilde, möchte man meinen, könnten nur aus einem körperlich kräftigen, energischen Organismus hervorgetrieben werden. Wem vermöchte man einzureden, die himmelstürmenden Titanen hätten kleine, schwächliche Gestalten gehabt? Die Erfahrung lehrt uns indessen, daß innere und äußere Kraft zwei von einander unabhängige Wesen sein müssen und nicht selten in umgekehrtem Verhältniß stehen. Der körperliche Riese Spohr vermochte nur zarte, weiche, elegische Tongebilde zu spinnen und offenbarte seine Schwäche, so oft er sich kraft- und schwungvoll zeigen wollte; das schwächliche kleine Männchen Carl Maria, das hier vor mir lag, ein Kind an Gestalt im Vergleich zu jenem, sprühte Feuer- und Flammengedanken aus sich heraus, wenn sein Object sie verlangte, und führte Cyklopenschläge auf das Herz der Hörer. Mit der Anstrengung seines ganzen Lebens hätte Spohr den hinreißenden, kraft- und schwungvollen Feuerstrom des Freischütz-Ouvertürenschlusses nicht zu schaffen vermocht.

Euryanthe war zu jener Zeit noch nicht bei uns aufgeführt worden, Oberon noch nicht componirt. Den „Freischütz“ aber hatte ich so oft gehört und die Partitur so unablässig durchstudirt, daß ich die Musik vollständig im Kopfe hatte und sie allenfalls aus dem Gedächtniß hätte niederschreiben können. Nun drängte es mich, Alles, was mir darüber an Bemerkungen und Fragen im Sinne lag, dem Meister mitzutheilen, um durch seine Bestätigung oder Berichtigung meine Einsichten zu vermehren und abzuklären. Zögernd, schüchtern wagte ich mich anfangs hervor mit meinen Gedanken, als er aber geduldig zuhörte, liebevoll meine Fragen beantwortete, wurde ich nach und nach muthiger, und ein interessanter Punkt nach dem andern wurde durchsprochen: über den Totalton in der Oper und speciell im Freischütz, über das bewußte Schaffen des Künstlers, über Nachahmung der Meister, über Instrumentation und vieles Andere noch, wie ich es in den Fliegenden Blättern für Musik bekannt gemacht habe und deshalb hier übergehen muß.

Ich erzählte ihm von den so überaus glücklichen Momenten, die seine Erscheinung schon unserer Jugend bereitet, von dem entzückten Lauschen des jungen Mannes an der Thür des großfürstlichen Zimmers, von der gestohlenen Sonate etc., und der Enthusiasmus, in welchen ich dabei unwillkürlich gerieth, schien ihn sehr zu erfreuen, ja, eine besondere Wirkung auf ihn zu machen. Mit einem eigenthümlichen Ausdruck, den ich als ein Gemisch von Erhebung und Erbitterung bezeichnen möchte, rief er aus: „Ja, wenn ich das damals gewußt hätte! Eine solche Wirkung meiner Arbeiten auf jugendliche, unbefangene, verwandte Musikgemüther hätte mich über manche trübe Stunde jener Zeit trösten und hinwegheben können, zuerst über meine eigenen peinigenden Zweifel an meinem Talent!“ In der Biographie fand ich später, daß diese Aeußerung des Meisters keine Redensart, sondern in seinem Charakter begründet gewesen ist. Am 1. November 1812 schrieb er ja an einen Freund: „Ich bin ohnedies immer so gewissenhaft und auf der Folter, wenn ich arbeite. Oft verzweifle ich an mir selbst und meinem Genius und glaube mich zu schwach, ein Werk nach der Größe meiner Ansicht, meines Wunsches vollenden zu können.“ Während unsers Gesprächs wurde Weber’s Stimmung sichtlich [679] angeregter. „Was ist denn der Lohn des Künstlers,“ fuhr er fort und legte seine Hand theilnehmend auf die meinige, „der es ernst meint, für alle seine Anstrengungen? Sind es die Collegen, die ihn als ebenbürtigen Genius mit ungeheuchelter Achtung und Freundschaft aufnehmen? In’s Angesicht, ja; hinter seinem Rücken zucken sie erhaben mitleidig die Achseln über seine Einbildung, sich auch als einen Maler fühlen zu wollen, da er doch nicht gerade so componirt wie sie. Ist es die Kritik, die ihm Gerechtigkeit widerfahren läßt? Die Journale zeigen’s. Entweder Erhebungen seiner Freunde, die, selbst im Falle daß sie reine Wahrheit redeten, dem Künstler keine Freude machen können, weil er aus der Quelle der Freundschaft keine reine Wahrheit schöpfen kann, oder Herabsetzungen des Neides und feindseliger Coterie. Sind es die öffentlichen Ehrenbezeigungen, die Applaudissements, zugeworfenen Kränze, Dacapos, zwei-, dreimaligen Hervorrufe unmittelbar hintereinander? Sie können dem echten Künstler keine Genugthuung bereiten, denn dieselben Ehren, die heute ihm, werden morgen dem gewöhnlichsten Talente entgegengebracht, wenn es nur das ‚Klappern‘ geschickt auszuüben versteht. Was bleibt also, frage ich, nach all dem problematischen Zeug einem Künstler für seine treue Hingabe an die Kunst übrig?“

„Der an der halbgeöffneten Thür, im tiefsten Innern ergriffene, den hohen Genius voll begreifende, begeisterte arme Jüngling,“ fiel ich ein, „ferner derjenige, welcher jetzt das Glück hat, an Ihrer Seite sitzen zu dürfen, und übrigens – Millionen guter, treuer, unbefangener Menschenherzen, denen Sie durch Ihre Schöpfungen so viele Stunden reinsten Glücks geschenkt und die Ihnen dafür danken, Sie lieben und verehren.“ – Meine warme Rede that dem kranken Meister sichtlich wohl. Er sah, daß sie aus einer unmittelbaren wahren Empfindung floß.

„Es macht mir immer Freude,“ sagte er freundlich, „mich mit jungen Männern zu unterhalten, die ein ernstes und redliches Streben in ihrer Kunst bekunden. Führt Sie Ihr Lebensweg einmal nach Dresden, so werden Sie nicht an meiner Wohnung vorübergehen, und Sie sollen wohl aufgenommen werden.“

Er reichte mir die Hand. Ich zog sie, trotz seines Sträubens, an meine Lippen und drückte mehrere heiße Küsse darauf. Dann entfernte ich mich rasch. Ich habe ihn seitdem nicht wiedergesehen.

Das eingefallene Angesicht, mit jener kränklichen Blässe überzogen, die mir schon wie ein Widerschein des immer näher schwebenden Todesengels traurig ahnungsvoll das Herz beengte, ließ die Hoffnung auf eine längere Lebensdauer des Meisters nicht aufkommen. Jenes schreckliche Uebel, das kein Erbarmen kennt und aller Hoffnung spottet, die Lungensucht, hatte ihr Zerstörungswerk längst in ihm begonnen. Dennoch nahm er den Auftrag des Covent-Garden-Theaters zur Composition des „Oberon“ an. Mehr als die Ehre, deren er seit dem Freischütz zur Genüge genossen, mehr als der schöpferische Drang nach einem neuen Werke, den ihm der Musiksinn des englischen Publicums schwerlich in hohem Maße erregen konnte, mochte ihn diesmal die heiße Liebe zu den Seinen, für die er eine reiche Ernte zu halten und ihre Existenz dadurch nach seinem Tode zu sichern hoffte, antreiben zu langer Reise im Winter, über’s Meer, und mit der Last einer erst halbvollendeten Partitur. Die Anstrengungen, die ihn in London empfingen, die Direction der Concerte, des „Freischütz“ und „Oberon“, das Probehalten, Componiren, die Gesellschaft der Freunde und derer, die den berühmten Künstler bei sich gesehen haben wollten, die Nebel und Dämpfe Londons – das Alles mußte die schwindende Lebenskraft vollends verzehren.

Nur ein Gedanke lebte in seiner Seele, der Gedanke an das Wiedersehen seiner Lieben, nur ein Gefühl regte sich noch in seinem Gemüth – das Heimweh! Er hatte versprochen über Paris zurückzukehren, wo ihn neue Aufträge erwarteten, er gab sie auf; man wünschte ihn in London länger zu behalten, er kürzte den Aufenthalt nach Möglichkeit ab, die Tage, die Stunden zählte er ununterbrochen bis zu dem Augenblick, wo er den Reisewagen besteigen könne. Aber dies heißersehnte Glück des Wiedersehens war dem versagt, der Anderen so viel glückliche Lebensstunden geschenkt hatte. Am 4. Juni Abends befand er sich noch in Gesellschaft seiner Freunde. Er verließ sie mit dem Ausdruck des Gedankens, der allein noch seine Seele einnahm: „Wieder einen Tag dem Wiedersehen näher!“ Allein begab er sich in sein Zimmer, im Hause seines edlen Freundes, Sir George Smart, bei dem er wohnte. Was sich von da an mit dem Meister begeben, weiß Niemand. Er wurde am nächsten Tage, den 5. Juni, nicht sichtbar, die Thür war und blieb verschlossen. Als die Freunde, davon benachrichtigt, herbei kamen, lauschten und seinen Namen riefen, erfolgte keine Antwort. Nun erbrach man spät am Tage sein Zimmer. Da lag der Meister, wie ruhig schlummernd, todt im Bett. Obwohl die Katastrophe nahe geschienen, hatte sie doch Niemand so schnell erwartet! Wenn in dem Gedanken „ein schöner Tod“ Trost für den Verlust unserer Lieben liegen kann, so konnte man ihn hier finden. C. M. v. Weber hat allem menschlichen Ermessen nach einen schönen Tod gehabt. So hoffnungslos sein Zustand in den Augen aller seiner Freunde war, den Lungensüchtigen selbst verläßt die Hoffnung auf Genesung nicht; ja, die meisten wenigstens sollen sich, je näher der Auflösung, desto näher der Genesung wähnen. Jedenfalls zeigt die letzte Aeußerung Webers an jenem Abende, als er die Gesellschaft verließ: „Wieder einen Tag dem Wiedersehen nahe,“ daß er den vollen Glauben daran in sich hegte.

Mit dem Gedanken an Frau und Kind in der schönen lieben deutschen Heimath ist der Meister aller Wahrscheinlichkeit nach hinüber geschlummert.

Was man dem Künstler an Ehren anthut, wenn er seine irdische Bahn durchwandelt hat, darüber will ich kein Wort weiter verlieren. Schiller mußte aus Stuttgart fliehen, weil er nicht aufhören wollte zu dichten, später setzten sie ihm in Stuttgart eine Statue, weil er zu dichten nicht aufgehört hatte. Eine Huldigung aber, die ein großer Künstler in einem andern Kunstgebiete, der Malerei, unserem großen Tondichter gebracht, hat mich tief gerührt, eine Huldigung, welche das obige Bild geschaffen, und mit der Geschichte derselben, wie sie uns der talentreiche Sohn, Max von Weber, gütigst mitgetheilt, will ich meinen kleinen Artikel schließen.

„Das obige Bild,“ schreibt der Sohn an den Herausgeber der Gartenlaube, „ist von einem der größten jetzt lebenden belgischen Maler, dem Director der königlichen Akademie zu Antwerpen, de Keyser, der ein warmer Freund der Musik meines Vaters war. Vor einer Reihe von Jahren sandte dieser berühmte Künstler ein Bild zur Dresdner Ausstellung, das ein reines Phantasiestück war und das er „den letzten Augenblick Carl Maria v. Weber’s“ nannte. Der Gedanke war an das verlöschende Licht auf dem Piano und den hereinbrechenden Morgen geknüpft, der das Gesicht des sterbenden Meisters beleuchtet. An ein historisches Factum war er nicht gebunden. Das Bild war nichts Anderes, als eine lebensgroße Darstellung desselben Bildes, das Sie Ihren Lesern in der heutigen Nummer vorlegen. Von Portraitähnlichkeit war in jenem großen Bilde keine Rede. Nichtsdestoweniger interessirte mich das herrlich gemalte Werk, und ich schrieb an den Meister, den ich von meinem Aufenthalte in Belgien her schon kannte, und bat ihn um die Erlaubniß, eine Photographie des Bildes nehmen zu dürfen, wobei ich ihm jedoch bemerkte, wie sehr ich bedaure, daß sein schönes Bild durchaus keinen Anklang von Portraitähnlichkeit habe. De Keyser antwortete mir sofort, daß er mich bitte, keine Photographie von dem Bilde nehmen zu lassen, das seine ganze Wirkung der Farbe verdanke, und ersuchte mich schließlich um Sendung von Portraits, da er sein Bild darnach zu ändern beabsichtige. Ich schickte ihm die besten Stiche und einen Abguß der Leichenmaske. Jahr und Tag hörte ich nun nichts weiter von der Sache, als eines Tages das Gemälde, das hier die Gartenlaube nachbildet, an mich ankam mit der Frage de Keyser’s: ob es nun ähnlich sei? In der That ist es dem großen Meister gelungen, nach dem ihm gesendeten Material das ähnlichste Portrait meines Vaters zu schaffen, das existirt! Freudig schrieb ich ihm dies und erhielt umgehend den liebenswürdigsten Brief mit der Bitte, das Bild als Andenken an ihn zu behalten!“

Möge dem liederreichen Deutschland bald wieder ein Meister erstehen, in dessen Tonschöpfungen das deutsche Gemüth, die deutsche Herzensinnigkeit einen so vollen Ausdruck findet, wie in den unsterblichen Melodien unsers großen Carl Maria v. Weber.