Der Mensch im Kampfe mit den Kleinen

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Textdaten
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Autor: L. Haschert
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Titel: Der Mensch im Kampfe mit den Kleinen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 240
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[240] Der Mensch im Kampfe mit den Kleinen. Es ist bekannt, wie in der Natur oft scheinbar äußerst geringe Ursachen ganz ansehnliche und einflußreiche Wirkungen hervorbringen. Wer aber sollte jemals daran gedacht haben, daß die kleine Spinne imstande wäre, den elektrischen Strom, der die mächtigsten Tiere zu lähmen vermag, gleichgültig zu unterbrechen und dadurch den armen Telegraphisten fortwährend Aergernis zu bereiten? Und dennoch ist die Thatsache nicht aus der Welt zu schaffen. Vor kurzem berichtete man aus dem aufblühenden Japan, über dessen Boden sich heute fast ebenso wie bei uns Telegraphennetze ausbreiten, daß es dort bisweilen nicht möglich sei, den elektrischen Draht zur Beorderung von Depeschen zu benutzen, sobald die kleine Spinne den Draht in den Bereich ihrer industriellen Tätigkeit gezogen habe.

Wie hier in Deutschland, spinnen auch in Japan die Weberspinnen feine Netze aus, um darin mit leichter Mühe ihre Jagdtiere zu erbeuten. Dabei geschieht es dort häufig, daß diese industriellen Tierchen zur Befestigung ihrer zarten Gewebe nicht nur die Aeste der Bäume und Sträucher benutzen, sondern auch die verhältnismäßig niedrigen Telegraphenstangen und Drähte, die Isolatoren und den Erdboden als Stützpunkte verwenden, so daß die Netze, wenn sie vom fallenden Tau befeuchtet worden sind, als vortreffliche Leiter dienen, indem sie den elektrischen Strom der Erde zuführen und dadurch die Linien außer Dienst setzen.

Wohl hat man in Japan bald nach Entdeckung dieses eigentümlichen Hindernisses des allgemeinen Verkehrs auch daran gedacht, den kleinen achtbeinigen Widersacher durch das geeignetste Mittel von seiner Lieblingsneigung abzubringen. Mit Bambusoefen bewaffnete Arbeiter wurden ausgesandt, die Telegraphendrähte und –pfähle von den lästigen Geweben zu befreien. Doch die kleinen fleißigen Arbeiterinnen zeigten sich weit thätiger in der Reparatur ihrer Netze als die Oefen im Zerstören derselben. Und so mußten die braven Japaner erfahren, daß es leichter ist, das mächtige „Reich der Mitte“ zu besiegen als diese meist verachteten winzigen Tierchen.

Auch aus Amerika hört man ähnliches. Dort hat man an den Denkmälern ein zerstörerisches Treiben der Spinnen erkannt, wie wir einem Bericht des englischen Journals „Nature“ entnehmen. Die zahlreichen elektrischen Flammen gaben sonst den Monumenten der Hauptstadt, die sie mit ihrem glänzenden Licht übergossen, ein großartiges Aussehen, das man nicht müde wurde zu bewundern. Mit der Zeit aber breitete sich ein bleicher Schleier über sie aus, der die mächtigen Gestalten wie ein leichter Nebel verhüllte. Auch hier waren Spinnen die Ursache.

Es ist ja bekannt, daß die klugen Spinnen ihre feinen Netze gern an einer Stelle aufspannen, die dem hellen Sonnenschein den Zutritt gestattet. Der Beweggrund zu dieser Handlungsweise ist nicht schwer zu erraten. Die Beute suchenden Tierchen scheinen aus Erfahrung zu wissen, daß die Insekten, die ihnen zur Nahrung dienen, meist Lichtfreunde sind und daher von dem Lichte auch aus dem dunkelsten Winkel hervorgelockt werden. All die elektrischen Flammen nun, die wie kleine Sonnen die Nacht erhellen, riefen Legionen von Spinnen herbei, die ihre Thätigkeit in einer Weise verdoppelten, wie man dies noch niemals beobachtet hatte.

Und so haben die gewaltigen Monumente mit der zerstörenden Macht einer kaum sichtbaren Spinne zu rechnen. Dieses so rührige kleine Wesen läßt sich auf dem Steine heimisch nieder und wohnt daselbst ganz behaglich für sich, indem es sein verhängnisvolles Netz darüber aufspannt, das mit der gewünschten Beute zugleich die atmosphärische Feuchtigkeit festhält. Eine feuchte Lagerstätte suchend, stellen sich bald mikroskopische Sporen ein, aus denen sich zarte Flechten mit nagenden Wurzeln entwickeln, wodurch der zugleich dem Temperaturwechsel unterworfenen einst unverwüstlich scheinende Stein nach und nach verwittert und zuletzt wieder wird, was er einst gewesen ist: ein Häufchen Erde. L. Haschert.