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Der Postillon von Lonjumeau

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Textdaten
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Autor: Ferdinand Rittinger
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Titel: Der Postillon von Lonjumeau
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 458–459
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[458] Der Postillon von Lonjumeau. Volle sechszehn Tage waren wir schon auf der faulen Haut in Longpont gelegen und hatten uns die Zeit mit Dreschen, Knöpfeputzen, Hemdflicken und anderen sehr nützlichen Beschäftigungen vertrieben; da kam eines Tages Befehl, wir sollten nächsten Morgen acht Uhr auf dem großen Plateau vor Lonjumeau zur Parade aufgestellt sein. Lonjumeau, der Geburtsort des berühmtesten und schönsten aller Postillons, der Schauplatz seines Liebes- und Treuebruchs, seines Verraths an der allerliebsten Madeleine, die den allzu Pfiffigen freilich noch pfiffiger wieder in ihre Ketten zu schlagen wußte! Es war begreiflich, daß ich mit Vergnügen die erste beste Gelegenheit ergriff, das berühmte Städtchen kennen zu lernen. Diese Gelegenheit sollte sich mir heute bieten, denn bei der Parade hatte ich nichts zu thun. Eine ziemlich genaue Kenntniß der französischen Sprache nämlich, sowie ein gewisser angeborener Spürsinn, verborgenen Dingen auf die Fährte zu kommen, hatten mir eine ganz eigenthümliche Stellung und mit ihr zugleich bei der Division den Namen „Räuberhauptmann“ eingetragen: ich hatte, um es kurz zu sagen, für alle Bedürfnisse des Magens und der Kehle, für Essen und Trinken, Wohnung und Holz, Heu und Stroh zu sorgen, was meinem Leben im Felde mitunter einen wahrhaft abenteuerlichen Anstrich gab. Heute nun wollte ich als „Räuberhauptmann“ eine größere Entdeckungsreise auf verborgene Weinkeller unternehmen, ließ daher zeitig meinen „Jagdwagen“ einspannen und wollte eben mit meiner „geladenen Deckungsmannschaft“ abfahren, als mich unser Regimentsarzt noch einmal anrief:

„Wohin denn?“

„Auf Requisition, Herr Regimentsarzt.“

„So. Sie, R., Sie könnten mir ’nen kleinen Gefallen thun.“

„Sehr gerne. Womit denn?“

Der „Gefallen“ war wirklich sehr bescheiden – ich sollte auf der Rückfahrt in Lonjumeau mich nach dem Wirthshause erkundigen, in welchem der treulose Chapelou seine niedliche Wirthin geliebt und verlassen haben soll und das noch heute mit dem Schilde „Au Postillon de Lonjumeau“ geschmückt ist, und von dort irgend ein kleines Andenken, sei es in Gestalt einer Speisekarte oder in Form der Etiquette einer zerbrochenen Weinflasche mitnehmen, unter allen Umständen mußte die Firma „Au Postillon de Lonjumeau“ auf dem Gegenstande gedruckt zu lesen sein, um dessen Echtheit vor Jedermann auf das Unzweifelhafteste zu bekunden. Ich versprach mein Möglichstes zu thun, und fort ging’s. Ich aber auf dem Wagen sang lustig vor mich hin:

Fuhr er durch Dörfer oder Städtchen,
Klang seines Posthorns munt’rer Ton,
Dann flog das Herz der schönsten Mädchen
Rasch im Galopp mit ihm davon.
Hohohoho! wie schön war so
Der Postillon von Lonjumeau!

Ich hatte Glück am selben Tage; ein ordentliches, wohlgefülltes Faß mit Wein lag bald hinten auf dem „Jagdwagen“, das Sitzkästchen war auch schon mit Flaschen gefüllt und zum Ueberfluß hatte ich noch einen Sack mit Hafer aufgespürt, der dem Fasse als willkommene Unterlage diente. Langsam und gemüthlich fuhren wir die große Pariser Straße gen Lonjumeau zu und erreichten endlich dieses selbst, das in einer reizenden Thalmulde gelegen einen lieblichen Anblick bot. Forschend suchten meine Augen nach dem Schild des Wirthshauses. Da, richtig, mitten in die Straße hing’s herein, und ganz deutlich war darauf zu lesen: „Au Postillon de Lonjumeau“

Absteigen und an die festverschlossene Thür pochen, war das Werk eines Augenblickes. „Nix, tout fort!“ entgegnete mir ein altes Männlein, das sich herzugedrängt hatte und mit Pantomimen seinem Reichthum an deutschen Worten Nachdruck geben wollte. „Teufel,“ dacht’ ich, „Niemand da, Alles aus dem Hause fort? da wird es mit meinem Versprechen schlecht ausschauen.“ Dabei knarrte das Schild über meinem Kopfe, an seiner Eisenstange vom Winde bewegt, lustig hin und her, als wollt’ es mich noch obendrein auslachen, und der gemalte Postillon schaute ganz vergnügt auf mich herab, als wollte er seiner Schadenfreude darüber, daß ich zu spät gekommen, rückhaltlos [459] Ausdruck geben. „Halt, das soll bestraft werden!“ Die Pferde einem der Begleitungsmannschaften übergebend, befahl ich einem andern Soldaten, mir zu folgen. Das Nachbarhaus stand offen. Ohne eine Silbe zu sprechen, stieg ich die schmalen Treppen hinauf unter’s Dach, von dort durch die Dachlucke hinüber auf das Dach des Wirthshauses, gelangte durch Ausheben mehrerer Ziegel ganz gemüthlich in dessen Dachboden und stieg von diesem wieder auf die einfachste Weise in den ersten Stock herab. Jetzt das Fenster auf und schon saß ich rittlings draußen auf der Eisenstange. Ruhig hakte ich das Blechschild los, denn auf nichts geringeres als dieses hatte ich’s abgesehen: das Schild mit dem darauf gemalten Postillon schien mir der beste Zeuge der Echtheit und zugleich das originellste Andenken, das nur zu denken war. Unten stand schon ein Haufen blauer Blousen, die mit Jammermiene dem Raube ihres Nibelungenschatzes zuschauten. Sie mußten große Stücke auf das Schild halten; denn immer größer und größer wurde der Haufen und die Schwatzhaftigkeit, die ihnen nun einmal angeboren ist, wuchs bereits zu einem ganz ansehnlichen Getöse an. Doch ich gab nicht viel darauf, ich kannte ihre Feigheit zu gut. Endlich hatte ich das Schild losgehakt; ich reichte es dem Soldaten, der mir nachgestiegen war:

Hohohoho! wie schön war so
Der Postillon von Lonjumeau!

sang ich, daß der Componist der reizenden Oper, Adam, gewiß mit mir zufrieden gewesen wäre; dann kletterte ich durch’s Fenster wieder in die Wohnung, schloß dieses und trat auf dem höchst gewöhnlichen Wege durch die Hausthür, die ich nunmehr von innen aufgeschlossen, auf die Straße. Sofort war ich umringt. Alle wollten zugleich Auskunft haben, was ich mit dem Schilde für Absichten habe. Auch der nie fehlende Dorfgeistliche frug mich wiederholt nach dem Zweck meines, wie er meinte, sehr frechen Raubes. Zu anderen Zeiten hätte ich jedenfalls nicht so viele Umstände gemacht, aber heute war ich gerade durch das Gelingen des kleinen Streiches in beste Laune gebracht und so erwiderte ich denn dem Volkstribun in der Geistlichentracht, daß mich Bismarck selbst beauftragt habe, dieses Schild abzunehmen. Er sei ein ungemeiner Verehrer der Oper „Postillon von Lonjumeau“ und wollte um jeden Preis das Schild haben. Da standen sie denn da und rissen die Mäuler auf, ich aber stieg rasch zu Wagen und schon eine halbe Stunde später hatte unser Regimentsarzt das „Andenken“ und ich ein sehr splendides „Extra“ in Form hochwillkommener Cigarren.

Etliche Wochen später war das kleine Schild mit einem Krankentransporte auf dem Wege nach München, gegenwärtig bildet es ein werthvolles Stück in der Requisitenkammer des Münchener Hoftheaters.

Ferdinand Rittinger, Corporal.