Der Prairiebrand (1860)

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Autor: Balduin Möllhausen
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Titel: Der Prairiebrand
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 571–573
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Prairiebrand.
Schilderungen aus dem westlichen Nordamerika.
Von Balduin Möllhausen.

Wenn im Spätsommer das Gras bleicht und der rauhe Westwind über die endlosen Fluren Missouri’s fegt, dann hängt es in den angrenzenden östlichen Staaten wie ein leichter grauer Flor vor dem wolkenlosen Himmel, und wie in einen duftigen Schleier verhüllt erscheint die ihres blendenden Glanzes beraubte Sonne.

Höhenrauch nennen die Leute diese sich fast täglich wiederholende Erscheinung, und schreiben dieselbe im Allgemeinen den Prairiebränden zu, welche namentlich im Herbst über weite dichtbegraste Flächen hineilen. Gleichgültig schaut der Stadt- und Landbewohner zu dem Höhenrauch empor, spricht auch wohl von dem anhaltend guten Wetter, auf welches derselbe hindeuten soll; der Scenen aber, von welchen der westliche Wind und der Rauch der Höhen erzählen könnten, und die in ihren Eindrücken auf das Gemüth zugleich furchtbar und erhaben, schreckenerregend und bezaubernd sind, gedenkt nur derjenige, welcher das entfesselte Element in seiner ganzen gewaltigen Pracht kennen lernte und, von den wilden Flammen verfolgt, den entsetzlichen Wettlauf um’s Leben wagte.

Ich befand mich auf der Jagd mit meinen beiden indianischen Gefährten, Hug-ha und Scha-gre-ga-ge, zwei jungen Omaha-Burschen, welche so treue Herzen unter ihrer kupferfarbigen Haut bargen, wie nur je in der Brust eines weißen Mannes schlugen. Wir waren gut beritten, das herrlichste Wetter begünstigte uns, Wild war im Ueberfluß vorhanden, und so fehlte denn nichts, was unsern Ausflug zu einem der angenehmsten zu machen versprach. Ungefähr die Mitte des nördlichen Winkels zwischen dem Missouri und dem Nebrasca haltend, zogen wir in nordwestlicher Richtung dahin; das Dorf der Omahas blieb weit hinter uns zurück, und schon am zweiten Tage gelangten wir so weit, daß, wie auf dem ewigen Ocean, der sonnige Himmel gleichsam wie eine unermeßliche Glasglocke auf der ebenen Fläche ruhte. Kleine Flüsse und Bäche, an den spärlichen Baumgruppen auf ihren Ufern weithin erkennbar, schlängelten sich anmuthig durch die Niederungen, und diesen nachfolgend, fanden wir vielfach Gelegenheit, uns reiche Beute zu sichern. Bald war es ein Hirsch, bald ein Truthahn oder Waschbär, was wir erlegten, und schon am vierten Tage unserer Reise hatten wir die Pferde so mit geräucherten und gedörrten Fleischstreifen, sowie mit Fellen beladen, daß wir dieselben am Zügel führten und am folgenden Tage den Rückweg anzutreten beschlossen.

Es war um die Zeit, in welcher die indianischen Jäger beginnen, Feuer an die Prairien zu legen, um dadurch noch vor Einbruch des Winters frisches Gras zu erzielen. Einzelne Rauchwolken hatten auch in der That schon seit mehreren Tagen vor dem südwestlichen Himmel gehangen, da dieselben aber noch sehr ferne waren, und der Wind mit einer gewissen Beständigkeit die nördliche Richtung beibehielt, so hatten wir keinen Grund zur Besorgniß oder übermäßigen Vorsicht, und nach gewohnter Weise hielten wir einige Stunden Mittagsrast. Wir befanden uns an dem westlichen Rande einer breiten Niederung, welche ein Bach reich bewässerte. Hohes saftiges Gras gewährte den Pferden gute Weide, uns selbst einigen Schutz gegen die noch immer sengenden Strahlen der Sonne, und nachdem wir abgesattelt hatten, streckten wir uns daher hin und verfielen bald in tiefen Schlaf. Zwei Stunden etwa waren in ungestörter Ruhe verstrichen, als uns plötzlich das heftige Schnauben der Pferde weckte; wir sprangen empor und erblickten nicht wenig überrascht schwarze Rauchwolken, welche mit rasender Eile in geringer Höhe über uns hinzogen. Der Wind war herum gesprungen, und geschützt von dem hohen schilfähnlichen Grase, wo wir gelegen, hatte weder der verstärkte Luftzug, noch der Brandgeruch bis zu uns dringen können, was jedenfalls wenigstens die beiden Omahas ermuntert haben würde[WS 1].

Auf den ersten Blick erkannten wir die Gefahr, in welcher wir schwebten, denn es entging uns nicht, daß der Brand uns in kurzer Zeit erreichen mußte, wenn wir nicht durch schleunige Flucht oder durch Anzünden und Verbrennen des Grases in der Nähe [572] uns dem drohenden Verderben zu entziehen suchten. Dumpfes Brausen und Poltern schlug an unser Ohr, als wir zu den Pferden hinsprangen, um die Sattel aufzulegen, aber ebenso schnell nahmen wir wahr, daß es zu spät sei, um die Jagdbeute noch zu retten, und daß es der ganzen Kraft der unbeladenen Thiere bedürfe, um nur uns in Sicherheit zu bringen. Das Gras auf dem marschigen Boden war grün und saftig, und wenn es auch, von dem Brande und der weit vorauseilenden Hitze gedörrt und zusammengeschrumpft, bei der leisesten Berührung der Flammen hoch aufloderte, so wären wir doch nicht im Stande gewesen, in der kurzen Frist einen neuen Brand zu erzeugen. Es blieb nur noch der einzige Weg offen, durch die zwei englische Meilen breite Niederung zu fliehen und da, wo niedriges dürres Gras das Ansteigen des Bodens verrieth, durch schnelles Feuer eine kleine Fläche von allem Brennbaren zu reinigen und zu unserer Aufnahme herzurichten.

Der Prairiebrand.     Xylographie von W. Aarland.

Wir ergriffen daher unsere Jagdgeräthschaften, und in der nächsten Minute sprengten wir dahin mit aller Eile, deren die geängstigten Thiere nur fähig waren. Es war ein schrecklicher Ritt, denn hemmend legten sich die Halme, welche unsere Schultern peitschten, um die flüchtigen Hufe; und rückwärts schauend, erblickte ich die wilden Flammen, wie sie, schwarze Dampfsäulen emporsendend, sich knatternd über die nächsten Anhöhen wälzten und mit unglaublicher Schnelligkeit den Zwischenraum zwischen uns verringerten. Tiefer drückten wir die Sporen in die Weichen der keuchenden Pferde, und heftiger fielen die geschwungenen Lassos auf ihre triefende Haut; weit aus griffen die Renner, doch schneller noch als sie setzte der stattliche Hirsch und der geängstigte Hase vorbei, unbekümmert um vereinzelte Wölfe und Füchse, welche, ihrer Raubsucht vergessend, jetzt fast gleichen Schritt mit ihnen hielten.

Weiße Gabelweihen und braune Falken in großer Anzahl durchkreuzten wie spielend den dichten Rauch, sausend schossen sie hinauf und wieder hinab, um nahe vor dem Feuer mit sichern Fängen die kleinen Nagethiere zu ergreifen, die es vergeblich versuchten, dem doppelt drohenden Verderben zu entrinnen. Näher rückten wir der rettenden Anhöhe, aber näher rückten auch die Flammen, und flockenähnlich umwirbelte uns die weißgebrannte Asche. Da stürzte Hug-ha mit seinem Pferde zusammen, ich versuchte anzuhalten, doch „Vorwärts“ gellte Scha-gre-ga-ge, und wie im Fluge überwanden wir die letzten hundert Schritte. Kaum hatten wir den abgestorbenen Rasen erreicht, als wir uns von den Pferden warfen und unverzüglich an’s Werk schritten, einen neuen Brand zu erzeugen. Das Herz aber sank mir in der Brust, als ich unseres Gefährten gedachte, welchen wir, nach meiner Ansicht, feiger Weise zurückgelassen hatten. Mit vorwurfsvollem Ton sprach ich den Namen Hug-ha aus, als ich Scha-gre-ga-ge ein brennendes Stück Papier hinreichte, welches dieser geschickt unter einen Haufen zusammengebogener trockener Halme hielt. „Hug-ha wird kommen,“ antwortete Scha-gre-ga-ge gleichmüthig, „er wird kommen, wenn wir eine Stelle freigebrannt haben, er wird kommen um die Flammen harmlos vorüberziehen zu sehen; er weiß, daß wir auf ihn nicht warten durften, wenn wir gerettet werden wollten; er wird kommen, er wird kommen,“ und mit diesen Worten bog er immer neue Halme niederwärts, welche, im brennenden Zustande sich wieder aufrichtend, das Feuer schnell verbreiteten. Kaum eine Minute war nach unserer Ankunft verstrichen, als wir, die Pferde an der Leine führend, dem neuen abwärts treibenden Brande folgten und unsere Füße auf aschigen Boden und versengte Stoppeln setzten. Wir waren gerettet, doch wo war Hug-ha?

Wie eine Lawine wälzte sich der schwarze erstickende Rauch heran, die Hitze, die wir einathmeten, war unerträglich, doch alle Gedanken an die eigenen Qualen traten zurück vor der schmerzlichen Besorgniß um den nach meiner Ueberzeugung untergegangenen Gefährten. Plötzlich aber vernahm ich heftiges Keuchen, der [573] Rauch theilte sich auseinander, und ich erblickte zu meiner unsäglichen Freude den schlanken Hug-ha, der mit der Büchse auf der Schulter herbeisprang und sein störrisch gewordenes Pferd an der langen Leine auf die leergebrannte Fläche zu zerren trachtete. Wir eilten zu Hülfe, und unsern vereinten Anstrengungen gelang es, das arme Thier in dem Augenblicke zu retten, als die Flammen an ihm hinaufleckten und den schönen, wohlgepflegten Schweif mit Gedankenschnelligkeit kahl sengten.

Während ich nun die Ausdrücke der Freude über Hug-ha’s Eintreffen und unsere Rettung nicht zurückzuhalten vermochte, benahmen sich die beiden Brüder, als ob durchaus nichts Ungewöhnliches vorgefallen sei, und schienen den Verlust des Pferdeschweifes und der Jagdbeute höher anzuschlagen, als unser glückliches Entkommen. Auch verstand ich ihre Zeichen und ihre Sprache genugsam, um zu erkennen, daß sie darüber berathschlagten, in welcher Richtung wir ziehen müßten, um das vor dem Feuer geflüchtete erschöpfte Wild zu finden und eine Verheerung unter demselben anzurichten.

Die Flammen, als sie die von allem Brennbaren gesäuberte Stelle erreichten, hatten sich unterdessen getheilt, und vom wüthenden Sturm gepeitscht, brausten sie zu beiden Seiten an uns vorüber, wie um den jüngst erzeugten Feuerstreifen einzuholen, der, sich schnell ausdehnend, lustig vorauf eilte und Millionen von Funken und verkohlten Grastheilchen emporwirbelte. Die Pferde zitterten und bebten, und in der That war es ein Anblick, der sogar das stärkste Männerherz ergreifen mußte. – Da, wo wenige Minuten vorher üppiges Gras, wenn auch herbstlich gefärbt, die weite Niederung schmückte, und wo samenschwere Halme sich feierlich wiegten, da erblickte man jetzt ein ödes, dampfendes Aschenfeld; und wie um das Bild des Todes zu vervollständigen, ragten hin und wieder geschwärzte Büffelschädel und Hirschgeweihe hervor, welche jetzt, nachdem das bergende Gras verschwunden, von frühern erfolgreichen Jagden zeugten.

Auf der andern Seite dagegen tobte der wilde Brand in seiner ganzen Pracht unaufhaltsa1n dahin; dumpfes Sausen und Knattern begleitete den endlosen Feuerstreifen. Blutroth beleuchtet erschienen die rollenden Rauchmassen, die, von dem heftigen Winde niederwärts gedrückt, den Verderben bringenden Flammen voraufzogen, gleichsam warnend die Geschöpfe, welchen die Mittel fehlten, das entfesselte Element durch sich selbst siegreich zu bekämpfen.

Lange stand ich und blickte mit innigster Bewunderung auf das erhabene Schauspiel; selbst meine indianischen Gefährten schienen nicht unempfindlich gegen dergleichen Eindrücke zu bleiben, denn auf geheimnißvolle Weise flüsterte Hug-ha, indem er auf den Feuerstrom wies: „Das ist der rächende Manitou.“

Die Pferde am Zügel führend, folgten wir langsam einer Regenschlucht nach, wo kleine Rasenflächen, welche der Brand übersprungen und verschont hatte, zum Lagern einluden. Die Dämmerung stellte sich ein, der Wind erstarb, und, nicht mehr abhängig von den Luftströmungen, stiegen die mächtigen Rauchsäulen bis in die Wolken hinein. Als aber nächtliches Dunkel sich auf die Ebene senkte, da prangte der östliche Horizont in stets wechselnder magischer Beleuchtung. Bald hoch auflodernd, bald wie Irrlichter flackernd und hüpfend, je nachdem das Feuer auf üppigere oder kärglichere Nahrung stieß, schlich der Brand langsam über die fernen Bodenanschwellungen; über der noch unberührten Steppe aber wie über den Flammen und dem schwarzen Aschenfelde glänzten mit mildem Lichte die ewigen Sterne.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wurde