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Berliner Bilder/Seine Badesaison

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Textdaten
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Autor: Ernst Kossak
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Titel: Berliner Bilder Nr. 10. Seine Badesaison
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 573-575
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[573]
Berliner Bilder.
Von E. Kossak.
Nr. 10. Seine Badesaison.

„Mein Urlaubsgesuch ist bewilligt!“ rief der Kanzleirath Tiphonius und hielt seiner Frau Gemahlin ein officiell zusammengefaltetes Papier entgegen. „Ich kann reisen, wenn ich will, und sechs Wochen fortbleiben.“

„Gott sei Dank!“ antwortete die Kanzleiräthin, eine kugelrunde, gutmüthig aussehende Dame, „Du hast lange genug am Actentisch gesessen, es ist die höchste Zeit, daß Du endlich etwas für Deine Gesundheit thust. Innerhalb acht Jahren hast Du keinen Urlaub gehabt. Jetzt muß etwas Ordentliches geschehen, entweder warme Bäder oder regelmäßige Abreibungen in einer Kaltwasserheilanstalt!“

Der Kanzleirath runzelte die Stirn, streckte pathetisch den rechten Arm aus, machte demnächst mit dem rechten Beine die Stellung eines Tänzers, der eine gehässige Leidenschaft auszudrücken hat, und sagte mit Bitterkeit: „Ich möchte wohl wissen, was daran noch warm zu baden, was daran noch kalt abzureiben wäre!“ Der arme Mann hatte Recht, an ihm war nichts mehr abzureiben, er trug nur noch das trockne Gerüst seiner Persönlichkeit, das fertige Präparat für das anatomische Museum, sein zu Schanden geschriebenes Skelett, mit sich herum.

„Nun, Du wirst doch eine Erholungsreise machen, während ich zu Evelinen nach Pankow ziehe und nach dem Rechten sehe?“ fragte verwundert die Kanzleiräthin, die ihren Mann nur darum so lebhaft von Berlin fortzuwünschen schien, um ein scharfes Augenmerk auf „das Rechte“ zu haben, worunter der nächstens zu erwartende Erstling ihrer an einen wohlhabenden Materialisten verheiratheten und auf der Sommerfrische befindlichen Tochter Eveline zu verstehen war.

„Gewiß werde ich eine Erholungsreise machen, aber nicht, um zu baden, sondern um zu trinken! Ich gehe nach Marienbad,“ sagte Kanzleirath Tiphonius, „ich habe die triftigsten Gründe dazu.“

„Recht so, recht so,“ rief hinter ihm eine süß schmeichelnde Stimme, in der die Klangfarbe eines geübten Supplicantenregisters nicht zu verkennen war, „recht so, das ist im Geheimen auch längst mein Wunsch gewesen. Ich schwieg nur, so lange keine bestimmte Aussicht auf Urlaub vorhanden war. Marienbad, das ist Ihr Brunnen, mein lieber Kanzleirath!“ Die Stimme gehörte dem Hausarzte, einem jener Doctoren, die nach Umständen in Allopathie oder in Homöopathie machen, heute für warmes, morgen für kaltes Wasser enthusiasmirt sind, ihre meisten Curen aber, um wenigstens den Patienten generaliter zu reinigen, mit einem energischen Brechmittel anheben.

„Aber, lieber Sanitätsrath, erbarmen Sie sich,“ rief die Kanzleiräthin, die offenbar ihren abgearbeiteten Mann so lange als möglich am Leben erhalten wollte, „was soll dieser Mann in Marienbad? was soll ihm der scharfe abführende Brunnen? In acht Tagen ist er ja so weit, daß Sonne und Mond ihm durch die Rippen scheinen! Ich bitte Sie um Gotteswillen, schicken Sie ihn nicht nach Marienbad, bei der dortigen Fastenkost geht er mir ganz zu Grunde; ich habe hier ohnehin schon meine liebe Noth, ihn zusammen zu flicken!“

„Wie die Frau wieder spricht –“ sagte Tiphonius sehr verdrossen.

„Bitte, bitte –“ unterbrach ihn der Sanitätsrath, „es handelt sich hier nicht, meine verehrte gnädige Frau, um einen Ueberfluß an Säften, wohl aber um einen Ueberfluß an schädlichen Ablagerungen, sogenannten Anschoppungen im Unterleibe; deshalb Marienbad. Wenn wir Ihren Herrn Gemahl davon befreien, werden alle Functionen wieder ungehindert vor sich gehen, und er wird von Neuem ein starker, gesunder Mann werden; deshalb Marienbad, sage ich noch einmal und werde es immer sagen.“ Und da der Sanitätsrath dieses Gutachten mit hohem medicinischen Pathos abgegeben hatte, imponirte es beiden Ehegatten, ihm, als wissenschaftliche Bejahung seiner eigenen Meinung, ihr, als glücklicher Fingerzeig auf die wahrscheinliche Wiederherstellung aller Funktionen im Organismus des armen Kanzleirathes. Der Sanitätsrath bemerkte mit Vergnügen die gute Wirkung seiner Erklärung und fügte als Epilog hinzu, daß er gegen Abend nach Pankow hinausfahren werde, um nach dem Befinden der jungen Frau zu sehen. Nach diesem schönen gemüthlichen Schlußeffect empfahl er sich, da er eine wichtige Consultation wegen des russischen Fürsten Oposoffski nicht versäumen dürfe.

Die Kanzleiräthin blickte ihm, zufrieden mit einem solchen [574] gewissenhaften Hausarzte, nach, und der Gemahl trat an das Fenster, um den Sanitätsrath in den Wagen steigen zu sehen. Er lächelte, denn jetzt durfte er seinen kühnen Plänen nachleben. Nicht die Sorge um seine Gesundheit trieb ihn nach Marienbad; Kanzleirath Tiphonius strebte nach Höherem, er überließ sich im Geheimen überaus ehrgeizigen Bestrebungen. Wer sich einen Kenner der Büreaukratie nennt, wird wissen, daß auch ein Kanzleirath jener Leidenschaft fröhnen kann, die schon den Catilina in’s Verderben gestürzt; nur war sein Streben nicht auf die Herrschaft über Rom gerichtet, er begnügte sich mit Bescheidnerem. Se. Excellenz der Herr Minister befanden sich in Marienbad, daher sein erbittertes Streben, gleichfalls diesen Badeort zu besuchen, um dort vielleicht seine Absichten auf dem gradesten Wege zu erreichen. Von Bekannten und aus Zeitungen hatte er erfahren, daß die Zeiten der Idylle noch nicht gänzlich entschwunden seien, und daß namentlich in Badeörtern vornehme Personen ohne Stern und in weicherer Gemüthsverfassung unter den gemeinen Creaturen umherwandeln; deshalb hoffte er Se. Excellenz auch für sein Anliegen zu gewinnen. Der Unglückliche litt an den entschiedensten Anschoppungen – bureaukratischen Ehrgeizen; ihm konnte nicht mehr Glaubersalz, ihm konnte nur noch der Minister helfen.

Wir sind weit entfernt, auf den wehmüthigen Abschied des Kanzleirathes von seiner wohlbeleibten Frau Gemahlin und Tochter, auf seine Reiseabenteuer, auf die geistreichen Bemerkungen unterwegs, auf die Feindschaften, die er im Eisenbahncoupé und Postwagen durch Gebehrden ungemessenen Stolzes angezettelt, näher einzugehen; uns liegt nur ob, die Saison des verwegenen Bureaukraten, die Art und Weise, wie er die ihm bewilligte Epoche der Erholung und Muße ausbeutet, mit den gebührenden Farben auszumalen.

Die Höhe seines jährlichen Gehaltes und der gemachten Ersparnisse konnte den Kanzleirath nicht veranlassen, auf Reisen und in dem Curorte ungewöhnlich splendid aufzutreten. Mit stiller Zufriedenheit hatte er schon zu Hause eine wahrscheinlich ausreichende Anzahl Gulden, das Stück zu sechzehn Silbergroschen, erworben und ausgerechnet, daß die Mehrkosten seines Aufenthaltes, in Betracht, daß seine Gemahlin die Saison in Pankow bei der Tochter zubringe, durch das erzielte Agio wohl gedeckt werden könnten. Er miethete deshalb in Marienbad eine jener entfernteren Wohnungen, welche an den waldigen Bergabhängen liegen und im Laufe des Tages einige Kletterübungen nöthig machen, bezahlte die Curtaxe und die Bademusik, deren höfliche Beauftragte jedem Curgaste sofort ihre Aufwartung machen, und traf seine Vorkehrungen, um am nächsten Morgen mit der Cur zu beginnen. Bei gewöhnlichen Patienten hätten diese unfehlbar darin bestanden, ein zierliches Glas von etwa sechs Unzen Gehalt zu kaufen, den Empfehlungsbrief des Berliner Hausarztes an den betreffenden Badearzt abzugeben, der ihn im Winter besucht und um Zusendung von Kranken ersucht hatte, am Abend vor der Cur nur eine „Sprudelsuppe“ und ein Compot von „Zwetschken“ oder „Pflaumen“ zu essen; unser Freund Tiphonius, wenn er uns erlaubt, ihn so vertraulich zu bezeichnen, hatte ganz andere Dinge im Sinn. Zuerst mußte ergründet werden, wo Se. Excellenz der Herr Minister wohne, welche Begleitung er um sich habe, auf welche Weise er den Brunnen trinke, wo er den Nachmittag zubringe und welche Eigenthümlichkeiten der Lebensweise er beobachte. Es war nicht schwer, die nöthigen Erkundigungen einzuziehen.

Für eine große Menge müßiger Menschen liegt der Hauptreiz vielbesuchter Bäder darin, die Vertraulichkeit und das nähere Beieinandersein hervorragender oder vielgenannter Personen dahin auszubeuten, sie auf allen Schritten zu belauschen, Anekdoten über sie zu bilden und dieselben nach Möglichkeit in Umlauf zu setzen. Der ehrgeizige Kanzleirath brauchte nur bei Tische die Bekanntschaft des nächsten Herrn zu machen, der ihm, als der Kellner die „Suppe mit Ulmer Gersteln“ gebracht, prüfend in die Augen sah und unaufgefordert das Salzfaß zuschob, um alle nothwendigen Thatsachen zu erfahren. Herr Tiphonius war nicht der Klügste, was man aus seinem schlechthin abschreiberischen Berufe wohl schon ersehen haben wird, allein man braucht nicht „der Klügste“ zu sein, und kann doch noch sehr klug sein; dieses Axiom durfte man unserem Kanzleirathe getrost nachrühmen. Zwar hatte er, wie es doch alle strebsamen Staatsmänner eigentlich thun sollten, den Macchiavell nie gelesen, allein er hatte doch den „kleinen Macchiavell“, wie ihn auch der letzte Abschreiber in einem Ministerialburean so dringend als das tägliche Brod braucht und nach und nach praktisch erlernt, gehörig inne und beherzigte seine Lehren. Denn wenn der alte und große Macchiavell ausschließlich für Fürsten und Gewaltthäter geschrieben hat und ihnen angelegentlich die besten Maßregeln anempfiehlt, ihre Völker sich gründlich und nachhaltig unterthan zu machen, lehrt der kleine Macchiavell, den wir vielleicht noch einmal zu Papier bringen werden, die armen Subalternbeamten und Papierunterwürflinge, Gehorsam bis an die äußersten Grenzen der aschgrauen Möglichkeit zu leisten, und sich ihren Herren und Chefs durch die verkrümmteste Liebedienerei, ja, wenn es sein muß, selbst – durch Treubündelei angenehm zu machen.

Kanzleirath Tiphonius hatte beschlossen, den kleinen Macchiavell mit allen Requisiten in Scene zu setzen. Der bereitwillige Herr mit dem Salzfaß unterrichtete ihn, noch ehe die Zwetschken umhergereicht wurden, genau über die Lebensweise des Ministers. Er gehörte zu seinen Verehrern, obgleich er nicht im Staatsdienst stand, sondern dem Kaufmannsstande angehörte, aber er las alle parlamentarischen Verhandlungen und schätzte den Minister als einen liberalen und anständigen Herrn. Aus diesem Grunde beobachtete er Se. Excellenz täglich so eifrig, wie Wind und Wolken, und vermochte dem Kanzleirath, der ein wenig erröthend, so weit nämlich die Farbe des Blutes durch den Korduan seiner Physiognomie dringen konnte, ihn merken ließ, daß nur ein sehr wichtiges persönliches Anliegen der Grund seiner Anwesenheit in Marienbad sei, die nöthige Anweisung über seinen hohen Chef zu geben.

„Daß ich ihm als ein loyaler und fleißiger Beamter bekannt sein muß, glaube ich mit Gewißheit annehmen zu können,“ sagte der Kanzleirath, als der Herr mit dem Salzfaß seine Auseinandersetzungen geendet hatte, und sah wie Wallenstein, wenn er im fünften Acte beim Anblick des Jupiter des im Kampf gebliebenen Max Piccolomini gedenkt, melancholisch in die Ferne; „ich habe bei den Wahlen stets für die Candidaten des Ministeriums gestimmt –“

„Wofür Ihnen der liberale Herr Minister schwerlich Dank wissen wird!“

„Ja, bei Gott, Sie haben Recht, Herr von Manteuffel hat ja nicht mehr die Zügel des Regiments in Händen; dann schweigen wir lieber davon!“ flüsterte der Kanzleirath und seufzte tief, seiner politischen, etwas reactionären Antecedentien und Spucknapfstudien des Novembersystems gedenkend.

„Wenn ich Ihnen einen Rath geben kann,“ sagte der Cicerone, „so suchen sie am Morgen auf der Brunnenpromenade an den Herrn Minister zu kommen. Er speist, nachdem er Vormittags die einlaufenden Depeschen gelesen hat, im engsten Kreise in seinen Zimmern. Nachmittags macht er gewöhnlich, um dem verbotenen Schlafe vorzubeugen, eine Spazierfahrt. Gegen Abend erscheint er auf der Promenade, aber sich ihm dann auf irgend eine Weise zu nähern, wäre nicht empfehlenswerth; er wird gewöhnlich durch allerlei vornehme Bekanntschaften in Anspruch genommen. Auch zu einer Visite möchte ich nicht rathen!“

„Nein, das ist auch gar nicht meine Absicht, Alles muß sich auf die ungezwungenste Weise machen,“ sagte tiefsinnig der Kanzleirath; „zu Visiten ist Zeit und Gelegenheit genug in Berlin, aber ich habe meine ganze Hoffnung auf eine scheinbar zufällige Begegnung im Bade gesetzt. Zch strebe nicht nach Ungebührlichem. Was ich will, kommt mir von Gott und Rechtswegen zu, aber ich möchte nicht förmlich und schriftlich darum einkommen; wenn man seine sechsundzwanzig Jahre gedient hat, sieht es besser aus, wenn so etwas Einem anscheinend freiwillig gewährt wird.“

„Darf man vielleicht wissen, was?“ fragte neugierig das Salzfaß.

„Zu seiner Zeit, verehrter Herr, zu seiner Zeit sollen Sie Alles erfahren, oder Sie sehen mich nie mehr wieder; bis dahin dringen Sie nicht in mich,“ sagte mit gedämpfter Stimme der Kanzleirath, drückte dem gutmüthigen Nachbar die Hand, berichtigte seine Schuld an den Zählkellner und verschwand aus dem Speisesaale.

Von da an war sein heißes Bestreben, Sr. Excellenz in den Morgenstunden näher zu kommen. Er stand pünktlich um vier Uhr auf, legte seinen schwarzen Frack an, zog den warmen Paletot darüber, jedoch so, daß die Klappe des Frackes mit dem Bande des rothen Adlerordens den loyalen Preußen verrieth, und lustwandelte von fünf Uhr an auf der Promenade. Um sechs Uhr erschien der Minister und eröffnete seinerseits das übliche Becherspiel. [575] Aber es war unendlich schwer, sich Sr. Excellenz zu nähern; Tiphonius hätte wider alle Hauptregeln des kleinen Macchiavell verstoßen. Der mächtige Herr schien triftige Gründe zu haben, den glaubersalzhaltigen lösenden Brunnen zu trinken, er sah düster aus, als hätte er selbst hier mit fortwährendem geheimem Widerstande seiner Subalternen zu kämpfen; Tiphonius bemerkte wohl, daß es das Beste sei, ihm aus dem Wege zu gehen. Aber etwa zwei Stunden später verschwand der Minister regelmäßig in den Hallen neben der Promenade. Erschien er dann nach einiger Zeit wieder unter den Curgästen, so war er auffallend heiter: wenn man ihn grüßte, dankte er nicht mehr vornehm und verdrossen, sondern mit Herablassung und Liebenswürdigkeit, und warf einigen Begünstigten sogar witzige Bonmots zu; allein die Dauer seines Bleibens während dieses fröhlichen Seelenzustandes war so karg gemessen, daß ihm der Kanzleirath auch jetzt nicht zu nahen wagte. Der Ehrgeiz schärfte jedoch die geistigen Fähigkeiten des Mannes und verlieh ihm Erfindungsgabe; er glaubte eine wirksame Methode, mit Sr. Excellenz ein Gespräch anzuknüpfen, gefunden zu haben.

Zwei, drei Tage hindurch lag er gespannt auf der Lauer, die Gelegenheit war nicht günstig; da endlich schien ihm der große, Alles entscheidende Moment gekommen. Es war acht Uhr, in der Entfernung von etwa fünfzig Schritten kam ihm der allgewaltige Gönner entgegen. Sein Schritt war kurz und hastig, er sah geängstigt, beklommen aus; wußte nicht alle Welt, daß er der wohlwollendste, rechtschaffenste Herr, der treueste Gatte, der ehrenhafteste Edelmann sei, man hätte argwöhnen können, er litte an furchtbaren Gewissensqualen. Auf die Consequenzen dieser räthselhaften Stimmung hatte aber gerade Tiphonius, der teuflische Macchiavellist, gerechnet. Se. Excellenz griffen rasch nach den Rocktaschen, und ihre Mienen verdüsterten sich noch mehr; der scharfsinnige Kanzleirath hatte sich nicht verrechnet. Rasch eilte er in die nahen Hallen, wo nach seinem besten Wissen und Dafürhalten der Minister nach dem allgemein gültigen Localgebrauch Zuflucht suchen würde, und verbarg sich hinter der ersten Thür. Wenige Secunden später stürmte der Gönner herein und riß heftig die Thür auf. Jetzt war der entscheidende Moment da. Der Kanzleirath fuhr mit der Geschwindigkeit einer vulcanischen Eruption aus dem Gemach, überließ unter dem Ausruf: „Mit dem größten Vergnügen!“ dem Gönner den Griff der Thür und zugleich einen Zeitungsbogen, dessen Flächeninhalt vollkommen der obersten Steuerclasse der preußischen Journalistik entsprach, und eilte auf die Promenade zurück, indem er die verhängnißvolle Pforte scharf im Auge behielt.

Se. Excellenz ließen länger als gewöhnlich auf sich warten. Die Bademusik hatte das entzückende Lied der Meermädchen aus Weber’s Oberon fast vollendet, als der Gönner endlich wieder im Freien erschien. Er sah unendlich zufrieden aus, seine Stirn war geglättet, der gewöhnlich trübe, von einer unermeßlichen Geschäftslast gedrückte Gesichtsausdruck erheitert, das offene Auge glänzte, er blickte nach einem Menschen umher, dem er so wohl thun konnte, wie ihm selber war. Da stand Kanzleirath Tiphonius vor ihm. Man erzählt von der Klapperschlange, daß die durch ihren bösen Blick gebannten Vögel geradezu in ihren Rachen eilten; aber es ist für ein menschliches Herz tröstend, dazu ein erfreulicheres Seitenstück mächtiger schöner Menschlichkeit anführen zu können. Gefesselt, unwiderstehlich angezogen durch den seelenvollen Blick des Gönners, eilte der Glückliches ahnende Kanzleirath auf den Minister zu. Dieser schien ihn fast erwartet zu haben. Er dankte auf das Huldreichste, als Tiphonius seinen Devotionsapparat aus Filz schwenkte.

„Habe ich nicht das Vergnügen, einen meiner ältesten Beamten aus der Kanzlei vor mir zu sehen?“ fragte lächelnd der Gönner.

„Zu Befehl, Excellenz!“ antwortete Tiphonius und krümmte sich krampfhaft vor Seligkeit.

„So begleiten Sie mich, mein lieber Kanzleirath, und erzählen Sie mir in Kürze, wie Sie leben,“ sagte der Minister und machte eine gnädig einladende Schwenkung mit der Rechten.

Eine solche Huld hatte unser intriganter Held nicht erwartet; sie überstieg seine kühnsten Erwartungen. Er bildete pflichtschuldig einen Schritt links hinter dem Minister die Arrieregarde und schüttete dem großen Mann unverhohlen sein Herz aus. Mit der langen Dienstzeit hub er an, dann ging er auf die kolossale Arbeit über, variirte das Thema der wankenden Gesundheit und des kleinen Gehaltes und schloß mit einem leidenschaftlich romantischen Allegro über mangelnde Anerkennung. Hätten ihn nicht die mitleidigen Blicke des Gönners ermuntert, er wäre nie so frech gewesen.

„Was kann man für Sie thun, mein lieber Kanzleirath? Sie wissen, im Punkte der Gehaltsverbesserungen bin ich nicht unabhängig; aber reden Sie offen, Sie scheinen etwas auf dem Herzen zu haben,“ sagte lächelnd der Minister.

„Excellenz, kein Geld würde mich so glücklich machen, als das Beiwort Geheimer! Excellenz wissen, es ist der sehnlichste Wunsch jedes richtig organisirten Berliners – wenn ich den Titel: „Geheimer Kanzleirath“ erhalten könnte; das höchste Ziel meines Lebens wäre erreicht!“

Der Minister lächelte, aber er lächelte nur wie ein Menschenfreund. „Wenn ein verdienter Beamter dadurch glücklich gemacht wird, so soll es an meiner Verwendung nicht fehlen! Möge Ihnen die Cur gut bekommen!“ Noch einmal schwenkte er die Hand; der Kanzleirath war entlassen. Der glückliche Mann taumelte vor Entzücken, er wäre zu Boden gefallen, hätte ihn der Herr vom Salzfaß, der ihnen nachgeschlichen war, nicht aufrecht erhalten.

„Was haben Sie erreicht? sprechen Sie! theilen Sie mir Alles mit!“ rief der neugierige Herr.

„Noch heute Abend reise ich ab,“ schrie in bacchantischem Taumel der Kanzleirath und riß sich von ihm los, „ich werde „Geheimer“, ich muß zu meiner Frau zurück, sie muß es zuerst erfahren; meine Saison ist zu Ende! nach Hause! nach Hause!“