Der Räuberhauptmann und die Müllerstöchter

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Textdaten
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Autor: Ernst Meier
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Titel: Der Räuberhauptmann und die Müllerstöchter
Untertitel:
aus: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben, S. 224-230
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: C. P. Scheitlin
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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63. Der Räuberhauptmann und die Müllerstöchter.

Es war ein reicher Müller, der wohnte ganz allein in einem Thale und hatte drei schöne Töchter; von denen hörte ein Räuberhauptmann und fuhr in einem prächtigen Wagen hin und bat, daß der Müller ihn doch beherbergen möge. Ja, das wollte er wohl thun. Wie sie nun Abends bei Tische saßen und allerlei mit einander redeten, so sagte der Fremde auch, daß er noch unverheirathet sei und fragte den Müller, ob er ihm nicht eine von seinen Töchtern zur Frau geben wolle. Der Müller, der den Räuber für einen vornehmen Herrn hielt und meinte, daß seine Tochter nicht beßer versorgt werden könne, sagte ja, er solle sich nur eine auswählen. Da wählte er sich die älteste.

Nun hätte der Räuber gern sogleich Hochzeit gehalten; allein der Müller sagte: die Aussteuer müße erst noch gemacht werden. Dafür dankte zwar der Fremde; denn sein Schloß sei mit Allem wohl versehen. Aber die Tochter selbst wünschte vor ihrer Verheirathung die Wohnung ihres Bräutigams einmal zu sehen; deshalb wurde die Hochzeit noch aufgeschoben, und sie fuhr einstweilen zum Besuche mit. Da wurde ihr aber der Weg sehr lang. Es gieng durch Berg und Thal, immer dichter und tiefer in den Wald hinein. „Kommt dein Schloß noch nicht bald?“ fragte sie immer ängstlicher ihren Bräutigam. „Es wird bald kommen! sagte er jedesmal, nur noch ein wenig Geduld!“ Endlich und [225] endlich kamen sie wirklich an. Da war Alles in dem Schloß auf’s Schönste eingerichtet und der Bräutigam selbst führte seine Braut überall hin und zeigte ihr Alles; nur ein einziges Zimmer schloß er nicht auf. Dann brachte er sie zurück zu den Eltern und hielt nicht lange nachher wirklich Hochzeit mit ihr.

Der jungen Frau aber wollte es auf dem Schloße gar nicht gefallen. Ihr Mann war oft wochenlang fort, ohne daß sie wußte, wo er war, und wenn er dann heimkam, brachte er einen ganzen Haufen roher Menschen mit, die aßen und tranken und spielten, während die arme Frau sich oftmals zu der Mühle zurückwünschte, wo ihre Eltern wohnten. Ganz besonders unheimlich aber war es ihr, daß der Mann ihr so streng verboten hatte, ein einziges Zimmer nie aufzuschließen und nie hineinzusehen. Außerdem gab er ihr jedesmal, wenn er verreiste, ein Ei, welches sie sorgfältig aufheben und nie aus der Hand legen sollte. Das that die Frau denn auch gewißenhaft. Sobald der Mann aber zurückkam, ließ er sich immer gleich das Ei zeigen.

Eines Tages jedoch, als er fort war, konnte die Frau es nicht laßen, die verbotene Thüre zu öffnen, und da sah sie ein ganzes Zimmer voll Leichen und Todtengerippen, und entsetzte sich so darüber, daß sie am ganzen Leibe zitterte und bebte und das Ei fallen ließ. Da war es zerbrochen; und als nun der Mann heimkam und das Ei verlangte, konnte sie es nicht vorweisen. Da merkte er auch aus dem ganzen Aussehen seiner Frau, was sie gethan hatte, und sagte: „nun komm nur mit, jetzt darfst Du in die Kammer, [226] weil Du hineingesehen hast!“ und schleppte sie hin, schnitt ihr den Hals ab und warf sie zu den übrigen Leichen.

Nicht lange darauf nahm der Mann einen andern Wagen und andre Pferde und kleidete sich ganz anders und fuhr abermals zu dem Müller und sagte: er habe gehört, daß er zwei so schöne Töchter habe, er möge ihm doch eine davon zur Frau geben. Der Müller entschloß sich schwer dazu, willigte aber doch ein, weil die Tochter Lust hatte, und ließ sie sogleich mitfahren und gab ihr eine reiche Aussteuer.

Dieser zweiten Frau ergieng es bald ebenso wie ihrer Schwester. Sie bekam immer ein Ei, wenn ihr Mann ausgieng, das sollte sie sorgfältig in der Hand tragen, und außerdem hatte er ihr verboten, ja niemals die eine Thür aufzumachen. Als sie aber dennoch eines Tags die Todtenkammer aufschloß und hineingieng, ließ sie vor Schrecken das Ei in einen Eimer mit Blut fallen, und eh sie es abwaschen konnte, war ihr Mann zurückgekommen und sah das Blut an dem Ei und sagte: „jetzt ist es aus mit Dir!“ und führte sie ebenfalls in die Kammer und schnitt ihr den Hals ab.

Der Räuberhauptmann aber wußte sich so geschickt zu verkleiden und zu verstellen, daß, als er jetzt zum dritten Male zu dem Müller kam und um die jüngste Tochter anhielt, der Müller ihn nicht wieder erkannte, sondern ihn für einen ganz anderen Menschen hielt. Mit vieler Mühe bekam er endlich auch die dritte Tochter und machte es mit dieser nun ebenso wie mit ihren beiden Schwestern. Er untersagte ihr streng, das eine Zimmer aufzuschließen und gab ihr, wenn er ausgieng, jedesmal ein Ei, das sie beständig [227] tragen sollte. Diese Frau aber war vorsichtig und legte das Ei in ein Körbchen und ließ es darin liegen, wenn sie im Schloße umhergieng. So kam sie denn auch einmal an die verbotene Thür, die sie schon oft angesehen hatte, und dachte: ei, du sollst doch einmal zusehen, was wohl darin ist, und schloß die Thür auf. Aber wie erschrack sie da, als sie hier lauter Leichen fand und darunter auch die Köpfe ihrer beiden Schwestern, die sie noch erkennen konnte.

Schnell setzte sie sich nun hin und schrieb einen verstellten Brief, als ob ihr Vater schwer erkrankt sei und sie noch einmal vor seinem Tode zu sehen wünsche. Als darauf der Räuber nach Haus kam und die Frau ganz traurig fand, so fragte er sogleich nach dem Ei; das war zwar nicht zerbrochen, aber die Frau bat ihn um Alles in der Welt, daß er sie doch zu ihrem Vater bringe, der wolle sterben und wünsche, sie noch einmal zu sehen. Und als der Räuber den Brief gelesen, gab er endlich ihren Bitten nach und fuhr schon am andern Morgen mit ihr fort.

Die Frau aber hatte ganz heimlich die Köpfe ihrer Schwestern mit in die Kleiderkiste gepackt, die sie mitnahm, und kam deshalb in große Angst, als ihr Mann unterwegs noch einmal umkehren wollte; er habe vergeßen, nach seinen Vögeln zu sehen, sagte er. Die Frau konnte wohl denken, daß er damit die Todtenkammer meinte und sie fürchtete, daß er entdecken könnte, was darin vorgefallen war. Deshalb bat sie ihn so dringend und so zärtlich, ihre Reise nicht aufzuhalten, daß er endlich nachgab und sie zu ihrem Vater führte. Den trafen sie ganz gesund an; die Tochter aber [228] hatte sogleich die Knechte ihres Vaters bestellt; die umgaben das Haus und nahmen den Räuber gefangen. Der wurde dann vor ein Gericht gestellt und verurtheilt und hingerichtet.

Zugleich aber verlangte der Richter von der jungen Frau, daß sie seinen Leuten den Weg zu dem Räuberschloße zeigen sollte, damit auch die Gehülfen des gottlosen Mannes ihre Strafe bekämen. Das that die Frau auch sogleich und wies den Leuten den Weg in den Wald. Weil sie aber vorangieng, und die andern nicht recht Acht gaben und zurückblieben, so geschah es, daß sie plötzlich ihre Führerin verloren hatten und deshalb wieder umkehrten. Da irrte die Frau nun allein herum und stieß mit einem Male auf die Räuberbande und wurde gefangen genommen. „Da haben wir also das böse Weib, das unsern Hauptmann verrathen hat!“ sagten die Räuber und beschloßen, sie lebendig in Harz zu sieden, und banden sie an einen Baum und begaben sich in den Wald, um Holz und Harz herbeizuschaffen.

Als die arme Frau nun bitterlich weinte, kam plötzlich die alte Mutter des geköpften Räubers zu ihr und band sie los, weil sie Mitleid mit ihr hatte. Dann eilte sie so schnell sie nur konnte, zum Walde hinaus, und traf auf der Straße einen Fuhrmann, der hatte Reife (Faßringe) geladen, und den bat sie, er möge sie doch aufsitzen laßen und unter den Ringen verstecken, weil die Räuber sie verfolgen könnten. Der Mann aber sagte: „das könnte mir Wagen und Pferde kosten! ich mag mit den Räubern nichts zu thun haben!“ Da gieng die Frau fort und kam bald zu einem zweiten Fuhrmann, der hatte Fäßer auf dem Wagen und auch keinen [229] Muth, die Frau aufzunehmen. So lief sie wieder eine Strecke weiter, bis sie ganz ermattet zu einem dritten kam, der hatte Brunnentröge geladen, den einen immer größer als den andern, so daß mehre in einander gelegt werden konnten. Dieser Fuhrmann nahm sie auf und versteckte sie unter dem untersten Brunnenstein und legte die übrigen über sie her.

Als die Räuber nun aber mit vielem Holz und Harz zurückkamen und die Frau nicht mehr vorfanden, sprangen sie ihr nach. Da trafen sie den ersten Fuhrmann mit den Reifen und luden ihm den ganzen Wagen ab und eilten weiter, als sie die Frau bei ihm nicht fanden. Ebenso machten sie es dem zweiten und dann auch dem dritten Fuhrmann. Diesem letztern warfen sie die Brunnensteine einen nach dem andern herunter bis auf den untersten, unter welchem die Frau verborgen war. Da gerieth der Fuhrmann in Todesangst. Als nun aber grade Einer den Stein anfaßte, um ihn aufzuheben, da rief der neue Anführer: „wir wollen weiter gehn! da sitzt sie doch nicht drunter.“ Und so ließen sie den letzten Brunnenstein liegen und zogen ab. Der Fuhrmann aber lud eilig einige Steine wieder auf und brachte dann die Frau glücklich zu ihrem Vater.

Darauf hatten die Räuber einen so großen Zorn auf die Frau, daß sie mehrmals versuchten, des Nachts in die Mühle einzubrechen und Feuer darin anzulegen. Als sie aber zum dritten Male kamen, hatte man ihnen aufgepasst und nahm alle gefangen.

Der Müller aber mochte in der Mühle nicht länger wohnen und zog mit seiner Tochter in die benachbarte Stadt. [230] Dort wohnte auch der brave Fuhrmann, der die Frau gerettet hatte, und zum Danke dafür und weil er ihr auch sonst gefiel, hat sie ihn geheirathet und beide haben noch lange glücklich mit einander gelebt.

Anmerkung des Herausgebers

[315] 63. Der Räuberhauptmann und die Müllerstöchter. Mündlich aus Derendingen und Bühl. In der Erzählung aus Bühl fehlen die Eier, welche die Frauen tragen sollen. Bei der ersten will die Thür nicht wieder zu; die zweite verräth sich durch ihre Verwirrung. Die dritte veranlaßt ihren Mann, nachdem sie die entsetzliche Entdeckung gemacht hat, ihre Eltern zu besuchen. Dort wird ein großes Fest veranstaltet. Die Frau läßt die Köpfe ihrer Schwestern gebraten auf den Tisch bringen und fragt den Räuber: was dem Mann gebühre, der zwei Schwestern umgebracht. Er spricht sich selbst sein Urtheil und wird hingerichtet. Damit schließt die Erzählung aus Bühl. – Dieß Märchen soll einzeln gedruckt in Schwaben ziemlich verbreitet sein. Ich habe aber ein derartiges fliegendes Blatt nicht erhalten und nicht vergleichen können, wie weit es auf die obige Erzählung eingewirkt haben mag. Meine Erzählerin so wie der Erzähler, ein Blinder, kannten sie nur durch mündliche Ueberlieferung. Verwandt ist der König Blaubart, Nr. 36. s. d. Anmerk. dazu, und bei Grimm Nr. 40, der Räuberbräutigam und Nr. 46, Fitchers Vogel.