Der Rabe (Übersetzung Ploennies)

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Textdaten
Autor: Edgar Allan Poe
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Titel: Der Rabe
Untertitel:
aus: Magazin für die Literatur des Auslandes. 52. Band, Juli bis Dezember. Nr. 130, 29. October, S. 519–520
Herausgeber: J. Lehmann
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Veit & Comp
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer: Luise von Ploennies
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Andere Übersetzungen siehe Der Rabe
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[519]
 Der Rabe.


Mitternacht umwob mich schaurig, als ich einsam saß und traurig
Bei Folianten, die mir manchen dunklen Traum heraufbeschworen.
Ich entschlief, doch unterbrochen ward mein Schlummer durch ein Pochen.
Wer ist’s, der so spät (so fragt’ ich) sich hierher zu mir verloren? –

5
Ein Besuch wird’s sein (so sagt’ ich), der sich spät hierher verloren.

 Oder täuschten mich die Ohren?

Ach, die Nacht vergeß’ ich nimmer! denn Dezember war’s, und immer
Düstrer huschten durch mein Zimmer Schatten, die mein Traum geboren.
Sehnlich hofft’ ich auf den Morgen, die Folianten wollten borgen

10
Keine Lethe meinen Sorgen, meinen Sorgen um Lenoren;

Um das schöne, lichte Mädchen, das bei Engeln weilt, Lenoren,
 Das der Erde ging verloren.

Auf der seidnen Vorhäng’ Rauschen mußt’ ich, leis’ erbebend, lauschen,
Geisterschrecken, mich zu necken, kamen, von der Angst beschworen.

15
Zu beschwichtigen das Pochen meines Herzens, laut gesprochen

Hatt’ ich nochmals diese Worte: Wer hat sich hierher verloren?
Wer ist’s, der zu meiner Pforte sich so spät hierher verloren? –
 Oder täuschten mich die Ohren? –

Stärker fühlt’ ich mich geworden von den lautgesprochnen Worten;

20
Herr (so sagt’ ich) oder Dame, um Vergebung, seid beschworen,

Wißt, ich schlief, als mich erweckte neues Pochen, das mich schreckte,
Das mich fast wie Täuschung neckte – Täuschung, die ein Traum geboren. –
Weit die Thüre öffnend, stand ich drauf in Dunkelheit verloren,
 Nichts war da – nur Trug der Ohren! –

25
In das Dunkel blickt’ ich schweigend, stand, mich angstvoll vorwärts neigend,

Zweifelnd, fürchtend, das zu schauen, was vielleicht mein Wahn geboren.
Doch die Nacht blieb undurchbrochen, nur mein Herze fühlt’ ich pochen,
Als ich leis’ das Wort gesprochen: Kam der Gruß wohl von Lenoren?
Drauf das Echo wiederholte, geisterhaft drang mir’s zu Ohren:

30
 Von Lenoren! –


Und zurück ins Zimmer wandte ich den Schritt, mein Herze brannte;
Plötzlich, stärker als zuvor, drang das Pochen mir ins Ohr. –
Sicher, sagt’ ich, hört’ ich’s klopfen, oder waren’s Regentropfen? –
Ich will sehn, warum das Klopfen meine Fenster sich erkor.

35
Still, mein Herz, hör auf zu klopfen, bis ich diesen Ton beschwor.

 Hat der Wind getäuscht mein Ohr?

Rasch das Fenster öffnend, schaute ich ein Ding, vor dem mir graute,
Denn es kam herein ein Rabe, gleich der Nacht, die ihn geboren,
Kam herein so gravitätisch, feierlich, fast majestätisch,

40
Setzte sich, ein dunkler Fetisch, auf den Thron, den er erkoren:

Auf der Büste einer Pallas, die er sich zum Thron erkoren,
 Saß er starr, wie halb erfroren.

Saß wie Ebenholz so dunkel, und der Augen wild Gefunkel,
Das so starr auf mich gerichtet, schien mich glühend zu durchbohren.

45
Sprach ich da: Von welchem Hügel kommst du, mit zerriß’nem Flügel,

Geisterhafter, grimmer Rabe, kommst du von des Orkus Thoren?
Sag, bei welchem finstren Namen nennen dich, die dort verloren?
 Leise krächzt er da: Verloren!

Darauf wieder schweigend saß er auf der Büste, bald vergaß er

50
Dieses Wort, das ich gesprochen, saß, als wie im Traum verloren.

Nicht aufs lei’este sich regend, keine Feder nur bewegend,
Und ich dachte, er wird bleiben, bis der lichte Gang der Horen
Diesen Finstern wird verbannen, bis sich Nacht in Licht verloren.
 Wieder krächzt er da: Verloren.

55
Aufgeschreckt durch dieses Krächzen, durch das leise, heisre Aechzen,

Sprach ich: einzig dies zu sprechen, scheint der Finstre auserkoren.
Ach, vielleicht von einem Dichter, den das Leid verfolgte, spricht er,

[520]
Den das Dunkel immer dichter eingehüllt, bis er verloren

Alle süßen Hoffnungslichter, ach von Einem, der geboren

60
 Für das Trauerwort: Verloren.


Dieses traurig überdenkend, dann auf ihn die Blicke lenkend,
Sah ich den Geheimnißvollen, mich mit glüh’ndem Aug’ durchbohren.
Ich versank in tiefe Träume, legte auf des Kissens Säume
Meine Stirn: ach diese Räume (sprach ich) sind zum Leid erkoren,

65
Nimmer wiegen diese Kissen, nimmer, nimmermehr Lenoren,

 Nur zum Leid bin ich geboren.

Dunkler von der Nacht umrungen fühlt’ ich sie von Duft durchdrungen,
Ward ein Weihrauchfaß geschwungen, unsichtbar? – durch alle Poren
Drang der Duft, – ich rief: Erbarmen haben Engel mit mir Armen,

70
Hüllen ein in duft’ge Lethe meinen Kummer um Lenoren!

Trink, mein Herz, die duft’ge Lethe, und vergiß, die du verloren.
 Wieder krächzt er da: Verloren! –

Ein Prophet wohl ohne Zweifel (rief ich), Vogel, oder Teufel!
Such ein Nachtquartier da draußen in den grünen Sykomoren.

75
Doch vorher will ich dich fragen, ja vorher sollst du mir sagen,

Sieh, ich fleh’ dir ohne Zagen: werd’ ich wiedersehn Lenoren?
Wiedersehn im fernen Eden, jene süße Maid, Lenoren?
 Und der Rabe sprach: Verloren!

Sei dies Wort dein Abschiedszeichen! Vogel, Teufel! du mußt weichen!

80
In des Sturms Umarmung schwing dich, in die Nacht, die dich geboren!

Dir vom nächtigen Gefieder falle keine Feder nieder,
Nimmer, nimmer, stör mich wieder! fort vom Platz, den du erkoren!
Heb hinweg die glüh’nden Augen, die mein Innerstes durchbohren!
 Wieder sprach er da: Verloren!

85
Und so sitzt er, nicht sich regend, keine Feder nur bewegend,

Sitzt, den Blick auf mich gerichtet, scheint mich glühend zu durchbohren.
Und mir ist, als ob er wühle mir im innersten Gefühle.
Denn mein Haupt auf dunklem Pfühle, hat sein Aug’ als Ziel erkoren.
Immer wird sein Schatten dichter, leise spricht er: Von Lenoren,
 Die verloren!