Der Ritter von Lanvers
[6] Der Ritter von Lanvers. Von K. Belka.
Im Verlauf des dritten Kreuzzuges wurde bekanntlich die Stadt Akkon von den Kreuzfahrern unter dem Oberbefehl der Könige von England und Frankreich belagert. Bereits längere Zeit bestürmte das Kreuzheer Akkon vergeblich, und schon wurden Stimmen laut, die ein Aufgeben der Belagerung und die Rückkehr in die Heimat verlangten, da die Eingeschlossenen anscheinend mit Kriegsvorräten aller Art noch aufs reichlichste versehen waren und so eine Änderung der Lage in absehbarer Zeit kaum erwartet werden konnte.
Den Führern der Kreuzfahrer war nun sehr darum zu tun, möglichst genaue Berichte über die Zustände in der belagerten Stadt zu erhalten, um danach einen entscheidenden Entschluß fassen zu können. Jedoch niemand fand sich weiter, der die Zahl derer vermehren wollte, die sich kühn in einer Verkleidung als Spione in die Mauern von Akkon eingeschlichen und deren Köpfe die Türken dann hohnlachend mit ihren Wurfmaschinen ins Lager der Christen als blutige Warnung zurückgeschleudert hatten. Da meldete Sich eines Tages bei dem König von Frankreich ein Soldat, der erst kürzlich mit einem neuen Trupp eingetroffen war, und erklärte sich bereit, den gefährlichen Kundschaftergang nach Akkon hinein zu unternehmen.
Vergebens fragte der König ihn nach Namen und Herkunft. Die wollte der beherzte Mann erst angeben, wenn er sein Vorhaben glücklich ausgeführt hätte.
[7] Am nächsten Tage wurde im Angesicht der Belagerten ein Gerüst mit einem Richtblock aufgeführt, und wenige Stunden später ein schwer gefesselter Soldat auf diese Richtstätte hinausgebracht, um die die Truppen in weitem Kreise aufgestellt waren. Neugierig schauten die Ungläubigen von ihren Wällen diesem Schauspiele zu. Schon hatte der Scharfrichter seinen Gehilfen einen Wink gegeben, um den Unglücklichen auf den Bock zu legen, als der Todeskandidat mit dem Mute der Verzweiflung die Scharfrichterknechte von sich abschüttelte, das Henkerschwert ergriff, sich mit wütenden Hieben eine Gasse durch die Umstehenden bahnte und dann in langen Sätzen nach der Stadt zu entfloh, zunächst noch eifrig von unzähligen Leuten verfolgt, die aber bald vor den einen Ausfall machenden Türken wieder umkehren mußten.
Durch diese List, – denn die Hinrichtung und die Flucht des Verurteilten waren auf Vorschlag jenes Soldaten, der sich dem Könige als Spion angeboten hatte, nur zur Täuschung der Belagerten in Szene gesetzt worden, gelangte der angeblich Verurteilte glücklich nach Akkon hinein, wo er dann erzählte, er sei wegen Ermordung und Beraubung eines Kameraden zum Tode verurteilt worden und wünsche jetzt nichts sehnlicher, als gegen die, die ihm nach dem Leben trachteten, kämpfen zu dürfen.
Er wurde wirklich in die Reihen der Ungläubigen eingestellt und hatte nun die beste Gelegenheit, sich in der eingeschlossenen Stadt genau umzusehen. Nach drei Wochen kehrte er in einer finsteren Nacht in das Lager der Kreuzfahrer zurück und erstattete Bericht über das, was er von den Verhältnissen in Akkon beobachtet hatte. Auf Grund seiner Angaben wurde die Bestürmung wieder mit erneutem Eifer aufgenommen, da man jetzt die schwachen Stellen der Befestigungen kannte und auch wußte, daß der Proviant der Belagerten nur noch kurze Zeit ausreichen würde.
Am 12. Juli 1191 kapitulierte die Stadt. Und an demselben Tage soll dann auch der Spion, dessen Schlauheit man diesen Erfolg hauptsächlich zu verdanken hatte, das seine Persönlichkeit umgebende Geheimnis enthüllt haben. Er war niemand anders als ein Französischer Ritter Emicho von Lanvers, der vor vier Jahren aus unbegründeter Eifersucht in maßlosem Zorn seine Gattin erschlagen hatte und deswegen von den weltlichen und kirchlichen Behörden in Acht und Bann getan war.
Von Reue gequält hatte er eine Pilgerreise nach Rom unternommen, wo ihm vom Papst Verzeihung zugesichert worden war, falls er sich im Kampfe gegen die Ungläubigen besonders hervortue, wozu ihm durch jenen Kundschaftergang nach Akkon hinein die Gelegenheit geboten wurde.