Der Schanzenkranz um Dresden
Im letzten Spätherbst kam ich nach manchem Jahre wieder nach Dresden. Die Sehenswürdigkeiten des schönen Elbflorenz waren mir durch frühere Besuche bekannt, ebenso die herrlichen Umgebungen, neu aber waren mir die Befestigungen, welche die Preußen rings um Dresden theils schon angelegt hatten, theils zu vollenden im Begriff waren. Ein Freund, der eine Reihe von Jahren in St. Louis, im Staate Missouri, gelebt, daselbst die von General Fremont gegen die Rebellen aufgeworfenen Befestigungen genau kennen gelernt und nach den Stürmen des nordamerikanischen Bürgerkrieges in dem friedlichen Dresden angenehme Tage der Ruhe und des Friedens zu verleben gedacht hatte, in dieser seiner löblichen Absicht aber, im Jahre 1866 wenigstens, sich bitter getäuscht fand, führte mich gern zu einigen der Hauptschanzen und Batterien, welche gegenwärtig rechts und links von der Elbe die Befestigungen von Dresden bilden.
Der Krieg, welcher wieder einmal das Sachsenland heimgesucht hatte, lieferte in allen Kreisen den Hauptstoff zum Gespräche. Namentlich aber verhandelte man über die Preußen und die Zweckmäßigkeit der von ihnen angelegten Befestigungen. Die Mehrzahl der echten und etwas stark particularistisch gesinnten Dresdner tadelte kurzweg die Anlage der Fortificationen und behauptete, daß dieselben weiter nichts seien, als ein modernes Zwing-Uri, ein Zwing-Dresden. Allein Diejenigen, welche die Sache unbefangener und deshalb auch richtiger ansahen und beurtheilten, kamen meistens zu einem wesentlich anderen Schlusse. Als geschichtliche Thatsache steht fest, daß Georg der Bärtige im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts Dresden befestigt und daß der Kurfürst Moritz diese Befestigungen später verstärkt und vergrößert hat. Das schwere Kriegsunglück, welches die Stadt zu den verschiedensten Zeiten, namentlich im siebenjährigen Kriege und im Freiheitskriege von 1813, zu ertragen hatte, kann nur einestheils aus ihrer strategisch hochwichtigen Lage, anderntheils aus[WS 1] ihren mehr oder minder starken Befestigungen, die ein vorsichtiger Feind bei seinem siegreichen Eindringen in’s Land nicht ohne Weiteres übersehen konnte und durfte, zur Genüge erklärt werden. Unmöglich ist es ein bloßer „Zufall“ gewesen, daß Dresden so häufig der Gegenstand des erbittertsten Kampfes mächtiger Feinde wurde.
Unser erster Ausflug ging nach dem weltbekannten Waldschlößchen. Nachdem wir uns in der eleganten Restauration der Brauerei ein Töpfchen schäumenden Gerstensaftes hatten munden lassen, begaben wir uns auf das Plateau des sogenannten Meisenberges, der auf der Ostseite des Etablissements liegt. Dieser Platz ist auf dem beigegebenen Bilde leicht zu finden. Hier haben die Preußen fast an derselben Stelle, wo die Franzosen im Jahre 1813 die „Redoute de Bautzen“ errichteten, die geschlossene Redoute Nr. 6 mit einer sogenannten Redanspitze aufgeworfen. Die nächste Schanze auf dem rechten Elbufer ist Nr. 7; sie befindet sich am Ende der Forststraße links von der alten Radebergerstraße, am Rande des Prießnitzwaldes, östlich vom Prießnitzbache, und ist von ganz ähnlicher Stärke und Beschaffenheit, wie Schanze Nr. 6. Auch sie liegt nicht weit von dem Punkte, wo die Franzosen hart an der Raderbergerstraße die „Redoute de Radeberg“ aufgeworfen hatten. Wie unser Bild zeigt, sind beide sogenannte Schanzen auf zwei ziemlich hoch aufsteigenden Anhöhen errichtet, die, wie alle übrigen Stellen, an denen man im Prießnitzwalde Schanzen oder Batterien angelegt hat, durch Niederschlagen der den Um- und Ueberblick verhindernden Bäume die Altstadt und einen großen Theil des linken Elbufers überschauen lassen.
Die zunächstliegende Befestigung ist eine starke Batterie (auf unserem Bilde mit c bezeichnet), sie befindet sich hinter dem Alaunplatze auf der rechten Höhenseite des Prießnitzbaches. Von dort führte uns unser Weg über die sächsisch-schlesische Eisenbahn nach der auf einem Waldwege errichteten Schanze Nr. 8; ihr zunächst liegt am Drachenberge, rechts von der Großenhainer Straße, die Schanze Nr. 9. Die beiden zuletzt genannten Schanzen sind geschlossene Redouten mit zwei Flanken und Face. Unweit Stadt Neudorf, zwischen der Leipzig-Dresdner Eisenbahn und der Elbe, befindet sich endlich die Schanze Nr. 10; sie ist ebenfalls eine geschlossene Redoute und die letzte auf der rechten Seite der Elbe. Auch die französischen Befestigungen im Jahre 1813 reichten vom Plateau des Meisenberges bis zur Elbe, und zwar über Stadt Neudorf hinaus bis zur Westseite des Dorfes Pieschen. Die Franzosen hatten, wie uns später ein alter sächsischer Officier erzählte, auf dieser ganzen Strecke acht Redouten errichtet, die sämmtlich durch palissadenartige Verhaue mit einander in Verbindung gesetzt waren.
Wie ein Blick auf unser Bild darthut, beherrschen die preußischen Befestigungen auf der rechten Seite der Elbe nicht blos die Neustadt, sondern auch die tiefer gelegene Altstadt Dresden vollständig; wohlunterrichtete Sachverständige behaupten sogar, daß die schweren und weittragenden Geschütze, womit die meisten der genannten Redouten und die eine rechts von der Elbe gelegene Batterie, sobald es die Witterung erlaubt, versehen werden sollen, bis zum „großen Garten“ und darüber hinaus ihre zerstörenden Geschosse zu schleudern im Stande sein würden. Die Ausgänge der nach Schlesien und Leipzig führenden Eisenbahnen liegen ganz in dem nächsten Bereiche der preußischen Befestigungen; ebenso wird die Elbe ober- und unterhalb Dresdens vollständig durch sie [108] beherrscht. Wenn nach der genauen und werthvollen Darstellung, welche Aster[AU 1]von der Schlacht bei Dresden giebt, die russischen Batterien auf dem linken Elbufer im Stande waren, im Jahre 1813 den von den Franzosen am Linke’schen Bade aufgestellten Geschützen und sogar der großen, dicht am Waldschlößchen aufgeworfenen Redoute bedeutenden Schaden zuzufügen und die auf der Bautzner Straße heraneilenden Colonnen Napoleon’s zu einem verhältnißmäßig weiten Umweg zu zwingen, so dürfte Aehnliches den von den Preußen auf dem rechten Ufer der Elbe errichteten Befestigungen gegenüber nicht leicht stattfinden können.
In unterrichteten Kreisen nimmt man jetzt allgemein an, daß bei einem etwaigen neuen Kriege Oesterreichs gegen Preußen die österreichische Hauptmacht – schon weil der die Elbe beherrschende Königstein in Preußens Gewalt ist – nicht das Elbthal herauf, sondern von dem Erzgebirge her gegen Dresden heranziehen werde. Um einem solchen allerdings möglichen Angriffe mit aller Energie begegnen zu können, haben nun die Preußen – wie unser Bild ebenfalls zeigt – die Altstadt Dresden und die betreffenden Vorstädte mit einem ähnlichen Kranze von Befestigungen umgeben, wie dies in der Schlacht bei Dresden die Franzosen im Jahre 1813 gethan hatten.
Im Ganzen ist das linke Elbufer mit fünf Schanzen und sechs Batterien gedeckt. Aus verschiedenen Gründen war es mir nicht möglich, alle diese Schanzen und Batterien selbst zu besuchen, nur die hauptsächlichsten habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten persönlich in Augenschein genommen. Der zuletzt erwähnten Schanze Nr. 10 gegenüber liegt im Ostragehege bei „Onkel Tom’s Hütte“ eine starke Batterie (auf unserem Bilde mit a bezeichnet); auch hier wüthete nach Aster’s vortrefflicher Schilderung 1813 der Kampf zwischen den Oesterreichern und Franzosen, und zwar lange Zeit mit abwechselndem Erfolge. Mehr südwestlich – auf unserem Bilde leider nicht verzeichnet – liegen nahe an der Elbe bei den sogenannten Schusterhäusern und am Friedrichsstädter Kirchhofe, zwei andere preußische Batterien. Weiter südlich von diesen drei Batterien erhebt sich hinter dem Dorfe Löbtau, bei den „Drescherhäusern“, die mächtige Schanze Nr. 1. Die Schlacht bei Dresden hat hinlänglich bewiesen, daß dies sowohl zur Vertheidigung wie zum Angriffe ein höchst wichtiger Punkt ist; der General Bianchi errang hier durch geschickte Benutzung des Terrains längere Zeit bedeutende Vortheile über die Franzosen, deren Hauptbefestigungsplatz an dieser Seite näher nach der Stadt zu, vor dem Freiberger Schlage, sich befand.
Außer einer vierten Batterie, welche die Gegend um den Weißeritzfluß und die über Tharand nach Freiberg führende Albertsbahn bestreicht, folgt nun die Schanze Nr. 2; sie liegt an der Chemnitzer Straße nahe dem Feldschlößchen – einer sehr bedeutenden Brauerei – und dem neuen Annenkirchhofe, und ist auf unserem Bilde leicht zu finden. Die Franzosen hatten in dieser Gegend die heftigsten Kämpfe mit den Oesterreichern zu bestehen; sie hatten ihre Schanze nebst Blockhaus an dem Eingange zum Falkenschlage errichtet und beherrschten dadurch zwar die Niederung nach dem Dippoldiswalder Schlage so wie das Plateau des sogenannten Hahneberges und den oberen Plauenschen Marktweg, auch konnten sie die verschiedenen vorliegenden Bergabhänge beschießen und die Niederungen nach der Freiberger Straße hin flankiren; den östlichen Abhang des Hahneberges jedoch, so wie die nach Westen sich neigenden Seiten der genannten Anhöhe vermochten sie weder zu übersehen, noch mit ihren Geschützen zu bestreichen. Diesen Fehler, der ihnen längere Zeit großen Schaden zufügte, haben die Preußen bei der Errichtung der Schanze Nr. 2 und der damit in Verbindung stehenden anderen Befestigungen nach Möglichkeit vermieden.
Die nächstfolgende Schanze Nr. 3 erhebt sich bei dem Dorfe Zschertnitz zwischen den Ortschaften Räcknitz und Strehlen. Dresden hat sich seit 1813 sehr vergrößert, und daher zeigt es sich auch hier wieder, daß die Befestigungswerke, welche von den Preußen errichtet worden sind, in einem weiteren Umkreise von der Stadt entfernt liegen, als viele der früheren französischen Schanzen und Blockhäuser. Eine der Schanze Nr. 3 entsprechende französische Lünette war nicht weit von dem baumreichen, ehemals Moczinsky’schen Garten aufgeführt und flankirte die Dohnaische Straße; auch ließen sich von ihr aus die Wege nach Räcknitz und Zschertnitz, so wie die Dippoldiswalder Straße und der Dippoldiswalder Schlag bestreichen. Die preußische Schanze Nr. 3 aber bestreicht auf der einen Seite den Zelleschen Weg bis zur Bergstraße und die Gegend um Räcknitz, so wie auf der andern Seite das Dorf Strehlen, die sächsisch-böhmische Eisenbahn, den zoologischen und den großen Garten. Südöstlich von Räcknitz ward bekanntlich der General Moreau am 27. August 1813 an der Seite des Kaisers Alexander durch eine Kanonenkugel tödtlich verwundet; diese verhängnißvolle Kugel ward aber nicht von der eben erwähnten Lünette – diese war dafür wohl zu weit entfernt – entsandt, sondern von einer durch Napoleon selbst schnell herbeigeholten reitenden Batterie.
Nordöstlich vom großen Garten sehen wir die Schanze Nr. 4; sie liegt an der[WS 2] Pirnaischen Heerstraße, fast auf demselben Platze, wo die Franzosen im Jahre 1813 eine Schanze aufgeworfen und mit den Preußen, welche mit der größten Bravour durch den großen Garten gegen die Pirnaische Vorstadt vordrangen und die französische Bastion „Jupiter“ heftig beschossen, den blutigsten Kampf zu bestehen hatten. Die Geschütze der Schanze Nr. 4 bestreichen die nördliche Seite des großen Gartens, so wie die Pillnitzer Straße bis zum Landgraben, der auch auf unserem Bilde wohl zu erkennen ist. Jenseit des Landgrabens aber, hinter der Vogelwiese, ist eine Batterie (auf unserem Bilde mit b bezeichnet) aufgeführt, welche die Straße nach Blasewitz und den strategisch hochwichtigen Mühlenberg beherrscht.
Die letzte Schanze (Nr. 5) und die letzte Batterie auf dem linken Elbufer endlich befinden sich am Vorwerk „Lämmchen“ hinter der bekannten Villa Kaskel oder, wie der Dresdner spricht, „Antons“ und am Holzhofe; die Geschütze dieser Befestigungen bestreichen nach einer Seite hin das Blasewitzer Gehölz, während sie nach der andern die Elbe nach Loschwitz zu beherrschen und – sich an die auf dem Meisenberge hinter dem Waldschlößchen befindliche Schanze Nr. 6 anreihend – den Befestigungskranz um Dresden abschließen. Im Jahre 1813 kämpften hier vornehmlich die Russen gegen die im sogenannten Ziegelschlage errichteten Verschanzungen der Franzosen. –
Von den Dresden gegenwärtig umgürtenden zehn Schanzen sind neun besetzt; und zwar nur mit preußischen Soldaten; von den Batterien hat jedoch nur erst die im Ostragehege gelegene Wachtmannschaften erhalten. Es unterliegt aber nicht dem geringsten Zweifel, daß die Preußen bei einem Kriege mit Oesterreich Dresden als einen der ersten Hauptvertheidigungsplätze auf dem Wege nach Berlin ansehen und es in keinem Falle unterlassen werden, die Hauptstadt Sachsens noch mehr zu befestigen, um dieselbe bis auf’s Aeußerste halten zu können. Möge es zu dieser Nothwendigkeit nicht kommen! möge das durch schwere Kriegsdrangsale schon so häufig heimgesuchte Dresden nunmehr recht lange davon verschont bleiben!
[109]Schanze Nr. 3 zwischen Räcknitz und Strehlen. „ „ 4 an der Pirnaischen Straße. |
Schanze Nr. 1 hinter Löbtau. |
Anmerkungen des Autors
- ↑ Aster, Schilderung der Kriegsereignisse in und vor Dresden vom 7. März bis 28. August 1813.